Protokoll der Sitzung vom 23.06.2005

Ich rufe den Punkt 3c auf, die Drucksache 18/2478, die Wahl eines vertretenden ehrenamtlichen Mitglieds der Kommission für Bodenordnung.

[Unterrichtung durch den Präsidenten der Bürgerschaft: Wahl eines stellvertretenden ehrenamtlichen Mitglieds der Kommission für Bodenordnung – Drucksache 18/2478 –]

Durch die eben erfolgte Wahl eines Mitgliedes dieser Kommission ist die Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds erforderlich geworden. Für diese Wahl liegt Ihnen ein orangefarbener Stimmzettel vor. Er enthält jeweils ein Feld für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Sie dürfen ein Kreuz machen, aber bitte nur eins. Weitere Eintragungen oder Bemerkungen würden zur Ungültigkeit führen. Auch unausgefüllte Zettel gelten als ungültig. Bitte nehmen Sie jetzt Ihre Wahlentscheidung vor.

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Ich darf die Schriftführerinnen bitten, mit dem Einsammeln der Stimmzettel zu beginnen.

Sind alle Stimmzettel abgegeben? Dann schließe ich die Wahlhandlung. Das Wahlergebnis wird nun ermittelt. Ich werde es Ihnen im Laufe der heutigen Sitzung bekannt geben.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf, die Drucksache 18/2296, Antrag der CDU-Fraktion: Sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch minderjährige Täter.

[Antrag der Fraktion der CDU: Sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch minderjährige Täter – Drucksache 18/2296 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 18/2457 in der Neufassung ein Antrag der GAL-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der GAL: Prävention und Opferschutz bei sexueller Gewalt stärken – Drucksache 18/2457 (Neufassung) –]

Beide Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss überweisen. Wer begehrt das Wort? – Frau Strasburger, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! "Sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch minderjährige Täter" – ein heikles Thema, welches wir gern verdrängen. Haben wir genug Hilfen für Betroffene in unserer Stadt? In Hamburg gibt es bisher keine Koordination von Hilfen für Minderjährige, die Minderjährige sexuell missbrauchen. Wir brauchen unseres Erachtens endlich ein Modellprojekt, um die Hilfen zu koordinieren. Dieses ist schon lange überfällig.

Die meisten, die hier sitzen, werden sagen, sexueller Missbrauch von Minderjährigen an Minderjährigen findet gar nicht oder fast gar nicht statt und insofern müssen wir uns gar nicht darum kümmern. Ich bin anderer Meinung und auch die Kriminalstatistik und insbesondere die Erfahrungsberichte von Jugendhilfemitarbeitern, von Therapeuten, von Kinder- und Jugendpsychologen, die sich mit sexuell auffälligen Minderjährigen beschäftigen, belehren uns eines Besseren. Es handelt sich hierbei leider nicht um Einzelfälle, um die wir uns in dieser Gesellschaft nicht kümmern müssen. Auch diese Fälle müssen wir beachten.

Stellen Sie sich den Fall vor, dass eines Ihrer Kinder ein anderes Kind sexuell misshandelt. Das klingt vielleicht absurd, aber diese Fälle gibt es und diesen Familien müssen wir dringend helfen.

(Beifall bei der CDU)

Den Familien stellt sich dann die Frage, was tatsächlich sexuell auffällig ist. Handelt es sich noch um normale kindliche Neugier oder ist das Spielerei? Wo beginnt sexueller Missbrauch? Sich dazu zu bekennen, dass zwischen den Kindern Grenzen überschritten werden, die weit über die Normalität hinausgehen, ist sehr schwer. Das ist nicht nur für Eltern schwer, sondern auch für Erzieher, für Kindertagesstätten, für Tagesmütter, sich dazu zu bekennen, dass zwischen den Kindern etwas passiert, was nicht sein darf. Es handelt sich also um ein Tabuthema in unserer Gesellschaft.

Wichtig ist es, Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen an Minderjährigen aus diesem Tabubereich zu befreien. Menschen müssen für diese Themen sensibilisiert werden, um das Erkennen abnormer Verhaltensweisen frühzeitig zu erkennen. Betroffene dürfen vor allen Dingen nicht alleine gelassen werden. Es muss den Betroffenen die Scham genommen werden, nach Hilfe zu fragen. Es muss den Betroffenen umgehend effiziente Hilfe angeboten werden.

Eltern und andere Betroffene müssen wissen, an wen sie sich wenden können, und müssen sicher sein, nicht von einer Stelle zur nächsten geschickt zu werden, um immer wieder ihre Geschichte zu erzählen. Das ist menschenunwürdig.

(Beifall bei der CDU)

Es müssen Handlungskonzepte entwickelt werden, damit den Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich geholfen wird. Wird ein Fall sexuellen Missbrauchs bekannt – zum Beispiel der schreckliche Fall der kleinen neunjährigen Angelina, die von dem Nachbarjungen zunächst vergewaltigt und dann ermordet wurde –, sind plötzlich alle Stellen da: Jugendhilfeeinrichtungen, Therapeuten, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Polizei und natürlich die Justiz. Alle befassen sich damit. Wir alle müssen uns die Frage stellen, ob man das nicht hätte früher erkennen müssen? Hätte man nicht früher sehen müssen, dass

dieser Junge irgendwann "komisch" wird? Gab es nicht schon früher Auffälligkeiten bei diesem Jungen? Gab es Hilfen, die nicht koordiniert waren? Haben wir nicht eine Verpflichtung zu koordinieren?

In unserer Stadt gibt es viele gute Hilfsangebote, aber oft dauert es zu lange, bis die Vernetzung klappt, bis sich die Institutionen zusammenfinden.

Mit dem Modellprojekt soll eine bessere Vernetzung der mit einem Fall befassten Institutionen stattfinden. Der Austausch von Informationen soll schnell und unkompliziert geschehen. Durch Vernetzung und Transparenz sollen kurze Wege geschaffen werden. Den sexuell auffälligen Kindern und Jugendlichen soll frühzeitig und stringent eine Behandlung angeboten werden. Das Modellprojekt soll nicht nur strafmündige Jugendliche, sondern selbstverständlich auch Kinder unter 14 Jahren mitberücksichtigen. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass sich dieses Modell nicht nur auf Straftaten im Sinne des Strafgesetzbuches beziehen soll, sondern auch auf Verhaltensweisen, die als Belästigung definiert werden, denn man weiß nie, was irgendwann daraus wird.

Frühe Hilfen, meine Damen und Herren, bedeuten große Erfolgschancen. Wie auch in anderen Bereichen der Jugendhilfe setzt die CDU auch hier auf Prävention.

Frau Blömeke, zu Ihrem Zusatzantrag möchte ich Ihnen sagen, dass ich mich sehr gefreut habe, dass sich die GAL sehr intensiv mit diesem wichtigen Thema auseinander setzt. Wir werden Ihren Zusatzantrag ablehnen, da wir der festen Überzeugung sind, dass wir mit diesem Modell einen guten Start für die Vernetzung der Hilfen schaffen.

(Beifall bei der CDU – Antje Möller GAL: Im Aus- schuss sollten wir darüber reden!)

Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie erfolgreich dieses Modell sein wird. Dann können wir über Weiteres gemeinsam nachdenken. Die Betroffenen brauchen sofort Hilfe und dieses Modell soll jetzt beginnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Schulz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind uns offensichtlich in fünf zentralen Punkten dieses Problems einig.

Erstens: Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche oder sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist – vielleicht abgesehen von Tötungsdelikten – so ziemlich das Schlimmste, das Zerstörerischste, was man einem Kind oder einem Jugendlichen antun kann.

(Wolfhard Ploog CDU: Da hat er Recht!)

Zweitens: Es spricht sehr vieles dafür, dass das Verhältnis zwischen Dunkel- und Hellfeld – also zwischen dem, was tatsächlich an Verbrechen passiert, und dem, was bei der Polizei letztendlich angezeigt wird – katastrophal weit auseinander klafft.

Der dritte Punkt, über den wir uns offensichtlich einig sind: Der Anteil von jugendlichen Tätern ist in den letzten Jahren in dieser Gruppe der Verbrechen dramatisch angestiegen.

Der vierte Punkt, über den wir uns offensichtlich einig sind: Untersuchungen zeigen, dass es einen bemerkenswerten Zusammenhang dazwischen gibt, Täter zu sein und vorher Opfer gewesen zu sein.

Fünftens: Gerade weil es diesen Zusammenhang zwischen Täter und Opfer gibt, kommt dem Gedanken der Prävention oder – wie es die GAL in ihrem Antrag genannt hat – der frühzeitigen Interventionsstrategie eine besondere Bedeutung zu. Das scheint völlig unstrittig zwischen den Jugendpolitikern zu sein.

Gerade wenn das so ist, müsste man eigentlich froh sein. Deshalb ärgere ich mich maßlos über Ihr Verhalten heute.

Ich habe mir angeguckt, welche Themen wir im Jugendausschuss hatten:

"Hamburg soll Sitz des Koordinierungsbüros für den deutsch-russische Jugendaustausch bleiben"

"Referenzschreiben zur Unterstützung der internationalen Jugendarbeit".

Ich habe ausdrücklich einen Antrag der SPD und einen Antrag der GAL genommen. Mit solchen Themen beschäftigen wir uns. Das ist auch gut und richtig, denn das ist für bestimmte Bereiche der Jugendarbeit wichtig. Hier haben wir ein Thema, in dem es um die existentielle Situation von Kindern und Jugendlichen geht und die CDU verweigert die Diskussion des GAL-Antrags im Ausschuss. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Nun kennen wir das, Sie haben es gern ein bisschen nett und kuschelig im Ausschuss. Er soll auch nicht so häufig und nicht zu lange tagen, dann fällt es auch nicht auf, wenn die Senatorin nicht da ist.

Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht darum, dass Sie der CDU oder der GAL einen Gefallen tun. Hier geht es um die Situation von Kindern und Jugendlichen und da dürfen Sie die Befassung dieses Problems im Ausschuss nicht verweigern.

Ich habe zur Vorbereitung dieser Sitzung mit einer Reihe von Trägern diskutiert – beispielsweise mit Dolle Deerns und dem Kinderschutzbund –, die in diesem Bereich tätig sind. Die haben uns eine Menge mitzuteilen über das, was in dieser Stadt tatsächlich passiert. Sie haben ein Rieseninteresse daran, mit uns in eine Diskussion zu kommen. Als ich andeutete, dass Sie die Befassung im Ausschuss heute möglicherweise durch Ihre Mehrheit verhindern werden, gab es blankes Entsetzen. Springen Sie über Ihren Schatten, machen Sie die Behandlung dieses Themas im Ausschuss möglich. Die Kinder, um die es hier geht, haben es verdient.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Blömeke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Strasburger, ich weiß nicht, warum Sie uns allen Unkenntnis dieses Themas unterstellen. Es ist kein Tabuthema in der Politik. Zumindest für all die, die sich im Jugendhilfebereich mit