Protokoll der Sitzung vom 23.11.2011

Wir beantragen deshalb, dass Schülern die Möglichkeit gegeben werden soll, ein Schuljahr freiwillig zu wiederholen, und zwar ohne Zustimmung der Behörde und nur auf Wunsch der Eltern in Absprache mit der Schule.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Es geht also schon los!)

Meine Damen und Herren! Das Manana-Prinzip gilt für Sie auch bei der Auswahl von Schülern durch das Gymnasium, wir hörten es heute schon, und Stadtteilschulen mit besonderem Profil. Ein vernünftiger Schulversuch wird von Ihnen einfach so kassiert. Es gibt eine magere Evaluation und kein Interesse daran, wie man die besondere Profilbildung von Max-Bauer-Schule, Heinrich-Hertz-Schule oder den Klosterschulen weiter pflegen kann. Es gibt nur das Wohnort-Prinzip nach dem Grundsatz "da lebst du, da bleibst du". Das, liebe Sozialdemokraten und verehrter Herr Senator Rabe, ist die weitgehende Kapitulation von Schulpolitik gegenüber der modern-differenzierten Gesellschaft unserer Stadt.

(Beifall bei der FDP)

Wir wünschen uns hier mehr Übernahme von Verantwortung. Die FDP-Fraktion fordert deshalb in Ihren Anträgen, der Bürgerschaft eine Schulentwicklungsplanung vorzulegen, die diesen Namen verdient und insbesondere Aussagen zum Schulbau und der Zukunft der Sonder- und Förderschulen enthält. Das Thema ist zu wichtig, um es ausschließlich in der Deputation der Behörde zu diskutieren.

Wir beantragen, dass das freiwillige Wiederholen einer Klasse ohne Behördengenehmigung möglich ist und wir beantragen eine Evaluation des Prozesses der Ausweitung der Ganztagsschulen und der Einführung der Nachhilfeförderung spätestens nach einem halben Jahr.

Wir sind froh – jetzt kommt ein Lob –, dass die SPD in Sachen Veröffentlichung der Schulinspektionsergebnisse nun zur Einsicht gekommen ist und nicht auf halbem Wege stecken bleibt. Sie folgen jetzt unserer FDP-Linie und wollen die Ergebnisse nicht nur schulöffentlich, sondern für jedermann im Internet zugänglich machen.

(Dietrich Wersich CDU: Das hat er schon re- lativiert!)

Liebe Sozialdemokraten, so darf es weitergehen. Stimmen Sie unseren Anträgen zu, damit wir den vielen Worten jetzt Taten folgen lassen. Hamburgs Schüler, Eltern und Lehrer und auch wir danken es Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Heyenn, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bürgermeister Scholz hat im Wahlkampf versprochen, die Schulen zu Palästen zu machen. Davon sind wir noch weit entfernt. Es kann aber auch sein, dass ich eine andere Vorstellung von Palästen habe.

(Dirk Kienscherf SPD: Sie meinen nicht den Palast der Republik?)

Fakt ist, dass die Schule in Hamburg immer noch der Experimentierkasten der Stadt ist. Die Novellierung des Schulgesetzes hält einen ganzen Strauß von Aufgaben bereit, einige sind eben schon angesprochen worden. Ich erkenne hier schon die ersten Kehrtwendungen bestimmter Fraktionen.

Wir haben beschlossen, dass es kein Sitzenbleiben mehr gibt. Wir haben eine Ausweitung des Förderunterrichts beschlossen, keine Abschulung aus dem Gymnasium ab Klasse 7, keine Notenzeugnisse in bestimmten Jahrgängen, keine Schulform-Empfehlung nach Klasse 4, den Aufbau der Stadtteilschule und die Umsetzung der Inklusion sowie Fortbildung der Lehrkräfte für den individualisierten Unterricht. Das meiste davon sind immer noch Baustellen, und zwar solche von der Qualität der Elbphilharmonie.

Die letzte Änderung des Schulgesetzes haben alle vier damals im Parlament vertretenen Parteien mitgetragen. Außerparlamentarisch haben die CDU, die SPD und die GAL einen sogenannten zehnjährigen Schulfrieden geschlossen. An dem dürfen Sie auch gern gemeinsam weiterarbeiten. Dieser Vertrag ist aber nicht Auftrag der Hamburgischen Bürgerschaft. Wir haben keine Friedensdrucksache beraten und schon gar nicht beschlossen. Darauf muss ich leider immer wieder hinweisen.

Bei Amtsantritt hat Senator Rabe versprochen, die Schulen mit keinen weiteren Neuerungen zu belasten. Aber allein in den letzten 14 Tagen wurden Vorschläge zur Veröffentlichung der Ergebnisse der Schulinspektionen gemacht, obwohl die SPD im Wahlkampf immer anders argumentiert hat. Die Beurteilung von Lehrern im Internet wurde vom schulpolitischen Sprecher der SPD ins Gespräch gebracht. Und heute legte der Senator Eckpunkte für die Inklusion vor. Die Hortreform, die Umsetzung des Bildungspäckchens, der Ausbau der Ganztagsschulen und prekäre Beschäftigung bringen das Fass zum Überlaufen. Eltern, Schüler und Lehrer haben von der Experimentiererei die Nase voll und alle sind verunsichert. Der Senat schafft damit viel Unfrieden in den Schulen.

(Beifall bei Dr. Walter Scheuerl CDU – Hei- terkeit bei der SPD und der LINKEN)

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

Der Haushaltsplan der Behörde für Schule und Berufsbildung macht deutlich, dass die Schule für die Behörde die Spardose der Stadt ist. Es ist zwar ein leichter Anstieg im Haushalt zu verzeichnen für die Ausgaben, diese gehen aber vor allem auf die Verkleinerung der Klassen und die Abschaffung des Büchergeldes zurück. Dies hatten DIE LINKE und die SPD in ihren Verhandlungen mit dem schwarz-grünen Vorgängersenat im Gegenzug für die Unterstützung der Primarschule im Volksentscheid durchgedrückt. Dieser Anstieg war auch pflichtgemäß im Entwurf von Schwarz-Grün enthalten, ebenso die Kosten für das neue Konzept Übergang Schule/Beruf. Darüber hinaus sind keine wesentlichen Positionen neu eingestellt worden.

Zwischen den Zeilen wird deutlich, dass alles, was jetzt zusätzlich vorgestellt wurde – und das ist eine Menge, was ich eben aufgezählt habe –, kostenneutral umgesetzt werden soll, es darf kein Geld kosten. Dazu passt auch die Kürzung des Weihnachtsgeldes für die Lehrerinnen und Lehrer, die geduldig und immer noch engagiert versuchen, die Vorgaben der Behörde umzusetzen. Das ist eine Demotivierung, es ist keine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern der Behörde.

(Beifall bei der LINKEN)

Ganztagsschulen sind in europäischen Nachbarländern seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Bei uns dagegen bedurfte es erst der verheerenden Pisa-Ergebnisse von 2000. Die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen zeigt, dass sie nur dann ihre positive Wirkung entfalten, wenn sie echte und gebundene Ganztagsschulen sind. Davon sind wir in Hamburg aber weit entfernt. Ich nenne Ihnen dazu ein paar Zahlen zu den Grundschulen.

Wir haben derzeit 200 staatliche Grundschulen in Hamburg, davon haben 53 Schulen Ganztagsangebote. Von diesen 53 Schulen sind aber nur 18 echte beziehungsweise gebundene Ganztagsschulen. Sieben Grundschulen haben Ganztagsangebote nach dem Muster der ganztägigen Betreuung an Schulen. Im nächsten Schuljahr sollen 22 hinzukommen. Die ganztägige Betreuung an Schulen ist aber nach der KMK-Definition nicht als Ganztagsschule zu bezeichnen. Danach gelten nämlich nur solche Schulen als Ganztagsschulen, in denen an mindestens drei Wochentagen mindestens sieben Zeitstunden Unterricht nach einem Konzept erteilt wird und dies von der Schulleitung organisiert wird. Auch der Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung hat das ganz richtig festgestellt, indem er sagte, die ganztägige Betreuung an Schulen sei keine Ganztagsschule. Es sei eine ganz normale Grundschule mit aufgesetzter Nachmittagsbetreuung auf dem Schulgelände.

Was Senator Rabe betreibt, wenn er von dem Ausbau der Ganztagsschulen spricht, ist Etikettenschwindel. Und deshalb demonstrieren morgen

auch der Deutsche Lehrerverband Hamburg, die Gemeinschaft der Elternräte an den Stadtteilschulen, die GEW, der Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens e.V. und ver.di.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Änderung des Schulgesetzes im letzten Jahr ist das Sitzenbleiben abgeschafft worden. Das ist eine kleine Revolution im deutschen Schulwesen, aber das passt der FDP nicht, wie ich höre.

(Robert Bläsing FDP: Haben Sie falsch ver- standen!)

Pädagogisch war lange erwiesen, dass es in 99 von 100 Fällen überhaupt nichts bringt. Ein wichtiges Argument war, dass die Schulbehörde mit der Abschaffung des Sitzenbleibens Geld spart. Laut Bildungsbericht gab es im Schuljahr 2010/2011 3320 Wiederholerinnen und Wiederholer. Geht man von einem Schülerkostensatz von 6500 Euro aus, spart Hamburg damit 21 Millionen Euro pro Jahr.

Die "Nachhilfe für alle" ist aber tatsächlich nicht für alle gedacht, sondern nur für die Kinder und Jugendlichen, die die Note Fünf bekommen haben in einem Fach oder denen eine Fünf droht. Der Senat will 7,6 Millionen Euro für kostenlose Nachhilfe für alle ausgeben. Dies wird aber noch mit Geldern aus dem Bildungspäckchen finanziert. Der Senat wird nachweisen müssen, dass die Gelder, die für die Kinder von Hartz-IV-Eltern vorgesehen sind, auch bei denen ankommen. Das gleiche gilt für den Antrag der SPD zur Verstärkung der Sonderpädagogen. Aus dem Bildungspäckchen jedoch sollen nur Kinder von Hartz-IV-Eltern unterstützt werden, das darf man nicht anders verbraten.

Die kostenlose Nachhilfe soll vor allem von Honorarkräften oder Nachhilfeinstituten durchgeführt werden. Das halten wir für eine schlechte Pädagogik, denn das ist Lohndumping und Privatisierung, das lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Änderung des Schulgesetzes im letzten Jahr ist die Inklusion, die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, beschlossen worden. Auch das ist eine kleine Revolution im deutschen Schulwesen. DIE LINKE begrüßt die Inklusion von behinderten Kindern und Jugendlichen im allgemeinbildenden Schulwesen. Wir befürchten aber, dass so, wie es jetzt der SPD-Senat anpackt, die Inklusion zu scheitern droht und die Stadtteilschule gleich mit. Diese Befürchtung teilen wir mit den Schulleitungen der Hamburger Stadtteilschulen. Auch deswegen werden morgen die genannten Organisationen demonstrieren.

Senator Ties Rabe hat 108 zusätzliche Sozialpädagoginnen- und -pädagogen eingestellt. Sie haben heute Ihre Eckpunkte vorgestellt und ich finde, es

gibt dort noch einen ganz anderen Aspekt. Wir hatten eine sehr intensive, lange und hochkarätige Expertenanhörung zum Thema Inklusion. In der nächsten Sitzung des Schulausschusses soll die Auswertung stattfinden. So eine Anhörung ist dazu da, dass sowohl die Abgeordneten als auch der Senat sich schlau machen. Dass Sie aber vor der Auswertung dieser Anhörung die Eckpunkte herausgeben, halte ich für einen parlamentarischen Skandal.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Die SPD-Fraktion hat in einem Haushaltsantrag gefordert, dass die Ergebnisse der Schulinspektion für die einzelnen Schulen veröffentlicht werden sollen, aber nicht die Daten für die Schulleitungen. Herr Holster, wenn man selbst Schulinspektor ist und stellvertretender Schulleiter, dann hat so eine Veröffentlichung ein Geschmäckle. Das sollten Sie sich nicht antun.

(Beifall bei der LINKEN und bei Kai Voet van Vormizeele CDU)

Bildung hat sehr viel mit Toleranz zu tun. Was heute in Wilhelmsburg passiert, ist das Gegenteil von Toleranz, und was in Altona passiert, ist auch das Gegenteil von Toleranz.

(Dirk Kienscherf SPD: Wie kriegen Sie denn den Dreh jetzt rein?)

Ich hoffe, dass wir Bildung nicht nur im Munde führen, sondern sie auch verstehen als Auftrag nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat nun Herr Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Politik insgesamt und Schulpolitik insbesondere braucht drei wichtige Eigenschaften. Man muss vernünftig und wahrhaftig miteinander reden, man braucht einen klaren Kompass dafür, wohin man will, und man muss dann auch danach handeln.

(Robert Heinemann CDU: Dann treten Sie ab!)

Lassen Sie mich zu den drei Punkten etwas sagen, zunächst zum vernünftigen und wahrhaftigen Reden. Ich habe eben viele Hinweise von der Opposition bekommen und einige nehme ich ernst, aber für die Wahrhaftigkeit möchte ich ein paar Nachbesserungen anmahnen.

Herr Heinemann, Sie melden an, dass die Nachhilfe nicht ausreiche. Das ist wahr. Ich wünsche mir mehr, aber Sie hätten auch sagen dürfen, dass wir als SPD gegenüber Ihren Vorschlägen fünfmal

mehr Geld für die Nachhilfe bereitstellen, nämlich 7,8 Millionen Euro statt 1,6 Millionen Euro. Das ist die zweite Seite der Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Dietrich Wersich CDU: Wo kommt das Geld denn her?)