Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Jetzt an die Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN: Ich wusste gar nicht, ob ich wütend sein soll oder ob ich weinen soll. Ich kenne viele von Ihnen und weiß, dass Sie wissen, dass der Kosovo und Montenegro keine sicheren Drittstaaten sind. Das kann man nicht vertreten. Ich muss bei Ihrer Entscheidung, das mit den sicheren Drittstaaten zu unterstützen, an ein Lied aus meiner Kindheit von Bettina Wegner denken, das "Kinder" heißt. Dort heißt es:

"Grade, klare Menschen wär'n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab'n wir schon zu viel."

Ich hätte Ihnen Rückgrat in dieser Debatte gewünscht. Wir haben im Michel mehr als 40 Sinti und Roma, die dort nicht zum Spaß sind, sondern weil sie ganz konkret Angst vor rassistischen Übergriffen haben, weil sie Angst um ihr Leben im Kosovo und in Montenegro haben. Und Sie ordnen sich auf so einem Gipfel unter und sagen, das seien sichere Drittstaaten. Oje, wohin kommen wir, wenn das so weitergeht?

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Insgesamt haben sich bei den Flüchtlingsgipfeln in Berlin und Brüssel die Hardliner auf Kosten der

Menschenrechte durchgesetzt, sagt Pro Asyl ganz richtig. Das ist so, und diese Kritik teilen wir.

Ich möchte aber nicht nur kritisieren, sondern auch Vorschläge machen,

(Milan Pein SPD: Jetzt bin ich aber ge- spannt!)

was wir ganz konkret auf drei Ebenen, der Hamburg-, der Bundes- und der Europaebene, machen könnten. In Hamburg: Die Oberpostdirektion in der City Nord ist ein Gebäude, bei dem ein Konglomerat von Unternehmern und Investoren – unter anderem ehemalige und jetzige Vattenfall-Manager – verhindern will, dass es umgenutzt wird, weil sie es ganz schnell abreißen und neu bauen wollen. Nehmen wir doch dieses Gebäude, dann sind wir die unwürdigen Bedingungen in den OBI-Märkten und sonst wo los. Dieses Gebäude können wir umnutzen, und zwar nicht als eine Halle, sondern als ein Gebäude, das wirklich nutzbar ist, wo die Flüchtlinge leben können, wo wir sogar zentrale Stellen für Beratung und Weiteres schaffen könnten. Das ist ein ganz konkreter Plan, der umgesetzt werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Handlungsebene würde ich mir vom Senat wünschen. Das wäre menschenwürdig.

(Beifall bei der LINKEN – Ksenija Bekeris SPD: Und wie viele sollen da untergebracht werden?)

Auch insgesamt, wenn man sich den Flüchtlingsgipfel anguckt und die Debatten, die wir hier führen, dürfen wir doch nicht vergessen, dass wir nicht nur mit kurzfristigen Lösungen kommen können, die immer Notlösungen sind, um die wir alle ringen – ich persönlich nehme es Ihnen auch ab, dass Sie darum ringen, gute Lösungen zu finden –, aber wir müssen auch an die Ursachen herangehen. Wir müssen Frieden schaffen, statt eine aggressive europäische Außenpolitik zu betreiben, statt immer neue Kriege zu führen. Wir müssen aufhören, unfairen Handel zu betreiben – gleich morgen haben Sie wieder die Chance –, CETA und TTIP gehören abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von Milan Pein SPD)

Dadurch wird noch unfairerer Welthandel entstehen, dadurch werden noch mehr Menschen kommen, das ist absehbar. Das wissen die Lobbyorganisationen, die Think Tanks und die außenpolitischen Experten schon seit Jahren.

(Gabi Dobusch SPD: Zum Thema!)

Durch die Verschlechterung der Verhältnisse aufgrund von Krieg und wirtschaftlicher Destabilität werden die Flüchtlingsströme zunehmen. Also stimmt es auch nicht, dass wir das nicht wussten. Wir wussten es, wir haben nur nicht die guten

Ratschläge von der LINKEN, die wir seit Jahren geben, nämlich dezentrale Unterbringung und genügend Aufnahmemöglichkeiten, umgesetzt.

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Dafür sind wir verantwortlich, und genau an diesen Punkten sollten wir ansetzen und Veränderungen herbeiführen. An allen anderen Punkten, wo es darum geht, darum zu ringen, jetzt vernünftige, menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen, appelliere ich noch einmal an Ihr Gewissen. Lagerhallen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir müssen uns auch um die Folgeunterbringung kümmern und die Oberpostdirektion in der City Nord bitte nicht aus Investorenfreundlichkeit ablehnen, sondern vernünftige Lösungen wirklich ernsthaft diskutieren. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun erhält das Wort Herr Dr. Baumann von der AfD-Fraktion.

Noch ein Wort zu Ihnen, Herr Innensenator Neumann. Sie haben wieder versucht, die Kritiker in einem für uns alle und auch für die Flüchtlinge so wichtigen und entscheidenden Projekt zu verunglimpfen, indem Sie gesagt haben, wir würden Befürchtungen und Ängste schüren. Das steht Ihnen einfach nicht zu. Sie können nicht jede Kritik mit dem Vorwurf abschmettern, dass wir Ängste schürten. Außerdem gibt es Zustände, vor denen man zu Recht Angst haben kann. Wir gehen jetzt auf den Winter zu. Da wird es kalt. Wir haben noch viele Zelte. Sie sagen, Sie selbst haben die Probleme nicht gesehen. Die Kritiker, die die Probleme gesehen haben, haben Sie damit verunglimpft, sie würden Ängste schüren, Befürchtungen wecken. So sind wir doch in die Lage hineingeraten. Wir haben doch gerade ausgeführt, dass wir überall Konsulate, Botschaften, Medienbüros und alles haben, sodass wir eigentlich wissen können, was in den Ländern, um die es geht, passiert. Also durch das Weggucken und Beschimpfen der Kritiker führt die Demokratie sich selbst ad absurdum. Das sollten Sie nicht mitmachen, Herr Senator Neumann.

(Vereinzelter Beifall bei der AfD)

Ich habe gerade ausgeführt, dass wir wahrscheinlich nicht 20 000 Menschen haben, um die wir uns zu kümmern haben, sondern mit Familiennachzug eher 50 000. Ist das jetzt ein Wecken von Befürchtungen? Ich habe von Ihnen noch nichts dazu gehört. Wann haben Sie uns jemals eine Prognose dargestellt, wie Sie das berechnen, was jetzt durch den Familiennachzug an Menschen zu uns kommt, um die wir uns intensiv kümmern müssen? Die rechtlichen Regelungen sind doch da. Sie wissen doch, welche Flüchtlinge jetzt da sind, ob es Männer oder Frauen sind und wie alt sie sind. Da kön

nen Sie doch auch Ihre Erwartungen und Ihre Planung zum Familiennachzug öffentlich aufzeigen, der ein Vielfaches von den Flüchtlingen sein wird, die wir schon jetzt haben. Aber darüber haben Sie noch kein Wort verloren oder eine Zahl genannt. Oder habe ich irgendetwas übersehen, meine Damen und Herren, kennen Sie etwas?

(Ekkehard Wysocki SPD: Die aktuelle Lage haben Sie übersehen!)

Keine Zahl, keine Erwartung, keine Prognose, keine Planung. Es geht um Zehntausende von Menschen, die mit Sicherheit hierherkommen werden.

Ich darf Sie an noch etwas erinnern, Herr Innensenator. Auch das ist nicht unfreundlich gemeint, aber wenn es um wichtige Dinge geht, muss man in der Sache auch hart sein. Sie haben hier fast so etwas wie eine Oppositionsrede gegen die Bundesregierung in Berlin gehalten, und ich darf Sie daran erinnern, dass Sie selbst in einer Regierung sind. Sie stellen den Außenminister. Ich glaube nicht, dass Frau Merkel Entscheidungen trifft, ohne ihren Außenminister zu fragen, wenn es um die Öffnung von Grenzen für bestimmte Zielgruppen geht.

(Beifall bei Michael Kruse FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Zu Ihnen, Frau Möller, noch ganz kurz in Sachen Buschkowsky: Das ist doch nun ein Mann, der wirklich jahrzehntelang in seinem Kiez um Verbesserungen gekämpft hat, der sich die Leute angeguckt hat, die unterschiedlichen Kulturen studiert und darüber Bücher geschrieben hat. Haben wir denn überhaupt bessere Experten, die aus der Praxis kommen?

(Zuruf: Ja, haben wir!)

Nicht Professoren, die irgendwo sitzen, Soziologen oder Politologen, sondern solche, die vor Ort sind, die durch den Kiez gehen, die mit den Leuten sprechen, die wissen, was die Probleme sind, gerade die von Clan-Gesellschaften, die damit Probleme haben, sich in die bürgerliche Gesellschaft einzufügen. Da ist Buschkowsky doch wirklich jemand, dem Sie zuhören können. – Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall bei der AfD)

Damit ist die Aktuelle Stunde für heute beendet und wir werden sie morgen mit dem dritten Thema fortsetzen.

Wir kommen zu den Punkten 3 bis 5 unserer Tagesordnung, den Drucksachen 21/1466 bis 21/1468. Die zu TOP 2 vorgesehenen Wahlen zu Drucksache 21/631 sind einvernehmlich vertagt worden.

(Martin Dolzer)

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds für die Härtefallkommission – Drs 21/631 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Justizbehörde – Drs 21/1466 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines oder einer Deputierten der Behörde für Inneres und Sport – Drs 21/1467 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Kulturbehörde – Drs 21/1468 –]

Wir kommen also zu den Wahlen zu den Deputationen. Die Fraktionen haben vereinbart, dass diese in einem Wahlgang durchgeführt werden können. Die drei Stimmzettel liegen Ihnen vor. Sie enthalten bei jedem Namen jeweils die Felder für Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung. Sie dürfen auf jedem Stimmzettel bei jedem der Namen ein Kreuz machen, aber bitte nur eines. Kein Kreuz oder mehrere Kreuze machen die Wahl dieses Kandidaten ungültig. Weitere Bemerkungen oder Hinweise auf dem Stimmzettel machen diesen insgesamt ungültig. – Bitte nehmen Sie Ihre Wahlentscheidung vor.

(Die Wahlhandlungen werden vorgenom- men.)

Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Dann ist die Wahlhandlung jetzt geschlossen. Die Ergebnisse werden ermittelt und Ihnen im Laufe der Sitzung mitgeteilt.

Meine Damen und Herren! Wir können zu unseren Debatten kommen und starten mit Punkt 42 unserer Tagesordnung, wenn Sie mögen und vielleicht auch gern wieder Ihre Plätze einnehmen. Das ist die Drucksache 21/1616, ein Antrag der FDP-Fraktion: Traglufthallen – Notunterbringung im Winter.

[Antrag der FDP-Fraktion: Traglufthallen – Notunterbringung im Winter – Drs 21/1616 –]

Die Fraktionen von SPD, GRÜNEN und FDP möchten diese Drucksache gern an den Sozialausschuss überweisen.

Das Wort wird gewünscht von Frau Dutschke von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wer kritisiert, muss auch Vorschläge machen, und das ist ein Vorschlag von uns.