Protokoll der Sitzung vom 03.03.2016

Den Zusatzantrag der LINKEN finden wir in seiner Intention zwar durchaus berechtigt, aber mit unserem Konzept können wir nicht die Defizite einer überwiegend im Bund gesteuerten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik beheben. Was die Hilfestellung im Alltag betrifft, wollen wir mit unserem Konzept gerade auch die nachbarschaftlichen Ansätze und Konzepte stärken. Das kommt vor allen Dingen den Menschen zugute, die sich Hilfe nicht einkaufen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Dorothee Martin SPD)

Es ist völlig klar, dass sich unsere Stadtgesellschaft weiter verändern wird, und es ist klar, in welche Richtung sie sich verändern wird. Wir werden mehr, wir werden älter und wir werden bunter. Unsere Politik muss sich daran ausrichten, dass allen Menschen in unserer Stadt ermöglicht wird, das Leben für sich und für andere langfristig positiv zu gestalten, so, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt. All das wollen wir mit diesem DemografieKonzept in den vielen Jahren, die vor uns liegen, auf den Weg bringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt hat sich Deniz Celik von der Fraktion DIE LINKE gemeldet.

Verehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Fraktion begrüßt es, dass das Demografie-Konzept fortgeschrieben wird. Ein Konzept, das den demografischen Wandel in den Fokus nimmt, ist sinnvoll und notwendig. Gleichwohl müssen wir auch bereits jetzt den sich abzeichnenden Veränderungen mit den entsprechenden Strategien begegnen.

Zu unserem Zusatzantrag: Frau Wowretzko, Sie haben nicht ein Argument gegen unseren Antrag vorgebracht, außer dass Sie das mit dem Sehtest gleichgesetzt haben. Das finde ich, ehrlich gesagt, hochnotpeinlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, dass Ihre Fraktion auch zur Altersarmut Konzepte entwickeln und dagegen angehen muss. Das findet nicht statt und ist meiner Meinung nach wirklich absolut skandalös.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Blömeke, ich finde es ehrenwert, dass zumindest Sie die Intention unseres Zusatzantrags für berechtigt halten. Aber die Bekämpfung der Altersarmut können wir nicht nur auf Rentenpolitik reduzieren, sondern das ist ein Querschnittsthema, zu dem ich Ihnen mehrere Stichpunkte nennen kann, zum Beispiel Wohnungspolitik, Zugang zu Kultur, Bildung und so weiter. Dafür können wir sicherlich auch in Hamburg vieles machen. Als Sie in der Opposition waren, sagte Katharina Fegebank, Ihr Demografie-Konzept sei ein Konzept ohne Visionen. Sie hat gesagt – ich zitiere –:

"Wo bleiben die Antworten auf die zunehmende Altersarmut? Im reichen Hamburg wächst die Anzahl der Alten, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, rasant."

Ich verstehe Ihre 180-Grad-Wende nicht. Warum tun Sie in der Regierungsverantwortung genau das Gegenteil von dem, was Sie in der Opposition gefordert haben?

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Kehrtwende kann ich nicht nachvollziehen.

Zurück zu Ihrem Antrag: Wir finden, dass richtige Zielsetzungen formuliert werden, aber wenn es um die Benennung konkreter Maßnahmen geht, bleibt das Konzept häufig vage und abstrakt.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Herr Celik, darf ich einmal kurz unterbrechen? Die Senatsbank ist kein Infotresen, denke ich. – Herr Celik, fahren Sie gern fort.

Was zum Beispiel die aufsuchenden Hausbesuche angeht, schreiben Sie, Ziel sei, für alle Hamburgerinnen und Hamburger ein verlässliches, regelmäßiges Angebot einer Beratung oder eines Hausbesuchs zu etablieren. Diese Zielsetzung finden wir richtig und wichtig und unterstützen sie ausdrücklich. Zu ihrer konkreten Umsetzung haben wir jedoch offene Fragen. Zum Beispiel ist uns vollkommen unklar, ab welchem Lebensjahr ältere Menschen ein Angebot für einen präventiven Hausbesuch erhalten sollen. Diese Frage muss auch vor dem Hintergrund gestellt werden, dass nicht jeder ältere Mensch die Tür öffnet. Welche alternativen Angebote sollen unterbreitet werden? Sollen die Menschen angeschrieben werden und falls ja, mit welcher Rücklauffrist?

Frau Blömeke, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sollen qualifizierte Fachleute diese aufsuchenden Hausbesuche machen, die dann von ehrenamtlichen Hilfsdiensten fortgesetzt werden. Das finden wir falsch. Diese Dienste müssen schon qualifizierte Fachleute anbieten.

(Beifall der LINKEN – Jan Quast SPD: Das ist doch kein Widerspruch!)

Außerdem ist die entscheidende Frage, wann die Umsetzung erfolgen soll. Auch dazu haben Sie bis jetzt nichts sagen können. Bereits jetzt gibt es die Bedarfe und wir benötigen dringend konkrete Maßnahmen, die uns das Demografie-Konzept leider noch schuldig bleibt. In der Presse verweisen Sie auf die guten Erfahrungswerte in Dänemark. Nach meiner Information haben in diesem Nachbarland die Senioren einen Rechtsanspruch auf präventive Hausbesuche. Es wäre wünschenswert, wenn man auch in Hamburg verbindliche Rechtsregelungen treffen würde. Unterm Strich bleibt abzuwarten, wie die Konkretisierung auszusehen hat, um zu einem endgültigen Urteil zu diesen Maßnahmen zu kommen.

Der Gedanke, die Bürger in die Diskussion miteinzubeziehen, ist begrüßenswert. Allerdings entspricht der Begriff der Bürgerbeteiligung nicht unserem Inklusionsgedanken, wenn nur Menschen per Onlinekommunikation an der Diskussion teilnehmen können; nicht alle Menschen können online kommunizieren, vor allem die Generation der über 60-Jährigen und Menschen mit Migrationshintergrund nicht. Wir würden gern wissen, wie Sie diese Menschen erreichen möchten.

Darüber hinaus muss das Demografie-Konzept den gesellschaftlichen Realitäten Rechnung tragen. Nur an einer einzigen Stelle auf den 78 Seiten habe ich das Wort Altersarmut gelesen. Und wenn Sie in dem Konzept schreiben, die Zunahme von Altersarmut sei denkbar, als handele es sich dabei um eine theoretische oder unbewiesene Annahme, dann frage ich Sie, wo Sie eigentlich leben.

Ich möchte zum Schluss kommen. Ein ernst gemeintes Demografie-Konzept muss die Problematik der Altersarmut zu seinem wesentlichen Bestandteil machen. Es muss die Ursachen analysieren sowie Strategien enthalten, um Altersarmut wirksam und nachhaltig zu bekämpfen. An diesem Punkt sind wir alle gefragt. Aus diesem Grund fordern wir in unserem Zusatzantrag, die Bekämpfung von Altersarmut zum wesentlichen Bestandteil des Konzepts zu machen und wirksame Strategien zur Bekämpfung zu entwickeln und einzusetzen. Deshalb appelliere ich an die Regierungsfraktionen, unserem Zusatzantrag zuzustimmen, denn dieses Problem trifft große Bevölkerungsteile mit voller Wucht. Hier müssen wir dringend handeln. Deshalb noch einmal der Appell: Stimmen Sie unserem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächste erhält das Wort Jennyfer Dutschke von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Bevölkerung altert, die Lebenserwartung steigt und die Geburtenraten stagnieren. Wir müssen dem demografischen Wandel begegnen, denn er stellt nicht nur eine Herausforderung an unser Sozialversicherungssystem dar, sondern erfordert auch ein Umdenken in der Gestaltung unserer Stadt. Insofern ist ein Demografie-Konzept sinnvoll, solange es die Bedürfnisse und Anforderungen einer alternden Gesellschaft in einer Großstadt wie Hamburg auch hinreichend abbildet und berücksichtigt.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Das Demografie-Konzept von 2014 erfüllt diese Anforderungen allerdings nicht. Dass die Fortschreibung Senioren nun stärker in den Fokus rücken soll, ist zumindest ein vernünftiger Ansatz. Mangelhaft ist jedoch das sozialdemokratische Verständnis von älteren Menschen, denn recht einseitig ist das Bild, das Sie im Demografie-Konzept 2014 von einem Menschen im Seniorenalter zeichnen: krank, gebrechlich und hilfsbedürftig.

(Sylvia Wowretzko SPD: Das ist doch Quatsch!)

Auch mit dem grünen Anbau werden Senioren primär als Leistungsempfänger für die Sozialindustrie betrachtet. Das ist eine verschenkte Chance und wird den aktiven Seniorinnen und Senioren nicht gerecht, denn Sie vergessen die vielen hervorragend ausgebildeten, leistungsfähigen und leistungswilligen Menschen, die im Rentenalter agil sind und sich mit der Rolle des alternden Stubenhockers nicht assoziieren können und wollen.

(Beifall bei der FDP – Sylvia Wowretzko SPD: Wo haben Sie das gelesen?)

Ziel einer Fortschreibung darf also nicht eine Verwahrung von Senioren sein. Vielmehr muss eine sinnstiftende Gestaltung von Zeit das Leitmotiv eines modernen Demografie-Konzepts sein.

Wo das Weltbild auf der einen Seite nicht ganz zeitgemäß ausgereift ist, überrascht das Beteiligungskonzept auf der anderen. Im Rahmen einer Onlinediskussion möchte Rot-Grün alle Hamburgerinnen und Hamburger beteiligen. Dass nur knapp 30 Prozent der Menschen über 65 Jahre das Internet zur Informationssuche oder zum Schreiben von E-Mails nutzen, haben Sie dabei wohl entweder nicht recherchiert oder ausgeblendet.

(Jan Quast SPD: Mein Gott!)

Der Antrag verdient also in der hier vorliegenden Form allenfalls eine Enthaltung.

Ähnlich steht es um den Antrag der CDU. Sicherlich muss Mobilität von Seniorinnen und Senioren ein Thema in dem Konzept sein. Dass Senioren lieber ins Auto steigen anstatt aufs Fahrrad zu klettern, mag angesichts von Bewegungseinschränkungen im Alter nachvollziehbar und legitim sein, aber das Bild des autocrashenden Mittsechzigers ist doch ein bisschen überzeichnet. In Ihrer Unfallstatistik haben Sie nämlich nicht berücksichtigt, dass die Zahlen der Kfz-Zulassungen nach wie vor steigen und dass zwischen Verkehrsaufkommen und Unfallstatistik eine nicht insignifikante Korrelation erahnt werden kann. Außerdem müssten Sie der Vollständigkeit halber auch darstellen, wie sich der Anteil der Auto fahrenden Senioren im Verhältnis zur Unfallstatistik entwickelt hat. Deshalb auch hier eine Enthaltung.

Der Antrag der LINKEN geht in eine ähnliche Richtung, und deshalb können wir uns auch bei diesem nur enthalten.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Altersarmut!)

Die Links-Fraktion kritisiert zwar zu Recht, dass Altersarmut in einem Demografie-Konzept Einkehr finden müsse. Allerdings muss dieser Ansatz integrativ sein und Wege aufzeigen, wie Senioren, die können und wollen, einen Platz im aktiven Erwerbsleben finden beziehungsweise im Erwerbsleben bleiben. Dazu gehört vor allem das Zurechtrücken eines falschen Bilds von einer Vielzahl von Senioren, welches aus diesem Hause nicht salonfähig gemacht werden darf. Senioren gehören in die Mitte unserer Gesellschaft, weil sie nicht nur Vergangenheit und Gegenwart unserer Geschichte und unserer Stadt geprägt haben, sondern weil sie Wissen und Lebenserfahrung vermitteln können und unsere Gesellschaft damit bereichern. Ihr Erfahrungsschatz ist eine Ressource, die wir viel zu wenig nutzen, geschweige denn wertschätzen, und die weite Teile dieses Hauses einfach ignorieren.

(Deniz Celik)

(Dorothee Martin SPD: Was? Ach, komm!)

Außerdem gehört zu einem respektvollen, würdevollen Umgang mit den Leistungsträgern, die gestern noch den Wohlstand unseres Landes erarbeitet haben, dass wir sie hier und heute nicht wie unmündige Kinder behandeln. Von einer zukunftsorientierten Gesellschaft erwarten wir Freidemokraten einen anderen Umgang mit dem Alter und dem demografischen Wandel. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Detlef Ehle- bracht AfD)

Das Wort bekommt Herr Dr. Körner von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag gelesen, allerdings haben wir wenig Inhalt gefunden. Es sind zwar eine ganze Reihe wohlklingender Worte und ich gebe auch zu: Hier im Plenum sind eine ganze Reihe guter Ideen vorgetragen worden. Wir finden es gut, wenn dies in den Ausschüssen diskutiert wird. Das werden wir unterstützen. Allerdings werden wir dem Antrag, da er wenig Inhalt hat, nicht zustimmen.

Anders ist es mit dem Antrag der CDU, dort sehen wir einen Inhalt, dem werden wir zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt die fraktionslose Abgeordnete Frau Güçlü.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gegen ein DemografieKonzept für Hamburg kann wahrlich niemand etwas haben. Aber in der Debatte ist deutlich geworden, dass vieles nicht wirklich durchdacht ist beziehungsweise nicht so konkret vorgestellt wurde, wie es vielleicht gemeint ist oder hätte verschriftlicht sein sollen.