Protokoll der Sitzung vom 28.06.2017

(unterbrechend) : Einen Moment bitte. Es handelt sich um eine weitere interessante Debatte. Wenn Sie ihr nicht folgen mögen, gehen Sie doch bitte. – Frau Duden, Sie haben das Wort.

Ich habe gesagt, erwartete Randalen bestimmen die Schlagzeilen. Lassen Sie uns heute in der Bürgerschaft noch einmal klarstellen, worum es bei G20 geht. Lassen Sie uns gemeinsam die Inhalte von G20 von einer Randnotiz der Berichterstattung dahin rücken, wo sie in Wirklichkeit hingehören, nämlich in den Mittelpunkt der Debatte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Themen werden sein, so hat es uns Frau Dr. Miehe-Nordmeyer im Europaausschuss dargestellt: Klimawandel, fairer Handel, freier Welthandel, Gesundheit, Entwicklungspolitik, aber auch die Frage von Krieg und Frieden. Dabei geht fast unter, dass in Hamburg Geschichte geschrieben wird, weil Putin und Trump sich erstmals treffen werden, um gemeinsam zu sprechen. Wir werden dann zumindest von einer Seite die Inhalte des Gesprächs auf Twitter nachlesen können. Aber es ist wichtig, dass sich die G20-Mitglieder treffen. Sie vertreten vier Fünftel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, drei Viertel des Welthandels und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Nicht alle Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Nationen gefallen uns; manche entsprechen nicht unseren Vorstellungen von Demokratie. Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Wir setzen darauf, dass die Ergebnisse, teilweise auch das Ringen um Kompromisse, nicht nur den vertretenen Staaten zugutekommt, sondern vor allem auch anderen Staaten hilft, so in der Entwicklungspolitik den Staaten Afrikas.

Unter der G20-Präsidentschaft Deutschlands gibt es drei inhaltliche Säulen: die Stabilisierung der Weltwirtschaft, die Zukunftsfähigkeit und die Frage der Verantwortung, worunter darin auch ausdrücklich die Frage von Flucht und Vertreibung beinhaltet ist. Dieses alles wird nicht nur im Bereich der G20-Staaten miteinander diskutiert, es nehmen auch viele internationale Organisationen teil wie die Weltbank, die ILO und die UNO. In Hamburg,

(Jennyfer Dutschke)

das ist bereits in der Aktuellen Stunde erwähnt worden, hat auch am letzten Wochenende der Civil20 stattgefunden, ein internationales Treffen von NGOs, auch von der Zivilgesellschaft selbst organisiert, und für manche Länder mit autokratischen Strukturen ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Zivilgesellschaft ein wichtiger Akteur ist, den man nicht übersehen darf.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Michael Kruse FDP)

Die Fragestellung, warum der G20-Gipfel in Hamburg stattfindet, wurde auch im Europaausschuss erörtert. Hamburg ist das Tor zur Welt. Wir haben in der Geschichte, auch in der jüngeren Geschichte, in der Flüchtlingskrise, gezeigt, wie wir uns selbst verstehen. Wir sind weltoffen, tolerant und demokratisch. Wo, wenn nicht hier, kann der G20-Gipfel stattfinden?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist ein absolut falsches Signal, wenn solche Veranstaltungen nicht mehr in Demokratien stattfinden können, sondern nur dort, wo Zivilgesellschaften eingeschränkt und Proteste unterbunden werden. Wir Hamburgerinnen und Hamburger werden die Gelegenheit ergreifen, für unsere Werte, für Gleichberechtigung, für einen fairen Interessenausgleich und vor allem für Meinungsfreiheit anzutreten. Der G20-Gipfel, denke ich, wird von den meisten Hamburgerinnen und Hamburgern mit offenen Armen empfangen werden. – Danke.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Westenberger von der CDU-Fraktion bekommt nun das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Diskussion, welche Inhalte beim G20 ausgetauscht werden, geht es um etwas mehr als nur – das ist keine Kritik an meiner Vorrednerin, die ich sehr schätze – um schlanke Zahlen, wie viele Einwohner wir auf der Welt haben oder wie viel Bruttoinlandsprodukt tatsächlich jeder einzelne dieser Mitgliedsstaaten produziert. Ich glaube, es geht um viel mehr. Es geht darum, in dieser Welt einen gewissen Wertekanon zu halten oder ihn aufzugeben.

(Glocke)

(unterbrechend) : Herr Westenberger, einen Moment bitte. – Meine Damen und Herren, es ist weiterhin zu laut. – Herr Westenberger, fahren Sie bitte fort.

Wenn man sich einmal ansieht, welche Ziele die Mütter und Väter unserer Europäischen Gemeinschaft

und später der Europäischen Union gesetzt haben, dann geht es um Menschenwürde, um Freiheitsrechte, um Rechte des Eigentums, um Gestaltungsrechte wie zum Beispiel die Koalitionsfreiheit und darum, wie man so etwas wie einen Sonntagsfrieden in einer staatlichen Gemeinschaft organisieren kann. Für all das lohnt es sich zu kämpfen, für all das lohnt es sich auch zu streiten. Wenn man so viele Teilnehmer zusammenbringen kann, die innerhalb des Völkerbundes, innerhalb der Wertegemeinschaft unserer Welt die Möglichkeit haben, sich einzusetzen, dann lohnt es sich, miteinander zu streiten und diese Damen und Herren in unsere Stadt einzuladen.

Ich jedenfalls halte es für ausgesprochen wichtig, dass solch eine Veranstaltung in einer Stadt stattfindet und nicht in einem Tagungsbunker oder auf einem Kreuzfahrtschiff. Nein, Demokratie gehört weder unter die Erde noch auf eine AIDAprima oder auf eine sonstige Lustreise. Demokratie gehört in die Mitte einer Stadt und in die Mitte einer Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Unsere Stadt hat etwas Einzigartiges geschafft. Wir haben im Vorfeld auch diejenigen eingeladen, die Kritik geäußert haben. Wir haben im Vorfeld aber auch diejenigen eingeladen mitzuwirken, die nicht mit am Tisch sitzen und möglicherweise gar nicht gehört werden. Das Thema Afrika ist in zwei weiteren Reden von mir enthalten; eine davon hören Sie heute nicht mehr, aber ich halte ja auch Sprechstunden ab.

(Heiterkeit bei Michael Kruse FDP)

Afrika ist unser Schicksal. Wir erleben das seit der Flüchtlingskrise. Afrika ist aber auch volkswirtschaftlich unser Schicksal. Die wenigsten Menschen wissen, wie viele Einwohner ein Staat wie Niger hat, wie viele Einwohner Ägypten hat. Wir reden von Milliarden Menschen, die unsere Partner werden können oder aber mit denen wir einen Konflikt haben, und zwar nicht nur auf sozialer Ebene. Es ist auch Aufgabe der G20, Brücken zu schlagen über das Mittelmeer, das, auf den gesamten Planeten bezogen, nicht viel größer ist als beispielsweise das Gebiet, dessen Vertreter im September zur Baltic Sea Parliamentary Conference zusammenkommen. Lassen Sie uns also gemeinschaftlich, sowohl als Zivilgesellschaft als auch als Freie und Hansestadt Hamburg und Bundesrepublik Deutschland, dafür Sorge tragen, dass dieses G20-Treffen hier stattfinden kann. Und lassen Sie uns die Diskussion um Werte und Ziele führen und um die Rechte derer kämpfen, die dort nicht mit am Tisch sitzen. Ich glaube, die Welt hat das verdient. Lassen Sie uns die Präambel der Freien und Hansestadt Hamburg leben. – Herzlichen Dank.

(Barbara Duden)

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Herr Gözay von der GRÜNEN Fraktion bekommt nun das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nächste Woche öffnet Hamburg seine Tore zur Welt für einige der mächtigsten Staatsoberhäupter dieser Erde. Nicht nur die Teilnehmer des Europaausschusses, nein, wir alle hier sind wohl einer Meinung, dass die G20 sich großen und wichtigen Fragen stellen müssen. Wenn sich Trump und Putin in unserer Stadt zum ersten Mal die Hand schütteln, und wir können nur hoffen, dass sie das tun und der Handshake halbwegs normal über die Bühne geht, dann werden die Weichen für unsere gemeinsame Zukunft gestellt. Denn die Probleme drängen, und wir brauchen heute Lösungen und nicht morgen oder übermorgen.

Aber irgendwie bewegt sich die Welt gerade in die falsche Richtung. Man denke nur an die Ankündigung des Ausstiegs aus dem Pariser Klimaabkommen durch Präsident Trump. Da könnte einem Stillstand schon fast wie Fortschritt vorkommen. Es gibt also für die G20-Teilnehmer viel anzupacken und die Ergebnisse, so es denn welche geben wird, sollen Bestand haben. Da kann es nicht zufriedenstellen, dass der G20-Gipfel keinerlei völkerrechtliche Bindung hat und sich sämtliche Beratungen in einem informellen Rahmen bewegen. Langfristig muss die G20 an die Vereinten Nationen heranrücken, um diese Lücke zu schließen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber die Welt kann sich nicht gedulden, bis das geschieht. Dieser Gipfel darf kein Gipfel der Lippenbekenntnisse werden; er muss Fakten liefern. Es liegt auch an uns Hamburgerinnen und Hamburgern, Trump, Putin und Co. ihre Verantwortung bewusst zu machen. Denn bei aller berechtigten Kritik müssen wir G20 nutzen. In diesem Sinne haben wir GRÜNE umfassend an die Bundesregierung appelliert und stehen mit dieser Haltung nicht allein. Viele unserer Forderungen wurden ebenfalls in der Abschlusserklärung des Civil20 Summit so dargelegt. Wir GRÜNE können den Zivilgesellschaften nur beipflichten, wenn sie von der Bundesregierung ebenso wie von Trump, Putin und Co. die Einhaltung der Agenda 2030 fordern. Wir unterstützen die Forderung nach Sicherheit in der Agrarwirtschaft und die Stärkung von Kleinbauern, das Recht auf Wasser und Sanitäreinrichtungen für jeden und den Appell an die G20, sich des Themas der globalen Gesundheit anzunehmen. Wir fordern daher auch in Übereinstimmung mit den Zivilgesellschaften, dass das Thema Nachhaltigkeit endlich ernst genommen und gemeinsam dem Klimawandel Einhalt geboten wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn sich über 300 zivile Organisationen aus aller Welt in der HafenCity treffen und in der Lage sind, sich auf sieben Kernforderungen zu einigen, dann darf man ja wohl erwarten, dass ihre Stimmen gehört werden. Und es werden weitere Stimmen hinzukommen. Schließlich geht es während des G20 mit dem Global Solidarity Summit auf Kampnagel weiter. In jedem Fall sind diese Zusammenkünfte als Rahmenereignisse für G20 von unschätzbarem Wert. Damit stellen wir uns nicht nur hinter eine engere Anbindung der Zivilgesellschaften an G20, die auch über den kommenden Gipfel in Argentinien hinaus Bestand haben muss. Viel wichtiger ist, dass wir damit in Hamburg ein Zeichen gegen die Behinderung von Zivilgesellschaften und Presse in vielen Teilen der Welt setzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dass der Senat mit den hiesigen Organisationen der Zivilgesellschaften frühzeitig in Kontakt getreten ist, war daher richtig und wichtig. Die Auseinandersetzung mit ihren Zielen in die Öffentlichkeit zu tragen war und ist noch wichtiger. Schließlich werden die Stimmen der Zivilgesellschaften umso lauter, je besser ihre Ziele bekannt sind. Wir GRÜNE fordern, dass es um die Zivilgesellschaften und ihre Forderungen laut wird. Denn wenn alles vorbei ist, wollen wir doch alle, dass über die Inhalte des Hamburger G20-Gipfels gesprochen wird und nicht darüber, wer wie wessen Hand geschüttelt hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Dolzer von der Fraktion DIE LINKE bekommt nun das Wort.

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Spannungsfeld zwischen der Legitimität der G20 und der UN habe ich vorhin, wie auch meine Fraktionskollegin Frau Özdemir, schon viel gesagt; das muss ich nicht wiederholen.

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Das reicht auch für heute!)

Ja, Sie stehen nicht so auf Demokratie, das sehe ich schon.

(Stephan Gamm CDU: Das sagt der Richti- ge!)

Ich möchte das an dem einen oder anderen Punkt vertiefen. Die G20 ist nicht wirklich demokratisch legitimiert und die 19 Mitglieder dieser G20 ziehen als eine Art Zirkus durch die in ihnen organisierten Staaten. Sie inszenieren sich selbst, da die Papiere, die beim Gipfel beschlossen werden, schon

(Michael Westenberger)

vorher zumindest zu 95 Prozent ausdiskutiert worden sind. In den Beschlüssen ist für jeden der Staaten etwas dabei, aber etwas Weltbewegendes wird dort nicht beschlossen. Das kritisieren wir als LINKE sehr scharf, und wir sind nicht die Einzigen, sondern das wird von vielen Weiteren genauso kritisiert.

Der Gipfel des Zynismus war das Treffen der G20 2015 in Antalya in der Türkei. Dort konnte sich Recep Tayyip Erdogan als Vorreiter in der Terrorbekämpfung inszenieren, während gleichzeitig – das hat der Journalist Can Dündar, der mittlerweile im Exil in Deutschland lebt, sehr gut aufgezeigt – die Türkei den IS mit Waffen belieferte und Kriegsverbrechen in der Türkei stattfanden. Das ist zynisch und unerträglich und darf so nicht mehr passieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Beim jetzigen G20 gibt sich die Bundesregierung als zivilgesellschaftlich, gesundheitspolitisch, klimapolitisch und in Afrika engagiert. Natürlich trifft sich die Zivilgesellschaft, und das ist auch gut, aber sie wird nur gehört und ihre Forderungen werden wohl nicht umgesetzt werden. Wenn man sich den Afrika-Gipfel ansieht, fand dieser schon vor unserem Treffen in Hamburg am 12. und 13. Juni 2017 in Berlin statt. Da lud Finanzminister Schäuble im Rahmen der G20-Afrika-Partnerschaft zu einem Treffen mit ausgewählten afrikanischen Regierungschefs ein. Das Ziel der Bundesregierung wurde klar benannt, das war auch im Europaausschuss so: Eine neue investorenfreundliche Entwicklungspolitik im Sinne der bundesdeutschen Interessen sowie im Sinne der G20-Staaten soll vorangetrieben werden. Die Regierungschefs, die dort eingeladen worden sind, sind nicht gerade diejenigen, die in Afrika Volkswirtschaften aufbauen und stabilisieren, sondern diejenigen, die das nicht tun oder die Errungenschaften abbauen, zum Beispiel der Staatspräsident der Elfenbeinküste, der ein Sozialsystem, ein Gesundheitssystem, das nach jahrzehntelangem Ringen von einer Regierung etabliert wurde, innerhalb von zwei Jahren seiner Regierungszeit vollkommen zerschlagen hat. Der wird als Best Practice eingeladen; das ist doch mehr als zynisch. Mit Tunesien geht es hauptsächlich darum, die flüchtlingspolitische Abschottung der EU voranzutreiben. Das ist im schlechtesten Sinne historisch gesehen eine Fortsetzung von anderen Konferenzen, zum Beispiel der Kongokonferenz 1884/1885 in Berlin. Da hatten die Kolonialmächte Afrika unter sich aufgeteilt. Die Politik, die Herr Schäuble in Berlin gemacht hat, ist eine neokoloniale Politik. So etwas lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Zusammengefasst kann man sagen, dass die G20 ein Instrument der Verrechtlichung neoliberaler Dogmen ist, denn sie treibt eine konzernfreundliche Politik voran. Ein Beispiel habe ich genannt, viele weitere könnten genannt werden. Und genau

das ist nicht in unserem Sinne und auch nicht im Sinne der Mehrheit der Weltbevölkerung. Die G20-Staaten sind diejenigen, die federführend an den Rüstungsexporten und an Kriegen in der ganzen Welt beteiligt sind, die sie direkt oder indirekt unterstützen. Sie diktieren auch die Handelsbeziehungen, die momentan unfair sind. Das könnte sich ändern, ist aber nicht im Sinne derjenigen, die sich dort treffen, denn das könnte wirklich nur in den Vereinten Nationen beschlossen werden.

Zu guter Letzt: G20 übt auf vielfältige Art und Weise strukturelle Gewalt aus. Dabei bilden Form und Inhalt eine Einheit. Denn diese strukturelle Gewalt spiegelt sich auch in den Mitteln der Durchsetzung der G20 in Hamburg wider, in den Demonstrationsverboten, in der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Hamburgerinnen und Hamburger und in der verfassungsrechtlich fragwürdigen militärischen Absicherung sowie zum Beispiel auch in der Verlegung von 80 Häftlingen in andere Bundesländer, was rechtlich mehr als bedenklich ist. Deshalb stehen wir zur Zivilgesellschaft, die einen vielfältigen Protest organisiert. Und das ist richtig und gut so. – Danke.