Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

(Carl-Edgar Jarchow)

be und gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderungen. Viel wurde in der Stadt getan. In Anbetracht der Kürze dieser Zeit werde ich auf diesen Hinweis hin meine Rede beenden und werde mich freuen, wenn Frau Dr. Leonhard, unsere Sozialsenatorin, die gestern in einer Pressekonferenz den Landesaktionsplan vorstellte, der evaluiert wurde, zusammenfasst und wir dann hören, was alles getan wurde. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie hätten durchaus noch Zeit gehabt, Frau Jäck. – Dann bekommt jetzt der Senat das Wort, Frau Dr. Leonhard, bitte.

Sehr verehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn ich noch einen Augenblick Aufmerksamkeit bei all denen, die eben so engagiert um Demokratie und Verfassung gestritten habe, bitten dürfte, dann könnte ich gleich erwähnen, warum es eine gute Nachricht ist, dass wir in diesem Jahr eine intensive bundespolitische Debatte zum Beispiel über die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderung, die unter Betreuung stehen, geführt haben, die dazu führt, dass, wenn alles gut geht, sie womöglich zu den Europawahlen ihr Wahlrecht schon ausüben können – auch das eine Folge von zehn Jahren UN-Behindertenrechtskonvention.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der FDP)

Sie war das erste Völkerrechtsabkommen, und das finde ich von großer Bedeutung, das sich explizit die Welt und alles, was mit Menschenrechten zu tun hat, aus dem Blick von Menschen mit Behinderung vorgenommen hat. Obwohl die Konvention schon zehn Jahre in Kraft ist und wir eine Menge erreicht haben – denken Sie zum Beispiel in Hamburg an den barrierefreien Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder an das Budget für Arbeit, wo wir es ermöglichen, mit staatlicher Unterstützung und der Frage, was braucht ein Mensch zum Beispiel, damit er am Arbeitsleben teilhaben kann, und nicht unter der Perspektive, was er eigentlich alles nicht kann, zu ermöglichen, dass er am ersten Arbeitsmarkt eine Beschäftigung aufnimmt –, gibt es noch viel zu tun, obwohl wir inzwischen mit unserem Konzept von Frühförderung gerade von Kindern mit Behinderung in Kitas eine Menge erreicht haben. Das ist gestern im Rahmen der Feier des Jubiläums von zehn Jahren UN-BRK sehr deutlich geworden.

Da geht es um die barrierefreie Infrastruktur in der ganzen Stadt, um die Frage, wie Menschen mit Behinderung eigentlich einen Arztbesuch realisieren sollen, um die Frage, wie es eigentlich geht, dass man selbstbestimmt und frei entschieden zum Beispiel irgendeinem Kulturereignis folgen können soll, ohne dass man sich womöglich vorher

aufwendig vorbereiten muss. Hier haben wir einiges erreicht und manches eben auch nicht, und das ist auch eine Haltungsfrage. Ich finde, das hat tatsächlich auch ein wenig etwas mit dem Thema von vorhin zu tun.

Es geht nämlich um die Frage, wie ernst wir die Tatsache nehmen, dass gesellschaftliche Teilhabe an allen Lebensbereichen auch eine Haltungsfrage ist. Nicht, weil wir es können, weil wir gerade die Möglichkeiten dazu haben, sondern weil die Menschen ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an allen Lebensbereichen haben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Michael Kruse FDP)

Der Senat hat gestern seinen Bericht zum Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der Weiterentwicklung des Landesaktionsplans vorgelegt. Der Bericht zeigt auf, was alles gelungen ist. Er zeigt aber auch auf, wo wir noch Handlungsbedarfe haben und weiterkommen müssen. Ich wünsche mir, dass wir in den parlamentarischen Gremien dieses Hauses, und zwar nicht nur im Sozialausschuss, sondern an vielen Stellen darüber sprechen, was noch getan werden kann, damit das Thema wirklich eines der gesamten Gesellschaft werden kann, denn darum muss es gehen, nicht nur aus der Perspektive der Sozialpolitik, sondern mit dem Blick darauf, wie es gelingt, dass alle bei allem mitmachen können, wenn sie es denn wollen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, bei Mi- chael Kruse und Daniel Oetzel, beide FDP)

Nach unserer Geschäftsordnung erhalten jetzt alle Fraktionen noch einmal die Gelegenheit, das Wort zu ergreifen, wenn sie mögen. Mir liegen auch Wortmeldungen vor. – Es beginnt Frau Jäck für die SPD-Fraktion, jetzt für fünf Minuten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Am 26. März trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Gestern konnten wir miterleben, wie dieses zehnjährige Jubiläum bundesweit und in Hamburg mit einer Vielzahl von Aktivitäten gewürdigt und ein Stück weit auch gefeiert wurde. Zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention, das sollte uns Anlass sein, dieses wichtige Dokument über die Rechte der Menschen mit Behinderung zu würdigen, einen Blick zurück und auch in die Zukunft zu werfen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist der Meilenstein, gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen in den Fokus zu nehmen.

(Erster Vizepräsident Dietrich Wersich über- nimmt den Vorsitz.)

Die UN-Konvention brachte mit dem Fokus auf Inklusion einen durchaus radikalen Wechsel in der Sicht auf die bis dahin erfolgte Politik für Menschen mit Behinderung. Von nun an sollten nicht mehr die eingeschränkten Fähigkeiten im Vordergrund stehen, sondern die Barrieren und die Grenzen, die die Gesellschaft denen in den Weg legt, die nicht einer vermeintlichen Norm entsprechen. Den Wert und die Achtung von Vielfalt als zentrales Element erkannt und mit dem Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung verknüpft zu haben, das ist die große Leistung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Hamburg hat sich 2012 auf den Weg gemacht, die vielfältigen Ziele und Ansprüche der UN-Konvention als Querschnittsaufgabe umzusetzen und zu verwirklichen, wir haben es von Frau Dr. Leonhard gehört. Der Landesaktionsplan entstand unter großer Beteiligung der Menschen mit Behinderung, seither wurde er fortgeschrieben und weiterentwickelt, und wie wir gehört haben, hat der Senat die jüngste Fortschreibung gestern vorgestellt, die wir noch in aller Gründlichkeit beraten werden.

Hamburg engagiert sich für Inklusion und sorgt für gerechte Teilhabe. Es ist sicher richtig, dass nicht alle Ziele der UN-BRK erreicht sind. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir in Hamburg an vielen Stellen schon weit vorangeschritten sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Barrieren abbauen und Teilhabe ermöglichen, das ist in vielen Bereichen zum Leitgedanken der Politik in Hamburg geworden. Ich werde einige Beispiele aufgreifen: Das ist das Kompetenzzentrum Barrierefreiheit, das Anfang des Jahres seine Arbeit aufgenommen hat. In ihm ist die Hamburger Expertise für Barrierefreiheit gebündelt, und zwar gemeinsam mit denen, die es am besten beurteilen können, die Menschen mit Behinderung selbst.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dieses Projekt sucht seinesgleichen und ist ein wirklich echter Inklusionsleuchtturm. Ausbau der Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr, wir haben es gehört, 66 von 82 U-Bahn-Haltestellen, 46 von 56 S-Bahn-Haltestellen sind barrierefrei zugänglich, welch ein Erfolg.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Hamburger Budget von der Senatorin erwähnt ein Instrument, um Menschen mit Behinderung raus aus den Werkstätten, rein in den ersten Arbeitsmarkt zu holen. Dieses zuerst in Hamburg erprobte Modell, über das Bundesteilhabegesetz inzwischen bundesweit ausgeweitet, auch dies war

eine Hamburger Wegmarke, die dazu beigetragen hat, der UN-Konvention nahezukommen.

Zehn Jahre Behindertenrechtskonvention, das sind zehn Jahre gemeinsamer Einsatz für gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung. Wir werden das Thema unter Beteiligung der Menschen mit Behinderung weiter vorantreiben. Noch in diesem Jahr unterziehen wir das Hamburgische Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung einer grundlegenden Überarbeitung.

Und zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention geht nicht ohne ein riesengroßes Dankeschön an die Menschen, die sich tagtäglich für Inklusion und Gleichberechtigung stark machen in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, verein- zelt bei der FDP und bei Thilo Kleibauer CDU)

Wir dürfen weitermachen, Wege suchen, aufzeigen. Gleichberechtigte Teilhabe kann gelingen. Und nur so werden wir unserer Verpflichtung, die wir vor zehn Jahren eingegangen sind, gerecht werden. – Danke.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Michael Kruse FDP)

Vielen Dank, Frau Jäck. – Als nächste Rednerin erhält das Wort Franziska Rath für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass die SPD das wichtige Thema zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention trotz der gestern schon gelaufenen Landespressekonferenz heute noch einmal so prominent in der Aktuellen Stunde angemeldet hat. Ich konnte gestern leider nicht selbst dabei sein bei der Pressekonferenz, habe aber natürlich die Pressemitteilung der BASFI im Nachgang gelesen. Ohne die Richtigkeit des Handelns infrage stellen zu wollen, hat mich der folgende Satz doch schon etwas erstaunt. Zitat:

"Die Behörde für Umwelt und Energie hat eine Leichte-Sprache-Version des Flyers 'Müll trennen lohnt sich' verbreitet."

(Dr. Monika Schaal SPD: Na und?)

Es ist in keiner Weise meine Absicht, das Thema Inklusion irgendwie ins Lächerliche ziehen zu wollen, aber ist das tatsächlich ein Meilenstein in einem Tätigkeitsbericht des Senats für die Zeit von 2015 bis 2018? So richtig und gut der Landesaktionsplan, die darin verankerten Maßnahmen und seine Fortschreibung auch sein mögen, denke ich, dass wir uns alle einig sind, dass wir von einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen in allen Lebensbereichen noch sehr weit entfernt sind, leider.

(Regina-Elisabeth Jäck)

(Beifall bei Wolfhard Ploog CDU)

Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns hier handfestere Ziele stecken, zum Beispiel auf der bezirklichen Ebene, wenn es um die Genehmigung von Bauvorhaben geht. Dort müssen sich alle dafür einsetzen, dass über die gesetzlichen Mindestvorschriften hinaus behindertengerechte Wohnungen in Neubauten gewährleistet und die Bedürfnisse von Menschen mit Mobilitätseinschränkung berücksichtigt werden.

Aber nicht nur bei dem Thema Bauen ist ein Mehr an Sensibilität von uns allen gefragt. So hatte es der rot-grüne Senat zuletzt bei dem Gesetz über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen nicht gerade eilig, die EU-Richtlinie umzusetzen. Die hätte nämlich schon im September 2018 umgesetzt werden müssen. Die Drucksache wurde leider erst im Januar dieses Jahres vorgelegt. Wem aber gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein echtes Anliegen ist, dem darf so etwas nicht passieren. Das vermittelt nicht nur ein schlechtes Gefühl in Richtung der betroffenen Menschen, sondern erfüllt auch mich mit Sorge, was die Umsetzung der Änderungen des Bundesteilhabegesetzes anbelangt, die dieses Jahr in Kraft treten. In Zukunft wird es auf der einen Seite die ganz persönliche Unterstützung geben, die ein Mensch aufgrund seiner Behinderung benötigt, und auf der anderen Seite die Unterstützung zum Lebensunterhalt für bedürftige Personen. Diese Trennung der Hilfearten ist ein echter inhaltlicher Paradigmenwechsel, der aber auch sehr viele Menschen in unserer Stadt verunsichern wird.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Liebe Frau Rath, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Jäck?

Nein, jetzt nicht. Vielen Dank.

Deshalb wird auf der Tagesordnung für die nächste Bürgerschaftssitzung ein Antrag meiner Fraktion stehen, der fordert, die Leistungsberechtigten rechtzeitig über die Veränderungen zu informieren.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zu dem großen Themenkomplex Arbeit sagen. Dass zirka zwei Drittel der fast 4 800 Unternehmen mit über 20 Beschäftigten keine Menschen mit einer Behinderung beschäftigen oder ausbilden und dadurch die sogenannte Ausgleichsabgabe zahlen müssen, ist gewiss kein Ruhmesblatt. Nun hört man aber von den unterschiedlichsten Seiten, auch von der FDP, dass es die Unternehmen vorziehen würden, die Ausgleichsabgabe zu zahlen, anstatt sich um Inklusion in ihren Unternehmen zu kümmern. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Da

mit macht man es sich sehr einfach, und ich kann Sie nur bitten, mit diesem Unternehmen-Bashing aufzuhören. "Aktion Mensch" ist da in der Bilanz zu zehn Jahren UN-Behindertenrechtskonvention wesentlich toleranter und differenzierter gewesen. Hier werden nämlich die wirklichen Hürden für die Unternehmen angesprochen: die überbordende Bürokratie, der Wunsch der Unternehmer nach Beratung und Begleitung aus einer Hand. Denn gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die nicht über eine große Personalabteilung verfügen, wäre so eine Beratungsstelle aus einer Hand sehr wichtig. Oft sind es aber auch Ängste und das mangelnde Wissen über Unterstützungsangebote. Daher: Lassen Sie uns gemeinsam Barrieren in den Köpfen abbauen, anstatt einfache Sündenböcke für große gesellschaftliche Aufgaben zu suchen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Rath. – Das Wort erhält jetzt Mareike Engels für die GRÜNE Fraktion.