Punkt 1: „Die Erwerbsneigung von Frauen hat in den letzten Jahren deutlich stärker zugenommen als die von Männern.“ Gut, das ist eine schöne Aussage erst mal. Belegt wird das auch mit einem schönen Diagramm, das in der Tat nachweist, dass zwischen 2003 und 2013 die Zahl der weiblichen Beschäftigten um 1,33 Millionen Frauen zugenommen hat. Das werte ich sehr wohl als einen Erfolg, bloß ich behaupte nicht, das kommt allein von Hartz IV. Sicherlich haben alle Faktoren, die hier auch schon mehrfach genannt wurden, da zusammengewirkt.
Und was natürlich in diesem Zusammenhang, trotz dieser positiven Entwicklung, negativ bemerkt werden muss, nicht verschwiegen werden darf, ist, dass der Anteil der Vollzeitarbeit zurückgegangen ist. Er ist von anfangs 70 Prozent auf 55 Prozent gesunken. Das ist natürlich eine unschöne Entwicklung.
Und da komme ich jetzt mal auf die Aussage von Herrn Koplin zurück. Als Herr Koplin hier eingeleitet hat zur Thematik, hat er unter anderem die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe kritisiert und in dem Zusammenhang gesagt, dass sie eine Grundlage zur Wahrung des Lebensstandards darstellte. Also das ist schon eine sehr merkwürdige Bemerkung in dem Zusammenhang, wenn man sich mal anguckt, auf welchem Niveau die Arbeitslosenhilfe angesiedelt war, etwas über 50 Prozent. Dann fragt man sich: Was soll denn das für eine Aussage sein? Gucken Sie sich doch mal die Gehälter hier an! Wenn man bei den niedrigen Löhnen Arbeitslosenhilfe beziehen würde, dann würde das überhaupt nicht nützen, dann
liegt man mit Hartz IV deutlich besser in vielen Fällen. Also dieses Argument fand ich ein bisschen unbedacht, vielleicht nicht wirklich durchdacht.
Nun kommen wir mal zu der Entwicklung, Herr Foerster, vom Niedriglohnsektor. Einen Zeitraum haben Sie vollkommen ausgeblendet. Sie haben davon gesprochen, wie sich die Arbeitsverhältnisse entwickelt haben schon Ende der 90er-Jahre. Aber auch ab Mitte der 90er-Jahre hat sich der Niedriglohnsektor entwickelt wie sonst was, sage ich nur. Er hat sich von 19…,
nein, nicht von 94, nein, das fing 98 erst richtig an, sorry, nicht ganz Mitte der 90er, das war fast schon gegen Ende,
ab 1998 war der Niedriglohnsektor in Deutschland noch prozentual ungefähr bei 14,2 Prozent, wenige Jahre später war er nach Schätzungen bereits bei 21,5 Prozent. Ich sage extra, nach Schätzungen, weil ich habe mehrere Statistiken gesehen, die waren etwas unterschiedlich. Die ungünstigste Zahl war hier die 21,5 Prozent, und das bereits zwei Jahre nach Einführung von Hartz IV, aber aufgebaut bereits seit dem Jahr 1998.
Ich habe auch in Statistiken gefunden, dass die Langzeitarbeitslosigkeit sich nach Einführung von Hartz IV in den Jahren 2006 und 2007 drastisch verringert hat, also die ist drastisch abgebaut worden. Bloß heutzutage sind wir an einem Punkt, da kriegen wir sie einfach nicht weiter runter, da stagniert die Langzeitarbeitslosigkeit. Da kommen wir mit unseren üblichen Mitteln nicht mehr weiter, sodass es auch kein Wunder ist, dass die Ministerin aus EU-Fördermitteln mit der ARGE entsprechende Anstrengungen unternimmt, um neben den üblichen Fördermöglichkeiten durch Hartz IV diesem Problem vermehrt beizukommen.
Werte Damen und Herren, ich finde, der eigentliche Skandal, der uns hier auf dem Arbeitsmarkt in der Tat begegnet, ist nicht nur, dass wir immer noch über 6 Millionen Menschen haben, die Hartz-IV-Leistungen erhal- ten – es waren auch schon mal fast 7,5 Millionen, ich meine, das ist trotzdem viel zu viel –, sondern dass über 4 Millionen davon arbeiten gehen, über 4 Millionen Menschen gehen davon arbeiten. Also das Lohnniveau ist so niedrig, dass sie noch Aufstockungsbeträge erhalten, weil ihr Einkommen unter dem Hartz-IV-Niveau liegt.
Sie sagen es, Herr Suhr, deswegen ist es so wichtig, dass wir endlich den Mindestlohn einführen konnten.
Und die Bestrebungen von allen möglichen Seiten, das in die eine oder andere Richtung auszuweiten, ich hoffe, dafür ist unsere Ministerin auf Bundesebene stark genug, die Ansicht abprallen zu lassen und da keine, überhaupt keine Luft ranzulassen.
Bei meiner Recherche zu den Anfängen von Hartz IV – ich darf es hier nicht zeigen, das gehört sich nicht – habe ich,
Herr Renz, da habe ich so eine Handreichung meiner Mutterpartei gefunden und da steht obendrüber „Die Position von CDU und CSU“ und in der nächsten Reihe „Heuchler, Täuscher und Verwischer“. Das ist sehr interessant. Vielleicht komme ich nachher noch mal drauf zurück, wenn Sie geredet haben.
Mal schauen, vielleicht ist das ja notwendig, dann werde ich hier noch ein paar kleine Verschärfungen der CDU/CSU, die im Vermittlungsausschuss in dem Zusammenhang eingeführt wurden, hier zur Kenntnis geben. Aber vielleicht brauche ich das gar nicht. Ich bin gespannt, was Sie in Ihrem zweiten Beitrag bringen.
Aber, Herr Foerster, Sie haben von vielen Analysen und Untersuchungen gesprochen, die alle zu einer absolut negativen Resonanz und zu negativen Ergebnissen kommen. Es gibt natürlich auch andere. Es gibt natürlich auch andere und wenn man danach sucht, dann findet man die natürlich auch. Ich habe mehrere gefunden. Ich habe Auszüge von einer mitgebracht, weil die nicht einfach so davon spricht, ist alles schön und hat sowieso keiner gesagt, aber darin sind viele Punkte doch sehr kritisch beleuchtet worden und deswegen halte ich es überhaupt für wert, hieraus, mit Genehmigung der Präsidentin selbstverständlich, zu zitieren.
Ich habe Auszüge von einer Arbeit von Markus Promberger, der ist Soziologe, gemacht. Er hat eine Studie „Hartz IV im sechsten Jahr“, also im Jahr 2010, angefertigt. Er kam zu dem Ergebnis und so hat er das auch überschrieben: „Hartz IV ist nicht ,Armut per Gesetz‘, sondern ein leidlich funktionierendes, gleichwohl unvollkommenes und um- strittenes System der Bekämpfung von Armut. Wo steht Hartz IV heute?“
Er schreibt: „Nach der Systemumstellung am 1. Januar 2005 war für viele Beobachter zunächst überraschend, wie hoch in den ersten drei Monaten der Zuwachs an Hilfebeziehern ausfiel. Selbst nach der Saldierung der Übergänge aus den alten Systemen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe und den erwarteten saisonalen Zugängen mit den Abgängen aus dem Hilfebezug durch Fluktuation, durch die Haushaltsveranlagung und die geänderten
Freibetragsregelungen blieb ein Zuwachs von rund einer Million neuen Hilfebedürftigen.“ Und er kommt selber auch darauf, was vorher schon die sozialdemokratischen Frauen vermutet hatten: „Die einzige plausible Erklärung hierfür ist eine verstärkte Mobilisierung von Bedürftigen, die bislang ihnen zustehende Sozialleistungen nicht genutzt hatten, was, bei Lichte besehen, einen armutspolitischen Erfolg darstellt.“ So kann man die Sache auch betrachten. Er weist noch mal darauf hin, dass derjenige, der eine Entlastung des Sozialstaats durch die Grundsicherungsreform erwartet hat, natürlich auch bitterlich enttäuscht worden ist. Wir wissen heute, wie viele Milliarden Euro Hartz IV den Staat jährlich kostet.
Und eine andere, wie ich finde, interessante Passage: „Dass es angesichts der tiefgreifenden Systemumstellungen 2005 nicht zu größeren Friktionen in der Grundversorgung von mehreren Millionen Menschen kam, darf bereits als Erfolg per se gelten. Doch der Erfolg der Aktivierungspolitiken ist nicht eindeutig belegt. Es scheint, als ob beispielsweise Maßnahmen im Arbeitscharakter positive Wirkungen eher im Hinblick auf soziale Stabilisierung und soziale Teilhabe zeigen als auf die unmittelbare Arbeitsmarktintegration“, also durchaus sehr kritisch in der Gesamtwertung.
Als „Fazit“ meint er: „Zunächst ist das SGB II, wie seine Vorgänger, schlichtweg ein wohlfahrtsstaatliches Regelwerk zum Abbau von Armut, die auf gesellschaftliche, wirtschaftliche oder individuelle Ursachen zurückgeht. Den Geboten und Traditionen des Sozialstaats zufolge greift die Gesellschaft ein, wenn einzelne Mitglieder in Not geraten und sich nicht eigenverantwortlich oder durch Hilfe aus ihrem Umfeld daraus befreien können. Die Hartz-IV-Reform bildet einen wichtigen Eckpunkt in einem längerfristigen Entwicklungsprozess hin zu einer den Ansprüchen an ein Grundrecht auf soziale Unterstützung genügenden Grundsicherung“, also auch hier ein mehr oder weniger Appell auf die Weiterentwicklung, die notwendigerweise ständig erfolgen muss. Das hat der Kollege Heydorn schon gesagt. Wenn ich heute einen Sachverhalt, den Lebensstandard von Menschen beurteile, komme ich da zu einem vollkommen anderen Ergebnis als vor 10 oder 15 Jahren.
Ich fasse noch einmal für mich zusammen: Hartz IV ist nicht das Grundübel, das Armut verursacht. Das Grundübel, das Armut verursacht, egal ob bei Eltern, Kindern, was auch immer, das sind die niedrigen Löhne.
Von einem Lohnabstandsgebot kann man schon lange nicht mehr reden und für Sozialleistungen gilt ein Lohnabstandsgebot. Teilweise liegen unsere tarifgebundenen Löhne in Mecklenburg-Vorpommern so niedrig, dass die Menschen weniger Geld verdienen mit ihrer Hände Arbeit, als wenn sie zu Hause rumsitzen und lediglich Hartz-IV-Leistungen erhalten können, aus welchen Gründen auch immer.
Das war mein kurzer Rückblick auf Hartz IV. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und unterhalten Sie sich schön weiter, ist alles sehr spannend heute. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zehn Jahre Hartz IV haben auch vor Kindern und Jugendlichen nicht haltgemacht. Seit zehn Jahren, genauso lange wie Hartz IV, haben wir in Mecklenburg-Vorpommern eine anhaltend hohe Quote von Kindern und Jugendlichen, die in Armut leben. Ich wiederhole die Quoten gerne noch mal: Waren es 2005 noch 34,5 Prozent Kinder und Jugend- liche, die in Armut lebten, waren es 2012 immer noch 33,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen in MecklenburgVorpommern, die in Armut lebten.
Und, Herr Heydorn, da hinkt Ihr Vergleich mit Griechenland. Wenn ich eine Situation verbessern will, dann schaue ich mir die Länder an, wo es besser funktioniert. Da wäre ein Blick nach Island, Schweden oder Finnland eher angebracht als der Blick nach Griechenland.
Natürlich hängt das Hartz-IV-System auch eng mit Kinderarmut in Mecklenburg- Vorpommern zusammen, zum einen aufgrund der Situation der Eltern hier in Mecklenburg-Vorpommern. Herr Foerster hat es sehr deutlich gemacht, wie die Situationen der Langzeitarbeitslosen und der prekär Beschäftigten sich hier in MecklenburgVorpommern darstellen.