Protokoll der Sitzung vom 28.01.2015

Und natürlich hat diese Situation auch Auswirkungen auf die Kinder und Familien.

Mit der Arbeitslosigkeit der Eltern beziehungsweise der Unsicherheiten im Job wachsen nicht nur die finanziellen Belastungen im Haushalt, sondern oftmals leidet die gesamte Familienstruktur. Kinder erleben ihre Eltern in einer Situation der Unsicherheit, verbunden mit der Beschädigung des Selbstwertgefühls der Eltern, daneben noch geplagt von finanziellen Sorgen. Deshalb brauchen gerade Langzeitarbeitslose beziehungsweise alleinerziehende Eltern unsere besondere Unterstützung. Es gibt im Land gute Ansätze wie AQuA oder den Familiencoach, die seien nur kurz benannt. Doch wie viele Alleinerziehende beziehungsweise Langzeitarbeitslose werden mit diesen Maßnahmen erreicht? Nur ein Bruchteil.

Gerade vor diesem Hintergrund halte ich es nach wie vor für unverständlich, dass die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU es im letzten Jahr hier im Landtag abgelehnt haben, die Stellungnahme der Landesregierung zur Studie „Erfolgsfaktoren und Hemmnisse bei der Einbeziehung junger Eltern in existenzsichernde Formen der Erwerbsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern“ in den Sozialausschuss zur weiteren Beratung zu überweisen. Einmal mehr haben Sie damit deutlich gemacht, dass es Ihnen nicht wichtig ist, sich hier im Landtag und insbesondere in den Fachausschüssen mit den Herausforderungen junger Eltern auseinanderzusetzen. Ich kann Sie nur immer wieder auffordern, sich mit der Situation von Eltern oder auch Kindern intensiv auseinanderzusetzen. Das geschieht leider viel zu wenig.

Wussten Sie, dass die Kinderarmut, festgemacht anhand der Kinder im Hartz-IV-Bezug, in Mecklenburg-Vorpom- mern ungleich verteilt ist? Zehn Prozentpunkte trennen die Landkreise Vorpommerns und die Mecklenburgische Seenplatte von Nordwestmecklenburg oder LudwigslustParchim. Wussten Sie, dass es ein Stadt-Land-Gefälle gibt?

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

So leben insbesondere viele – bis zu 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen – in den beiden kreisfreien Städten Rostock und Schwerin in Kinderarmut. Wussten Sie, dass der Anteil der unter 15-Jährigen in den Bedarfsgemeinschaften steigt, währenddessen insgesamt die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt?

(Manfred Dachner, SPD: Ist das hier eine Fragestunde?)

Das heißt, dass insbesondere die unter 15-Jährigen von Armut durch Hartz IV bedroht sind.

Wenn man die Antworten der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage vom 06.02.2014 liest, liegen Ihnen diese Daten anscheinend nicht vor. Wie wollen Sie jedoch handeln, wenn Sie noch nicht mal wissen, wo der Schuh drückt, und welche spezifischen Maßnahmen wollen Sie ergreifen? Das alles sind offene Fragen, die Sie nicht beantworten können.

(Torsten Renz, CDU: Das fragen wir Sie als Opposition. Wo sind denn Ihre Rezepte?)

Es wäre ein erster Schritt, sich mit der Lage armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher in Mecklenburg-Vor- pommern zu beschäftigen.

(Torsten Renz, CDU: Wo sind denn Ihre Rezepte?)

Herr Renz, da empfehle ich Ihnen einen Klick in die Analyse der Linksfraktion zu unserer Kampagne im letzten Jahr, wo genau diese Faktoren aufgezählt sind.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Zum anderen sind die Regelsätze nach dem SGB II für Kinder und Jugendliche nicht bedarfsgerecht ermittelt worden. Das hatte schon das Bundesverfassungsge- richt 2010 festgestellt, weshalb dann das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt wurde. Setzen Sie sich auf Bundesebene endlich dafür ein, dass Kindern und Jugendlichen in einem ersten Schritt Regelsätze zuerkannt werden, die ihren Bedarf decken! 267 Euro für 10- bis 26Jährige reichen nun wirklich nicht, um den Schwimmbadbesuch im Sommer abzusichern, um den Kinobesuch zu ermöglichen. Das alles führt zu sozialer Ausgrenzung. Deshalb meinen wir, die Kinderbedarfssätze sind zu überprüfen.

(Torsten Renz, CDU: Die werden ständig überprüft.)

Langfristig gehören Kinder und Jugendliche nicht im SGB II verankert. Auch hier der Appell an die Landesregierung, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen. Kinder sind keine kleinen Langzeitarbeitslosen. Deshalb werden

wir nicht müde, eine Kindergrundsicherung – im SGB VIII verankert – zu fordern. Setzen Sie sich auch dafür ein!

Bei all diesen Problemen hilft auch kein Bildungs- und Teilhabepaket. Frau Hesse und auch Herr Heydorn hatten eine positive Bilanz des Bildungs- und Teilhabe- paketes gezogen. Das kann ich leider nicht so bestätigen. Auch hier wieder, wenn man sich die Zahlen aus den Kleinen Anfragen anschaut: Fakt ist, dass 2012 von 42,7 Millionen Euro nur 27,1 Millionen Euro überhaupt ausgegeben wurden. 2013 sah es da nicht besser aus, von 33,9 Millionen Euro wurden nur 22 Millionen Euro ausgegeben. Und wenn man sich anschaut, wie viel von diesem Geld dann noch in die Verwaltung eingeflossen ist, mindestens ein Drittel, so frage ich mich: Wären die Gelder nicht bei den Kindern direkt besser angelegt? Nein, so ist es Fakt und Realität, dass noch nicht einmal die Jobcenter über die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket die anspruchsberechtigten Eltern informieren. Das finde ich einen Skandal. Wo wären diese Eltern und Kinder ohne Tafel und Suppenküche,

(Torsten Renz, CDU: Haben Sie auch einen positiven Aspekt oder haben Sie nur Skandale?)

Vereine und Verbände, die sich der Kinder und Jugendlichen annehmen und mit ihren Mitteln versuchen, die Folgen von Kinderarmut, verursacht durch das unsägliche Hartz-IV-System, zu beheben? Gehen auch Sie mit gleichem Eifer an die Verbesserung der Situation der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Stramm von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Hartz IV hat die soziale Spaltung in Deutschland vorangetrieben. Hartz IV veränderte die Lebensläufe und die Sozialstrukturen. Es schuf Armut am Anfang des Lebens und Altersarmut an dessen Ende ist vorprogrammiert. Altersarmut war in der Bundesrepublik jahrzehntelang eher ein Randgruppenphänomen. Durch die Arbeitsmarktreformen wird sie selbst für Teile der unteren Mittelschicht zur Normalität.

In den vergangenen Jahren wurden sozialpolitische Leistungen, die zur Vermeidung von Armut im Alter beitrugen, massiv gekürzt. So wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes 2006 auf maximal ein Jahr beziehungsweise bis zu 18 Monaten für über 55-Jährige und bis zu 24 Monaten für über 58-Jährige verkürzt. Mit dem Jahresende 2010 wurden die Rentenbeitragszahlungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger abgeschafft. Dadurch hat sich die Lage noch weiter verschlechtert, denn bis 2010 zahlten die Arbeitsagenturen für Menschen im Hartz-IV-Bezug Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von 40 Euro pro Monat, aus denen bei den Betroffenen ein Rentenanspruch von 2 Euro entstand. Das war der Bundesregierung für die Hartz-IV-Empfänger allerdings zu hoch. Ab dem Jahr 2011 werden für Menschen im Hartz-IV-Bezug keine Rentenbeiträge mehr gezahlt, was zur Folge hat, dass sie für diese Zeit keine Rentenansprüche mehr haben. Darüber hinaus wird das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Wer vorzeitig in Rente geht – und das ist die übergroße

Mehrheit, da weniger als einem Viertel der Versicherten tatsächlich der Wechsel aus einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeittätigkeit in die Rente gelingt –, muss mit erheblichen Abschlägen rechnen.

Arbeitslosengeld-II-Empfänger können mit ihrem 63. Ge- burtstag sogar gegen ihren Willen und mit hohen Abschlägen zwangsverrentet werden. Dazu kommt, dass bekanntlich das Rentenniveau in den vergangenen zehn Jahren von 53 Prozent auf 48 Prozent reduziert wurde, obwohl gerade die besonders von Altersarmut bedrohten Menschen nicht in der Lage sind, die Verluste durch private Vorsorge zu kompensieren. Der Wegfall der Rentenansprüche für die Zeiten des Hartz-IV-Bezuges senkt die Altersrenten und erhöht die Altersarmut. Das ist in Mecklenburg-Vorpommern bereits spürbar. Zwar liegt die Durchschnittsrente noch leicht über der Grundsicherung, aber die Armutsgefährdung steigt rapide. In den letzten drei Jahren stieg sie bei Rentnern und Pensionären, also bei allen Menschen im Rentenalter in MecklenburgVorpommern von 16,7 auf 18,6 Prozent. Bei diesem Anstieg ist Mecklenburg-Vorpommern unter allen Bundesländern Spitzenreiter.

Damit sich das ändert, fordern wir eine Mindestrente, die vor Altersarmut schützt. Wir fordern auch, dass die Arbeitsagenturen für Menschen, die Hartz IV beziehen, wieder Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abführen, die aus Steuermitteln finanziert werden. Hier- für sollte die Landesregierung sich dringendst einset- zen.

Mit der Abschaffung der Rentenbeiträge für Menschen, die Hartz IV beziehen, ergibt sich aber auch ein weiteres schwerwiegendes Problem. Diesen Menschen versperrt sich nämlich zusätzlich auch der Anspruch auf Maßnahmen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation auf Kosten der Rentenversicherung, denn für die Inanspruchnahme dieser Leistungen, wie beispielsweise Kuren, muss man in den letzten zwei Jahren mindestens sechs Monate Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben. Wer das nicht hat, wie Menschen im Hartz-IV-Bezug, kann keine Rehabilitation erhalten.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Durch die Sparmaßnahmen des Bundes sind Menschen, die dringend einer Rehabilitationsmaßnahme bedürfen, davon ausgeschlossen. Sie können nicht für den Arbeitsmarkt ertüchtigt werden, sie können aber auch keine Erwerbsminderungsrente beantragen, denn neben den arbeitsmedizinischen und anderen Voraussetzungen ist für eine Erwerbsminderungsrente Bedingung, dass in den letzten fünf Jahren vor Rentenbeginn mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt wurden.

Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen müssen also im Bereich der Arbeitsagenturen und der Jobcenter verbleiben, bis sie mit der Vollendung des 63. Lebensjahres zwangsweise durch diese in eine Altersrente verwiesen werden, in eine niedrige Altersrente mit lebenslangen Abschlägen. Das sind die Ergebnisse der Hartz-IV-Gesetzgebung für ältere Menschen – Altersarmut in einem reichen Land. Das wollen wir ändern. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Danke.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Renz von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie schon angekündigt, komme ich jetzt zu meinen eigentlichen inhaltlichen Ausführungen. Ich hatte ja auch die Hoffnung, so, wie Herr Koplin es eingebracht hat, dass die Fachpolitiker der LINKEN hier entsprechende Argumente liefern, mit denen wir uns in der Debatte auseinandersetzen wollen. Das will ich auch gern tun.

Ich will vielleicht an dieser Stelle damit beginnen, dass ich, was meine Erwartungen betrifft, aufgrund der Redebeiträge nicht überrascht wurde, sondern es eigentlich erwartet habe und dem Herrn Suhr und den Rednern von der SPD dankbar bin, dass sie das doch sehr differenziert dargestellt haben, auch wenn sie dem Wunsch der LINKEN nicht ganz entsprochen haben, sie haben ja eher eine Schwarz-Weiß-Diskussion gefordert.

Deswegen will ich das erste Wort auch an Sie richten, Herr Suhr. Ich bin sehr einverstanden mit Ihrem Redebeitrag, will aber an dieser Stelle deutlich sagen, dass es vielleicht nicht so ganz auf den Punkt gebracht wurde, zumindest aus meiner Sicht, vielleicht sind wir da auch deckungsgleich, was das Thema Langzeitarbeitslosigkeit betrifft.

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das war ja auch die Rede von Herrn Suhr und nicht Ihre.)

Nein, ich glaube schon, dass wir da eher auf einer Welle sind. Deswegen will ich das hier noch mal herausstellen, dass insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik, so, wie sie sich in Deutschland gestaltet, nicht nur heute, sondern auch in den letzten zehn Jahren schon ein Problem darstellt, insbesondere im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit für die Menschen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten kaum noch in der Lage sind, in den Arbeitsmarkt zu gelangen.

Ich glaube, wir sollten in der Politik darüber diskutieren – wenn es immer um Lösungen geht –, ob wir vielleicht außerhalb dieser Arbeitsmarktgesetze, die wir jetzt rein technisch diskutieren, Lösungen auf den Weg bringen und sie umsetzen, dass wir zumindest die Menschen, die arbeiten wollen, entsprechend fördern, sodass sie dann wieder mit der Teilhabe am Arbeitsmarkt, an welchem auch immer, sozusagen in das gesellschaftliche Leben integriert werden.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Darauf habe ich hingewiesen.)

Das habe ich ganz bewusst an den Anfang gestellt, weil mich dieses Thema auch ganz persönlich betroffen macht. Ich sehe da eine gewisse Deckungsgleichheit im Ziel und möglicherweise auch im Weg. Ich bin, wie gesagt, den Rednern der SPD dankbar, dass sie so zu dem stehen, was möglicherweise ihre Parteimitglieder damals auf den Weg gebracht haben.

Bei einem Punkt – ich weiß nicht, Frau Tegtmeier, ob Sie jetzt unbedingt darauf hingearbeitet haben, dass ich mich noch mal zum Thema Mindestlohn hier äußern sollte,

(Heinz Müller, SPD: Ooh! – Zurufe von Jochen Schulte, SPD, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

weil Sie auch gesagt haben, endlich haben wir ihn zum 01.01. dieses Jahres, und immer so ein bisschen rückblickend versucht, hier zu argumentieren, warum eigentlich nicht vorher – geht es mir schon darum, doch mal deutlich zu sagen, dass gerade in dieser Zeit 2003/2004 sicherlich die politischen Diskussionen gelaufen sind. Wir als CDU waren gar nicht in Regierungsverantwortung. Wir alle wissen, Rot-Grün hat damals regiert. Es wurde nicht mal ernsthaft der Ansatz unternommen, den Mindestlohn einzuführen im Zusammenhang mit den Arbeitsmarktreformen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, warum eigentlich nicht? – Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Es ist ganz deutlich, dass sich auch führende Gewerkschaftsmitglieder – ob das Herr Peters oder Herr Sommer war – immer kritisch geäußert haben und die Tarifauto- nomie im Vordergrund gesehen haben. Dann haben Schröder, Müntefering und Fischer irgendwann gesagt, okay, dieser Prozess läuft auf keinen Fall gegen die Gewerkschaften, das müssen wir sagen, aber wir beabsichtigen auch nicht im Ansatz, den Mindestlohn einzuführen. Das, finde ich, gehört zur historischen Wahrheit immer dazu. Deswegen war es mir wichtig, zumindest diesen Aspekt noch mal an dieser Stelle kurz anzureißen.

Dann habe ich mich natürlich besonders gefreut, dass der Herr Koplin gesagt hat, er macht einen allgemeinen Rundumschlag, und die eigentlichen Fachpolitiker werden dann sozusagen hier die Welt noch mal erklären. Jetzt haben natürlich Herr Foerster, Herr Bernhardt, Frau Stramm die unterschiedlichen Fachgebiete …

(Peter Ritter, DIE LINKE: Frau Bernhardt!)

Was habe ich gesagt?