Protokoll der Sitzung vom 24.01.2019

Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort Frau Oldenburg.

Ehe Frau Oldenburg ihr Wort nimmt – Sie können gerne schon vorkommen –, möchte ich gerne neue Besucherinnen und Besucher begrüßen. Das sind Schülerinnen und Schüler des RecknitzCampus in Laage. Herzlich willkommen!

Bitte, Frau Abgeordnete.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In Mecklenburg-Vorpommern fehlen nicht immer nur ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer – von Jahr zu Jahr mehr – im Unterricht, sondern fehlen auch von Jahr zu Jahr mehr Schüler im Unterricht. Besonders dramatisch gestiegen ist die Zahl nach dem Auslaufen des Bundesprogrammes „Schulverweigerung – Die 2. Chance“, und das war Ende des Schuljahres 2013/2014.

Das, sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, hätte vermieden werden können, denn anderthalb Jahre vor dem Auslaufen des Bundesprogrammes fragte ich die Landesregierung, was sie unternimmt, um die drohende Misere – es war nämlich abzusehen – abzuwenden, aber das Sozialministerium sah überhaupt keine Handlungsnotwendigkeiten. Hier lag dann wohl das Motto zugrunde: Wer nicht da ist, der stört auch nicht.

Die Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ sowie die Landtagsfraktionen erhielten im August 2013 ein Schreiben, aus dem ich zitieren möchte: „Ihre Sorge, dass durch das Auslaufen

des Programms ‚Schulverweigerung – Die 2. Chance‘ es uns allen nicht gelingen wird, diese Jugendlichen zu erreichen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Sie ist jedoch unbegründet, da sich auch die Landesregierung mit dem Problem intensiv befasst.“ Ende des Zitats.

Die damalige Sozialministerin und heutige Ministerpräsidentin, die diesen Brief verfasste, hat sich gewaltig geirrt, denn die Landesregierung hat sich weder überhaupt noch intensiv mit diesem Problem befasst. Es ist ihr nicht einmal gelungen, die damals schon hohe Anzahl der Schulschwänzer zu überzeugen, wieder am Unterricht teilzunehmen. Es ist ihr auch nicht gelungen, wenigstens die Anzahl der Schulschwänzer auf gleichem Niveau zu halten. Nur eins ist ihr gelungen: Sie hat es geschafft, dass die Zahl der Schulschwänzer um 70 Prozent – um 70 Prozent! – gestiegen ist nach dem Auslaufen des Bundesprogramms. Und damit ist bewiesen, dass die Sorge sehr wohl berechtigt war, damit ist bewiesen, dass die Einschätzung von Frau Schwesig falsch und sogar fatal war, und es ist bewiesen, dass die Landesregierung in diesem Bereich den Ernst der Lage nicht erkennt.

Sehr geehrte Damen und Herren, im Juli 2016 kündigte Minister Brodkorb dann ein 7-Punkte-Programm gegen Schulschwänzen an. Da haben Sie schon mal drei Jahre, wo gar nichts irgendwo gegriffen hat. Es sollten jetzt also sieben auf einen Streich werden und dazu gehörten unter anderem eine verbesserte Dokumentation, konsequente pädagogische Maßnahmen und auch die polizeiliche Zuführung. Das nennt man wohl „alten Wein in neuen Schläuchen“, denn schon immer gab es all die genannten Maßnahmen, die jedoch zu keinem Erfolg geführt haben.

Und so ist es dann wohl auch zu erklären, dass die Landesregierung selbst nicht daran geglaubt hat, hiermit den großen Wurf zu finden. Sie scheute sich regelrecht, diese alten neuen Punkte in die Tat umzusetzen, und wartete damit über ein Jahr ab. Erst im September 2017 gab das Bildungsministerium in einer Pressemitteilung bekannt, ich zitiere: „Schülerinnen und Schüler, die im neuen Schuljahr“, also 2017/2018, „unentschuldigt fehlen, müssen mit Konsequenzen rechnen.“ Ende des Zitats.

Oh, oh, oh! Vorher gab es wohl keine Konsequenzen? Doch, gab es auch, hat aber alles keine Wirkung gezeigt. Und weil dann nun in so eine Pressemitteilung auch irgendwie alles rein muss, wiederholte die Regierung alles bereits Bekannte, die alten Ankündigungen wurden erneut angekündigt und man beschrieb ausführlich die Maßnahmen, die es seit über 25 Jahren gibt. Was allerdings neu war, ist ein Handlungsleitfaden – von dem hörten wir schon – zum Umgang mit Schulabsentismus. Die Furcht vor diesen 71 Seiten – 71 Seiten Handlungsempfehlung! – soll nun also die Schülerinnen und Schüler davon abhalten zu schwänzen. Wie man an den Zahlen ablesen kann, hat das richtig gut geklappt, denn Schulschwänzen ist derart in Mode gekommen, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler in den letzten fünf Jahren von 2,8 auf 4,2 Prozent gestiegen ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Schüler/-innen in Mecklenburg-Vorpommern brauchen keine sieben Punkte, sie brauchen keine 71 Seiten, sie brauchen endlich wieder eine zweite Chance. Meine Fraktion fordert das Auflegen eines Landesprogramms „Zweite Chance gegen Schulverweigerung“, weil wir gesehen haben, dass alle diese halbgewalkten Maßnahmen keinerlei Wirkung gezeigt haben. Wir brauchen ein extra Programm, damit

es uns gelingt, die Anzahl der Schulschwänzer zu reduzieren, und dann wird es auch, Frau Hesse, schlagartig zu Jubelmeldungen kommen.

Eine zweite Chance braucht der vorliegende Antrag allerdings nicht, denn der kann gleich abgelehnt werden, weil er in seiner Unkonkretheit nicht dazu führen wird, dass auch nur ein einziger Schüler weniger schwänzt. Das möchte ich auch kurz erläutern:

Auf der einen Seite fordern Sie in dem ersten Punkt Ihres Antrages eine Analyse, um den Umfang und die Ursachen des Schulschwänzens herauszufinden. Wenn wir 5.000 Schülerinnen und Schüler haben, die Schule schwänzen, in welchem Umfang auch immer, dann hat das mindestens 5.000 verschiedene Gründe. Die Anzahl der Schulschwänzer, die liegt uns vor, brauchen wir nicht, also hat sich auch der erste Punkt Ihres Antrages damit erledigt.

Beim zweiten Punkt des Antrages stellt sich mir die Frage: Welche „geeigneten Maßnahmen“ meint die AfD? Meine Fraktion wird im Rahmen der Novelle des Schulgesetzes Ordnungsmaßnahmen beantragen, bei denen mit dem ersten Tag des Fernbleibens des Schülers sofort die Eltern schriftlich informiert und mündlich angehört werden und schon der erste Tag des Schwänzens aktenkundig dokumentiert wird.

Da habe ich mich gefragt, warum geht die AfD nicht auch diesen Weg. Und ich konnte mich erinnern, dass ich so etwas wie „geeignete Maßnahmen“ schon mal bei Ihnen gelesen hatte und dass es mir da kalt den Rücken runterlief, und ich erinnerte mich auch, wo, das war nämlich in Ihrem Wahlprogramm von 2016. Der AfD ist meiner Meinung nach nicht daran gelegen, konkrete Maßnahmen wirklich zu finden, um erzieherisch Schülerinnen und Schüler davon abzuhalten zu schwänzen. Was die AfD will, möchte ich zitieren: „Lehrer müssen wieder in die Lage versetzt werden, auf störende Schüler durch geeignete pädagogische Maßnahmen sofort und unmissverständlich einzuwirken.“ Ende des Zitats.

Was meint die AfD mit „die Lehrer in die Lage zu versetzen“? Was meint die AfD damit, „unmissverständlich“ auf störende Schüler einzuwirken? Die Antworten kann ich mir vorstellen, sie lassen Schlimmes erahnen,

(Zurufe von Horst Förster, AfD, und Jens-Holger Schneider, AfD)

und deswegen lehnen wir Ihren Antrag auch sofort und unmissverständlich ab.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort der Abgeordnete Reinhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schulabsentismus, ein wichtiges Thema, wir haben die Daten und Fakten schon gehört. Deutschlandweit haben wir ungefähr zweieinhalb Prozent Schulabbrecher, das sind bei 12 Millionen Schülern 300.000 Schüler, die in der Regel täglich im Unterricht fehlen.

Das hat vielfältige Gründe. Wir haben heute schon viel davon gehört. Bei einem liegt es daran, dass er eine

Aversion gegen Schule hat, bei einem anderen liegt es vielleicht auch an der sozialen Lage im Elternhaus oder daran, was die Eltern vorleben. Da gibt es sicherlich noch zahlreiche weitere Gründe, die man ausführen kann. Wir haben auch schon vom Aktionsplan des Landes gegen Schulabsentismus gehört und wir haben von Frau Oldenburg eben gehört, wie sich die Lage entwickelt hat.

Und da will ich dann so viel zu sagen, Frau Oldenburg. Jetzt ist sie...

(Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Sie musste schnell mal... – Peter Ritter, DIE LINKE: Die musste schnell mal wohin.)

Das sei ihr gestattet. Dann bitte ich das auszurichten, was ich jetzt sage.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Mache ich.)

Es reicht aus meiner Sicht aber nicht aus, hier ein neues Programm zu fordern und dem einfach nur einen Namen „Zweite Chance“ zu geben. Da würde ich mir dann doch auch von der Oppositionsfraktion wünschen – vielleicht macht Frau Oldenburg das nachher –, das Ganze noch ein bisschen mit Leben zu füllen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Im Rahmen der Schulgesetznovelle, hat sie ja gesagt, Herr Reinhardt, und damit ist Ihre Frage schon beantwortet.)

Ja, da sind wir dann sehr gespannt, was da für Vorschläge kommen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Na sehen Sie!)

Einfach weitere Ordnungsmaßnahmen zu fordern, das, glaube ich, wird gerade im unteren Bereich der Schule dem auch nicht gerecht.

Ich will damit nur feststellen, wir merken ja, dass das ein sehr schweres Thema ist. Ich glaube, ein Stück weit ist am Ende Schule damit überfordert, die ganzen Probleme, die vielleicht auch in anderen Bereichen liegen, hier zu lösen. Ich glaube auch nicht, dass wir ganz viele gemeinsame Maßnahmen im Schulbereich finden, die dann dazu führen werden, dass wir den Schulabsentismus nahezu vermeiden werden. Das wird uns nicht gelingen. Und es wird uns vor allem nicht gelingen, und darauf möchte ich jetzt eingehen, mit dem Antrag der AfDFraktion.

Punkt 1, haben Sie ja gehört, ist erledigt, die Zahlen habe ich Ihnen eben auch noch mal genannt. Die Statistik gibt es, die Zahlen werden jedes Jahr erhoben.

Punkt 2 ist, so kann man sich natürlich politische Arbeit leichtmachen und sagen als Oppositionsfraktion, es sind „geeignete Maßnahmen abzuleiten, um die Schulpflicht im Land durchzusetzen“. Ganz hervorragend! Schön wäre, wenn Sie als Opposition Ihren Auftrag wahrnehmen und dann auch selber mal solche Maßnahmen hier vorschlagen. Ich weiß nicht, vielleicht kommt das ja hier noch in der zweiten Rede, ansonsten ist das aus meiner Sicht ziemlich dünn, was Sie hier beantragt haben.

Und da gilt dann aus meiner Sicht der alte Spruch: Wenn es nicht notwendig ist, einen Antrag zu beschließen, dann ist es notwendig, diesen Antrag nicht zu beschließen, weil er an sich völlig überflüssig ist. Deshalb werden auch wir Ihren Antrag ablehnen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Jürgen Strohschein, AfD)

Für die Fraktion Freie Wähler/BMV hat jetzt das Wort der Fraktionsvorsitzende Herr Wildt.

Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Über die Zahlen haben wir jetzt schon einiges gehört, auf die brauche ich im Wesentlichen nicht mehr einzugehen. Dass das Thema wichtig ist, darüber sind wir uns einig – einer der wenigen Punkte, glaube ich, bei der Debatte, wo wir uns komplett einig sind.

Eine Zahl möchte ich jetzt allerdings doch nennen, und zwar liegt der Anteil der sogenannten Gelegenheitsschwänzer an der Gesamtzahl bei 40 bis 44 Prozent. Das ist, glaube ich, noch mal eine nennenswerte Größe. Es sind also nicht alles die notorischen Dauerschwänzer oder Intensivschwänzer, sondern circa die Hälfte sind eben nur Gelegenheitsschwänzer. Ich will das damit nicht verniedlichen, aber es ist auch gerade schon gesagt worden, bei 5.000 Schulschwänzern gibt es auch 5.000 Gründe, und bei den Gelegenheitsschwänzern liegen diese Gründe eben noch mal anders geartet als bei den Intensivschwänzern.

Die Gründe für den Anstieg des Schulschwänzens liegen in der Zunahme von individuellen familiären, aber auch psychischen Problemen von Kindern und Jugendlichen, und dabei handelt es sich um einen bundesweiten Trend. Das ist also kein Thema, was wir nur hier in MecklenburgVorpommern haben, sondern wir haben es tatsächlich bundesweit. Das könnte vielleicht mit dem Auslaufen des Bundesprogrammes „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ zusammenhängen, denn das war ja auch ein Bundesprogramm, aber das wäre dann doch erst mal zu beweisen, und ich würde mir von Frau Oldenburg wünschen – ich weiß nicht, ob sie noch mal redet –, dass sie dieses Programm dann vielleicht mal ganz kurz vorstellt, was sie jetzt sich da genau vorstellt, was da noch mal aufzulegen wäre,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Meine Pressemitteilung lesen!)

denn wir haben,...

Oder ich lese halt die Pressemitteilung.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Im Zuge der Schulgesetznovelle, hat sie doch gesagt.)

... denn wir haben das natürlich jetzt nicht mehr alle so im Kopf, was 2013 da mal ausgelaufen ist,

(Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

und es waren auch nicht alle schon zu dem Zeitpunkt im Landtag oder im Bundestag. Was sollen die jetzt machen, sollen die zurücktreten?

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Darum geht es ja auch nicht.)