Sehr geehrte Frau Präsidentin! Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! Es ist ja sehr weihrauchgeschwängert hier die Luft inzwischen. Niemand will natürlich bestreiten, dass MecklenburgVorpommern wie der ganze deutsche Osten in den letzten 30 Jahren eine gute Entwicklung genommen hat, und ich will auch nicht negieren, dass ich Helmut Kohl nachträglich recht gebe, wenn er damals versprochen hat, dass aus der ehemaligen DDR, aus den Hinterlassenschaften der SED, die heute als Linkspartei da wieder sitzt, blühende Landschaften geworden sind.
Damals standen die Menschen vor ungeheuren Problemen. Und wie wurden diese Probleme aufgelöst? Durch eine offene Debattenkultur. Ich kann mich da selbst noch dran erinnern, ich war ja zu jener Zeit 17, damals noch stramm links, mehr so in der Hausbesetzer...,
mehr so in der Hausbesetzerszene unterwegs in Rostock. Und damals gab es in einem dieser besetzten Häuser das Café „Trude“. Das war direkt neben der heutigen SPD-Geschäftsstelle in Rostock. Und da traf sich so alles, was seinerzeit politisch interessiert war. Und da diskutierten Konservative mit Kommunisten, da diskutierten Liberale mit grünen Umweltaktivisten, da saßen Christen neben Atheisten, Maoisten und sonst was alles. Da hat sich niemand gegenseitig beschimpft, da wurden andere Meinungen diskutiert, da wurde fair, kontrovers natürlich auch, aber sachlich darüber diskutiert, wie es mit dem Land weitergehen soll. Und diese Debattenkultur, die es damals gab, hat ohne Zweifel mit dazu beigetragen, dass sich das Land in der Tat so entwickelt hat, wie es heute hier schon beschrieben wurde.
Heute stehen wir wieder vor einer Vielzahl von Problemen. Das wird ja wohl niemand negieren wollen. Herr Kramer hat das schon alles aufgezeigt. Und wir werden aber keine Lösungen finden für diese Probleme, wenn wir nicht wieder zu dieser Debattenkultur von damals – und das sollte man doch auch aus der Wendezeit mitnehmen – zurückkehren. Heute werden Andersdenkende beschimpft, werden diffamiert, werden kriminalisiert. Es ist heute wieder so, dass die Existenzen von politisch Andersdenkenden zerstört werden, weil die Regierenden meinen, sie haben eine alternativlose Sicht der Dinge, einen einzig wahren Weg, um die Probleme zu lösen. Das wird allerdings in die Irre führen. Und deswegen mein Petitum an der Stelle: Wenn wir uns schon auch an die Situation damals erinnern, damals war es wirtschaftlich schlechter, aber wir hatten eine sehr viel bessere Diskurs- und Debattenkultur. Heute ist es genau umgekehrt, und das sollte nicht so bleiben. – Vielen Dank!
Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, begrüße ich auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schule Malchin. Herzlich willkommen hier bei uns im Landtag!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die letzten 100 Jahre der deutschen Geschichte waren hauptsächlich ein ganz dunkles Kapitel. Deutschland trägt die Schuld an zwei Weltkriegen, wir tragen die Schuld an Millionen Ermordeter, Verhungerter und Vertriebener. Auf diese Verbrechen blicken wir mit Scham und Schuld zurück. Aber unser Weg, der vor 30 Jahren begann, dieser Teil unserer Geschichte lässt uns trotz allem, was noch längst nicht erreicht ist, stolz sein, denn dieses Kapitel zeigt, dass wir gelernt haben, dass Kriege nicht zum Besseren verhelfen, dass Kriege Tod und Unheil bringen. Und es ist bewiesen, dass friedliche Lösungen von Konflikten zusammenführen und erfolgreich sind, weil sie eben kein Leben aufs Spiel setzen.
Es war der Mut der Hunderttausenden und die frühe Erkenntnis eines einzelnen Mannes, dass die Einheit friedlich eingeläutet wurde und dieser Frieden auch 30 Jahre später trotz aller Ungerechtigkeiten und Missstände noch immer bewahrt wird und keine Demokratin und kein Demokrat an diesen Grundfesten rüttelt. Danke den Frauen und Männern, die für einen friedlichen Weg in die deutsche Einheit so vehement demonstriert haben, dass das Verschweigen und die rigiden Maßnahmen des Staates es nicht geschafft haben, den Prozess der Millionen zu unterdrücken! Sie haben die Mauer zum Einsturz gebracht, die nicht nur Familien und Leben trennte, sondern die Hunderte Leben gekostet hat.
Wir danken aber nicht nur all jenen, die auf die Straße gingen, sondern auch all jenen, die uns beschützt haben und die es eben nicht zugelassen haben, dass die Gewalt die Oberhand gewinnt. Danke aber auch dem einen Mann, danke Michail Gorbatschow, dafür, dass er unserer Zeit voraus war und den Weg für eine friedliche Lösung der deutschen Teilung bereitet hat!
Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir uns Fotos angucken, alte Fotos oder auch DDR-Filme, kann man nur sagen, Mann, was war die DDR grau! Es fehlte überall an Farbe. Es fehlte ihr tatsächlich oft an Farbe, ob im übertragenen oder aber im wörtlichen Sinne, aber bunt war unser Leben trotzdem. Das konnte man nicht immer sehen, aber wir haben es gespürt. Es war bunt, weil es niemals an Zusammenhalt, an Gemeinschaft und oft auch nicht an wahrer Freundschaft fehlte. Und weil sich eben dieses soziale Miteinander, dieses Gefühl von Geborgenheit und von Zuhause nicht einmal abwickeln ließ, weil es nicht überrannt werden konnte, deshalb hat hier
So stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fest, ich zitiere: „Die sozialen und kulturellen Normen in westdeutschen Regionen haben sich durch den Zuzug“ der Ostdeutschen „offenbar verändert.“ Das bedeutet also, dass nicht hätte alles über Bord geworfen werden müssen, denn es ist dem Osten und MecklenburgVorpommern zu verdanken, dass es in Schleswig-Holstein und in Baden-Württemberg heute Kitas gibt, die nicht nur drei Stunden am Tag geöffnet haben, damit die Frau den Einkauf oder die Wäsche schafft. Sogar Bayern hat von uns in Mecklenburg-Vorpommern, von uns Frauen in Mecklenburg-Vorpommern gelernt, dass ein Kind nicht das Ende des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens ist, sondern dass alles wunderbar zusammenpasst, wenn denn die Barrieren in der Gesellschaft und vor allem in den Köpfen fallen. Einheit kann gelingen, wenn man das Miteinander stärkt, indem man aufeinander zugeht. Einheit kann gelingen, wenn man auch den Osten und uns als seine Einwohnerinnen und Einwohner ernst nimmt, verstehen will und wenn man die ostdeutschen Lebensleistungen vor und nach der Wende akzeptiert und wertschätzt.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir hatten in der DDR zwei Fernsehprogramme, außerhalb von Dresden und Umgebung, also in Mecklenburg-Vorpommern, auch einige mehr. Aber was wir immer und überall hatten, war eine lebendige Kunst und Kultur. Museen und Theater, die sich jede und jeder leisten konnte, eine kostenlose Bildung musste nicht erstritten werden, sie war selbstverständlich. Ärzte wurden hervorragend ausgebildet, sie waren keine Mangelware,
(Egbert Liskow, CDU: Das ist aber nur die halbe Wahrheit! Das ist nur die halbe Wahrheit! – Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)
sondern sie haben in ihren Praxen und in ihren Polikliniken, die 30 Jahre später als Medizinische Versorgungszentren neu erfunden wurden, gearbeitet. Warum ist das alles nicht als Mitgift in die Einheit geflossen?
Denn wenn im Großen und Ganzen von uns nicht mehr als der grüne Pfeil und das Ampelmännchen akzeptiert und übernommen wurden, müssen wir uns nicht wundern, dass auch nach 30 Jahren die Einheit noch nicht weiter vorangeschritten ist. Hier muss dringend ein Kurswechsel erfolgen, denn die Route ist nicht immer die richtige.
Aber niemand von uns darf verkennen, dass sehr, sehr viel Geld in den Osten Deutschlands geflossen ist, um die Infrastruktur zu verbessern, um den unermesslichen Sanierungsstau abzubauen, um den Städten neuen Glanz zu geben, die Straßen instand zu setzen und neue zu bauen. Niemand von uns darf verkennen, dass die DDR eine „geschlossene Gesellschaft“ war, wie Gregor Gysi es nannte. Es gab nicht zu relativierende und nicht zu rechtfertigende Einschränkungen in
der Freiheit – in der Reisefreiheit, in der Pressefreiheit, in der Meinungsfreiheit. Kein Staat darf versuchen, den freien Willen und die freie Entscheidung seiner Bürgerinnen und Bürger zu unterdrücken und zu verbieten.
Sehr geehrte Damen und Herren, verkennen dürfen wir aber auch nicht, dass wir 30 Jahre nach diesem historischen Glücksfall noch immer genügend Unglück und Ungerechtigkeiten zu verzeichnen haben, die zeigen, dass das Land nicht stark genug ist und der Kurs eben nicht immer der richtige, denn auch nach drei Jahrzehnten gibt es keine gleichen Löhne für gleichwertige Arbeit, es gibt keine gleichen Renten in Ost und West, es gibt keine gleichwertigen Lebensverhältnisse in Ost und West und auch nicht zwischen Mecklenburg und Vorpommern. Es gibt keine wirtschaftliche Angleichung und es gibt viel zu wenige Ostdeutsche in Führungspositionen des Bundes, aber auch der Landesbehörden in Mecklenburg-Vorpommern. Der Osten ist in wirtschaftlicher Hinsicht schwächer als der Westen und dabei ist Mecklenburg-Vorpommern auch noch am schwächsten.
Seit 30 Jahren hier Bummelletzter zu sein, ist auf diesem Gebiet – und ich betone: auf diesem Gebiet – weder ein Zeichen von Stärke noch von klarem Kurs.
Und wenn nun die Bundesregierung vor diesem Hintergrund wirtschaftspolitische Leuchttürme im Osten will, so kann das nicht ausreichen. Und was Leuchttürme betrifft, kann uns in Mecklenburg-Vorpommern keiner etwas vormachen, und deshalb wissen wir, dass wir nicht einige wenige Leuchttürme brauchen, sondern der ganze Osten endlich ein Leuchtturm werden muss. Derzeit flackert bei uns hin und wieder die Leuchte auf, aber die Strahlkraft für das ganze Land, für den ganzen Osten fehlt. Mehr Verantwortung des Bundes und des Landes statt Kreisgebietsreformen und Gerichtsstrukturreformen, denn überall, wo der Staat die Verantwortung in der Fläche abgibt, werden diese Regionen sich selbst überlassen. Mit dem Rückzug des Staates missachtet er auch seine Verantwortung, und dadurch geht das Theater flöten, fahren die Busse und Bahnen nicht mehr, es gibt weniger gut bezahlte Arbeitsplätze, es praktizieren viel zu wenige Ärzte, und die Menschen, die hier noch leben, fühlen sich dann abgehängt und vergessen. Wo sich der Staat verabschiedet, verabschiedet sich auch oft das Leben.
Sehr geehrte Damen und Herren, bleiben wir uns der historischen Dimension der deutschen Einheit bewusst und sorgen wir vielleicht auch wieder durch runde Tische dafür, dass nicht über die Menschen bestimmt und entschieden wird, sondern mit ihnen, damit das Leben eines zufällig in Mecklenburg-Vorpommern Geborenen und ganz bewusst Gebliebenen nicht länger anders, nicht länger schlechter bewertet wird als das eines zufällig in Bayern Geborenen und Gebliebenen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wenn man insgesamt sich die politische Situation anschaut, dann gehören wir – das ist meine tiefe Überzeugung – zu den glücklichsten Menschen der Welt. Wir werden beneidet um die deutsche Einheit 30 Jahre, den Mauerfall und 75 Jahre Frieden. Ist das nicht wunderbar, dass wir das mitgestalten durften?!
Und im Übrigen, ich bin 1989 wie Lorenz Caffier – Lorenz, ich weiß nicht ganz genau, ob du mit auf der Straße warst, aber ich glaube, ja – …
(Torsten Renz, CDU: Ja, wenn Sie ihn persönlich ansprechen, bedeutet das, Sie wollen irgendwas suggerieren! – Zuruf von Thomas Krüger, SPD)
manche haben im Übrigen hinterm Fenster geschaut, auch von der damaligen CDU, wenn ich das so sagen darf,