Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Frage 3: Regionale Integrationskonzepte für behinderte Kinder und Jugendliche in Niedersachsen?

Die Frage wird vom Abgeordneten Fasold gestellt. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 4 des Schulgesetzes bestimmt, dass Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet und erzogen werden sollen. In seiner Entschließung vom 6. September 1996 fordert der Landtag die Entwicklung einer Rahmenplanung, um die jeweils möglichen Einzelschritte sonderpädagogischer Förderung als Teil eines Gesamtkonzeptes einzuordnen und die örtlichen Erfahrungen zu bündeln.

Dieser Forderung kam im Herbst 1998 die Landesregierung mit der Vorlage einer Rahmenplanung

zur Fortführung der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach, stellt sie der Öffentlichkeit vor und erörtert das Konzept im Rahmen einer intensiven Dialogphase. Eckpunkte dieser Rahmenplanung sind die sonderpädagogische Förderung im Rahmen Regionaler Integrationskonzepte und der Ausbau der Sonderschulen zu sonderpädagogischen Förderzentren.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie vollzieht sich bisher die Entwicklung Regionaler Integrationskonzepte, und welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Sonderschulen zu?

2. Wie gestaltet sich quantitativ und qualitativ die Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung in Niedersachsen auf der Grundlage der Rahmenplanung „Lernen unter einem Dach“ nach regionaler Verteilung und öffentlicher Akzeptanz?

3. Welche Folgerungen zieht die Landesregierung aus der bisherigen Entwicklung einer integrativen und sonderpädagogischen Förderung in Niedersachsen?

Für die Landesregierung antwortet die Kultusministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass wir uns nicht nur in Dialogphasen über bestimmte Themen unterhalten, sondern auch einmal die Entwicklung und den Fortschritt in bestimmten Dingen im Landtag diskutieren.

Der regional ausgerichtete Umbau des Systems der sonderpädagogischen Förderung in Niedersachsen ist im Anschluss an die Veröffentlichung der Rahmenplanung unter dem Motto „Lernen unter einem Dach“ eingeleitet worden.

Im Regionalen Integrationskonzept wird das gesamte System der sonderpädagogischen Förderung in einer Region zusammengefasst, um allen Beteiligten, insbesondere den Eltern, eine verlässliche und langfristige Orientierung über das System der vorhandenen Hilfen zu geben und eine Planung sonderpädagogischer Maßnahmen zu ermöglichen. Dabei wird ausgewiesen, wie der gemeinsame

Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern ausgeweitet werden soll.

Bei der eingeleiteten Veränderung kann auf zweierlei zurückgegriffen werden: erstens auf die vielfältigen Erfahrungen, die mit Formen sonderpädagogischer Förderung in der allgemeinen Schule bereits seit 1977 in Niedersachsen gemacht wurden, und zweitens auf die Ergebnisse der landesweiten Dialogphase zur Rahmenplanung, die ich bereits erwähnt habe.

Bei der Realisierung der ersten Regionalen Integrationskonzepte wurden Entwicklungen aufgegriffen, die sich über einen längeren Zeitraum im Sonderunterricht für Sprachbehinderte, in der Zusammenarbeit von Grund- und Sonderschulen, in Integrationsklassen, mit mobilen Diensten und in einem Pilotprojekt zeigten.

Aufgrund der besonderen Verantwortung für den Personenkreis der betroffenen Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind behutsame, abgesicherte und damit verantwortliche Veränderungen vorzunehmen. In diesem Sinne sind die Kriterien für die Genehmigung von Regionalen Integrationskonzepten festgelegt worden, und ich meine, sie haben sich auch bewährt. Von besonderer Bedeutung sind dabei erstens die Freiwilligkeit des Umbaus, zweitens die Mitwirkung aller Beteiligten bei der Entwicklung von Konzepten, drittens die Zustimmung der beteiligten Schulen zu dem Konzept und viertens die Antragstellung durch Schulträger.

Ich muss an dieser Stelle eine Einschränkung machen, über die wir vielleicht noch diskutieren sollten: Die Zustimmung der beteiligten Schulen ist ausgesprochen schwer zu gewinnen,

(Klare [CDU]: Warum wohl?)

und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen. Von daher wird dies im Laufe der Zeit sicherlich aufgegriffen werden müssen.

Durch die Notwendigkeit, einen Konsens herzustellen, sollen die Qualität der sonderpädagogischen Förderung und die Umsetzung des Konzepts, wie gesagt, abgesichert werden.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich für die Landesregierung die Fragen wie folgt:

Zu 1: Die Entwicklung Regionaler Integrationskonzepte vollzieht sich nach einer Phase intensiver und zum Teil kontroverser Diskussionen gegen

wärtig in einem stetigen und überschaubaren Prozess. Die feststellbare pragmatische Hinwendung zu regionalen Veränderungen ist insbesondere durch die Aspekte „Freiwilligkeit“, „Konsensbildung“ und „Entwicklung von unten“ zu erklären. Fortentwicklungen sonderpädagogischer Förderung sind auch in Regionen festzustellen, in denen noch keine Regionalkonzepte eingerichtet worden sind. So werden - angeregt durch den Diskussionsprozess - landesweit in verstärktem Umfang kooperative Formen sonderpädagogischer Förderung erfolgreich eingerichtet. Im Rahmen der Integrationskonzepte übernehmen Sonderschulen die zentrale Rolle eines Förderzentrums, in dem Unterricht und Erziehung erfolgen und von dem die sonderpädagogischen Hilfen in die allgemeinen Schulen ausgehen und koordiniert werden. Die Region ist dabei durch den Einzugsbereich der Sonderschule als Förderzentrum definiert. Die in einer Region vorhandenen unterschiedlichen Sonderschultypen wirken zusammen und vernetzen sich mit Trägern anderer Maßnahmen. Es bleibt aber festzustellen, dass manche Sonderschullehrkräfte aus unterschiedlichen Gründen Vorbehalte - ich habe es eben erwähnt - gegenüber dem Förderort allgemeine Schule haben. Wir werden Erfahrungen damit sammeln, wie ein Ausgleich unterschiedlicher Interessen und Sichtweisen hergestellt werden kann. Aber am Ende muss man entscheiden, ob das jetzige Verfahren in Ordnung ist.

Zu 2: Zum Schuljahresbeginn 2000/01 sind zwei vollständige Regionale Integrationskonzepte gänzlich neu eingerichtet worden, und sechs bestehende Teilkonzepte sind erweitert worden. Alle genehmigungsfähigen Anträge konnten berücksichtigt werden. Dafür wurden 17 Sonderschullehrerstellen bereitgestellt. Es gibt landesweit eine Vielzahl von Arbeitskreisen und Initiativen, in denen Konzepte entwickelt und diskutiert werden, sodass zum nächsten Schuljahr mit weiteren Anträgen auf Neueinrichtung und Erweiterung gerechnet werden kann. Entwicklungen sind dabei abhängig von den vorhandenen sonderpädagogischen Angeboten, den regionalen Schwerpunktsetzungen und den notwendigen individuellen Engagements und Initiativen. Es zeichnet sich ab, dass sich vorhandene Unterschiede in den Bezirken bei der Anzahl der Regionalen Integrationskonzepte ausgleichen.

Es wird deutlich, dass die öffentliche Akzeptanz für den Umbildungsprozess wesentlich von dem Gelingen der Regionalen Integrationskonzepte beeinflusst wird. Besondere Unterstützung erfährt dieser Prozess durch die Elternschaft - das muss

man hier feststellen -, die aber zugleich auf der Sicherung vorhandener sonderpädagogischer Standards besteht.

Zu 3: Die Diskussion um die Einrichtung Regionaler Integrationskonzepte eröffnete die Möglichkeit, den Umbau des Vorhandenen auch mit Teilkonzepten zu beginnen. Die Anträge auf Weiterführung genehmigter Teilkonzepte im letzten und in diesem Jahr zeigen u. a. auf, dass der eingeschlagene Weg von den Beteiligten als sinnvoll und verantwortbar eingeschätzt wird. Auf der Grundlage der Erfahrungen mit der Entwicklung und der Umsetzung der ersten Konzepte wird die Landesregierung die Einrichtung von Regionalkonzepten unter den gegebenen Voraussetzungen und Bedingungen weiterhin fördern und zulassen sowie durch Beratung unterstützen. - Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Gibt es dazu Zusatzfragen? - Herr Klare!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, in einem Teil des Konzepts ist vorgesehen, Schüler, die heute in einer - um die alten Begriffe zu verwenden - Schule für Lernbehinderte, in einer Schule für Sprachbehinderte und in einer Schule für Verhaltensgestörte beschult werden, demnächst in einer Grundschulklasse mit beschult werden, und zwar bei einem Ansatz von durchschnittlich zwei Förderstunden. Können Sie mir sagen, durch welches der bis jetzt umgesetzten Konzepte dies insgesamt so abgewickelt wird, d. h. alle drei Schülergruppen integrativ in einer Grundschulklasse beschult werden?

Frau Jürgens-Pieper!

Insbesondere die neuen genehmigten Konzepte beziehen sich darauf. Dabei wird gleichsam so getan - darüber haben wir uns schon lange gestritten, Herr Klare -, als ob der sonderpädagogische Förderbedarf möglichst schon vor der Beschulung bzw. unmittelbar am Tage der Einschulung feststehe. Uns geht es darum, gleich am Anfang, rechtzeitig, und zwar mit diesen Stunden, die Sie er

wähnt haben, alle betreffenden Kinder zu erkennen und zu fördern. Wenn die Feststellung des tatsächlichen sonderpädagogischen Förderbedarfs über dieses Maß hinausgeht, das wir in der Eingangsstufe haben, dann müssen selbstverständlich weitere Maßnahmen greifen.

Frau Vockert!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund des § 4 - Integrationsklassen frage ich die Ministerin, wie sie damit umgeht, dass im Kultusausschuss des Landtags jede Petition, in der es um die Einzelförderung in einer Integrationsklasse geht, zurückgewiesen wird mit der Begründung, dass die dafür notwendigen Finanzmittel nicht zur Verfügung gestellt werden.

(Zustimmung von Frau Körtner [CDU])

Frau Ministerin!

Frau Vockert, ich habe jetzt keinen Überblick über alle Petitionen, die in den letzten Monaten dazu eingegangen sind.

(Frau Vockert [CDU]: Die sind alle i- dentisch!)

Mir ist gesagt worden, dass nicht alle Petitionen, in denen es um I-Klassen geht, abgewiesen worden sind. Wir lehnen die Genehmigung von I-Klassen ja auch nicht im Grundsatz ab, sondern wir prüfen nach dem Schulgesetz, wie das darin auch vorgesehen ist - dieses Verfahren ist auch höchstrichterlich bestätigt worden -, ob die personellen und sächlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, und dann wird entweder genehmigt oder nicht genehmigt.

Wortmeldungen für weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Wir kommen damit zur

Frage 4: Nachfolgenutzung des Grenzdurchgangslagers Bramsche; hier: Kostenerstattung nach § 107 BSHG

Diese Frage wird gestellt von den Abgeordneten Coenen, Frau Vogelsang, Hoppenbrock und Schirmbeck. Wer bringt die Frage ein? - Herr Coenen!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Mitteilungen des Landes Niedersachsen sind die Verhandlungen zwischen dem Land Niedersachsen und dem Bund über die Nutzung der Einrichtungen in Friedland und Bramsche ab 1. Oktober 2000 inzwischen abgeschlossen.

Zur Nachfolgenutzung des Grenzdurchgangslagers Bramsche haben Gespräche zwischen dem Land Niedersachsen und Vertretern des Landkreises Osnabrück und der Stadt Bramsche stattgefunden. Hierbei wurde eine einvernehmliche Lösung im Hinblick auf einen Problembereich, nämlich die Anrechnung der Betten für die Aufnahme von Asylbewerbern auf die Aufnahmequote des Landkreises Osnabrück, gefunden. Die Sorgen und Befürchtungen des Landkreises Osnabrück bezüglich der geplanten Nachfolgenutzung des Grenzdurchgangslagers Bramsche konnten aber ansonsten nicht ausgeräumt werden.

Insbesondere die Frage der sich sehr realistisch abzeichnenden Belastungen des Landkreises Osnabrück durch Kostenerstattungsansprüche nach § 107 BSHG im Zusammenhang mit dem Wegzug aus dem Landesübergangswohnheim für Spätaussiedler und dem Wohnheim für jüdische Emigranten ist trotz ständigen Bemühens des Landkreises Osnabrück nach wie vor nicht abschließend geklärt. Zwar hat Herr Innenminister Bartling auf eine Anfrage im Landtag am 28. Januar dieses Jahres mitgeteilt, dass das Land für die im GDL Bramsche untergebrachten Gruppen die Sozialhilfelasten übernehmen wird; gleichwohl hat das Innenministerium in einem Schreiben vom 8. Mai dieses Jahres ein Risiko für mögliche Erstattungsansprüche gegen den Landkreis Osnabrück gem. § 107 BSHG bestätigt.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie wird das Land dafür Sorge tragen, dass dem Landkreis Osnabrück im Zusammenhang mit der Nachfolgenutzung des Grenzdurchgangslagers Bramsche, insbesondere beim Wegzug aus dem Landesübergangswohnheim für Spätaussiedler und dem Wohnheim für jüdische Emigranten, keine Kosten entstehen können?

2. Bis wann wird das Land hierzu Entscheidungen treffen?