Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen müssen diese auch in anderen niedersächsischen Kommunen umgesetzt werden. Wir haben das eingefordert und fordern das heute ganz massiv ein. Selbstverständlich gehören die Präventionsräte - ich habe es eben genannt, Herr Meinhold - mit dazu. Diese Instrumente müssen mit eingebunden werden. Es kann aus unserer Sicht aber nicht sein, dass es bei diesen einigen wenigen Modellprojekten, die bereits laufen, bleibt. Viele machen es sich sehr leicht, indem sie alles auf die Präventionsräte abwälzen und damit auch die Verantwortung an der Garderobe abgeben oder in diesem Fall auf die Landespräventionsräte oder die örtlichen Präventionsräte abschieben und überhaupt nicht überprüfen, ob das am Ende durchgesetzt wird. Deshalb sind wir der Meinung, dass die Landesregierung gefordert ist.

Aus meiner Sicht kann es auch nicht angehen, dass hier einfach zur Kenntnis genommen wird, dass im Rahmen des Teilprojektes „Schulschwänzer“ 194 schriftliche Mitteilungen wegen des Verdachts einer Schulpflichtverletzung an Schulen ausgestellt werden und es in 111 Fällen Rückmeldungen gibt. In 111 Fällen wird also reagiert - in Form einer Eintragung in das Klassenbuch bis hin zum Schulverweis. In den 83 Fällen aber wird überhaupt nichts gemacht. Die Landesregierung nimmt das zur Kenntnis. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage meines Kollegen Biallas deutlich hervor. Das wird uns mit Sicherheit auch noch im Ausschuss beschäftigen. Es kann nämlich nicht angehen, dass in diesem Fall einfach gesagt wird: 194 Fälle haben wir. In 111 Fällen haben die Schulen reagiert. Und wenn die Schulen in den anderen Fällen nicht reagiert haben, dann ist es eben so. - Das ist kein konsequentes Handeln dieser Landesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie, meine Damen und Herren, insbesondere Sie von der SPD, das, was eine steigende Schülerzahl macht, nicht zu, nämlich fünf gerade sein lassen. Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach! Handeln Sie, und nehmen Sie insofern auch hier Ihre Verantwortung wahr! Denn der Anfang der Stellungnahme, die Herr Bartling zu der Anfrage abgegeben hat, in der die Landesregierung uns mitteilt, dass sie dieses Problem mit Sorge zur Kenntnis nimmt, es ansonsten aber damit bewenden lässt, reicht uns nicht aus. Deshalb hoffe ich auf konstruktive Beratung im Ausschuss und auf Umsetzung unseres Antrages.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann mir schon vorstellen, dass die Beratung des Antrages in der nächsten Landtagssitzung spannender gewesen wäre. - Kollege Meinhold bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU hat es schon sehr schwer. Aus der neuesten Umfrage geht hervor: Die Bildungskompetenz wird von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes sehr deutlich der SPD zugeschrieben. Daraufhin versucht die CDU, mit einer Reihe von Themen Boden gutzumachen. Ich werde jetzt jemanden ansprechen, von dem ich eigentlich erwartet habe, dass er jetzt hier im Plenum sitzt. Es ist erstaunlich, dass aus dem gesamten Kultussektor der CDU-Fraktion bei diesem Thema nur eine Person hier anwesend ist, nämlich Frau Vockert.

Falsch!

Wer ist die Zweite?

Frau Vogelsang sitzt hier neben mir.

Oh! Entschuldigen Sie! Ich nehme das mit Bedauern zurück, Frau Vogelsang. - Herr Busemann geht durch die Landschaft und ist der Meinung, man müsse den so genannten Bummelanten unter den Lehrern mit einer Ordnungsmaßnahme kommen. Also so richtig schön populistisch.

(Vizepräsident Jahn übernimmt den Vorsitz)

Die CDU greift dann - ebenfalls in populistischer Manier - ein weiteres Thema auf, nämlich das Thema „Schule schwänzen“. Frau Vockert, wir hatten uns heute Morgen unterhalten. Ich hatte von Ihnen jetzt eigentlich einen anderen, einen erheblich ernsteren Beitrag erwartet. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie jedes Thema, das auch nur annähernd mit Bildung zu tun hat, in eine Schul

strukturdebatte umwandeln müssen, dann werden Sie - so muss ich Ihnen sagen - diesem Thema überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das hat mit dieser Frage gar nichts zu tun. Sie können Herrn Professor Pfeiffer seitenweise zitieren; das hat mit der Sache, um die es hier geht und die sehr ernst ist, aber überhaupt nichts zu tun. Das ist das eine.

Sie unterbreiten nun eine Reihe von Vorschlägen, Frau Vockert, über die man gut reden kann. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir über Ihren Antrag im Kultusausschuss sehr sorgfältig reden werden. Ich werde Ihren Antrag nicht jetzt schon ablehnen, wie ich das sonst immer so gerne tue, sondern wir werden mit Ihnen in eine konstruktive Debatte eintreten. - Vor diesem Hintergrund möchte ich jetzt auf ein paar Punkte eingehen, die ich für erwähnenswert halte.

Es ist völlig richtig, die Schulen anzuregen, Schulprogrammdebatten in Gang zu setzen. Es ist außerdem richtig, die Schulen zu ermuntern, in diesen konkreten Einzelfällen nachzugucken. Wenn es nur um einen Schüler geht, so macht es Sinn, dieses Problem hochgradig ernst zu nehmen.

(Frau Vockert [CDU]: Sehr gut!)

Von daher sind wir uns an dieser Stelle völlig einig.

Auch die so genannten Erziehungspartnerschaften werden schon an zahlreichen Schulen dergestalt praktiziert, dass zwischen den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Eltern oder den Erziehungsberechtigten derjenigen, die die Schule - aus welchen Gründen auch immer - nicht aufsuchen, sehr, sehr viele Gespräche geführt werden. Das gehört zu den Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer. Sie machen es schon. Nun kann man aber sagen, dass man alles noch besser machen kann. Okay. Der Meinung bin ich auch. Aber dieses findet schon statt.

Wenn Sie darüber hinaus von „zusätzlichen Bildungsinvestitionen“ sprechen, dann kann ich Ihnen nur sagen: An dieser Stelle hilft nicht mehr Geld, sondern man muss die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten intensivieren und stärker ins Gespräch bringen.

Sie haben ferner auf die Präventionsräte hingewiesen. Sie haben eine Antwort des Innenministers auf

eine Anfrage des Herrn Biallas bekommen. In dieser Antwort wird ausdrücklich auf mehr als 100 Präventionsräte hingewiesen, die schon gut funktionieren, weil sich in diesen Präventionsräten Bürgerinnen und Bürger entsprechend engagieren.

(Zuruf von Frau Vockert [CDU])

Die Erfolgsliste derjenigen Projekte, Frau Vockert, die in Niedersachsen gut laufen, haben Sie hier eindrucksvoll vorgetragen. Ich halte das für in Ordnung, weil man auf dieser Basis entsprechend miteinander reden kann.

(Frau Vockert [CDU]: Das sind aber zu wenig! Sind wir uns darin auch ei- nig?)

Der Hinweis darauf, dass man auch keine Angst vor dem Einsatz der Polizei haben darf, ist völlig richtig. Sie werden auch da keine Probleme kriegen. Der Punkt ist vielmehr ein anderer: Bevor eine solche Maßnahme greift, muss man vorsichtig sein, weil im Falle des Einsatzes der Polizei relativ schnell ein Eindruck von Kriminalisierung entstehen kann. Deshalb sind Gesprächskontakte und die Teilnahme der Polizei an Gesamtkonferenzen dringend notwendig. Soweit ich weiß, geschieht dies auch schon an vielen Schulen.

Die Zusammenarbeit der verschiedensten Kräfte einer Gemeinde ist richtig, ist sinnvoll und muss in einem vernünftigen abgestuften Verfahren entwickelt werden. Alle diese Dinge werden wir im Kultusausschuss erörtern.

Lassen Sie mich aber noch eines sagen: Wir dürfen bei der Diskussion nicht so tun, als würden wir die Dinge erst erfinden. In den meisten niedersächsischen Schulen gibt es in den Konferenzen schon intensive Gespräche zwischen Lehrerinnen und Lehrern einerseits sowie den Eltern andererseits. Lassen Sie sich einmal die Protokolle zeigen. Dann werden sie sehr beeindruckt sein von dem, was dort schon läuft. Aber auch die Lehrerinnen und Lehrer sind nicht mit Zauberkräften ausgestattet. Auch sie müssen sich dem mühseligen Geschäft tagtäglich neu unterziehen. Im Übrigen ist dies nicht die einzige Aufgabe, die sie zu leisten haben. Sie müssen ja auch innerhalb des Klassenverbandes entsprechende Aufgaben leisten. Darüber hinaus müssen sie andere Gespräche führen. Vor diesem Hintergrund will ich Ihnen sagen: Ihr Antrag

(Frau Pawelski [CDU]: Ist Spitze!)

wird eine würdige und ordentliche Diskussion erfahren. Bezüglich der zwei Punkte, die ich eben genannt habe - zusätzliche Bildungsinvestitionen und Schulstruktur - werden wir aber leider sagen: Das diskutieren wir an anderer Stelle und zu einer anderen Zeit. Die übrigen Punkte, die Sie hier genannt haben, wollen wir mit Ihnen allerdings gern intensiv erörtern. Ich denke, dass es an der einen oder anderen Stelle Weiterentwicklungen geben wird. Wir wollen vom Parlament aus ein Signal dahin gehend setzen, dass Schule schwänzen für uns keine Nebensächlichkeit im Bildungswesen ist. Wir wissen aber jetzt schon - und so will ich schließen -, dass die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort eine Menge tun. Deshalb darf unsere Debatte nicht als eine besserwisserische Debatte angesehen werden, sondern als eine hilfreiche und unterstützende Debatte. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Das gilt sowohl für die drei Fraktionen hier im Parlament als auch für die Frau Ministerin. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Litfin hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schule schwänzen ist in der Tat ein nicht zu vernachlässigendes Problem, auch deshalb nicht, weil es ein zunehmendes Problem ist. Schule schwänzen hat es immer gegeben. Ich denke, wir alle

(Meinhold [SPD]: Nein, ich nicht!)

- bis auf Walter Meinhold - haben in unserer Kindheit und Jugend die Schule geschwänzt. Das war ein ganz normales Phänomen. Dieses Phänomen in dieser Normalität gibt es auch heute noch. Das aber sind nicht die Fälle, über die wir uns heute auseinander setzen müssen; denn mit denen haben wir eigentlich keine Probleme. Wir werden aber massive Probleme mit denjenigen Schülerinnen und Schülern bekommen - diese Probleme nehmen zu -, die sich der Schule tatsächlich grundsätzlich entziehen. Dabei wird es insbesondere um diejenigen gehen, deren Eltern nicht ansprechbar sind. Dieses ist meiner Einschätzung nach das Riesenproblem, das auch Lehrerinnen und Lehrer haben. Sie treffen auf immer mehr Eltern, denen es piepegal ist, ob ihre Kinder in die Schule gehen oder nicht, Eltern, die nicht ansprechbar sind, Eltern, die

ihre Kinder - weil sie nicht verantwortungsbewusst handeln können - eher noch darin unterstützen, die Schule zu schwänzen. Die Zahl derjenigen Kinder und Jugendlichen ist in den letzten Jahren gestiegen. Ich gehe davon aus, dass dies in diesem Hause unumstritten ist. Wir müssen uns um diese Kinder und Jugendlichen kümmern und uns um sie bemühen.

Einiges ist von der Kollegin Vockert und vom Kollegen Meinhold bereits gesagt worden, was ich nun aber nicht wiederholen will; denn ich meine, dass viele der inzwischen laufenden Projekte eine sehr, sehr gute Arbeit verrichten und wir sehen müssen, dass wir diese Arbeit flächendeckend über das gesamte Land hinkriegen.

Präventionsmaßnahmen sind das allerdings nicht. Es sind Maßnahmen gegen ein Problem, das massiv vorhanden ist. Es sind aber keine Maßnahmen, mit denen versucht wird, das Auftreten des in Rede stehenden Phänomens schon im frühen Vorfeld zu verhindern. Auch das dürfen wir meiner Meinung nach nicht vernachlässigen. Wir dürfen nicht nur reparieren, sondern wir müssen uns auch Gedanken über die Frage machen, ob die Schulen sowohl von ihrer räumlichen Beschaffenheit als auch von der Art und Weise her, in der in ihnen gearbeitet wird, Orte sind, in denen sich Kinder und Jugendliche wohlfühlen können und das gern tun, was sie zunächst einmal alle tun wollen, nämlich lernen. Bekommen sie aufgrund der Angebote, die ihnen unterbreitet werden, tatsächlich den Eindruck, dass dies etwas ist, was sie für die Gestaltung ihres zukünftigen Lebens brauchen, dass dies etwas ist, was sie tatsächlich interessiert? Wenn wir uns damit auseinander setzen und hier gemeinsam befriedigende Lösungen erzielen, dann haben wir tatsächlich etwas für die Prävention getan. Andernfalls doktern wir wieder nur am Problem herum, ohne dem Problem an die Wurzeln zu gehen.

Ich möchte jetzt einmal das Beispiel der Theodor W. Adorno Schule anführen, eine Hauptschule mit Orientierungsstufe in Elze, in der es vor vielen, vielen Jahren auch das Problem des Schuleschwänzens gegeben hat. Es gibt dieses Problem an dieser Schule so gut wie gar nicht mehr. Diese Schule hat ihre Arbeit radikal verändert. Sie ist eine Schule, in der die Welt, die draußen stattfindet, auch drinnen stattfindet, sie ist eine Schule, die den Kindern die Verantwortung für ihre Bildungsprozesse überträgt, die den Kindern und Jugendlichen immer wieder sagt: Das, was da stattfindet, ist euer Prozess, der auch von euch zu gestalten ist.

Und sie lässt die Kinder und Jugendlichen gestalten, bis dahin, dass sie ihnen erlaubt, den Unterricht zu verlassen, wenn sie an ihm kein Interesse mehr haben oder wenn sie für sich das Gefühl haben, dass sie eine Pause brauchen.

(Zuruf von McAllister [CDU])

- Herr McAllister, das scheint Ihnen fremd zu sein.

(McAllister [CDU]: Das ist ja wie im Landtag!)

Das verstehe ich auch ganz gut, weil wir, Sie als junger Mann und ich als nicht mehr so junge Frau, aus unserer Schulzeit etwas anderes kennen und immer dazu neigen, unsere Erfahrungen zum Maßstab zu machen. Davon sollten wir aber auch einmal Abstand nehmen.

Die Schule hat folgende Erfahrung gemacht: Die Kinder, die in immer geringerem Maße den Unterricht verlassen, verlassen nicht die Schule, sondern nutzen in der Zeit andere Angebote, die die Schule ständig macht. Sie gehen in den Schulgarten, arbeiten da, sie gehen um das Schulgebäude herum und sehen z. B., wo Farbe fehlt; manchmal fragen sie, ob noch Farbe da ist und ob sie streichen dürfen.

Es sind durchaus sinnvolle Arbeiten, die diese Kinder dann verrichten, und dabei finden auch Lernprozesse statt. Das führt dazu, dass sich die Kinder in der Schule wohlfühlen. Und wenn sie tatsächlich lernen müssen, auch gegen ihr eigenes Interesse an dem Lerngegenstand, dann sind diese Kinder und Jugendlichen sehr viel besser in der Lage, diesen Prozess auch durchzustehen und auszuhalten - weil sie sich ansonsten an ihrer Institution zu Hause fühlen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Kultusministerin JürgensPieper.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erfreut, dass die bildungspolitische Präsenz etwas zugenommen hat; Herr Meinhold, ich habe das Glück, dass jetzt auch Herr Klare da ist. Leider ist Herr Busemann immer noch nicht anwesend. Er ist