Protokoll der Sitzung vom 15.12.2000

Herr Ministerpräsident!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich diese Fragen rein rechtlich beurteilt beantworte, weil es auch rechtliche Fragen sind. Ich habe dazu auch eine politische Auffassung, die übrigens - Frau Kollegin Harms, wenn Sie mir das noch zu sagen gestatten auch mit der Frage zu tun hat, wie wir Personen behandeln, von denen wir wünschen, dass sie die NPD verlassen.

(Frau Pawelski [CDU]: Das ist genau richtig!)

Das nur dazu.

Die Antwort auf die erste Frage lautet: Ja, es hat Bemühungen insbesondere meinerseits gegeben, zu prüfen, ob wir aufgrund dieser Entwicklung überhaupt eine Chance haben - unabhängig von der Frage, ob wir es dann machen würden oder nicht -, dieses Verfahren anders zu begleiten. Das Bundespräsidialamt hat dazu die Rechtsauskünfte gegeben, die ich Ihnen bereits vorgetragen habe.

Zu der Frage der Entziehung von Orden kann ich Ihnen Folgendes sagen: Die Verleihung des Verdienstordens wird mit ihrer Bekanntgabe an den

Ausgezeichneten wirksam, also noch vor der Aushändigung! Eine Entziehung nach erfolgter Bekanntgabe ist nur in den engen Grenzen des § 4 Abs. 1 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen möglich. Auch die Rückgabe eines bereits ausgehändigten Ordens kann, wenn sie nicht freiwillig erfolgt, nur auf dem Wege über diese Vorschrift erreicht werden. Die Entziehung - ein Verwaltungsakt - erfolgt auf Anordnung des Bundespräsidenten.

Die genannte Vorschrift setzt bei der Unwürdigkeit des Ausgezeichneten an. Voraussetzung ist immer ein dem Ausgezeichneten vorwerfbares Verhalten. Als Beispielsfall für ein Verhalten, das zur Entziehung führen kann, nennt das Gesetz insbesondere das Begehen einer entehrenden Straftat. Auch anderweitig strafrechtlich bewehrtes Verhalten kann als Entziehungsgrund in Betracht kommen, ebenso ein sonstiges massives Fehlverhalten. Es muss in seiner Qualität einer entehrenden Straftat gleichkommen.

Eine Ordensentziehung stellt einen besonders schweren Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen dar, da ihn die Aberkennung der verliehenen Auszeichnung öffentlich beschädigt und damit in seiner Ehre beeinträchtigt. Bei der Ermessensentscheidung des Bundespräsidenten muss dies berücksichtigt werden. Einer Entziehung aus anderen als den in § 4 genannten Gründen, vor allem ein freier Widerruf der Verleihung, ist nicht möglich.

(Zustimmung von Möhrmann [SPD])

Vielen Dank. - Frau Kollegin Pothmer, bitte schön!

Herr Ministerpräsident, Sie haben uns hier noch einmal sehr deutlich vorgetragen, auf welchen Grundlagen diese Ordensverleihung stattgefunden hat und wie das Prozedere ist. Ich frage Sie vor diesem Hintergrund: Wie stehen Sie eigentlich zu den umfänglichen Protesten, die es trotzdem in der Bevölkerung gegeben hat, und wie bewerten Sie diese?

(Frau Pawelski [CDU]: In der Bevöl- kerung? Von einigen! Von euch! Da seid ihr hingegangen und habt Unter- schriften gesammelt!)

Herr Ministerpräsident!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will der Frage nicht ausweichen. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Ich habe großes Verständnis dafür, dass angesichts der Debatte um Rechtsradikalismus und unserer Diskussion um die NPD und deren Verbot ganz viele Menschen der Auffassung sind, dass es natürlich für niemanden nachvollziehbar ist, wenn jemand, der in irgendeinem Zusammenhang mit dieser Partei gestanden hat, von der Bundesrepublik Deutschland für seine Verdienste innerhalb seines beruflichen oder ehrenamtlichen Lebens geehrt wird. Ich habe Verständnis dafür, dass es dagegen Proteste gibt.

Aber, Frau Kollegin Pothmer, lassen Sie mich das Thema ein bisschen weiter fassen. Wir haben auf der EXPO die Veranstaltung „Aus Fremden werden Freunde“ durchgeführt, deren Einnahmenüberschüsse u. a. an eine Organisation gezahlt werden, die EXIT heißt. Das ist eine Gruppe, die sich darum bemüht, dass Jugendliche aus der rechtsradikalen Szene herausgeholt werden. Stellen Sie sich vor, das würde gelingen - es gibt übrigens Menschen, die die rechtsextreme Szene verlassen haben und sich inzwischen gegen diese Szene wehren -, und in einem solchen Fall würde jemandem 20 oder 30 Jahre später vorgeworfen werden: Du bist einmal Hospitant bei der NPD gewesen oder hast für sie kandidiert, und alles, was du bisher in deinem Leben gemacht hast, zählt nicht mehr; es zählt das, was du damals getan hast.

(Frau Harms [GRÜNE]: Der kriegt den Orden, weil er sich gegen Rechts engagiert hat!)

Ich habe eine solche Debatte in Braunschweig erlebt, weil dort ein Oberbürgermeisterkandidat angetreten ist, der wohl zwei Jahre lang in der NPD gewesen ist. Ich würde diesen Oberbürgermeisterkandidaten zwar nicht wählen oder für ihn eintreten, aber dafür gibt es andere Gründe.

(Eveslage [CDU]: Sie wählen ja auch nicht in Braunschweig! - Heiterkeit)

- Ich könnte ja umziehen. Aber, Herr Eveslage, dort sind die Mehrheiten nicht so eng, dass ich dort hinziehen müsste.

Wie gehen wir denn mit jemandem um, und wie glaubwürdig sind unsere Strategien, Leute aus der Szene herauszuholen, wenn sozusagen ein Teil einer für mich natürlich vorwerfbaren Vergangenheit dazu führt, dass jemand ein Leben lang immer wieder an den Fehler, den er begangen hat, erinnert wird und es keine Gewichtung mehr gibt? Ich kann Ihnen nicht sagen - ich sage es in aller Offenheit -, ob ich diese Ordensangelegenheit in der damaligen Situation, wenn ich es gewusst hätte, so einfach unterzeichnet hätte. Vermutlich hätte ich mich mit dem Menschen getroffen. Ich hätte mich, wenn ich gewusst hätte, dass er einmal bei der NPD gewesen ist oder für sie kandidiert hat, danach erkundigt, was aus diesem Menschen geworden ist.

Da ich das aber nicht wusste, Frau Pothmer, habe ich gar keine andere Möglichkeit gehabt, als auf der Grundlage des Gesetzes zu handeln. Ich bitte ein bisschen um Nachdenklichkeit bei der Behandlung der Frage, wie wir mit Menschen umgehen, hinsichtlich derer wir froh sind, dass sie sich später einer demokratischen Partei angeschlossen haben.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zuruf von Frau Wörmer- Zimmermann [SPD])

Ich will nur Nachdenklichkeit erzeugen. Hätte ich gewusst - das wiederhole ich -, dass er einmal für die NPD kandidiert hat, dann hätte ich mich - da können Sie sicher sein - wesentlich intensiver mit dem Fall befasst, hätte vor Ort nachgefragt und hätte wahrscheinlich den Herrn zum Gespräch eingeladen, weil ich hätte wissen wollen: Hat es diese Wandlung wirklich gegeben? - Leider ist all dies nicht mehr nachvollziehbar; das ist unser Problem

In der Öffentlichkeit ist ein fataler Eindruck entstanden. Der ist sehr schwer zu korrigieren. Insofern ist das ein höchst problematisches Verfahren gewesen. Das hat aber damit zu tun, dass uns eine bestimmte Vorinformation nicht gegeben worden ist. Die hätten wir gerne gehabt; dann hätten wir damit auch vor Ort und hier in Hannover anders umgehen können. - So weit meine hoffentlich auch politisch ausreichende Antwort.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Möllring [CDU])

Herr Kollege Schwarzenholz, Sie haben das Wort zu einer zweiten und damit letzten Zusatzfrage.

Herr Ministerpräsident, da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, möchte ich sie noch einmal wiederholen: Können Sie uns mitteilen, wie vielen ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS in Niedersachsen das Bundesverdienstkreuz - welcher Art auch immer - verliehen worden ist?

(Möllring [CDU]: Wie viele Waffen- SS-Leute waren denn in der DDR? - Zuruf von Eveslage [CDU])

Herr Ministerpräsident!

Herr Kollege Schwarzenholz, ich weiß das nicht, aber wir werden sicherlich unsere Möglichkeiten nutzen können, um zu prüfen, bei wie vielen das der Fall gewesen ist. Wenn Sie damit einverstanden sind, dann veranlasse ich das, und das Ergebnis dieser Prüfung wird Ihnen mitgeteilt werden.

(Schwarzenholz (fraktionslos): Danke!)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu dieser Frage liegen mir nicht vor. Damit ist sie erledigt.

Ich rufe jetzt auf

Frage 5: Situation im niedersächsischen Straf- und Maßregelvollzug

Sie wird von Frau Kollegin Körtner gestellt. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktuellen besonderen Vorkommnisse im Straf- und Maßregelvollzug, die in ähnlicher Weise auch in Niedersachsen des Öfteren vorgekommen sind und

erfahrungsgemäß weiter vorkommen können, sowie die bis jetzt anhaltende Diskussion über den richtigen Standort und die richtige Größe einer sozialtherapeutischen Anstalt in Niedersachsen zum Zwecke der Behandlung von Sexualstraftätern und besonders behandlungsbedürftigen Gewalttätern müssen aufgrund der Novellierung des Sexualstrafrechts zwangsläufig zur Frage führen, ob die im niedersächsischen Justizvollzug beschäftigten Fachdienste entsprechend ihrer Aus- und Vorbildung rationell und effektiv eingesetzt sind.

Nach meinen Informationen sind im niedersächsischen Justizvollzug 54 Psychologen, 50 Pädagogen, 119 Sozialarbeiter bzw. -pädagogen und 12 Sozialwissenschaftler beschäftigt. Um jede dieser 235 Stellen wurde gerungen. Nur weil weder Diagnostik noch Therapie ohne diese Fachleute möglich sind und waren, wurden immer neue Planstellen bewilligt.

Die Anzahl von 235 Fachdiensten - ohne Mediziner und Seelsorger - reicht aber immer noch nicht aus, um die untergebrachte Klientel hinreichend im Hinblick auf eine Diagnose und spätere Behandlung zu betreuen bzw. zu versorgen. Dazu bedarf es dann im Wesentlichen des Sachverstandes der bei anderen, meist staatlichen Institutionen wie z. B. Landeskrankenhäusern, Universitäten usw. beschäftigten Fachleute, Gutachter, gleicher Ausund Vorbildung. Diese Gutachter und Therapeuten werden auch aus dem Landeshaushalt bezahlt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele der im niedersächsischen Justizvollzug beschäftigten 54 Psychologen werden nicht entsprechend ihrer Aus- und Vorbildung zur Diagnostik, Behandlung und Betreuung eingesetzt?

2. Wie viele der im niedersächsischen Justizvollzug beschäftigten 54 Psychologen werden a) überwiegend mit Verwaltungs- und Leitungsaufgaben betraut, üben b) eine gutachterliche und/oder therapeutische Nebentätigkeit aus und üben c) eine sonstige Nebentätigkeit aus?

3. Wie hoch sind die Kosten für externe Gutachten und Therapien im Jahr 1999 gewesen?

Vielen Dank. - Herr Justizminister, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist mitgeteilt worden, offenbar fälschlicherweise, dass diese Frage zurückgezogen worden sei, Frau Körtner.

(Frau Körtner [CDU]: Ich weiß nicht durch wen, Herr Minister!)

Ich bin bisher davon ausgegangen, dass ich sie heute nicht beantworten müsste. Ich werde die Beantwortung gerne nachholen, aber ich bitte um Verständnis dafür, dass ich offenbar von einer falschen Annahme ausging, ich würde diese Frage heute nicht zu beantworten haben.

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich darf versuchen zu vermitteln. Es ist in der Tat so, dass auf dem Deckblatt, das mir hier zur Verfügung steht, steht, dass die Frage 5 zurückgezogen worden ist. Auf der Vorlage selber steht das nicht. Insofern sind wir auch seit geraumer Zeit etwas verwirrt, wie dieser Vorgang zustande gekommen ist. Da das weder Absicht noch sonst irgendetwas ist und ich insoweit auch für den Minister Verständnis habe: Wäre es denkbar, dass Sie sich jetzt verständigen, wie die Angelegenheit geregelt werden soll, und ich würde dann, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, die nächste Frage aufrufen? - Ich bitte um Entschuldigung. Wir wissen noch nicht, woran es gelegen hat, aber es ist jedenfalls keine Böswilligkeit. Insofern, Herr Minister, wenn Sie sich mit der Kollegin verständigen würden! Sie ist ja auch nicht unsympathisch. - Danke.

(Frau Körtner [CDU]: Darf ich eine Zwischenfrage an den Minister stel- len?)

- Nein, das geht jetzt nicht. Das geht nur, wenn die Frage aufgerufen worden ist. - Bitte, unterhalten Sie sich doch, wie Sie das regeln! Notfalls muss das in der nächsten Plenarsitzung wiederholt werden. - Vielen Dank.