Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Das heißt, die Hinweise des Landesrechnungshofs sind gut, aber sie sind pauschal leider nicht anwendbar.

(Zustimmung bei der CDU)

Jetzt hat Herr Hagenah doch noch eine weitere Zusatzfrage. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund der Widersprüchlichkeiten, die sich aus Ihrer ersten Antwort und Ihrem Redebeitrag ergeben. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie die Annahme des Landesrechnungshofs hinsichtlich der Feststellungen teilen und auch als Landesregierung teilen, dass es jährlich dieser gut 18 Millionen Euro bedürfte, um die Brücken zu erhalten. Demgegenüber haben Sie jetzt gerade auf eine Frage von mir ausgeführt, dass es Brücken gebe,

die deutlich länger als 80 Jahre hielten, sodass man nicht erhöhte Kosten aufgrund unterlassener Instandsetzung befürchten müsse.

Erstens bitte ich um eine Auflösung dieses eindeutigen Widerspruchs in Ihren Ausführungen. Nur eines von beiden kann richtig sein: Entweder teilen Sie die Auffassung des Rechnungshofs, dass 18 Millionen Euro nötig sind, oder die Brücken halten in Wirklichkeit viel länger. Dann müssten Sie weniger investieren und demzufolge eine andere Summe als Grundlage nehmen.

Zweitens bitte ich Sie um Aufklärung, ob es sich bei den Brücken, die jetzt schon so lange halten, möglicherweise um Natursteinbrücken und andere Bauwerke handelt. Diese haben, weil sie nicht in Stahlbeton ausgefertigt sind - der, wie wir heute wissen, nur eine begrenzte Lebensdauer hat -, keine Vergleichbarkeit zu unseren durchschnittlichen Ingenieurbauwerken, die aus Stahl oder Stahlbeton sind und deswegen leider nicht so lange halten wie der gute alte Naturstein.

Das waren zwei Fragen. - Herr Minister, bitte!

(Jens Nacke [CDU]: Wenn Sie das als Architekt nicht selbst wissen!)

Sehr geehrter Herr Hagenah! Das ist zunächst einmal keine Frage für Architekten, sondern eine Frage für Juristen. Ich habe in meiner Eingangsbemerkung gesagt, dass ich grundsätzlich die Hinweise des Landesrechnungshofs teile und ihnen dem Grunde nach zustimme. Das heißt, nicht alles, was vom Landesrechnungshof formuliert und dargelegt worden ist, wird von uns geteilt. Denn es ist in der Tat so, dass die pauschalen Hinweise vom tatsächlichen Leben auf der Straße bzw. unter der Brücke manchmal ein wenig abweichen.

Lassen Sie mich ein Beispiel dafür anführen, warum man anders vorgeht: Stellen Sie sich eine Brücke vor, deren schlechter Zustand festgestellt worden ist, beispielsweise ein Brückenbauwerk, das in dem Zeitraum 1955 und Folgejahre erstellt worden ist. Es kann sich dabei um eine Brücke handeln, die den heutigen Lasten nicht mehr standhält und den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt und die auch mit einer Erhaltungsmaßnahme nicht in die Lage versetzt werden kann, den heutigen Lasten bzw. den Lasten der Zukunft gerecht zu werden. Dann ist es manchmal auch für

den Steuerzahler richtig, in dieser Situation zunächst mit einer Lastbeschränkung zu arbeiten und danach einen kompletten Neubau vorzusehen, der in der Tat erst dann realisiert werden kann, wenn die Finanzierung, die Planung und die umweltschutzrechtlichen Dinge, wie Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, klar sind. In dieser Phase weicht das Vorgehen natürlich automatisch von dem Grundsatz ab, dass man rechtzeitig erhalten sollte, weil man ein komplett neues Bauwerk braucht, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU - Enno Hagenah [GRÜNE] lacht)

Meine Damen und Herren, jetzt liegen keine weiteren Zusatzfragen mehr vor. Wir haben damit diesen Tagesordnungspunkt beendet.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 27 aufrufe, möchte ich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf hinweisen, dass wir ungefähr 40 Minuten Vorsprung haben. Vielleicht könnte man überlegen, noch einen Punkt von heute Nachmittag auf den Vormittag vorzuziehen oder die Mittagspause zu verlängern. Ich wäre dankbar, wenn dazu eine Entscheidung getroffen würde.

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Abschließende Beratung: Barrierefreiheit auch fürs Fernsehen erreichen - Programmangebote für Hör- und Sehbeeinträchtigte ausbauen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/3057 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 16/3739 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/3767

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Der gemeinsame Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/3767 zielt auf eine Annahme des Antrags in geänderter Fassung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Behrens von der SPD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine halbe Million Menschen in Niedersachsen können wegen ihrer Hör- oder Sehbehinderung Fernsehsendungen nicht verstehen. Ihnen entgehen damit wichtige Informationen, weil die privaten wie die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Sendungen in der Regel nicht mit Untertiteln versehen oder in Gebärdensprache übersetzen. Hörfilme bzw. Audiodeskriptionen, in denen man Handlungen in Schritten beschreibt und erklärt, werden nur vereinzelt angeboten. Bei den Gehörlosen und Hörgeschädigten sind Untertitelungen und Gebärdensprachenverdolmetschung wichtig. Wir finden, das geht so nicht weiter: Wir brauchen ein Signal, um diesen Zustand abzustellen, dass eine halbe Million Menschen in Niedersachsen im Grunde genommen kein Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen können.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir finden, dass es hier zu Verbesserungen kommen muss. Wir räumen sehr gerne ein, dass sich die Fernsehsender seit Jahren darum bemühen, dieses Defizit abzustellen und barrierefreie Angebote auszubauen. Hier ist vor allem der NDR zu loben. Er beteiligt sich an der Entwicklung von neuen Diensten. Er hat sein Angebot im Bereich der Untertitel erheblich ausgebaut und baut es auch kontinuierlich aus. Wir sind aber der Meinung, dass da mehr drin sein müsste und diese Entwicklung sich zu langsam vollzieht. Wir brauchen ein Signal der Unterstützung der Bemühungen in diesem Bereich.

(Beifall bei der SPD)

Unser Antrag „Barrierefreiheit auch fürs Fernsehen erreichen - Programmangebote für Hör- und Sehbeeinträchtigte ausbauen“ hat im Grunde genommen zwei Funktionen: Wir wollten einen Überblick über die derzeitigen barrierefreien Angebote im Fernsehen in Niedersachsen bekommen. Wir haben uns vor allen Dingen mit den in Niedersachsen beheimateten Sendern beschäftigt, nämlich NDR und RTL. Außerdem wollten wir mit Ihnen gemeinsam einen politischen Impuls erzeugen, um den Ausbau der barrierefreien Angebote im Fernsehen zu beschleunigen und zu verstärken.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wir sind der Meinung, dass das nötig ist - die Verbände und Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen erwarten das von uns - und wir angesichts der neuen Struktur der neuen Rundfunkgebühren, die wir am Dienstag hier mit großer Mehrheit beschlossen haben, besonders in der Pflicht sind, weil Menschen mit Behinderungen zukünftig stärker zur Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks beitragen müssen. Ich möchte Ihnen aber auch deutlich sagen: Für die Finanzierung von barrierefreien Angeboten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind alle Menschen zuständig - die Menschen mit Behinderungen, aber auch die Menschen ohne Behinderungen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Schon im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist diese Herausforderung und Aufgabe ausdrücklich anerkannt und aufgenommen worden. Nichtsdestotrotz passiert der Ausbau nur in kleinen Schritten.

Geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben im November des vergangenen Jahres diesen Antrag eingebracht. Wir hatten dazu eine intensive und anregende Debatte im Fachausschuss. Wir hatten eine Anhörung mit Vertretern des NDR und von RTL, um uns über die Problematik beim Ausbau von barrierefreien Angeboten zu informieren. Denn das ist durchaus technisch anspruchsvoll und nur sehr komplex in die Programmgestaltung zu integrieren, und es ist natürlich mit Kosten verbunden.

Sie alle wissen, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, kurz KEF, prüft die Mittelanmeldungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Eine generelle Anerkennung von Mitteln für den Ausbau von barrierefreien Angeboten gibt es bisher nicht. Es gibt höchstens eine vage formulierte Grundsatzerklärung der KEF, die aber wenig belastbar ist, die vor allen Dingen für den NDR wenig belastbar ist, wenn er darauf den Ausbau solcher Angebote stützen möchte.

Aufgrund der Anhörung und der Gespräche im Fachausschuss und der Erkenntnisse aus diesem Prozess haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt, den wir gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und den Linken einbringen. Wir haben ihn ein bisschen modifiziert. Wir haben den Ausbau des barrierefreien Angebots klarer definiert. Wir sagen, alle Sendungen eines Tages sollen zu 60 % barrie

refrei ausgebaut werden, und zwar bis zum Jahre 2020. Das ist ein Schritt, der realisierbar ist, wie wir in der Anhörung deutlich erfahren haben. Es ist kein Schritt, der visionär in dem Sinne ist, dass er nicht zu erreichen ist, sondern das ist ein realistischer Schritt.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wenn wir uns im europäischen Umfeld umschauen, dann sehen wir, dass wir da noch Hausaufgaben machen müssen. In Großbritannien sind inzwischen 100 % der BBC-Sendungen mit Untertiteln versehen, in 6 % der Sendungen werden Dolmetscher eingeblendet. In Österreich hat man letztes Jahr eine Gesetzesnovelle für den ORF auf den Weg gebracht und sogar einen Etappenplan zum Ausbau von barrierefreien Angeboten im Fernsehen auf den Weg gebracht. Alle anderen sind in diesem Bereich sehr viel konkreter und kontinuierlicher beim Ausbau. Wir möchten mit Ihnen allen zusammen ein deutliches Zeichen dafür setzen, dass wir auch in Niedersachsen zu besseren Ergebnissen kommen.

Sie werden aber in der Vorlage sehen, dass sich die Kollegen von CDU und FDP heute nicht in der Lage sehen, diesen Antrag mit uns zu unterstützen. Ich muss Ihnen ganz offen sagen, dass diese Ablehnung für mich nach der Debatte im Ausschuss überraschend ist und dass ich sie bis heute nicht nachvollziehen kann. Die Begründungen, die uns die Kollegen genannt haben, waren für mich nicht nachvollziehbar. Im Grunde genommen gab es drei Begründungen: Man brauche noch Zeit für die Beratung. - Ich finde, das ist nach sieben Monaten der Beratung kein überzeugendes Argument. - Man wolle keine Kosten- und Gebührenerhöhung verursachen. - Das tun wir damit gar nicht, weil die KEF für Gebührenanmeldungen zuständig ist und die Gebührenermittlung im Hinblick auf den Programmauftrag des NDR durch die KEF geprüft wird. Auch damit hat die Politik aus gutem Grunde nichts zu tun. - Außerdem wird angeführt, wir wollten den Privaten Vorgaben machen. - Wenn Sie sich den Antrag anschauen, dann sehen Sie aber, dass der Antrag einen zarten Appell enthält. Wir können den privaten Sendern gar keine Vorschriften machen.

(Detlef Tanke [SPD]: Dann können Sie heute auch zustimmen!)

Aber wir wollen von ihnen natürlich auch ein deutliches Zeichen zum Ausbau der Barrierefreiheit.

Ich danke vor allen Dingen dem Bündnis 90/Die Grünen und den Linken, die mit uns zusammen heute diesen Appell tragen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP, ich finde es falsch, dass Sie diesen wichtigen Appell nicht mit unterstützen wollen und dass Sie die Anforderungen von Menschen mit Behinderungen nicht wertschätzen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich fände es fatal, wenn dieser Landtag heute mit seiner Mehrheit einen Beschluss fasst, der besagt, dass uns die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen nicht wichtig sind und uns auch die Barrierefreiheit im Fernsehen nicht wichtig ist. Das wäre wirklich ein fatales Signal. Also geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie diesem Antrag zu! Er ist wirklich von allen zu tragen, und er ist ein guter Antrag.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Helmhold das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn über 3 Millionen Menschen in Deutschland wegen einer Hör- oder Sehbehinderung Fernsehsendungen nicht verstehen können, dann muss man etwas tun. Teilhabe und Inklusion bedeuten für diese Menschen, dass auch für sie wichtige Informationen und das, was das Programmangebot für uns Sehende und Hörende bereithält, zugänglich sind.

Bei den Angeboten für diesen Personenkreis hinkt Deutschland im internationalen Vergleich erheblich hinterher. Frau Behrens hat das ausgeführt.

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich Bund und Länder in Deutschland verpflichtet, Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen entgegenzutreten.

Der gemeinsame Änderungsantrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken, der Ihnen heute zu dem Antrag der SPD-Fraktion vorliegt, fordert nicht mehr und nicht weniger als die wirklich langsame Umsetzung der Rechte dieser Menschen.

Nach einer aufschlussreichen Anhörung ist er in einigen Punkten verändert worden; Frau Behrens hat das ausgeführt. Die Zielmarke ist etwas verlängert worden, sodass sich auch die Vortragenden damit haben einverstanden erklären können. Er begrüßt - ich finde, dagegen kann man gar nichts haben -, dass es im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag eine Regelung zur Barrierefreiheit gegeben hat, und er fordert die Landesregierung auf, jährlich zu berichten, wie das vonstatten geht, also wie sich die Angebote verändern.

Meine Damen und Herren, gerade weil auch Menschen mit Behinderungen künftig - das haben wir ja gerade erst vorgestern beschlossen - einen eigenen Rundfunkbeitrag bezahlen, sofern sie nicht aus anderen Gründen von der Gebühr befreit sind, muss die Barrierefreiheit jetzt wirklich zügig ausgebaut werden: Denn man kann den Menschen mit Behinderungen nicht sagen, dass sie jetzt bezahlen müssen, und gleichzeitig die Umsetzung der Barrierefreiheit verschleppen. Das geht nicht.