Protokoll der Sitzung vom 01.07.2011

Drittens. Ich werfe Ihnen hauptsächlich vor, dass Sie dieser Sache ohne Not zustimmen, Merkel sozusagen eine Steilvorlage geben und Gorleben nicht mit in diesem Paket abhandeln, obwohl Sie immer sagen, Gorleben sei untauglich. Es bleibt im Topf. Sie werden sich wundern. Merkel wird zusammen mit Wolfram König und Röttgen darüber hinwegrauschen. Sie werden Gorleben im Topf lassen und prioritär zum Endlager ausbauen wollen. So sieht es nämlich aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Wenzel das Wort.

(Zuruf von der LINKEN)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Herzog, Ihre Schwarzseherei wird nicht eintreten. Die gestrige Entscheidung des Bundestages stellt, wie eine große Zeitung heute schreibt, eine Zäsur in der Industriegeschichte Deutschlands dar. Die gestrige Entscheidung läutet das Ende der Atomindustrie in Deutschland ein. Wir werden auch erleben, dass sich diese Branche noch mit brachialer Gewalt gegen den Verlust ihrer exorbitanten Profite wehren wird.

Der deutsche Abschaltplan endet 2022. Aber wir haben am letzten Wochenende auch ganz deutlich gesagt: Dieser Termin ist der letztmögliche für das letzte Kraftwerk.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir werden alles daransetzen, die verbleibenden Kraftwerke deutlich früher vom Netz gehen zu lassen. Daran müssen alle mitarbeiten, die das wollen.

Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass die Landesregierung die Betreiber der Restanlagen zu einer dynamischen Risikovorsorge und zu einer Nachrüstung zwingt. Dazu gab es gestern und vorgestern keinen Satz von Ministerpräsident McAllister. Vom Umweltminister hatten wir in dieser Frage ohnehin nichts erwartet.

Der neueste Stand von Wissenschaft und Technik ist der Maßstab. Das gilt nicht nur für Deutschland. Das muss europaweit und weltweit durchgesetzt werden.

Entschuldigungen sind von den Atomkonzernen nicht zu erwarten, obwohl sie uns jahrzehntelang ebenso wie viele Vertreter von Politik und Wissenschaft vorgemacht haben, dass das Restrisiko nie eintritt. Trotzdem müssen sie zur Verantwortung gezogen werden. Wir stellen die finanzielle Subventionierung der Atomkraftwerke und der Industrie grundlegend infrage. Wir wollen, dass die Versicherungsleistungen für die Restlaufzeiten deutlich erhöht werden. Wir wollen, dass die steuerfreien Rückstellungen in der Bilanz für Rückbau und für den Müll sichergestellt werden. Auch die Kosten für das Asse-Desaster kommen auf die Rechnung. Die muss diese Industrie bezahlen.

Meine Damen und Herren, der gestrige Beschluss im Bundestag war ein wichtiger Schritt. Es gab eine breite Mehrheit im Parlament. Aber es war kein Konsens, kein gesellschaftlicher Konsens.

Herr McAllister, Ihre Politik ist janusköpfig. Ihre Regierungserklärung hat unsere Aussage bestätigt: Gorleben ist politisch tot.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Können Sie das nicht ein- mal lassen?)

Jetzt gilt es, die Konsequenzen zu ziehen. Die Landesregierung muss einräumen, dass dieser Ort auch geologisch ungeeignet ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es wäre doch widersinnig, weitere Castorbehälter an einen ganz offensichtlich nicht geeigneten Ort zu bringen. Es wäre widersinnig, dort weitere Arbeiten vorzunehmen, wenn ein Neubeginn geplant ist.

Meine Damen und Herren, die 16 Bundesländer haben einstimmig eine neue gesetzlich begründete Endlagersuche und geologische Eignungskriterien gefordert. Dafür hat Ministerpräsident Kretschmann den Weg geöffnet. Er hat den Weg für eine neue Endlagersuche geöffnet. Aber nachdem Herr Kretschmann A gesagt hat, muss Herr McAllister jetzt auch B sagen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Müll aus den Atomkraftwerken wird noch einige Jahrzehnte abkühlen müssen. Diese Zeit brauchen wir für einen Neubeginn bei der Endlagerforschung. Die letzten drei Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Probleme ohne einen partei- und legislaturperiodenübergreifenden Konsens nicht zu lösen sind. Dabei darf man auch die Umweltverbände und -initiativen nicht übergehen. Jede politische Konstellation ist daran gescheitert - auch die Große Koalition. Deshalb muss es diesen Konsens in der Endlagerfrage geben. Die Linke muss sich dann überlegen, ob sie alleine stehen oder am Ende für eine Lösung kämpfen will.

(Victor Perli [LINKE]: Aber nicht für diese Lösung!)

Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen heute gemeinsam mit der SPD einen Beschlussvorschlag vorgelegt, der aus meiner Sicht der weitestgehende ist und der eine Brücke baut. Es wäre völlig unverständlich, wenn die Koalition diese Option

heute ausschlagen und im Herbst wieder den Konflikt in Gorleben suchen würde. Ein Bau- und Transportstopp ist jetzt zwingend notwendig.

Eines ist auch klar, Herr Ministerpräsident: Die sogenannte Transmutation, die Umwandlung der radioaktiven Abfälle, ist kein Weg zu ihrer Beseitigung. Das Wort ist vielmehr nur eine Metapher für die alte Welt in der Atomindustrie, für die unbegrenzte Fortschreibung der atomaren Risiken, für den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage weit gefährlicher als Wackersdorf, ohnehin nicht geeignet für bereits verglaste Abfälle, ohnehin nur so weit, wie die Fusionsforschung immer war: 50 Jahre vor einer realistischen Option.

Meine Damen und Herren, bislang war Gorleben der virtuelle Entsorgungsnachweis für alle Atomkraftwerke dieses Landes. Dieser Zusammenhang muss jetzt aufgelöst werden. Eine Unterschrift des Ministerpräsidenten würde den Stein ins Wanken bringen. Jetzt ist das Ende der Atomkraftwerke in Sicht. Aber wir müssen uns vor allzu leichtfertigen Lösungen für den Müll hüten. Alles, was oberirdisch steht, ist terroristischen Angriffen und kriegerischen Entwicklungen viel einfacher ausgesetzt. Die Asse hat gezeigt, dass unsere moderne Industriegesellschaft schon mit dem Hundertstel eines Castorbehälters überfordert sein kann. Wir müssen uns deshalb vor Lösungen hüten, die das Problem am Ende an unsere Enkel durchreichen.

Meine Damen und Herren, wir werden uns jedem Versuch, die Sicherheitskriterien aufzuweichen oder abzusenken, mit aller Kraft entgegenstemmen.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das will kein Mensch!)

Ich bitte Sie, stimmen Sie unserem Antrag zu! Machen Sie den Weg frei für einen Neubeginn bei der Endlagersuche!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Bosse.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich denke, unser Antrag, lieber Kollege Wenzel, ist nicht nur der weitestgehende, sondern auch der beste Antrag.

(Beifall bei der SPD)

Lieber Kurt Herzog, Sie haben in der Tat 2001 dagegen gestimmt, und Sie hatten auch Verbündete. Die Verbündeten waren CDU und FDP, die an der Stelle auch dagegen gestimmt haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Victor Perli [LINKE]: So ein Quatsch!)

Wir begrüßen ausdrücklich die Entscheidung der Bundesregierung, aus der Atomenergie auszusteigen - vor allem auch deswegen, weil sich der Ausstieg im Wesentlichen am rot-grünen Ausstieg von 2000 orientiert. Man muss an der Stelle aber auch sagen: Der Ausstieg der rot-grünen Bundesregierung war rechtssicher, verfassungsfest, frei von Entschädigungsleistungen und wurde nicht beklagt, meine Damen, meine Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dies muss auch für den jetzigen Ausstieg gelten. Die unter Rot-Grün angefangene Energiewende muss konsequent fortgeführt werden. Es zeigt sich nun auch, dass die von der Bundesregierung anlässlich der Atomkatastrophe in Japan in panischer Eile zusammengewerkelten Gesetzesnovellen den notwendigen Umbau unseres Energiesystems letzten Endes möglicherweise verhindern oder behindern.

Die Regierungskoalition sowohl im Bund als auch im Land läuft den rot-grünen Beschlüssen an der Stelle hinterher. Rot-Grün hat sich hier auf einen guten gemeinsamen Antrag geeinigt. Letzten Endes sind gestern wichtige, richtungweisende und auch historische Beschlüsse - insbesondere ein historischer Beschluss - gefasst worden. Die Abschaltung der ältesten Meiler ist gut für die Bundesrepublik und auch für Niedersachsen, meine Damen, meine Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber - darauf machen wir in unserem Antrag auch aufmerksam - die noch laufenden Kraftwerke dürfen wirklich nur dann betrieben werden, wenn sie stets auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik betrieben werden. An der Stelle muss völlige Transparenz herrschen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Detlef Tanke [SPD]: So ist es!)

Das Risikopotenzial muss auf den höchsten Nenner gesteigert werden.

(Ulf Thiele [CDU]: Das Risikopotenzial muss gesteigert werden?)

- Auf den geringsten Nenner gebracht werden, pardon.

Wichtig ist eine ergebnisoffene bundesweite Endlagersuche. Ich denke, an dem Punkt sind wir auch ganz dicht beieinander. Mögliche Optionen - das hat der Herr Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung ja auch deutlich gemacht -, mögliche neue Konzepte, unterschiedliche geologische Formationen müssen an der Stelle erkundet werden. Für mich persönlich scheidet aufgrund der schlechten Erfahrungen in der Asse Salz zunächst aus. Aber was ist beispielsweise mit Ton oder Granit? - Herr McAllister hat auch deutlich gemacht, dass wir natürlich auch prüfen müssen, ob eine oberirdische ganz, ganz sichere Lagerung letzten Endes möglich ist. Wir dürfen uns an der Stelle nicht treiben lassen. Ganz wichtig ist - viele andere europäische Staaten machen uns das vor - ein ganz sauberes, transparentes Verfahren. Wir müssen die Bevölkerung mitnehmen, meine Damen, meine Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mir ist sehr wohl bewusst, dass das eine Mammutaufgabe ist - keine Frage. Das erfordert einen breiten gesellschaftlichen Konsens, und natürlich ist auch eine gesetzliche Grundlage notwendig. Was an der Stelle den Antrag von Rot und Grün von Ihrem Antrag trennt, ist, dass darin nicht ein Wort zu Gorleben steht. Es steht nichts darüber drin, wie Sie mit Gorleben umgehen wollen. Zwingend notwendig sind aber bei einer neuen Endlagersuche ein sofortiger Baustopp und ein Transportstopp von Castoren nach Gorleben.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen auch, dass das zwingend notwendig ist. Herr McAllister hat das bei seiner Regierungserklärung ziemlich deutlich gesagt. Sie konnten es auch lesen. Er hat im Grunde genommen Gorleben schon den Sargnagel verpasst, meine Damen, meine Herren.

Herr Bosse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Herzog?

Später gerne, jetzt nicht. Die Zeit läuft mir sonst davon.