Protokoll der Sitzung vom 14.11.2008

Meine Damen und Herren, das kann man nicht erkennen, wenn man eine Biographie, wie sie abgedruckt ist, liest. Peter von Oertzen hat übrigens in seiner Biographie für den Landtag diese Zeit auch nicht benannt. Trotzdem ist er sehr bewusst, wie ich das vorhin geschildert habe, mit dieser Vergangenheit umgegangen.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion stimmt dem Vorschlag des Präsidenten zu, die Biographien der niedersächsischen Abgeordneten durch Wissenschaftler weiter aufarbeiten zu lassen. Ich denke, die Fraktionen werden sich einig werden können, dass das in einer Form auch politisch begleitet werden muss. Von daher glaube ich, dass wir auf einem guten Weg sind.

Meine Damen und Herren, unter der Überschrift „Wehret den Anfängen“ will ich nochmals sagen, was das entscheidende Motiv dafür ist, sich immer wieder mit dieser Geschichte zu beschäftigen. Martin Niemöller, der ja auch eine Vergangenheit hat, hat gesagt:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert, ich war ja kein Katholik.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

(Starker, lang anhaltender Beifall im ganzen Hause)

Es liegt jetzt nur noch eine Wortmeldung vor. Herr Dr. Rösler, bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke zunächst einmal auch im Namen meiner Fraktion dem Herrn Landtagspräsidenten Hermann Dinkla für diesen Vorschlag. Selbstverständlich stimmen wir seinem Vorschlag zu. Ich möchte aber zumindest erwähnen, dass dieser Vorschlag des Herrn Landtagspräsidenten nicht in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der Linksfraktion zu verstehen, sondern ein Alternativvorschlag ist, geboren aus dem Wunsch heraus, die Vergangenheit ehemaliger Landtagsabgeordneter aller Fraktionen wissenschaftlich seriös aufzuarbeiten und eben nicht politisch motiviert.

Wir haben als Partei eine ähnliche Entwicklung schon durchmachen müssen; denn - das hat Ihr Kollege Historiker nicht deutlich gemacht - in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren gab es von verschiedenen politischen Stiftungen aller Parteien Untersuchungen über die Nachkriegsvergangenheit der jeweiligen Fraktionen in den Parlamenten. Deswegen sind Ihre Ergebnisse nicht neu, nicht sensationell, sondern im Gegenteil: Wenn ein Parlament immer versucht, wenn auch nicht Spiegelbild, so doch zumindest Abbild einer Gesellschaft zu sein, dann erklärt es sich, dass sich auch in der Nachkriegsparlamentsphase das zwiespältige Abbild der Gesellschaft zumindest in Teilen in den Fraktionen widerspiegeln muss - zwiespältig, weil dort Opfer genauso wie Täter, Mitläufer oder Menschen tätig waren, die einfach nicht den Mut hatten, in einer Diktatur Widerstand zu leisten. Wir würden uns nicht erlauben, über diejenigen den Stab zu brechen, weil sie in allen Parteien vertreten waren, wobei ich trotz aller Tagespolitik auf eine Ausnahme hinweisen will: Sie waren nicht zu finden in der SPD, weil Sie - das nötigt auch meiner Fraktion Respekt ab - in Ihrer jetzt fast 145-jährigen Geschichte immer gegen totalitäre Systeme und gegen Diktaturen gekämpft haben. Deswegen findet sich das in der Tat eher in den sogenannten bürgerlichen Parteien wieder, die aber trotzdem den Versuch unternommen haben, diese Geschichte aufzuarbeiten, mit den jeweiligen personellen Konsequenzen in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren.

(Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

- Das ist ja gelungen. Das wollte ich an der Stelle zum Ausdruck bringen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich wollte das bestätigen, Herr Dr. Rösler!)

Wenn wir etwas daraus lernen wollen, dann doch das, wie schwierig es ist, den Weg aus einem totalitären System oder aus einer Diktatur heraus in eine parlamentarische Demokratie zu schaffen. Man muss lernen, wie man mit solchen Zwiespältigkeiten in Gesellschaft, Politik und Fraktionen umgehen muss. Deswegen finde ich es schon richtig, dass man sich, wenn man daraus lernen will, auch die jüngere Vergangenheit anschaut. Das soll gerade keine billige Revanche nach dem Motto, das Herr Möhrmann zutreffend dargestellt hat, sein „Wirfst du mir meine Vergangenheit vor, werfe ich dir deine Vergangenheit vor“, sondern man muss offen bereit sein, die Vergangenheit aller Abgeordneten möglichst transparent und vernünftig darzulegen; denn wenn die Menschen von uns erwarten, dass wir ihre Zukunft gestalten, dann müssen auch wir bereit sein, unsere Vergangenheit transparent offenzulegen. Deswegen wünscht sich meine Fraktion, dass man den Auftrag an das Präsidium erweitert, indem man sämtliche Biografien der Abgeordneten durchleuchtet und daraufhin überprüft, ob sie eine extremistische Vergangenheit oder totalitäre Systeme oder Diktaturen unterstützt haben oder nicht. Wir könnten uns auch gut vorstellen, dass man dafür einen engen Zeithorizont - vielleicht von einem Jahr - setzt, um dann am 9. November 2009 - 20 Jahre nach dem Mauerfall - diesen Jahrestag zum Anlass zu nehmen, gemeinsam zu diskutieren, wie man den Weg aus einer Diktatur heraus in eine parlamentarische Demokratie schaffen kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Ende der Beratung angelangt.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Zuständig ist der Ältestenrat. Wer dem so folgen kann, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das war einstimmig und ist so beschlossen worden.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Offene Hochschule - Niedersachsens Vorsprung weiter nutzen und ausbauen! - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/612

Der Antrag wird eingebracht von Frau Prüssner von der CDU-Fraktion. Frau Prüssner, ich erteile Ihnen das Wort.

(Unruhe)

- Frau Prüssner, bitte gedulden Sie sich noch einen kurzen Moment. - Die Privatgespräche dürfen jetzt draußen fortgesetzt werden. Ansonsten bitte ich um die gleiche Aufmerksamkeit wie beim letzten Tagesordnungspunkt.

Frau Prüssner, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Aufstieg durch Bildung“ hieß die Überschrift der Qualifizierungsinitiative für Deutschland im Oktober dieses Jahres in Dresden. Im Vorwort steht dort:

„Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft unseres Landes. Bildung muss deshalb auch in Zukunft oberste Priorität haben. Jedem muss - unabhängig von der Herkunft - ein bestmöglicher Start ins Leben und Aufstieg durch Bildung ermöglicht werden.“

Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten dokumentierten in Dresden dieses gemeinsame Anliegen und stellten damit die Weichen für die Zukunft. Nun sind die Ausgangslagen und auch die Bedürfnisse in der Bundespolitik in den jeweiligen Ländern unterschiedlich. Föderalismus im Bildungsbereich bewirkt Wettbewerb und Innovation wie in keinem anderen Politikfeld. Das haben wir in den letzten Tagen intensiv diskutiert.

Der im Kontext des Bologna-Prozesses erhobenen Forderung, die Hochschulen für nichttraditionelle Gruppen von Studierenden zu öffnen, haben wir in Niedersachsen bereits heute sehr viel weiter reichend entsprochen, als es in anderen Bundesländern der Fall ist. So wird das inzwischen beendete Berufsförderungsprogramm ANKOM, also die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge, von Niedersachsen weitergeführt und soll mit Beginn des neuen Haushaltsjahres 2009 in die Offene Hochschule Niedersachsen unter Beteiligung der ANKOM-Projektträger überführt werden. Unter den insgesamt elf Hochschulen, die das Programm ANKOM durchführten, waren allein vier niedersächsische Hochschulen. Dabei handelt es sich um Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Lüneburg. Die Leuphana Universität Lüneburg startete schon Anfang dieses Jahres das Modellprojekt Offene Hochschule, bei

dem auch Nichtabiturienten den Weg an die Hochschule finden können. Unser Wissenschaftsminister Stratmann sagte dort bei der Vertragsunterzeichnung: Mit der Offenen Hochschule wird nun ein weiterer Beitrag zur Verwirklichung eines europäischen Raumes des lebenslangen Lernens und zur Weiterentwicklung einer wissensbasierten Gesellschaft geleistet. Damit setzen wir in Niedersachsen erneut bundesweite Maßstäbe.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt also jetzt schon gut laufende Vorzeigemodelle in Niedersachsen. Beispielsweise die Oldenburger kooperieren meines Wissens als bundesweit einzige Hochschule mit der Industrie- und Handelskammer. Kompetenzen, die dort im Rahmen von IHK-Lehrgängen und -Ausbildungen erworben werden, werden anhand eines Punktesystems direkt übertragen. So kann sich etwa ein Industriefachwirt beispielsweise das komplette Modul Produktion für das Ausbildungsstudium anrechnen lassen. Das spart Zeit und verhindert doppelte Ausbildungen. Klasse! Vernetzung, Durchlässigkeit, Öffnungen - diese drei wichtigen Handlungsfelder für eine offene Hochschule werden hier schon praktiziert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das sind drei wichtige Handlungsfelder: Erleichterung bei Übergängen zwischen beruflicher und Hochschulbildung durch die Anrechnung von Kompetenzen, die Einbindung von Angeboten aus der Erwachsenenbildung und der Weiterbildung und die Öffnung der Hochschulen für andere Zielgruppen durch spezielle Studienangebote auch für Berufstätige. Der Zugang zur Hochschule steht heute bereits vielen offen. Die Möglichkeiten, auch berufsbegleitend zu studieren, sind allerdings bis auf einige Ausnahmen bislang sehr begrenzt. Der ständige Wechsel im Beruf und in gesellschaftlichen Prozessen macht es erforderlich, wissenschaftlich erarbeitete Inhalte und entsprechende Kompetenzen für möglichst viele Menschen überall im Lande zur Verfügung zu stellen. Die Öffnung der Hochschulen für neue Zielgruppen kann uns große Potenziale für Wissenschaft und Wirtschaft erschließen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, mit diesem Antrag wollen wir die Verzahnung von Hochschulbildung und Weiterbildung in Niedersachsen weiter voranbringen. Wir prüfen, wie wir Hochschulen, die sich als Ort des lebenslangen Lernens positionieren und

dazu mit Weiterbildungseinrichtungen kooperieren, konkret unterstützen können. Erwachsenen- und Weiterbildungseinrichtungen vermitteln schon seit langer Zeit und auch sehr erfolgreich spezifische Handlungskompetenzen wie Kommunikationstraining, Fremdsprachen und neue Technologien. Könnten solche Angebote als Module an Hochschulen angerechnet werden, ergäben sich nicht nur für die Einrichtungen, sondern insbesondere auch für ein berufsbegleitendes Studieren neue Perspektiven.

Die Aufgabe, Ressourcen von außerhalb für die Studiengänge und Weiterbildungsaufgaben fruchtbar zu machen, insbesondere hinsichtlich größerer Berufsfeldnähe, beinhaltet natürlich auch eine neue Herausforderung. Unsere Hochschulen stehen mitten im Wandlungsprozess, der durch die Bologna-Beschlüsse ausgelöst wurde. Nur mit einer deutlich erhöhten Durchlässigkeit und Flexibilität des gesamten Bildungswesens kann in Zukunft ein angemessenes Angebot an hochqualifizierten Fachkräften gewährleistet werden. Unsere Richtlinie muss deshalb heißen: Kein Abschluss ohne Anschluss.

Die Hochschulen haben dabei die Verantwortung, leistungsstarken Persönlichkeiten ein qualitätsgesichertes Studium an der Hochschule zu ermöglichen. Das Bachelor- und auch das Masterstudium sollen wesentlich dazu beitragen, dass die Studierenden aus einem Erziehungs- und Ausbildungssystem in ein Bildungssystem hineinwachsen, in dem sie zunehmend Selbstständigkeit und auch Eigenverantwortlichkeit gewinnen.

Neues Studieren bedeutet also, Fachkompetenz und Persönlichkeitsbildung neu miteinander ins Verhältnis zu bringen. Die neue Uni will Bildung durch Wissenschaft und auch die Fortsetzung eines ständigen Erziehungsprozesses im lebenslangen Lernen. Es gilt, nicht Wissen mit kürzer werdender Halbwertzeit anzuhäufen, sondern sich die Fähigkeit anzueignen, sich lebenslang die Kenntnisse verfügbar zu machen, welche gerade erforderlich sind. Wir wollen mit unserem Antrag diesen Prozess weiter voranbringen und gesetzlich abbilden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wort hat jetzt Frau Dr. Andretta von der SPDFraktion. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt diesen Antrag, zeigt er doch den Sinneswandel der CDU. Haben Sie sich noch vor einem Jahr, als wir die Öffnung der Hochschulen für Nichtabiturienten hier im Landtag zum Thema machten, jeder Diskussion verweigert, springen Sie jetzt beherzt auf den fahrenden Zug. Gut so!

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Man kann auch sagen: Sie werfen sich hinter den abgefahrenen Zug!)

Frau Kollegin Prüssner, längst pfeifen es natürlich die Spatzen von den Dächern, dass nur über eine breite Öffnung der Hochschulen die immer größer werdende Fachkräftelücke geschlossen werden kann. Erst gestern präsentierte das DIW eine Studie, wonach Deutschland im Vergleich der führenden Industrienationen weiter an Innovationskraft verloren hat. Als zentrale Schwäche Deutschlands sehen die Forscher - wie könnte es anders sein? - den Mangel an akademischem Nachwuchs.

Allein auf die Abiturienten zu setzen, reicht schon lange nicht mehr aus, und zwar aus drei Gründen:

Erstens. Die Bereitschaft der Abiturienten, nach der Schule ein Studium zu beginnen, sinkt seit Jahren, auch dank Ihrer Studiengebühren.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist nicht wahr!)