Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Enquetekommission nach § 18 a unserer Geschäftsordnung hat ja etwas Sympathisches. Das Besondere an einer Enquetekommission ist nämlich, dass außer den Abgeordneten auch Sachverständige einbezogen werden.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Weitere Sachverständige!)

- Weitere Sachverständige. Das kann manchmal helfen, die im Parlament fehlende Sachkunde zu ersetzen. Ich erinnere an die Schuldebatte von gestern. Ich hätte mir dabei die Beratung durch Sachverständige gewünscht. Vielleicht hätte dies den Regierungsfraktionen etwas auf die Sprünge geholfen. Das ist der einzige Grund, weshalb wir uns bei der Abstimmung über den Antrag der SPDFraktion enthalten werden; denn das ist das Charmante an diesem Vorschlag.

Es ist sicherlich auch vernünftig - das muss ich der SPD-Fraktion gegenüber einräumen -, Aufgaben der Landes- und Kommunalverwaltung präziser abzugrenzen, wie es die SPD-Fraktion in ihrem Antrag formuliert hat. Es ist auch vernünftig, über

die strukturelle Finanznot der Kommunen zu reden. Auch in dieser Hinsicht wären wir Ihnen gefolgt. Ebenso ist es vernünftig, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken, wie Sie es in Ihrem Antrag geschrieben haben.

Nach diesen allgemeinen Fragen, die Sie aufgeworfen haben, wird an späterer Stelle Ihres Antrags dann aber die Katze aus dem Sack gelassen. Dann sind dort Formulierungen wie: Welche Aufgaben können entfallen? Es ist auch von Aufgabenkritik die Rede. Ich bin der Meinung, da lassen Sie sich auf ein gefährliches Spiel ein. Wer so fragt, geht schon vom Ansatz her auf neoliberales Denken ein, der will die Staatsquote absenken und öffnet damit für Kürzungs- und Sparpolitik im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich die Tür.

(Beifall bei der LINKEN)

Die ursprüngliche Absicht Ihres Landesvorsitzenden Duin, die Landkreise durch Regionen zu ersetzen, schimmert nur noch am Rande durch. An einer Stelle ist auch von Regionen die Rede.

Etwas deutlicher werden Sie nur in der Begründung Ihres Antrages. Dort heißt es - ich zitiere -:

„Die Bereitschaft auf der kommunalen Ebene, sich zu größeren Gebietskörperschaften zusammenzuschließen, muss durch ein stimmiges Gesamtkonzept unterstützt werden.“

Mit anderen Worten: Sie wollen doch Druck ausüben. Nur so kann ich das verstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann Ihnen sagen, welche Position die Linke dazu vertritt: Die Linke ist vom Grundsatz her gegen größere Einheiten. Denn größere Einheiten bedeuten weniger Demokratie und Wegfall kommunaler Mandate. Die Institutionen würden anonymer, und für die Bürgerinnen und Bürger gäbe es weitere Wege, um kommunale Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Wir sind gegen eine Zwangsreform von oben. Wenn überhaupt, ist eine Reform der Großkreise - oder was auch immer Sie anstreben - nur mit Zustimmung der Bevölkerung möglich. Im Einzelfall kann ich mir eine Reform durchaus vorstellen. Sie sollte aber nur dann vorgenommen werden, wenn sie durch eine Volksabstimmung bestätigt wird.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile Herrn Kollegen Oetjen von der FDPFraktion das Wort.

Ganz herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unbestreitbar, dass die kommunale Ebene gerade in der heutigen Zeit vor großen Herausforderungen steht. Ich glaube, darüber gibt es auch hier in diesem Hause keinen Dissens.

Wir haben eine Finanzkrise, die sich natürlich auf die Steuereinnahmen des Landes und auch auf die Steuereinnahmen der Kommunen niederschlägt, sodass sich die insgesamt schwierige finanzielle Situation, die wir auf der kommunalen Ebene haben, weiter verschärfen wird.

Die Demografie ist angesprochen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten dazu ja schon eine Enquetekommission, in der wir festgestellt haben, dass das Land Niedersachsen ganz unterschiedlich strukturiert ist. Dort haben wir auch intensiv über die kommunale Ebene sowie darüber gesprochen, was staatliche Daseinsvorsorge ist. Gerade weil wir das schon diskutiert haben, brauchen wir nicht noch eine Enquetekommission, die das Ganze noch einmal auswalzt.

Im Übrigen: Allen, die denken, dass eine Enquetekommission eigentlich etwas Überparteiliches ist, empfehle ich, sich die Ergebnisse der Enquetekommission zum demografischen Wandel anzusehen. Da hat ebenso wie hier die eine Seite gegen die andere Seite gestritten und kontrovers abgestimmt. Was daran überparteilich war, ist eine ganz andere Frage.

(Johanne Modder [SPD]: Weil ihr be- stimmte Wahrheiten nicht angenom- men habt!)

Ich sage hier noch einmal für die FDP-Fraktion, dass wir uns nicht grundsätzlich gegen die sogenannte Hochzeitsprämie aussprechen. Es ist hier angesprochen worden, dass der Kollege Bode sich dazu geäußert hat. Der Kern des Ganzen ist, dass wir gesagt haben, dass wir in Zeiten der Finanzkrise, in der wir möglicherweise Einsparungen vornehmen müssen, als erstes auf ein solches Instrument verzichten würden, bevor wir beispielsweise in Bereichen wie Bildung anfangen zu sparen. Das ist alles. Wir haben uns aber nicht gegen dieses Instrument ausgesprochen. Im Gegenteil.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Ihr wollt ja noch mehr Schulden!)

Ich halte es für eine gute Idee, es zu unterstützen, wenn vor Ort Initiativen entstehen, wie sich Kommunen neu strukturieren, neu ordnen, neu sortieren können. Ich finde es sehr schade, dass sich gerade solche Landkreise wie Holzminden - SPDgeführt -, Osterode am Harz - SPD-geführt -, Northeim - SPD-geführt - gegen solche Debatten vor Ort wehren. Eigentlich ist das, was von der Landesregierung vorgeschlagen worden ist, ein guter Weg. Wir wollen es unterstützen, wenn vor Ort Initiativen entstehen.

Aber ich sage hier für die FDP-Fraktion auch ganz klar: Wir haben in den 70er-Jahren in einer sozialliberalen Koalition eine Kommunalgebietsreform auf den Weg gebracht. Damals haben gerade wir als FDP dafür richtig einen über die Mütze gekriegt, sage ich einmal so lapidar. Wir hatten damals einen FDP-Innenminister. Wir haben daraus gelernt, dass wir bei solchen Entscheidungen die Menschen vor Ort mitnehmen müssen und dass das nicht von oben verordnet werden kann. Deshalb wird es das mit der FDP nicht geben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Ich erteile Herrn Minister Schünemann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Debatte sind heute ziemlich viele Nebelkerzen geworfen worden. Damit sollten wir aufhören.

(Beifall bei der CDU)

Frau Modder, Sie haben ja recht: Es besteht Handlungsbedarf. Das wird von allen so gesehen. Wenn Handlungsbedarf besteht, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder mache ich eine Zwangsfusion, wie sie in den 70er-Jahren gemacht worden ist, oder wir beschreiten den anderen Weg, den wir gehen wollen, nämlich die moderierte Freiwilligkeit - so kann man es ja wirklich nennen. Das ist meiner Ansicht nach der einzig richtige Weg, um relativ schnell zu einem Erfolg zu kommen und gleichzeitig Akzeptanz bei den Kommunalpolitikern und in der Bevölkerung zu bekommen.

Wir haben ja nicht nur gesagt, wir wollen eine Hochzeitsprämie anbieten. Wir haben vielmehr gesagt, wir wollen einen Zukunftsvertrag mit den kommunalen Spitzenverbänden schließen. Die Gespräche sind längst angelaufen und viel weiter, als Sie glauben.

Dabei geht es zum einen darum, dass wir über eine Funktionalreform reden, darüber, ob Aufgaben vom Land auf die Landkreise, aber auch vom Landkreis auf die Gemeindeebene übertragen werden sollen. Dazu gibt es schon Vorschläge, einen Katalog des Landkreistages, aber genauso auch vom Städte- und Gemeindebund, der auch einen Katalog vorgelegt hat. Darüber müssen wir jetzt Gespräche führen.

Genauso wichtig ist es, dass wir über Bürokratieabbau reden, d. h. über Standards. Wir haben das Modellkommunengesetz auf den Weg gebracht. Ich gehe davon aus, dass wir nach der Sommerpause weitere Entscheidungen in diesem Zusammenhang treffen. Das ist meines Erachtens ein sehr wichtiger Bereich.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

In diesem Zusammenhang haben wir klar gesagt und auch in dem Kabinettsbeschluss dokumentiert: In einigen Regionen besteht Handlungsbedarf. Da haben wir uns überhaupt nicht gedrückt. Wir haben sogar die Gebiete benannt: Lüneburg, Cuxhaven, Harz, Weserbergland. Wir haben gesagt, in diesen Bereichen ist es notwendig, dass sich etwas bewegt. Wenn auf der kommunalen Ebene die Bereitschaft besteht und wir mit einem Zusammenschluss über interkommunale Zusammenarbeit hinaus zu einer Fusion kommen und dabei ein strukturell ausgeglichener Haushalt herauskommt, dann werden wir bis zu 75 % der Kassenkredite über Zins und Tilgung übernehmen. Ich glaube, das ist ein absolut faires Angebot.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bachmann?

Ich möchte erst einmal im Zusammenhang ausführen. Wenn ich den Zukunftsvertrag dargestellt habe, kann die Frage gestellt werden.

Uns ist aber auch klar, es reicht nicht, dass man ein Entschuldungsprogramm auf den Weg bringt.

Vielmehr gibt es auch strukturelle Defizite in diesem Zusammenhang. Deshalb bieten wir ressortübergreifend mit dem Wirtschaftsministerium und dem Landwirtschaftsministerium an zu prüfen: Wie können wir Verbesserungen in dieser Region erreichen? - Insofern muss ein Gesamtkonzept erstellt werden. Mehr Angebote kann man nicht unterbreiten.

Ein Letztes in diesem Zusammenhang: Es ist wichtig, dass wir moderieren, Herr Briese. Das tun wir. Wir haben im Innenministerium eine Projektgruppe unter der Leitung von Herrn Demuth eingerichtet. Er geht jetzt mit seiner Mannschaft zu den Kommunen und führt Gespräche. Genauso sind aber in der ersten Phase mittlerweile sehr viele Samtgemeinden, Einheitsgemeinden bei uns, die genau diese Beratung annehmen. Auch heute Vormittag waren schon wieder einige da, die genau diese Unterstützung, die wir anbieten, in Anspruch nehmen wollen.

Ich will überhaupt nicht verhehlen: Das ist ein anspruchsvolles Projekt, und wir sind auch in Zeitnot, weil im Jahr 2011 die Kommunalwahl stattfindet. Zu glauben, dass wir jetzt relativ schnell auch auf der Landkreisebene größere Erfolge erzielen können, ist ambitioniert, um es vorsichtig auszudrücken. Aber wenn wir unterhalb der Landkreisebene die Gemeindeebene mit Unterstützung des Landes neu ordnen, dann ist das meiner Meinung nach die beste Voraussetzung dafür, die kommunale Ebene insgesamt zu stärken.

Herr Jüttner, die Enquetekommission haben Sie doch nur deshalb vorgeschlagen, weil Sie sich in der SPD-Fraktion schlichtweg nicht einigen können, was Sie wollen. Sie wollen sich vor der Aussage drücken „Wir wollen eine Gebietsreform, wir wollen acht Regionen haben“, wie es Gabriel und andere schon vorgestellt haben. Auf der anderen Seite wollen Sie nicht zugeben, dass das Konzept der Landesregierung eigentlich völlig in Ordnung ist. Wenn ich mich davor drücken will, dann sage ich: Dann bilden wir einen Arbeitskreis und nehmen noch ein paar weitere Fachleute hinzu, und dann kommt etwas dabei heraus. - Das ist nicht der richtige Weg.

Wir wollen nicht irgendwo Fragen stellen. Wir haben vielmehr ein klares Angebot gemacht und handeln. Insofern ist das viel mutiger als all das, was in der Vergangenheit gemacht worden ist.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Nun, Herr Bachmann, zu Ihnen.

Könnte es sein, Herr Minister, dass wir ein anderes Parlamentsverständnis haben? Sie beschreiben einen Prozess, den Sie als Landesregierung allein mit den Beteiligten moderieren wollen. Unser Ansatz ist, dass der Gesetzgeber Herr des Verfahrens sein soll. Mit einer Enquetekommission bleibt das Parlament in diesem Entwicklungsprozess Herr des Verfahrens. Könnte es also sein, dass wir ein anderes Verständnis vom Volkssouverän haben?

Herr Minister!

Nein. Es ist doch völlig klar, dass das Regierungshandeln ist. Sie fordern mich ja die ganze Zeit auf, nun endlich mutiger zu sein, zu moderieren, den Prozess anzugehen. Genau das machen wir jetzt. Anschließend sagen Sie: Nun nehmen Sie sich doch lieber zurück, es soll erst einmal allgemein im Parlament darüber diskutiert werden, was überhaupt auf der kommunalen Ebene möglich ist!

Die Probleme sind doch viel größer, als Sie es jetzt darstellen. Frau Modder hat es eindeutig gesagt: Wir müssen handeln. Wir müssen die Kommunen unterstützen und können sie nicht im Regen stehen lassen. Deshalb hilft es nicht, für zwei Jahre eine Enquetekommission einzurichten. Darin sind Sie natürlich völlig frei. Ich kann nur als Innenminister für die Landesregierung sagen: Bevor darüber noch groß diskutiert wird, haben wir ein Angebot vorgelegt. Ich freue mich, dass die Kommunen es annehmen. Insofern werden wir noch in dieser Legislaturperiode auf der kommunalen Ebene sehr viel bessere Strukturen bekommen. Warten Sie ab! Das ist der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)