Protokoll der Sitzung vom 24.11.2009

Noch ist die Verordnung nicht in Kraft. Die Forderungen der angehörten Verbände gingen aber deutlich über die Regelungen des Verordnungsentwurfs hinaus und waren identisch mit dem Anliegen aller drei Oppositionsfraktionen.

Herr Schünemann, gehen Sie in sich! Sie können als Integrationsminister erst dann akzeptiert werden, wenn Sie in diesem Land nicht mehr vorrangig als Abschiebeminister tätig sind. Geben Sie humanitären Gesichtspunkten im Sinne des § 23 a des Aufenthaltsgesetzes eine Chance und beschränken Sie sich nicht darauf - wie es sich aus der Antwort auf die von unserer Kollegin Daniela Behrens dankenswerterweise gestellte Anfrage ergibt -, mit obskuren Mitteln und viel Geld Pässe zu kaufen, um Menschen abschieben zu können! Das ist eine Praxis, die meine Kollegin Polat und ich schon vor Monaten kritisiert haben, als sie in der Zentralen Anlaufstelle in Braunschweig erstmals aufgetreten ist. Das ist das wahre Gesicht dieses sogenannten Integrationsministers! Wir hoffen immer noch auf Ihre Vernunft, die gesellschaftliche Debatte zu befrieden und auch in Niedersachsen eine vernünftige Härtefallregelung Praxis werden zu lassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Frau Zimmermann das Wort. Bitte sehr!

(Zurufe: Frau Lorberg? Wo ist eigent- lich Frau Lorberg?)

Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Die Fragen und Probleme in der Arbeit der Härtefallkommission beschäftigen den Landtag nunmehr

schon über Jahre, leider aber ohne einen nennenswerten Erfolg zugunsten der Betroffenen.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das stimmt ja gar nicht!)

Künftig wird die Verordnung zwar entfristet. Bei der Frage des Antragsverfahrens gibt es ganz kleine Modifizierungen. Und es gibt kleine Änderungen bei der Feststellung des Nichtannahmegrunds. Bislang bestand bei einer feststehenden Ausweisung ein solcher Nichtannahmegrund. Künftig sollen auch diejenigen Personen, die ausgewiesen worden sind, nicht mehr sofort vom Zugang zur Härtefallkommission ausgeschlossen sein.

Meine Damen und Herren, die Grundsatzkritik bleibt im Kern erhalten. Deshalb ist der gemeinsame Antrag der Oppositionsfraktionen mit der heutigen Beratung in der Praxis gar nicht erledigt; denn weiterhin sind die Zugangshürden viel zu hoch. Das Quorum, welches benötigt wird, um einen Fall positiv zu bescheiden, ist unverändert. Somit schöpft auch die neue Verordnung des Innenministeriums die Handlungsspielräume des § 23 a des Aufenthaltsgesetzes, welches die Einsetzung einer Härtefallkommission ermöglicht, nicht aus und verhindert eine Arbeitsweise der Kommission, die den humanitären Anforderungen gerecht würde.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Wie wir bereits festgestellt haben, ist unter diesen Umständen die Härtefallkommission nicht arbeitsfähig. Sie wird so stark eingeschränkt, dass die Intention des § 23 a des Aufenthaltsgesetzes konterkariert wird.

Meine Damen und Herren, letztlich macht das unwürdige Gezerre um die niedersächsische Härtefallkommission eines ganz deutlich: Wie auch immer eine Verordnung für eine Härtefallkommission gestaltet ist, sie kann die inhumane Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union insgesamt und die darauf fußende Gesetzgebung nicht außer Kraft setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier, meine Damen und Herren, muss es einen grundsätzlichen Wandel geben, der leider mit der neuen schwarz-gelben Bundesregierung in noch weitere Ferne gerückt ist.

Meine Damen und Herren, ich möchte wiederholen, was Herr Bachmann schon zum Umgang der Koalition mit dem Gesetzentwurf der Grünen zur Einrichtung einer Härtefallkommission gesagt hat,

weil das wirklich ein Ding ist: Es spricht für sich, wie ernst Sie die parlamentarische Beratung nehmen, wenn Sie einen einstimmigen Beschluss - ja, wirklich, es war ein einstimmiger Beschluss - der Integrationskommission ablehnen bzw. ignorieren, welcher zum Inhalt hatte, dass der Ausschuss für Inneres, Sport und Integration zu dem Gesetzentwurf eine Anhörung durchführen soll. Meine Damen und Herren, das ist echt ein Klopfer!

Noch etwas: Ein Schelm, wer die heutige Abwesenheit der Kommissionsvorsitzenden, Frau Lorberg,

(Roland Riese [FDP], David McAllister [CDU] und Lothar Koch [CDU]: Die Frau ist krank! Das ist eine Frechheit! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)

mit diesem scheinbar undemokratischen Verhalten der Regierungskoalition in Verbindung bringen würde.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben sich hier schon einiges erlaubt, aber dieses Verhalten ist einfach erbärmlich. Das ist ein ganz schlechter parlamentarischer Stil.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sollte vor allem nicht zur Grundlage unserer parlamentarischen Arbeit im Landtag werden.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN - Ulf Thiele [CDU]: Den schlechten parlamentari- schen Stil haben jetzt gerade Sie be- wiesen!)

Herr Riese hat sich zu einer Kurzintervention auf den Beitrag von Frau Zimmermann gemeldet. Sie haben anderthalb Minuten, Herr Riese.

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich bin Mitglied der Integrationskommission und kann die Arbeit von Frau Lorberg dort sehr würdigen und loben. Sie bemüht sich dort um ein wunderbares Klima der Zusammenarbeit

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Sie be- müht sich!)

mit den Vertreterinnen und Vertretern nicht nur der Fraktionen des Landtages, die der Kommission angehören, sondern auch der Verbände, die sich

um die Arbeit der Kommission kümmern. An dieser Stelle die Abwesenheit einer erkrankten Kollegin in dieser Weise zu kritisieren, ist eine Unverschämtheit!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der CDU: Unverschämt- heit! Schlimm ist das! Ich würde mich schämen!)

Frau Zimmermann, Sie möchten antworten?

Bitte schön! Sie haben anderthalb Minuten.

Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Es ist doch Fakt, dass Frau Lorberg diesem Beschluss zugestimmt hat. Sie hätte in ihrer Funktion als Vorsitzende dieser Kommission im Innenausschuss dafür sorgen müssen, dass diesem Antrag Rechnung getragen wird. Ich darf ja nicht darüber reden, ob Frau Lorberg bei der Sitzung des Innenausschusses anwesend gewesen ist und dass sie anscheinend auch nicht dafür gesorgt hat, wenn sie nicht da gewesen ist, dass dieses Thema positiv beschieden wird. Deshalb muss man das hier einmal sagen dürfen!

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU)

Nächste Rednerin ist Frau Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Frau Polat!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst im Namen meiner Fraktion ausdrücklich bei allen in dieser Kommission tätigen Mitgliedern für ihre ehrenamtliche und schwierige Arbeit bedanken.

Die Kommission muss in den kommenden Monaten mit einem Vielfachen der bisherigen Eingänge rechnen. Schon jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, hat sich die Zahl der Eingaben in den letzten vier Monaten auf die Zahl der Eingänge der gesamten letzten drei Jahre summiert. Umso mehr ist es ein fataler Fehler, dass sich die Koalitionsfraktionen zum wiederholten

Male einer grundlegenden Reform dieser Kommission verweigern. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben innerhalb von zwei Jahren vier Verordnungsentwürfe hier diskutiert - drei sind gescheitert, ein vierter ist jetzt im Anhörungsverfahren. Sie müssen sich wirklich entscheiden, hier einer grundlegenden Reform zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

14 Entschließungsanträge, teilweise gemeinsame Anträge der Fraktionen, lagen dazu vor.

Vor dem Hintergrund der Realitäten brauchen wir eine handlungsfähige Härtefallkommission. Es wurde bereits gesagt - so steht es in unserem gemeinsamen Entschließungsantrag -: Diese Kommission muss dem Artikel 1 des Grundgesetzes Rechnung tragen, und die Handlungsspielräume, die uns der Bundesgesetzgeber mitgegeben hat, müssen ausgeschöpft werden, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Mit dem Auslaufen der Bleiberechtsregelung und den diversen Rückübernahmeabkommen, beispielsweise jetzt mit dem Kosovo - es ist noch nicht einmal unterschrieben und ratifiziert - und mit Syrien, droht vielen Menschen gerade in Niedersachsen die Abschiebung. In Niedersachsen leben die meisten Roma. Ähnlich viele leben in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Ähnlich verhält es sich mit Kurden aus Syrien. Hier in Niedersachsen befindet sich die größte Community deutschlandweit. Derzeit sind insgesamt 15 000 Menschen in Niedersachsen ausreisepflichtig. Allen droht quasi von heute auf morgen die Abschiebung.

Die Zahl der Härtefälle wird vor diesem Hintergrund zwangsläufig steigen. Sie brauchen sich also nicht zurückzulehnen, Herr Schünemann. Denn gerade diejenigen, die vom Bleiberecht ausgeschlossen wurden - ältere, kranke Personen, Familien mit mehreren Kindern, Menschen mit Behinderung; das zieht hier ja niemand in Zweifel -, werden die hohen Hürden der Altfallregelung, die noch bis zum Ende des Jahres läuft, und auch die Hürden der Pläne, die jetzt diskutiert werden, nicht überspringen können. Sie werden auf der Strecke bleiben. Das sind genau die Härtefälle, von denen wir sprechen. Oder sie werden in diesem menschenunwürdigen Zustand der Duldung

bleiben, oder ihnen droht die Abschiebung in eine ungewisse Zukunft.

Meine Damen und Herren, vielen Romafamilien aus dem Kosovo droht die humanitäre Katastrophe. Das sage nicht ich, sondern das sagt der Menschenrechtskommissar des Europarates. Gerade dieser Personenkreis, von dem wir sprechen, ist sehr jung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Knapp 60 % sind unter 25 Jahre alt. Ein Großteil der Kinder ist hier geboren, eigentlich alle. Das müssen wir im Parlament verantworten. Als Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen vor Ort müssen wir dann tatenlos zusehen, wenn Familien, die seit 20 Jahren in unserer Gemeinde leben, deren Kinder hier geboren sind, von heute auf morgen weg sind.

(Glocke des Präsidenten)

Zum Teil werden sie nicht einmal von den Kindertagesstätten abgemeldet, weil sie weg sind.