Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Heute Morgen haben wir über die hannoversche Umweltzone diskutiert. Die hannoversche Umweltzone, deren Nutzen für die Verminderung der Feinstaubbelastung höchst fraglich ist und viele Menschen beeinträchtigt, ist für die Grünen unverhandelbar. Eine mehrere Hundert Kilometer lange Pipeline durch Niedersachsen allerdings, die jedes Jahr Tausende und Abertausende Liter Salzlauge in die Nordsee einleiten soll, wird nicht nur hingenommen, sondern sogar gefordert. Das, meine Damen und Herren, hat mit Pragmatik nichts mehr zu tun, sondern das ist ideologische Fundamentalopposition.
(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wer- den Sie vielleicht mal zur Kenntnis nehmen, dass wir die Nordseeeinlei- tung reduzieren wollen?)
Schließlich würde eine mehrere Hundert Kilometer lange Rohrleitung durch Niedersachsen die Firma K+S aus der Verantwortung entlassen, sich um die Vermeidung von Salzeinleitungen zu bemühen. Genau dieses politische Signal möchten wir der Firma K+S ganz bewusst nicht senden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine ganze Region verbindet ihre Hoffnungen mit dem Weltnaturerbe und dem Nationalpark Wattenmeer. Ganze Wirtschaftszweige und viele Tausend Arbeitsplätze hängen mittelbar oder unmittelbar mit dem Tourismus und mit dem Naturerlebnis Wattenmeer zusammen. Eine Pipeline wäre nur eine Verlagerung des Problems von einem in ein anderes Ökosystem. Im Interesse der Meeresflora und -fauna, des Erholungswerts für die Menschen und nicht zuletzt im Interesse der vielen Tourismusbetriebe in der Region lehnen wir diese Pipeline ganz entschieden ab.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das gilt aber alles auch für Kohlekraftwerke!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte bekommt man schon den Eindruck, dass die neue „Koalition“ von CDU, Linken, FDP und SPD in Niedersachsen alles besser weiß als alle anderen Bundesländer, der Weserbund mit dem sozialdemokratischen Vorsitzenden Wedemeier, die kommunalen Vertreter aus Niedersachsen, die Umweltverbände in allen Ländern und der runde Tisch, den Sie in Ihrem Antrag übrigens nur als „sogenannten“ runden Tisch bezeichnen. Alle letztgenannten Institutionen haben sich lange und intensiv mit dem Thema beschäftigt und sich gegen Ihre Ideen ausgesprochen. Alle haben gesagt: Wir müssen der Weser schnell helfen und sie zügig wieder zu einem ökologisch wertvollen Süßwasserfluss machen, wie wir Grüne es in unserem Antrag vorgeschlagen haben. Nicht wir sind isoliert, sondern Sie sind es.
Sprechen Sie eigentlich gar nicht mit Ihren Parteifreunden in anderen Ländern? - Hessischer Rundfunk vom 16. Dezember 2009: FDP-Fraktionen in Thüringen und Hessen fordern eine Pipeline zur Nordsee.
Eine Überschrift auf der Homepage der SPD in Thüringen lautet: Nordseepipeline muss schnell kommen. - Die Bremer Bürgerschaft spricht sich mit den Stimmen der Linken, der CDU, der SPD, der FDP und der Grünen für die rasche Prüfung einer Nordseepipeline aus.
Der BUND fordert in allen Landesverbänden - Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Thüringen und Hessen - in einer Pressemitteilung vom 6. November 2009: „Nordseepipeline zügig realisieren, Weserversalzung umgehend stoppen.“
Alle Kommunen in Niedersachsen - z. B. der SPDLandrat in Holzminden und der CDU-Landrat in Göttingen - sprechen sich für eine realistische und schnelle Beendigung der Weserversalzung aus. Nur Herr Sander und anscheinend auch die niedersächsische CDU, SPD und Linke wissen es wieder einmal besser. Ihr Antrag ist reiner Verbalradikalismus ohne Substanz und ohne Folgen.
In zwei Jahren werden wir es sehen: In der Weser wird kein Kilo Salz weniger sein. Sie erweisen mit Ihrem Beschluss der Umwelt einen Bärendienst. Warum tut Herr Sander das? - Nicht weil er die Nordsee schützen will, daran hat er gar kein Interesse. Dann müsste er nämlich auch die anderen Salzeinleitungen aus der Kaliproduktion in Niedersachsen und die Kavernenspülungen stoppen, die ein viel größeres Ausmaß haben. Nein, Sie wollen K+S vor den Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro schützen, die K+S bezahlen müsste, wenn die Pipeline gebaut würde. Das ist ein billiges Spiel. Sie machen sich einen schlanken Fuß, indem Sie K+S die Ausrede dafür liefern, warum sie nichts machen müssen.
Herr Sander hat gefordert, K+S soll eine Lösung vor der Haustür finden. Das wird aufgrund Ihres Antrags auch passieren: K+S wird weiter vor der eigenen Haustür in die Werra und damit in die Weser einleiten, weil Sie sich einer vernünftigen Lösung verweigern.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Problem der Weserversalzung hat schon Generationen vor uns schwer zu schaffen gemacht. Für Niedersachsen als Anrainerland mit der längsten Strecke an der Weser und der dazugehörigen Flora und Fauna und den Einträgen aus den Flussrändern haben sich insbesondere während der deutschen Teilung erhebliche Probleme ergeben.
Meine Damen und Herren, für die Landesregierung kann ich nur sagen: Ich bin sehr dankbar, dass nach CDU und FDP auch die SPD einsichtig geworden ist. Ich darf mich besonders bei unserem Kollegen Ronald Schminke, der ein echter Fischer und Angler ist, zu den Vereinen geht und mit den Menschen an der Weser spricht, dafür bedanken, dass er Sie zur Vernunft und Einsicht gebracht hat.
Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition war von Anfang an der Meinung, dass man Kali und Salz nicht aus der Verantwortung entlassen kann, eigene Vermeidungspotenziale zu entwickeln. Allerdings ist es der Firma Kali und Salz am Anfang am runden Tisch leider gelungen, das Konzept, das sie selber entwickeln musste, in den Vordergrund zu stellen, weil sie merkte, dass eine große Gruppe von Mitgliedern des runden Tisches - auch Professor Brinckmann, der Vorsitzende - der Meinung war, dass möglichst schnell eine Pipeline gebaut und eine Machbarkeitsstudie erstellt werden sollte.
Meine Damen und Herren, wir machen ja nicht erst seit heute Kommunal- oder Landespolitik. Bei der Pipeline, die Sie heute fordern - auch wenn Sie dafür eventuell eine schon bestehende Trasse mitbeanspruchen -, fehlen Ihnen noch über 80 km, und zwar die entscheidenden 80 km, die Sie erst in einem Raumordnungsverfahren ausweisen müssten, in dessen Rahmen die einzelnen Kommunen Klagemöglichkeiten haben.
Die Pipeline ist nicht hinnehmbar. Der Weser muss sofort geholfen werden. Und wer der Weser helfen will, der muss als Erstes das Unternehmen dazu verpflichten, alle Potenziale zu nutzen. Eine Pipeline ist genau das Gegenteil, Herr Kollege Wenzel. Es ist schade, dass Sie das heute nicht auch übernommen haben. Denn jetzt haben Sie das Problem, dass wir uns hier alle einig sind. In anderen Bundesländern möchten Sie das gerne. Aber jetzt kriegen Sie auf einmal die Kurve nicht mehr. Ich verstehe das; so etwas hat es bei uns früher auch mal gegeben. Heute sind wir darin etwas besser geworden.
Daher, meine Damen und Herren, bitte ich Sie: Stärken Sie uns bei den Verhandlungen mit den anderen Ländern den Rücken. Wir wissen, dass man ökonomisch vieles fordern kann, aber wir müssen vor allem unsere Ökologie für die nachfolgenden Generationen schützen. Deshalb ist dieser Weg der Vermeidung der richtige. Ich glaube nicht, dass die Firma Kali und Salz schon am Ende ihrer Überlegungen ist. Die Kollegin Körtner hat eben plastisch dargestellt, was schon alles erfüllt worden ist. Diese Forderungen müssen wir weiterhin erheben.
blem, sondern es ist auch ein Problem, dass die Weser für Kläranlagen von Bundesländern genutzt wird, in denen dort keine Kläranlagen vorhanden sind. Wir müssen die gesamte Problematik betrachten. Dazu sind wir in Zusammenarbeit mit den anderen Bundesländern auch bereit.
Wir sind uns aber auch - das sage ich abschließend - der ökonomischen Verantwortung gegenüber den Menschen in Hessen und Thüringen bewusst. Einen entsprechenden Ausgleich müssen wir herstellen. Das wollen wir politisch auch. Aber es kann nicht sein, dass sich so ein internationales Unternehmen auf Kosten von einigen wenigen Anrainern schlanken Fußes davonmacht und den Menschen in diesem schönen Weltnaturerbe alle Probleme sozusagen vor die Füße kippt. Das kann es nicht sein. Deswegen bedanke ich mich für die Einmütigkeit und für die Unterstützung für die Landesregierung.
Frau Körtner von der CDU-Fraktion hat nach § 71 Abs. 3 um zusätzliche Redezeit gebeten. Sie haben zwei Minuten, Frau Körtner.
Herr Präsident! Herr Meyer, ich bin Anrainerin. Ich habe schon 2007 an der großen Anhörung in Kassel teilgenommen. Ich kenne die Problematik bereits seit vielen Jahren. Der BUND - Sie waren, als er dies im Umweltausschuss vorgetragen hat, sicherlich nicht da - hat gerade auf die Laugentiefkühlung und das Verdampfen gesetzt, was jetzt im Maßnahmenpaket von Kali und Salz enthalten ist. Mit beiden Maßnahmen würde sich das Volumen an schädlichem Abwasser so drastisch und deutlich verringern, dass für die dann verbleibenden Produktionswässer eine Nordseepipeline nicht mehr als sinnvoll erscheinen würde, die mit sehr hohen Kosten und sehr viel Know-how gewissermaßen für die Ewigkeit gebaut würde.
Was die riesigen Halden angeht, Herr Meyer, so nenne ich nur einmal den Umfang einer Halde. Eine Halde bei Fulda ist 1,2 km lang, fast 1 km breit und 200 m hoch. 96 Millionen m³ schädigendes Material liegen dort. Auch dies soll über die Salzlaugenpipeline sukzessive in die Nordsee geleitet werden. Das kann doch bitte nicht wahr sein!
Als Anrainerin der Weser, die dem Fluss sehr verbunden ist - ich weiß, dass die Weser über viele Flusskilometer geschädigt ist -, kämpfe ich dafür, dass keine Direkteinleitung in die Weser zustande kommt und dass wir unsere Weser ganz schnell wieder zu einem funktionierenden Ökosystem machen können.
Ebenfalls nach § 71 Abs. 3 hat Herr Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen um zusätzliche Redezeit gebeten. Sie haben anderthalb Minuten. Herr Wenzel!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Körtner, ich habe die Presseerklärung des BUND hier. Darin können Sie nachlesen, dass alle fünf Landesverbände eine einheitliche Position vertreten, wie Herr Meyer dies beschrieben hat.
Ich habe mich insbesondere deshalb noch einmal gemeldet, weil ich Herrn Sander noch etwas fragen wollte. Herr Sander, verbalradikal sind Sie immer gut. Aber in dieser Frage geht es nicht nur um Verbalradikalität, sondern auch um die Frage - wo sitzt er? -
- dort rechts steht er -, was wir tun und was vor allem Sie in den letzten zwei Jahren gegen die andauernde Salzlaugeneinleitung in die Werra getan haben. - Im Prinzip nichts. Was haben Sie gegen den öffentlich-rechtlichen Vertrag unternommen? - Nichts, außer Verbalien. Warum klagen Sie nicht gegen die im Dezember 2009 schamlos erfolgte Verlängerung der Einleitungsgrenzwerte? Sie hatten den gesamten Landtag mit einem einstimmigen Beschluss im Kreuz. Aber es ist nichts passiert. Weshalb?
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Beratung.
Der auf Annahme in einer geänderten Fassung zielende Änderungsantrag entfernt sich inhaltlich am weitesten vom ursprünglichen Antrag. Ich lasse daher zunächst über diesen Änderungsantrag abstimmen. Falls dieser abgelehnt wird, stimmen wir anschließend über die Beschlussempfehlung ab.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/2101 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das Zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt worden. Dem Änderungsantrag wurde also nicht gefolgt.