Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Kann ich davon ausgehen?

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Kein Problem!)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Unruhe)

- Herr Kollege, einen kleinen Augenblick bitte!

(Anhaltende Unruhe)

- Ich kann die Sitzung auch kurz unterbrechen. Ich möchte, dass deutlich weniger Gespräche im Plenarsaal geführt werden. Wer dringenden Gesprächsbedarf hat, kann seine Gespräche auch außerhalb des Plenarsaals führen. - Bitte, Herr Kollege Wenzel!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will insbesondere noch einmal auf die Argumente des Kollegen Försterling eingehen. Herr Försterling und auch Herr Oesterhelweg haben die Stellungnahme der SSK/ESK-Ad-hoc-Arbeitsgruppe angesprochen, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurde. Ich muss Ihnen ganz deutlich sagen: Was mich an dieser Stellungnahme von einem solchen hochrangigen Beratungsgremium der Bundesregierung wundert, ist, dass sich diese Stellungnahme in einem Ausmaß unvollständig und oberflächlich mit der Asse auseinandersetzt, wie ich es bei einem solchen Gremium kaum für möglich gehalten hätte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Stellungnahme ist offenbar am Freitag vergangener Woche auf den Server gestellt worden und seitdem öffentlich. Diese Stellungnahme enthält beispielsweise aber gar keine Aussagen zur Aktualisierung hinsichtlich des Inventars in der Asse, obwohl wir heute wissen, dass das Inventar mit ziemlicher Sicherheit deutlich größer ist, als ursprünglich deklariert. Wir wissen das anhand der Anhaltspunkte bei Plutonium und bei Tritium, aber auch wegen der Fässer, die in Geesthacht geöffnet wurden und gezeigt haben, dass die Strahlenbelastung dreitausendmal so hoch war wie deklariert.

Diese Stellungnahme enthält auch keine Aussagen zur Langzeitsicherheit der Flutung, obwohl der alte Betreiber mehr als zehn Jahre lang versucht hat, die Langzeitsicherheit dieser Strategie mit einem deutlich niedrigeren Inventar nachzuweisen. Das ist dem Helmholtz Zentrum, immerhin einer der renommiertesten wissenschaftlichen Einrichtun

gen, die wir in Deutschland haben, in über zehn Jahren nicht gelungen. Mit dieser Frage setzt sich die SSK/ESK in ihrer Stellungnahme mit keinem Wort auseinander.

Es gibt auch keine Aussage und Abschätzung bezüglich der unterschiedlichen rechtlichen Genehmigungsverfahren, die hier natürlich eine wesentliche Rolle spielen, weil wir unter Zeitdruck handeln. Wir handeln in einer Situation, in der wir nicht unendlich lange prüfen und untersuchen können. Wir haben es im Moment mit der Deadline 2020 zu tun. Das ist die Zahl, mit der im Moment alle rechnen. Das heißt, ich muss bei meiner Entscheidung natürlich auch ins Kalkül ziehen, wie lange ein bestimmtes Genehmigungsverfahren dauert.

Die Rückholung, die Wiederherstellung des alten Zustandes, erfordert keine Planfeststellungsgenehmigung mit Langzeitsicherheitsnachweis, sondern sie kann eventuell sogar unter Verzicht auf Planfeststellung durchgeführt werden, weil ja ein alter, ursprünglicher Zustand sozusagen wiederhergestellt wird. Gleichwohl bedürfen eine Konditionierungsanlage oder auch ein Zwischenlager natürlich einer Planfeststellung. Das lässt sich aber mit wesentlich geringerem Zeitaufwand bewerkstelligen.

Die SSK/ESK verwirft auch Teillösungen bzw. Untervarianten, beispielsweise die Teilräumung. Es kann ja sein, dass wir mit der Rückholung beginnen und diese fünf bis sechs Jahre lang betreiben und dann 70 bis 80 % des Mülls ausgeräumt sind, wir am Ende dann aber doch unter Zeitdruck geraten. Auch diese Variante wird von der SSK/ESK schlichtweg verworfen. Auch das ist mir unerklärlich. Stattdessen wird wieder einseitig der Flutung das Wort geredet.

Meine Damen und Herren, angesichts dessen frage ich mich: Welche Rolle spielt denn eigentlich dieses Gremium? - In diesem Gremium sitzen zum Teil Leute, die selber an der Einlagerung in der Asse beteiligt waren, die selber ganz genau wissen müssten, was in der Asse gelandet ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

In diesem Gremium sitzen auch Leute, deren Firmen, deren Unternehmen in der Asse eingelagert haben. Ich frage mich angesichts dessen wirklich, mit welchen Motiven jetzt plötzlich wieder dem alten Flutungskonzept das Wort geredet wird. Ich kann nur jedem raten, sich das einmal genau an

zugucken, wobei ich mich insbesondere auf den letzten Satz beziehe, in dem ein nachvollziehbarer, plausibler, sachgerechter und vollständiger Vergleich gefordert wird. Das ist das, was auch wir immer gefordert haben, was wir immer gewollt haben und was im letzten Jahr mit dem Optionenvergleich auch erarbeitet wurde. Ich frage mich allerdings: Wo war dieses Gremium eigentlich im letzten Jahr? Warum hat man sich mit diesen Fragen, die längst auf dem Tisch lagen, die seit Anfang des Jahres auch der Begleitgruppe der AGO und allen Beteiligten geläufig waren, nicht auseinandergesetzt? Warum hat man nicht auch früher darauf hingewiesen, dass man das eine oder andere Fass noch einmal hätte prüfen können, bevor man mit der Rückholung beginnt?

Ich kann nur jedem raten: Lassen Sie uns jetzt mit allem Ernst - es ist eine extrem schwierige Materie - darangehen, so schnell wie möglich mit der Rückholung zu beginnen. Wir wissen alle, dies ist eine Herausforderung, vor der vor uns noch niemand gestanden hat. Wir wissen um die Schwierigkeiten. Ich kann nur jeden warnen zu glauben, dass man mit einem Notfallkonzept die Flutung am Ende doch noch vollziehen kann, um vor der Nachwelt zu verbergen, was in der Asse passiert ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich erteile jetzt Herrn Kollegen Herzog von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Anfang an war klar, auch wenn es den Anwohnern anders verkauft wird, dass der in der Asse verklappte Atommüll dort auch verbleiben sollte. Dass sich die Atomindustrie freiwillig an den Sanierungskosten beteiligen wird, ist ausgeschlossen; denn ein Gewissen besitzen diese Herrschaften nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Hauptproblem bleibt deswegen, dass CDU, SPD und FDP in den verschiedensten Regierungskonstellationen diese Müllkippe wider besseres Wissen als Forschungsbergwerk deklariert haben, übrigens bis heute, wie wir gemeinsam der

Zeugenaussage von Forschungsministerin Schavan am letzten Donnerstag entnehmen konnten. Es klingelte schon in den Ohren, als sie sagte: Tja, 126 000 Fässer - das war ein bisschen zu viel.

Ob CDU und FDP einen Anteil für die Asse im Rahmen ihres angepeilten Kuhhandels zugunsten verlängerter Laufzeiten auskungeln, ist äußerst fraglich. Die Knete aus diesem Deal haben sie nämlich längst mehrmals verfrühstückt. Da träumt Ihr Ex-MdB Fromme von einem 400 Mitarbeiter starken Zentrum für Endlagerforschung, das er davon bezahlen will. Schön nah an der Asse, so findet er, Herr Langspecht, kann man sicher gleich die Rückholtechnik erforschen. Schön nah am Schacht Konrad gibt es dann viel Stoff durch Probleme im ausgebeuteten wasseranfälligen Granitbergwerk. Wie war das noch, Frau Schavan? - Das Hauptproblem von Asse ist, dass es ein ausgebeutetes Bergwerk ist.

Sie von CDU und FDP wollen den Assemüll nun ein zweites Mal versenken, auch wenn Sie damit lieber noch hinter dem bejubelten Atommüllberg halten. Morsleben hat Fromme so wie seine ganze Partei geflissentlich vergessen. Die Probleme sind dort die gleichen wie in der Asse. Einen Unterschied gibt es aber natürlich: Die Morslebener Müllkippe ließ Ihre jetzige Bundeskanzlerin noch bis vor gut zehn Jahren per Zwangsanweisung vollstopfen. Das kommt natürlich schlecht an. Die Nähe, die Fromme zu Gorleben sieht, kann er natürlich nicht wörtlich gemeint haben. Er meint wohl eher die Verwandtschaft zur Asse, was Wasserwegsamkeiten über Carnallit und Anhydrit angeht. Anstatt aber von Gorleben gleich die Finger zu lassen, wo die öffentliche Hand inzwischen 200 Millionen Euro verbuddelt hat, wollen Sie jetzt in die Vollen gehen. Das bisschen Enteignung der Landwirte über dem Salzstock 2015 sind für Sie schlechtestenfalls Kollateralirritationen. Sie ignorieren die Hinweise auf Wasser bis in die Nähe der vorgesehenen Einlagerungskammern, obwohl durch Sandeinspülungen ein entsprechender Nachweis erbracht wurde. Gleiches gilt für mögliche Wegsamkeiten durch vorhandene Frostrisse. Bei alldem glänzte übrigens Ihre Forschungsministerin im PUA am letzten Donnerstag durch absolutes Nichtwissen. „Tischlein deck dich“ aus dem dicken Portemonnaie der Atombetreiber; „Knüppel aus dem Sack“ gibt es dann im Wendland mit aufgerüstetem Versammlungsrecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Allerdings kommt eine ganze Menge Geld zusammen, das die Atomis berappen sollen; denn neben Frommes Märchen tritt der Ministerpräsident bekanntermaßen dafür ein, dass auch die AsseSanierung und vor allem der Durchbruch der erneuerbaren Energien liquide bestückt werden, bezahlt aus den Extraprofiten der Atomriesen. Herr Wulff, da müssen Sie bei den Laufzeiten wohl noch ein paar Aale drauflegen.

Apropos, der Ministerpräsident will nun endlich aus den negativen Asse-Schlagzeilen heraus. Er will hinein in das neue, saubere Atomzeitalter, und zwar offensiv, wie er betont. Wo ist aber eigentlich Ihr viel beschworener Atomreaktor der vierten Generation geblieben? - Sie erinnern sich: Das ist der Reaktor, der nicht wehtut und keinen Dreck macht. Er passt aber wohl gar nicht so richtig in das Bild der Brückentechnologie. Von einem Flug ohne Landebahn wollen Sie ja nichts mehr wissen. Eine Brücke, deren zweites Ende offen über dem Wasser hängt, ist aber auch nicht besser.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn die Atomindustrie nicht von ganzen Generationen von Politikern geschont worden wäre, wäre sie ganz anders zur Kasse gebeten worden. Bis zu 40 Milliarden Euro flossen an Subventionen und in Sackgassen und Altlasten. Wir sind lange nicht am Ende. Durch den rot-grünen Konsens wurden zudem mehr als 30 Milliarden Euro für das hausbankähnliche System der steuerfreien Rückstellungen abgesichert, ebenso die Garantie eines reibungslosen Betriebs z. B. bei Transporten, ein betreiberförderndes Strahlenschutzgesetz, das die Strahlenwirkung stark kostensenkend unterschätzt, mangelnde Abschirmung und fehlende Fallversuche für Behälter, fehlende Versicherungsabdeckung und, und, und.

Ja, wer Atommüll erzeugt, muss alles komplett und kostendeckend bezahlen, von A wie Abbau von Uran bis Z wie zukunftssichere Endlagerung. Wenn das so käme, wäre eine ganz alte Forderung der Antiatombewegung endlich erfüllt, die Atomstromer wären pleite, und zumindest die Produktion von Atomstrom wäre sehr schnell am Ende.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Försterling von der FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Wenzel, keinesfalls habe ich aus irgendwelchen Stellungnahmen der ESK oder der SSK zitiert. Ich habe aus dem „Optionenvergleich Asse - Fachliche Bewertung der Stilllegungsoptionen für die Schachtanlage Asse II“ des Bundesamtes für Strahlenschutz zitiert. Das ist der Unterschied, weil auch dort entsprechend kritische Punkte genannt werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Man darf in dieser Diskussion genau den Fehler, dem Sie, glaube ich, gerade unterliegen, eben nicht machen, dass man sagt: Wir haben jahrelang Rückholung gefordert, jetzt wird Rückholung vorgeschlagen, und jetzt führen wir das blind durch.

Zu Ihren Einlassungen zu der Frage: „Genehmigungsrecht, ja oder nein?“ muss man einmal kritisch sagen: Herr Wenzel, der Rechtsstaat gilt für alle. Es ist für mich und auch für die Menschen in der Region sehr wichtig, dass auch die Rückholung in einem Genehmigungsverfahren durch die Bürgerinnen und Bürger beklagt werden kann, die mit der Rückholung vielleicht nicht einverstanden sind, weil auch sie das Recht dazu haben müssen, wie auch alle anderen das Recht hätten haben müssen, bei einer Vollverfüllung zu sagen: Dagegen klagen wir. - Das ist der Rechtsstaat. Der gilt für alle. Das müssen wir gewährleisten. Da hoffe ich dann auch auf Ihre Unterstützung, auch wenn Ihnen die Menschen, die dagegen klagen würden, nicht so nahe sind wie andere.

Zu der Kostenfrage haben sich CDU, FDP und CSU im Koalitionsvertrag eindeutig positioniert. Von Zeile 1041 bis 1044 im Koalitionsvertrag steht ganz deutlich:

„Die Endlager Asse II und Morsleben sind in einem zügigen und transparenten Verfahren zu schließen. Dabei hat die Sicherheit von Mensch und Umwelt höchste Priorität. Die Energieversorger sind an den Kosten der Schließung der Asse II zu beteiligen.“

Ich glaube, jedem ist klar, dass es schwierig wird, durch eine gesetzliche Regelung eine finanzielle Beteiligung an Altlasten sicherzustellen, weil das Rückwirkungsverbot Schwierigkeiten bereiten wird. Ebenso schwierig wird es, eine entsprechende Steuer zu erheben, weil, wie wir alle wissen, Steuern nicht zweckgebunden sind und in den allgemeinen Bundeshaushalt fließen. Jeder weitere

Bundestag müsste sich dann daran halten, dass das Geld, das dort hereinkommt, auch hierfür ausgegeben wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist daher richtig, zu sagen: Wir treten mit den Energieversorgungsunternehmen in den Dialog. Auch ich sehe es so, dass es eine moralische Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen gibt, sich an den Kosten der Sanierung der Asse zu beteiligen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die jetzige Bundesregierung hier eine Einigung mit den Energieversorgungsunternehmen herbeiführt. Sie mögen das dann am Ende als Kuhhandel bezeichnen; das steht Ihnen natürlich frei. Aber ich glaube, dass diese Bundesregierung in der Lage ist, die Energieversorgungsunternehmen in die moralische Verantwortung zu nehmen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Ich erteile jetzt den Kollegen Oesterhelweg von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wenzel, Sie haben vorhin gesagt, wir hielten uns die Hintertür offen, um die Räumung doch noch zu verhindern. Nein, Herr Wenzel, es ist Herr König - er unterschreibt zwar nie gerne selber etwas -, der sich diese Hintertür offenhält. Die Asse-Einblicke werden vom BfS herausgegeben. Darin wird ganz deutlich, dass unvertretbar hohe Strahlenbelastungen, Standfestigkeitsstörungen und Wassereinbrüche möglich sind. Wollen Sie es dann so machen wie diejenigen, die für Asse verantwortlich sind? Wollen Sie dann sagen: „Augen zu und durch“, obwohl Sie es dann eigentlich besser wissen müssten? - Das geht mit uns mit Sicherheit nicht.