Von mir aus gerne. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Angemessenheit der Regelsätze der Grundsicherung hat die Diskussion über die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates neu entfacht. Für diese Diskussion ist es wichtig, eine offene Beschreibung der Lage vorwegzustellen. Ich will das hier wegen der Redezeitbeschränkung in der Aktuellen Stunde auf drei Punkte beschränken.
Erstens. Das jetzige System ist ungerecht und verfassungswidrig, weil die Verteilung der Mittel die wahren Bedürftigen zu wenig berücksichtigt.
Zweitens. Das jetzige System ist eher demotivierend als motivierend hinsichtlich der Aufnahme regulärer Arbeit. Die heutigen Regelungen der sogenannten Hinzuverdienstgrenzen sind eher Arbeitsgrenzen. Wir brauchen keine Grenzen, die Arbeit verhindern, sondern wir müssen diese Grenzen kippen, damit es Anreize gibt, um aus dem Transferbezug herauszukommen.
Drittens. Gerade im Bereich des Sozialgesetzbuchs II gibt es sehr viele Menschen, denen 50 oder 60 Euro im Monat mehr nicht weiterhelfen, die
vielmehr eine bessere Eingliederungsstrategie brauchen, einen besseren Weg hin zum ersten Arbeitsmarkt. Damit ist ihnen auch dauerhaft mehr geholfen als über eine einfache Erhöhung des Regelsatzes.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben alleine beim Sozialgesetzbuch II Beiträge aus der Solidargemeinschaft von rund 50 Milliarden Euro im Jahr. Nur zum Vergleich: Der gesamte Haushalt des Landes Niedersachsen liegt bei ungefähr der Hälfte. Es stellt sich aber schon die Frage, ob die Verteilung dieser Mittel wirklich bei den Bedürftigen, bei denjenigen, die unsere volle Solidarität brauchen, ausreichend ankommt. Hier gibt es offensichtlich bei der Regelung der Bemessungssätze für Kinder einen besonderen Nachbesserungsbedarf, über den wir intensiv reden müssen.
Ebenfalls müssen wir sehen, dass das gesamte System natürlich vor Probleme gestellt wird, wenn Menschen nicht wieder schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können, wenn sie ein, zwei, drei Jahre oder länger arbeitssuchend bleiben. Dann ist das für die Menschen unbefriedigend, aber natürlich auch ein Faktor für die Solidargemeinschaft, was man an Mitteln aufbringen muss. Deshalb haben wir hier Optimierungsbedarf. Wir müssen dazu kommen, dass die Anreize im System verbessert werden, damit die Menschen schneller in den Arbeitsmarkt zurückintegriert werden können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Realität ist hier nicht schwarz oder weiß. Eine einfache Aufstockung der Mittel für alle macht das System nicht gerechter. Es macht es eher für die gesamte Gesellschaft ungerechter. Deshalb kritisiere ich auch so stark die Forderung, die gerade von den Linken kommt, nämlich die Regelsätze um 500 Euro pro Person und Monat aufzustocken. Wir werden hier zu einer falschen Diskussion kommen.
Der wahre soziale Sprengstoff liegt nämlich woanders. Das ist die vergessene Mitte. Wenn der Straßenwärter, die Krankenschwester, ein Familienvater oder eine Familienmutter sagt, es lohnt sich für mich doch gar nicht mehr, arbeiten zu gehen,
dann fehlt die Bereitschaft der Mitte, die Solidarität langfristig zu gewähren. Und diese Tendenz müssen wir verhindern. Wir brauchen die volle Solidari
Meine Damen und Herren, an welchen Grundsätzen sollte ein soziales, solidarisches System aufgebaut sein? - Nun, jeder sollte durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt bestreiten können.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ursula Helmhold [GRÜ- NE]: Genau, dazu brauchen wir den Mindestlohn!)
Wenn jemand arbeitslos wird oder dessen persönliche oder familiäre Situation nicht ein entsprechendes Einkommen ermöglicht, dann muss die Solidargemeinschaft helfen. Sie muss auch in ausreichendem Maße helfen. Das ist ganz selbstverständlich.
Nun kommen wir zu dem Punkt, wie das System bisher aufgebaut ist. Bei den staatlichen Transfers gibt es keinen ausreichenden Anreiz, sukzessive, also Stückchen für Stückchen, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Es gibt Hinzuverdienstgrenzen. Danach dürfen die ersten 100 Euro komplett behalten werden und bei dem, was darüber hinaus geht, von jedem Euro nur noch 20 Cent.
In unserem System wählt man entweder den Sozialbezug oder die Arbeit alleine. Aber der Übergang wird vom System nicht ausreichend abgebildet. Hier müssen wir nacharbeiten, damit es nicht nur Minijobs als Hinzuverdienst gibt, sondern zu einem richtigen Systemwechsel kommt, mit dem vielleicht auch ein entsprechender geistiger Wechsel eingeleitet werden kann, indem wir nicht mehr von Hinzuverdienst reden, sondern zunächst einmal sagen: Das Arbeitsverhältnis ist die Grundlage, und
wenn das nicht ausreicht, dann ist die Solidargemeinschaft gefordert, die erforderlichen Zuwendungen zu gewähren.
Damit das funktioniert, brauchen wir eine Neuausgestaltung dieser Regelung. Wir brauchen eine Überprüfung der Wirkung unseres Solidarsystems; denn - der Grundsatz gilt ja auch bei Ihnen, Herr Jüttner - Arbeit muss sich lohnen, Leistung muss sich lohnen. Wir müssen diejenigen, die bedürftig sind, die unverschuldet in Not gekommen sind, unterstützen. Das geht am besten über die Kommunen. Deshalb ist ebenfalls die Jobcenterdebatte in diesem Zusammenhang sehr wichtig.
Herr Kollege Jüttner, ich habe Ihre Meldung so verstanden, dass Sie um zusätzliche Redezeit bitten. - Bitte schön, anderthalb Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bode, wir sind uns einig: Arbeit muss sich lohnen. Die Arbeit wird von dem finanziert, der sie in Anspruch nimmt, dem Arbeitgeber, wie es so schön bei uns heißt. Für den Fall, dass er dem Arbeitnehmer so wenig zahlt, dass er damit nicht auskommt, gibt es das Aufstockerprinzip; das haben Sie eben geschildert. Damit kommt der Beschäftigte dann auf ein für ihn erträgliches Auskommen.
Die Praxis in den letzten Jahren hat sich dahin gehend entwickelt, dass die Unternehmer ihre Lohnzurückhaltung verstärkt haben, weil sie ja wissen, dass die Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf öffentliche Gelder als Aufstockung haben.
(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Das ist wie im Kommunismus! - Ursu- la Helmhold [GRÜNE]: Das ist Sozia- lismus! - Christian Dürr [FDP]: Wer hat das denn beschlossen, Herr Jütt- ner?)
Sie wollen den öffentlichen Haushalt zurückfahren. Gleichzeitig plädieren Sie aber dafür, dass die Löhne durchaus gesenkt werden können; denn dann tritt das Prinzip der Solidarität ein, und wir finanzieren insgesamt das, was die Unternehmen ihren Beschäftigten vorenthalten. Was ist das für eine Logik, meine Damen und Herren?
(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Christian Dürr [FDP]: Wer hat das denn beschlossen, Herr Jüttner? - Zu- ruf von der CDU: Das war die lahme Ente!)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Weder ich noch die Landesregierung plädiert dafür, dass Arbeitgeber Löhne senken.
Herr Jüttner, ich will Ihnen sagen, was ich in Bezug auf die Hinzuverdienstgrenzen meine, die tatsächlich Arbeitsgrenzen sind. Wir haben exakt in den Bereichen, in denen es eine Änderung des Systems gibt, die Situation, dass die Aufstocker genau bis zu dem ersten Bereich gehen. Danach fällt die Aufstockung ab, weil es sich dann tatsächlich nicht mehr lohnt. Wir müssen den fließenden Übergang hinbekommen, dass man von dem System des Sozialbezugs, des Sozialtransfers fließend in das Arbeitsverhältnis wechseln kann.
Dafür müssen wir Anreize schaffen. Solche sind bis jetzt nicht da. Hier sind die Barrieren, hier sind die tatsächlichen Grenzen, und die müssen weg.
Meine Damen und Herren, zu dem Punkt 1 b liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe dazu die Beratung.
Umbau statt Abriss - Landtag denkmalgeschützt, funktional und haushaltspolitisch angemessen erneuern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2212
Dazu hat sich der Kollege Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte, Herr Wenzel!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Votum der Jury liegt vor. Es lautet auf Abriss. Der Oesterlen-Bau soll weg. Stattdessen ist etwas Tempelartiges aus Glasbausteinen, Edelstahl und mit Tiefgarage gewünscht. Der Architekt fühlt sich - so seine eigenen Worte - dabei an Claudia Schiffer erinnert.
Die Entscheidung berührt viele Fragen der Architektur und des Denkmalschutzes. Aber auch eine starke haushälterische Komponente, die Nachhaltigkeit, Baukosten, Energieverbrauch und Klimaschutzaspekte betreffen, hat diese Entscheidung. Nicht zuletzt berührt diese Frage Dinge, die die Glaubwürdigkeit unseres Hauses insgesamt betreffen.
Meine Fraktion hat sich gegen einen Abriss ausgesprochen und plädiert für einen Umbau, der den Oesterlen-Bau, in dem wir hier sitzen, im Kern erhält. Dafür kommt der von vielen favorisierte zweite Preis der Jury von Walter Gebhardt oder der Siegerentwurf des ersten Wettbewerbs von 2002 von Koch-Panse infrage.