„Der Niedersächsische Landtag stellt fest, dass vor allen anderen bedeutsamen Ereignissen des letzten Jahrhunderts für den weiteren Verlauf der Geschichte Deutschlands und Niedersachsens der 8. Mai 1945 ein zentrales Datum ist. An diesem Tag wurde unser Land von Faschismus und Krieg befreit.“
Seit 1985 wurde in der Bundesrepublik Deutschland verstärkt darüber diskutiert, wofür der 8. Mai 1945 steht: für die totale militärische Niederlage Deutschlands oder für seine Befreiung vom Nationalsozialismus. Während in der Nachkriegszeit der Aspekt der Niederlage im Vordergrund stand, hat der Aspekt der Befreiung später zunehmend an Gewicht gewonnen. Über die Bedeutung der Rede Richard von Weizsäckers in diesem Zusammenhang haben wir bereits im Januar-Plenum diskutiert. Historisch betrachtet, haben sich die Alliierten aber wohl nicht in erster Linie gegen Hitlerdeutschland im Krieg befunden, um es zu befreien, sondern vor allem deshalb, um den militärischen Angriff auf ihre Länder zurückzuschlagen. Deutschland ist mit dem Sieg der Alliierten von der Herrschaft der Nationalsozialisten befreit worden, aber, wie ich denke, noch lange nicht von der Erblast des Faschismus. Professor Dr. Arno Klönne schreibt dazu - ich zitiere -:
„In ihrer Mehrheit waren die Deutschen 1945 nicht in einer mentalen politischen Verfassung, die dem Begriff ihrer Befreiung vom Faschismus recht geben könnte, selbst wenn eine
solche das Kriegsmotiv der Alliierten gewesen wäre. Mentalitätsgeschichtlich und in der gesellschaftlichen Realität musste und muss immer noch eine Befreiung von faschistischen Erbschaften nachgeholt werden. Auch der Wechsel von Generationen besorgt dies nicht von selbst.“
Wenn es das Ziel des Antrages ist, mehr Anstrengungen zu unternehmen, dieses historisch so bedeutenden Datums zu gedenken, insbesondere da uns immer weniger Zeitzeugen zur Verfügung stehen, dann besteht darüber Konsens. Die Auseinandersetzung muss aber in der Vielfalt bestehen, die Richard von Weizsäcker in der bereits angesprochenen Rede deutlich gemacht hat. Deshalb müssen wir mit vereinfachenden Erklärungen und Sichtweisen sehr vorsichtig sein. Wir erkennen an, dass sich die Fraktion DIE LINKE kompromissfähig gezeigt und ihren Antrag in einigen Punkten überarbeitet hat. Die grundsätzliche Frage aber, ob dieser Antrag tatsächlich dazu beiträgt, den 8. Mai 1945 in Niedersachsen angemessener zu würdigen, ist für uns nicht befriedigend beantwortet. Wir werden uns bei der Abstimmung deshalb heute der Stimme enthalten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel ist der 8. Mai 1945 ein zentrales Datum für die Geschichte Niedersachsens, Deutschlands und Europas. Dieser Tag der Befreiung muss auch angemessen gewürdigt werden. Auch dies dürfte hier unstrittig sein. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Annahme dieses Entschließungsantrages die erwähnte Würdigung verstärken oder verdeutlichen könnte. Ich glaube es nicht. Ich glaube, ehrlich gesagt, nach der ersten Beratung hier im Plenum und auch nach der Beratung im Kultusausschuss, dass dies auch gar nicht die eigentliche Intention der Antragsteller gewesen ist. Meine Einschätzung ist vielmehr, die Ablehnung des Antrages durch CDU und FDP dahin umzudeuten, dass wir den 8. Mai 1945 nicht entsprechend würdigen wollen. Durch die Ausführungen von Herrn Dr. Sohn wurde, wie ich glaube, noch einmal unterstrichen, dass dies die eigentliche Intention gewesen ist.
Der Antrag gibt nicht her, dass man zu einer verstärkten Würdigung kommen könnte. Er ist aus unserer Sicht auch mit den jetzt vorgelegten Änderungen nicht zustimmungsfähig.
Lassen Sie mich das unter Bezugnahme auf die einzelnen Punkte, die nun beschlossen werden sollen, kurz erläutern. CDU und FDP haben die Landeszentrale für politische Bildung in der Tat aufgelöst und deren Arbeit direkt im Kultusministerium angesiedelt. Ich erkenne keine Notwendigkeit, diese Umstrukturierung jetzt wieder rückabzuwickeln. Eine Institution an sich kann die Würdigung des 8. Mai 1945 nicht per se erhöhen.
Vielmehr ist es davon abhängig, wie Erinnerung und Aufarbeitung kontinuierlich weiterentwickelt und gelebt werden. Auch jährliche Gedenkveranstaltungen gehören dazu. Aber auch hier ist es fraglich, ob eine Institutionalisierung von jährlichen Gedenkveranstaltungen tatsächlich weiterhilft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, an den niedersächsischen Schulen wird regelmäßig im Geschichts- und Politikunterricht, aber auch in den anderen Unterrichtsfächern die Schreckensherrschaft des Naziregimes thematisiert. Dabei wird insbesondere dahin gehend aufgeklärt, wie es zu dieser Schreckensherrschaft gekommen ist und warum die junge Demokratie der Weimarer Republik nicht wehrhaft genug gewesen ist, diese Entwicklung aufzuhalten und zu verhindern.
Niedersächsische Schülerinnen und Schüler sind über diese Zeit aufgeklärt, insbesondere auch über die Ursachen. Eine zentrale Rolle spielt auch immer wieder der Widerstand, weil er wichtige Grundlage ist, unseren Schülerinnen und Schülern deutlich zu machen, dass man andere Möglichkeiten hat, als nur Mitläufer oder Mittäter zu sein.
Ich teile die Befürchtung, die in der Begründung des Antrags zum Ausdruck kommt, nicht, dass die historische Bedeutung des 8. Mai gegenüber jüngeren historischen Ereignissen auf deutschem Boden an Bedeutung verliert. Insbesondere die Umstellungen der Rahmenrichtlinien auf Kerncurricula gewährleisteten, dass diese Befürchtung nicht eintreten wird.
plexen Prozessen. Das heißt, Fakten wie den 8. Mai 1945 als Tag zu kennen, ist zwar wichtig, aber zum Verstehen der Zusammenhänge gehört oft mehr als nur das Aneinanderreihen von Zahlen und Fakten, Herr Dr. Sohn.
(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Danke für die Belehrung, Herr Försterling! - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie ha- ben noch nichts begriffen!)
„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen, hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.
Dass man aber die Forderung und was sie an Fragen aufwirft, so wenig sich bewusst macht, zeigt, dass das Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist, Symptom dessen, dass die Möglichkeit der Wiederholung, was den Bewusstseins- und Unbewusstseinsstand der Menschen anlangt, fortbesteht. Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, dass Auschwitz nicht sich wiederhole.“
Bis hierhin waren das die Worte des großen deutschen Philosophen Theodor Adorno. Sie stehen am Anfang seines berühmten Rundfunkvortrags
Ich habe Adornos Worte gewählt, weil sie und der gesamte Text „Erziehung nach Auschwitz“ bis heute - mit ihren Kernaussagen - Gültigkeit haben. Adorno fordert, dass durch Erziehung und Aufklärung das Mindeste getan werden muss, damit sich die Grausamkeiten des Nationalsozialismus nicht wiederholen.
Der heute in der zweiten Beratung auf der Tagesordnung stehende Antrag der Linken zur „Angemessenen Würdigung des 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung in Niedersachsen“ fordert nichts anderes. Wenn wir dem 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung auch in Niedersachsen einen höheren Stellenwert einräumen würden, folgen wir einer sehr verbreiteten Akzeptanz dieses Tages. Der 8. Mai ist ein Tag, bei dem die Erinnerung und das Gedenken der meisten Menschen zwar auch mit Trauer und Verzweiflung verbunden sind, vor allem aber ist der 8. Mai ein Datum, das symbolhaft für das Ende des Leidens steht, für die Befreiung vom Nationalsozialismus und damit für das Aufflammen neuer Hoffnung!
Erinnern und Gedenken bleiben auf immer wichtig, weil nur befreit sein kann, wer sich der Unfreiheit bewusst bleibt bzw. über sie aufgeklärt wird. Meine Fraktion findet deshalb den Antrag gut und nachvollziehbar, und es ist ausgesprochen schade, dass es hier zu keinem alle Parteien übergreifenden Konsens kommen wird.
Natürlich gibt es - ich hatte das in meiner Januarrede erwähnt - andere Termine, die mit dem Ende des Nationalsozialismus verbunden sind. Aber was spricht gegen einen Gedenktag, den wir hier im Landtag öffentlich jeweils am 8. Mai begehen und mit dem wir nach außen ein Zeichen setzen würden? Was spricht dagegen, Schülerinnen und Schülern in diesem Zusammenhang mehr Wissen über das Thema und mehr Behandlung mit dem Thema zuzumuten? - Ich warne erneut davor, ein Datum, das immer noch zur jüngsten deutschen Geschichte gehört, zu vernachlässigen - gar zu vergessen -, nur weil wir bald keine Zeitzeugen mehr haben werden. Aus diesem Grund ist es sogar unsere Pflicht, das Gedenken zu manifestieren!
Der Antrag der Linken fordert keinen „Feiertag“. Das Wort fiel von CDU-Seite im Kultusausschuss. Er fordert einen Gedenktag - eine angemessene Würdigung im Allgemeinen sowie eine angemessene Aufklärungsarbeit in unseren Schulen im
Besonderen. Warum CDU und FDP diesem Antrag nicht zustimmen werden, ist mir deswegen, ehrlich gesagt, schleierhaft. Die Forderung nach einer Wiedereinrichtung der Landeszentrale für politische Bildung - eine Forderung, die Sie von CDU und FDP nicht unterstützen wollen -, hätte sicherlich bei einer gemeinsamen Bearbeitung aus diesem Antrag gestrichen werden können. Leider waren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, dazu nicht bereit. Sie lehnen den Antrag doch nur deshalb ab, weil er von den Linken kommt. Doch auch die Linken sind eine demokratisch in den Landtag gewählte Partei.
Zum Schluss möchte ich noch einmal Adorno zitieren: „Allgemeine Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zulässt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewusst werden“ - das fordert Adorno in seiner „Erziehung nach Auschwitz“. Eine angemessene Würdigung des 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung in Niedersachsen könnte dazu beitragen. Schade, dass Sie von CDU und FDP die Größe dazu nicht haben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtag debattiert heute erneut über den Antrag der Linken zur Frage der Würdigung des 8. Mai 1945. Zunächst möchte ich vorwegstellen, Herr Dr. Sohn, dass es für die Debatte sicher - - -
- Ich habe noch gar nichts gesagt. Ich glaube, auch ich habe das Recht auf etwas Ruhe hier bei der Debatte.
Herr Dr. Sohn, zunächst möchte ich vorwegstellen, dass es für die Debatte sicher hilfreich und angemessen ist, dass Sie durch den Änderungsantrag
den Bezug zum Mauerfall aus Ihrem Antrag gestrichen haben. Gleichwohl verzichten Sie nicht auf den allgemeinen Verweis auf andere historische Daten der neueren deutschen Geschichte. Ich möchte das heute an dieser Stelle nicht vertiefen. Gleichwohl bedauere ich - wie bereits in meinem letzten Redebeitrag - den inhaltlichen Rahmen, in den Sie Ihren Antrag stellen.
Der 8. Mai 1945 steht für das Ende des Krieges, der von deutschem Boden ausging. Er steht für das Ende einer Diktatur, die unermessliches Leid in der Menschheitsgeschichte angerichtet hat. Wir stehen betroffen und fassungslos vor diesem Teil der deutschen Geschichte. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich die Beurteilung des 8. Mai 1945 gewandelt. Bis in die 70er-Jahre wurden aus Anlass des 8. Mai kaum Erinnerungen an den Nationalsozialismus und dessen Opfer öffentlich thematisiert.
Kritische Erinnerungsarbeit wurde bis dahin weitgehend vermieden. Es vollzog sich ein Prozess, der schlussendlich nicht die Frage einer vermeintlichen Kollektivschuld in den Vordergrund stellte, sondern die Anerkennung individueller Schuld und kollektiver Verantwortung. Dies ist insoweit von entscheidender Bedeutung, als ohne Anerkennung individueller Verantwortung der Anker fehlt, um Lehren für die Gegenwart und für die Zukunft zu ziehen. Dies ist Voraussetzung für jeden Einzelnen von uns, nie wieder zuzulassen, dass sich diese Geschichte wiederholen kann. Die Erkenntnis individueller Verantwortung macht uns wachsam, wenn wir heute verfassungsfeindlichen und menschenverachtenden Tendenzen begegnen. Sie ist Grundlage für Zivilcourage in unserer Zeit. Es ist richtig, sich immer wieder zu vergewissern, Herr Dr. Sohn, ob wir angemessen mit dem Holocaust, mit der Nazidiktatur und mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs umgehen. Diese Vergewisserung findet aber kontinuierlich statt. Sie beschäftigt die Wissenschaften, insbesondere die Historiker.
Aus der Rückbetrachtung haben wir neben diesen Erkenntnissen auch gelernt, dass eine klar definierte nationale Geschichtspolitik, wie sie aus politischen Gründen von einigen Seiten eingefordert wird, nicht der richtige Schluss aus dem Entwicklungsprozess seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und schon gar nicht der richtige Schluss aus der Zeit davor ist. Eine staatlicherseits festgelegte historische Bewertung ist aufgrund der ganz unterschiedlichen individuellen Wahrnehmung des 8. Mai 1945 sicher nicht die richtige Antwort. Ich erlaube mir, sehr geehrte Frau Seeler, Peter Hur
„Die Einzelerlebnisse und -schicksale, die sich mit dem Frühjahr 1945 verbinden, sind so vielfältig und unterschiedlich wie die Menschen selbst, die sich ihrer erinnern. In den persönlichen Erinnerungsbildern spiegelt sich nahezu die gesamte Bandbreite menschlicher Erfahrungen und Empfindungen: Erleichterung und Freude, Zukunftssorgen und Angst, Ernüchterung und Demütigung, Wandlungen und Beharrungen, zwiespältige Gefühle zwischen Bangen und Hoffen. Von der Mehrheit“