Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

- Okay. Es wäre nicht mein Stil, und es ist auch nicht mein Stil. Das macht, glaube ich, auch keinen Sinn.

Wenn wir aber drei oder vier Jahre, nachdem diese Diskussionen geführt worden sind, feststellen müssen, dass es immer noch Stabilisierungsbedarf und vielleicht sogar noch verstärkt Stabilisierungsbedarf gibt, weil sich nichts geändert hat, dann kann es eine Situation geben, in der wir feststellen, dass auch für die Landesregierung unterschiedlicher regionaler Handlungsbedarf besteht.

Ich möchte das an dem Beispiel LüchowDannenberg und der Verschuldung in diesem Bereich darstellen. Wenn es dort in den nächsten Jahren so weitergeht und überhaupt nichts passiert, dann fragen irgendwann die Banken - wir haben schon vor Jahren durchaus deutliche Hinweise erhalten -, ob sie die Kredite tatsächlich noch so vergeben können wie bisher. Wenn das bei einem Landkreis wegbrechen würde, können Sie sich vorstellen, welche Auswirkungen das insgesamt auf das Zinsniveau haben wird. Das ist nur ein Beispiel, wo die Landesregierung schlichtweg

handeln muss. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen. Das werden wir dann auch tun.

Aber in der Situation sind wir jetzt nicht, sondern wir haben eine hervorragende Grundlage. Wir haben ein Gutachten - das darf ich hier vielleicht doch einmal darstellen -, das einzigartig in der Bundesrepublik ist. In anderen Bundesländern werden durchaus ähnliche Diskussionen geführt. Nicht nur anhand von zwei oder drei Kriterien - Fläche, Einwohnerzahl und Arbeitslosenzahlen -, sondern anhand von 22 wirklich nachvollziehbaren Kriterien ist der Stabilisierungsbedarf ermittelt worden.

In den Gesprächen, die ich jetzt mit den Landräten, Bürgermeistern, aber auch mit den kommunalen Spitzenverbänden führe, ist übrigens durchaus anerkannt, dass das eine Basis ist. Über den einen oder anderen Punkt kann man vielleicht auch einmal diskutieren; das ist eine andere Geschichte. Aber von der Grundausrichtung her wird dieses Gutachten akzeptiert. Nur so ist es möglich, die Moderatorenrolle jetzt vernünftig zu übernehmen.

Ich gebe zu: Jetzt kommt eine neue Phase. Wir warten nicht darauf, dass jemand auf uns zukommt und fragt „Könnt ihr moderieren?“, sondern wir sagen: Anhand unserer Informationen, die wir euch an die Hand geben, können wir euch aufzeigen, dass das möglich ist und welche Folgen es hat. - Wir haben also eine aktivere Rolle in diesem Bereich. Das ist die nächste Phase, die auch dringend notwendig ist. Welche Instrumentarien wir an der Hand haben, die wir als Landesregierung im Zukunftsvertrag mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart haben, ist bekannt. Das muss ich hier, glaube ich, nicht noch einmal darstellen.

Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Zwischenfrage.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund der Antwort, die Herr Minister Schünemann gerade gegeben hat, aus der - wenn ich ihn richtig verstanden habe - deutlich geworden ist, dass die Landesregierung bisher den Eindruck hat, dass die kommunale Seite den Zukunftsvertrag mit seinen Vor- und Nachteilen noch nicht wirklich verstanden hat und ihr erst einmal die finanziellen

Zusammenhänge und die Vorteile für sie im Hesse-Gutachten erläutert werden müssen:

Wenn das so uneinsichtige Partner sind, wie jetzt gerade der Landrat in Oldenburg, der schon gesagt hat, eine Fusion mit Delmenhorst käme für Oldenburg nicht infrage, deuteten Sie an, man müsste nach vier Jahren sehen, ob die schwächeren Partner in einer solchen Region überhaupt noch finanzierbar sind. Können Sie einmal konkretisieren, was Sie damit meinen? Können sie kein Geld mehr aufnehmen, oder tritt dort das Land ein, bevor das der Fall ist, weil Sie zu Recht dargestellt haben, dass sich das Finanzierungsniveau für alle Kreise und Städte ändern würde, wenn nur einer „Insolvenz“ vermelden müsste?

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass die Kommunen den Zukunftsvertrag nicht verstanden haben. Das würde ich niemals unterstellen. Das ist, glaube ich, auch nicht der Fall.

Wir haben aber mit den Ergebnissen aus dem Hesse-Gutachten jetzt eine noch bessere Grundlage, eine aktive Rolle zu spielen, weil wir anhand der 22 Kriterien, die ich angedeutet habe, nachgewiesen haben, dass Stabilisierungsbedarf besteht. Es sind fünf Hauptkriterien angewandt worden, die noch weiter differenziert worden sind.

Aus diesem Stabilisierungsbedarf sind auch einige Vorschläge für einzelne Regionen gemacht worden, die wir jetzt diskutieren müssen. Die Reaktionen kenne ich. Das ist völlig klar. Wenn nur ein Vorschlag gemacht wird, guckt man sich auch nur den einen Vorschlag an, den man gerade nicht mag. Dann ruft die Presse an, und es wird gesagt: „Das kommt für uns überhaupt nicht infrage!“ Das kann ich alles verstehen. Das ist auch in der kommunalen Praxis möglich. Aber da ist das Gutachten meist noch gar nicht in Gänze gelesen worden. Deshalb haben wir allen Hauptverwaltungsbeamten und damit den Ratsmitgliedern insgesamt die Möglichkeit gegeben, sich erst einmal mit diesem Gutachten auseinanderzusetzen. Wir werden jetzt, wie ich dargestellt habe, über das Innenministerium, die Kommunalabteilung und auch das Ministerbüro diese Gespräche sehr konstruktiv führen, indem wir tatsächlich sagen: Wenn ihr die und die Schritte geht, habt ihr die und die Auswirkungen

und die und die Vorteile. - Wir werden also jetzt sehr konstruktiv damit umgehen. Erst am Ende dieser Diskussion kann man bewerten, ob das erfolgreich sein wird oder nicht.

Zu dem zweiten Punkt, den Sie dargestellt haben: Ich kann Maßnahmen natürlich erst dann ganz konkret nennen, wenn ich in die Situation gelangt sein werde. Wenn in vier Jahren tatsächlich nichts passiert ist, wird es auch nicht eine Lösung geben „Für jeden im Prinzip das Gleiche“, sondern dann müssen wir ganz individuell gucken: Wo ist es sinnvoll anzusetzen? Wo müsste das Land tatsächlich tätig werden? Wenn der Stabilisierungsbedarf so groß ist, dass er in Handlungsbedarf umschlägt, und wenn eine Kommune so in Not gerät, dass dies auch auf andere Auswirkungen hat, dann muss das Land reagieren. Das kann man aber erst dann machen, wenn diese Situation eingetreten ist. Das wird sehr individuell sein. Deshalb wäre es reine Spekulation, jetzt zu sagen, was dann zu tun sein wird.

Frau Leuschner von der SPD-Fraktion, Sie stellen Ihre erste Zusatzfrage. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Hesse kommt in seinem Gutachten unter der Überschrift „Optimierung des Status quo“ zu dem Ergebnis, dass die Optimierung des Status quo nicht ausreichend sei. Er sagt, dass im Grunde genommen seit Langem angehaltene ungleichgewichtige Asymmetrien die Landesentwicklung prägen. Fazit:

„Dabei dürfte allen Beteiligten bewusst gewesen sein, dass sich in einem weiteren Schritt komplementäre Reformbemühungen auch im und für den kommunalen Bereich anschließen müssen.“

Ich frage die Landesregierung: Welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesem Fazit?

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Keine!)

Herr Minister, Sie haben das Wort!

Welche Konsequenzen die Landesregierung zieht, habe ich Ihnen gerade dargelegt. Wir gehen jetzt

mit diesen Vorschlägen, die erarbeitet worden sind, in die Regionen und diskutieren mit den Kommunalpolitikern genau diese Dinge sehr aktiv und leisten dort auch Überzeugungsarbeit. Das ist der richtige Ansatz in diesem Zusammenhang. Daran gibt es keinen Zweifel.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Herr Kollege Hausmann von der SPD-Fraktion, bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich habe eine Frage. Sie haben ja bei Herrn Professor Hesse ein Fusionsgutachten in Auftrag gegeben. Ich meine, es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, auch ein Funktionsgutachten mit einzubeziehen. Ist das nicht geplant gewesen, oder wird so etwas noch nachgeholt? Das ist meine erste Frage.

Damit Sie nicht so viel zu laufen brauchen, möchte ich meine zweite Frage gleich anschließen: Ich habe hier an diesem Ort schon einmal in diese Richtung gefragt: Es geht mir speziell, weil ich aus einer strukturschwachen Region komme, um Gemeinden, die durchaus fusionswillig sind, die fusionieren wollen und die alle Anstrengungen gemacht haben, auch jetzt nach dem Gutachten. Was passiert mit diesen Gemeinden, wenn sie nicht in der Lage sein sollten, auch mit 75 % Entschuldung ihres Haushaltes einen ausgeglichenen Haushalt zu realisieren? Lassen Sie sie wirklich nach wie vor im Regen stehen, oder werden wir einen Weg finden, damit diesen Gemeinden geholfen wird?

Herr Minister, Sie bekommen das Wort.

Fragen Sie in Ihrer zweiten Frage nach Bad Grund, oder welche Kommune meinen Sie?

(Karl Heinz Hausmann [SPD]: Nein, es ist nicht Bad Grund! Es könnte z. B. Walkenried sein! Da ist eine Fu- sion mit Bad Sachsa geplant! Wenn sie nicht zustande kommt, werden die Kommunen zur Samtgemeinde fusio- nieren, aber keinen ausgeglichenen Haushalt haben!)

Ich kann Ihnen ein Beispiel anführen, das mich sehr beeindruckt hat, und zwar ist das die Stadt Bad Gandersheim. Das ist die am zweithöchsten verschuldete Stadt mit den höchsten Kassenkrediten nach Cuxhaven. Es war ganz schwierig, mit Fusionen voranzukommen. Kreiensen wäre ja ein geborener Partner gewesen. Gemeinsam mit der Kommune und nach Beratung durch die Regierungsvertretung Braunschweig, aber auch durch die Kommunalabteilung ist man jetzt so weit ist, dass dann, wenn 75 % der Kassenkredite übernommen werden, meines Wissens im Jahre 2012 und mit Abschreibungen spätestens in 2013/2014 der Haushalt strukturell ausgeglichen werden kann. Mit einer enormen Kraftanstrengung und ohne Tabus - bei Bedingungen, bei denen man bisher gedacht hat, dass man überhaupt keine Chance hat - ist es gelungen, so ein Konzept vorzulegen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man sich den Zukunftsvertrag anschaut, sieht man, dass eine Lösung nicht nur in Fusionen besteht, sondern dass es darum geht, die Kommunen so auf den Weg zu bringen, dass sie zukunftssicher sind und dass sie die Möglichkeit haben, aus eigener Kraft handlungsfähig zu werden. - Deshalb hatte ich gefragt. Wir sind ja auch bei Bad Grund dabei, zu diskutieren, wie es weitergehen kann. Bei Bad Grund sind wir noch nicht so weit, wie es z. B. bei Bad Gandersheim der Fall gewesen ist.

Es hat sich sehr bewährt, dass wir von Anfang an gesagt haben, das mit den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam zu machen. Die Entscheidung wird natürlich letztendlich vom Innenminister unterschrieben. Wir haben die Kriterien, beispielsweise für die Mittelvergabe, sehr breit festgelegt und in dieser Arbeitsgruppe einen Konsens hinbekommen. Es ist Wert darauf gelegt worden, dass niemand den anderen überstimmen kann, sondern dass dort möglichst ein einmütiges Votum zustande kommt. Deshalb sind wir solche Wege, wie sie z. B. in Bad Gandersheim beschritten worden sind, mitgegangen. Das heißt, keine Kommune wird im Regen stehen gelassen, auch nicht in einer völlig aussichtslosen Situation. Wenn Sie mich vor drei Jahren zu Bad Gandersheim gefragt hätten, dann - das muss ich Ihnen ehrlich sagen - hätte ich gesagt, dass das durch Fusion oder irgendwelche Strukturveränderungen keinen Sinn macht. Aber man hat sich zusammengesetzt und es letztlich mithilfe des Kreises und mit anderen geschafft, diese Bereiche in den Griff zu bekommen.

Zu unterstellen, dass wir irgendwen grundsätzlich ausschließen, trifft nicht zu. Ich habe Ihnen das Beispiel dargelegt. Auch das Beispiel, das Sie anführen, werden wir uns im Hinblick darauf ansehen, ob wir Möglichkeiten sehen.

In Ihrer ersten Frage haben Sie sich danach erkundigt, warum wir kein Gutachten zu einer Funktionalreform in Auftrag gegeben haben. Erstens haben wir keinen Auftrag vergeben, um Fusionen zu untermauern, sondern haben gefragt, ob das Leitbild, das meiner Erinnerung nach 1969 von Professor Weber hier vorgelegt worden ist, noch gilt oder ob wir ein neues Leitbild brauchen und wo es tatsächlich Stabilisierungsbedarf gibt. Professor Dr. Hesse hat mit seinem Institut sehr eindrucksvoll dargelegt, dass ein neues Leitbild in Niedersachsen schlichtweg keinen Sinn macht. In dem Leitbild von Ende der 60er-Jahre ist dargestellt worden, dass wir Landkreise mit mindestens 150 000 Einwohnern brauchen. Dieses Modell ist aber gar nicht umgesetzt worden. Wir sehen doch im Land ganz unterschiedliche positive und negative Entwicklungen. Kleinere Landkreise, sogar unter 150 000 Einwohner, sind durchaus erfolgreich, weil sie vielleicht Strukturstärke haben und sich in einer Region befinden, in der das umsetzbar ist. Aber es gibt auch größere Landkreise, in denen es Probleme gibt. Das heißt, dass es völlig falsch wäre, sich allein an einem neuen Leitbild zu orientieren. Aus dem Grunde hat Professor Hesse gesagt, dass wir keine Gebietsreform für das gesamte Land brauchen, sondern individuelle Lösungen in gewissen Bereichen, die definiert worden sind, und er hat dies anhand von 22 Kriterien eindrucksvoll nachgewiesen.

(Beifall bei der CDU)

Ich meine, das ist der richtige und der bessere Weg. Somit haben wir klare Fakten, wie wir in unserem Land gemeinsam mit den Kommunen die Kommunen zukunftssicher und wieder handlungsfähig machen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Korter vom Bündnis 90/Die Grünen, Sie sind die nächste Fragestellerin. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Schünemann, Sie haben viel von Diskussionsprozessen und Überzeugungsarbeit gesprochen. Ihr Fraktionsvorsitzender, der

Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Thümler, hat gegenüber der Nordwest-Zeitung Art und Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gutachtens kritisiert. Offensichtlich haben Sie in der Sommerpause viele Landräte und Bürgermeisterinnen und Bürgermeister überrascht. Meine Frage: Weshalb arbeitet die Landesregierung, weshalb arbeiten Sie in dieser Frage nicht enger mit den Hauptakteuren, nämlich den Landrätinnen und den Bürgermeisterinnen, zusammen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bitte schön, Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Enger als wir kann man eigentlich fast nicht mehr zusammenarbeiten. Es macht überhaupt keinen Sinn, so etwas anders darzustellen.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Über den Zeitpunkt kann man ja streiten. Der Hintergrund dafür, dass wir es nicht vor der Sommerpause vorgestellt haben, besteht darin, dass - ich glaube, das verletzt nicht die Persönlichkeitsrechte - der Gutachter über einen längeren Zeitraum erkrankt war und deshalb das Gutachten nicht rechtzeitig vor der Sommerpause vorgelegen hat. Nachdem es eingegangen ist, haben wir es im Innenministerium sofort ausgewertet. Ich meine, dass es sinnvoll ist, dass man es dann, wenn es vorliegt, präsentiert und den Landräten zur Verfügung stellt. Hätten wir damit bis nach der Sommerpause gewartet, wäre das eine oder andere durchgesickert und dann falsch diskutiert worden, was schwierig gewesen wäre.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Also: Wenn so ein Gutachten vorliegt, dann gehört es nach außen, und dann haben die Landräte und Bürgermeister einen Anspruch darauf, dass sie es bekommen. Wenn es in der Sommerzeit war, dann tut es mir leid. Wenn der eine oder andere die CD nicht sofort aufmachen konnte, dann ist das auch keine Angelegenheit, wobei ich sagen muss, dass man sich im heutigen Zeitalter so etwas überall, wo man im Urlaub ist, angucken kann, wenn man ein Interesse hat.