Protokoll der Sitzung vom 04.06.2008

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das, was wir in fünf Jahren gemeinsam - die Landesregierung gemeinsam mit den sie tragenden Fraktionen - vorangebracht haben, haben Sie nicht einmal in 13 Jahren auf die Reihe bekommen. Das ist die Wahrheit in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zugegeben: Natürlich sind die ersten 100 Tage nach einem Regierungswechsel weniger spektakulär, als wenn man nach einer Regierungsübernahme wieder neu beginnt, als wenn man anfängt, einen Acker zu pflügen, als wenn man beginnt, zu säen, als wenn man den Menschen in Niedersachsen wieder Hoffnung gibt, als wenn man ein Land nach 2003 wieder aufbaut, das Sie abgewirtschaftet haben.

(Heiner Bartling [SPD]: Der Sämann, der Landmann trampelt über die Fel- der!)

Das alles mag ja etwas spektakulärer gewesen sein! Aber Ihre Behauptung, dass Stillstand wäre, ist schlichtweg falsch. Wenn Sie wollen, Herr Jüttner, können wir noch im Juli-Plenum das Nettoneuverschuldungsverbot in die Niedersächsische Verfassung schreiben. Sie verweigern sich dieser Sache. Wenn Sie gewollt hätten, hätten wir schon in der letzten Legislaturperiode die Kinderrechte in die Verfassung bringen können. Sie aber haben sich dieser Sache verweigert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der SPD: Sie machen sich doch lächerlich! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben in 100 Tagen das Einladungswesen für Kinder auf den Weg gebracht. Wir haben die Kinderschutzzentren auf den Weg gebracht. Wir haben das Verfassungsschutzgesetz geändert. Wir haben das Abfallgesetz beschlossen. Wir haben die berufliche Bildung neu geordnet. Wir haben die Arbeitszeitkonten für die Lehrer neu geordnet.

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN - Heiner Bartling [SPD]: Ei- ne tolle Leistung!)

Meine Damen und Herren, eines darf ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen: Unserer neuen Kultusministerin ist es in den letzten Tagen ausgesprochen hervorragend gelungen, gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Betroffenen die Bildungspolitik in Niedersachsen zukunftsfähig auf

zustellen. Das ist Ihnen in Ihrer Zeit aber nie gelungen, meine Damen und Herren. 17 % Unterrichtsausfall sind Ihre Bilanz bis 2003 gewesen.

(Beifall bei der CDU - Heiner Bartling [SPD]: Irrtum! Irrtum! Irrtum! Irrtum!)

Sie sind Ideologen, meine Damen und Herren, und Ideologen lassen sich von Fakten nicht beirren. Niedersachsen hat die geringste Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit ist um 19 % zurückgegangen. Wir haben im Jahr 2008 mehr als 60 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs zu verzeichnen. Das Bruttoinlandsprodukt ist jährlich um mehr als 3,2 % gestiegen. Wir haben mehr als 3,2 % neue Ausbildungsverträge in den ersten drei Monaten des Jahres 2008. Außerdem ist es Christian Wulff gelungen, das VW-Gesetz mit Unterstützung der Bundesregierung zum Wohle der Standorte von VW in Niedersachsen auf den Weg zu bringen, sodass es in Niedersachsen einen Schutz für VW gibt.

Meine Damen und Herren, die Bilanz von Grünen, SPD und anderen nach 100 Tagen: Sie sagen zu allem einzig und allein nur Nein: Nein zum verkürzten Abitur, Nein zum Neubau von Kraftwerken, Nein zur Grünen Gentechnik, Nein zur Autobahn - immer nur Nein. Die SPD zerlegt sich selbst, und von den Linken müssen wir uns immer wieder anhören, dass sie sich zur Verfassung bekennen. Das ist alles, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben bei dieser Opposition überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass wir in Niedersachsen noch viele hundert Tage regieren werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, nun hat sich Herr Sohn von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte überlegt, Herr Wenzel, ob auch ich nach der gehässigen Überschrift „100 Tage - 100 Fehler“

jetzt noch ein paar Fehler hinzufügen sollte. Nach dieser zwar lautstarken, aber inhaltlich doch schwachen Replik der CDU ist es meiner Meinung nach an der Zeit, die Landesregierung in Schutz zu nehmen. Ich möchte dies jetzt gleich dreifach tun.

Erstens muss man konzedieren, dass die Landesregierung nicht nur Fehler gemacht hat. Sie ist auch in der Lage gewesen, Fehler zu korrigieren, z. B. beim Thema Lehrerarbeitszeitkonten. Dabei gilt der Dank aber erst in vierter Linie der Regierung. In erster Linie gilt er den 11 000 Lehrern, die vor dem Landtag demonstriert und die Regierung eines Besseren belehrt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens gilt dieser Dank für die Fehlerkorrektur der GEW und all den anderen Lehrerverbänden, die diesen Protest organisiert haben. Drittens - in aller Demut - gilt der Dank der in dieser Frage geeint, energisch und pfiffig vorgehenden Opposition.

(Jörg Bode [FDP]: Was?)

Erst in vierter Linie gilt dieser Dank dann der Landesregierung. Das ist ein Lehrstück. Es ist nämlich ein Lehrstück, dass der außerparlamentarische Druck und eine dann gut zusammenarbeitende Opposition im Parlament der Regierung den Griffel führen können. Sie müssen sich das einmal bildlich vorstellen: Sie waren im Zusammenhang mit den Lehrerarbeitszeitkonten bei der Frage, ob Sie im Hinblick auf die Einlösung Ihres Versprechens für oder gegen eine Verkürzung sein sollen, schon kurz davor gewesen, „Nein“ anzukreuzen. Dann haben Ihnen aber 11 000 Lehrer und so ein paar Abgeordnete in die Hand gegriffen und gesagt: Nein, nein, der Griffel gehört da nicht hin, der Griffel gehört zum „Ja“. - Dann haben Sie das entsprechend angekreuzt. - Das ist das, was wir mit „Regieren aus der Opposition heraus“ meinen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir werden diese Kombination - ich weiß, dass Sie diesen Begriff nicht mögen - aus APO und parlamentarischer Opposition fortsetzen. Ich kündige Ihnen schon jetzt an: Dieses Spielchen wiederholen wir beim Thema Studiengebühren. So wie in Hessen kriegen wir das auch in Niedersachsen hin. Gegen Ihren Willen werden wir Ihnen den Griffel führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens möchte ich Ihnen ein Lob für die Entdeckung der Langsamkeit aussprechen. Vielfach ist

es ja fatal, aber es dämpft immerhin die Umsetzung dieser Worthülsenansammlung, die Sie uns hier im Februar als Koalitionsvereinbarung zu verkaufen versucht haben. Es bestätigt sich tatsächlich das, was wir damals gesagt haben: Das ist die Regierung der organisierten Mut- und Kraftlosigkeit. Ich hatte schon Angst, wir könnten uns irren. Ich bedanke mich aber bei Ihnen, und dafür gibt es das Lob: Es ist tatsächlich eine Regierung der organisierten Mut- und Kraftlosigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens freue ich mich - und auch dafür ist ein Lob fällig - über die Fülle positiver Überschriften, die die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen produzieren. Ich möchte Ihnen nur einmal drei Überschriften von Anträgen der Fraktionen der CDU und der FDP nennen, die im anstehenden Tagungsabschnitt behandelt werden sollen: Deutsches Umweltgesetzbuch im Einklang mit Ökonomie und Ökologie gestalten, Qualifizierungsinitiative unterstützen, Musikalische Bildung fördern. - Großartige Sachen! Die Realität aber eben ist die - Herr Wenzel hat das bereits erwähnt -: Was das Thema Ökologie angeht, ist anzumerken, dass Sie die ganze norddeutsche Küste mit Kohlekraftwerken vollstellen und dort oben den Tourismus als wichtigstes Standbein versauen. - Zum Thema Qualifizierungsoffensive müssen Sie auf die Tatsache reagieren, dass uns in Niedersachsen die Studenten weglaufen, weil wir inzwischen mit 500 Euro Studiengebühren der traurige Spitzenreiter in Deutschland sind.

(David McAllister [CDU]: Quatsch!)

Zum Thema musikalische Bildung müssen Sie jetzt ausbaden, was Sie durch dieses idiotische TurboAbi angerichtet haben. Das ist der Punkt. Das heißt, dass die Regierungslinie und die Fraktionslinie relativ einfach sind. Die Regierung setzt ihre verschiedenen - ich hoffe, das ist jetzt nicht ordnungsrufträchtig - Misthaufen in die Landschaft, und die Fraktionen gehen hinterher und sprühen kanisterweise 4711 darüber.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege, ich möchte Sie bitten, es der Sitzungsleitung etwas einfacher zu machen und nicht Dinge zu produzieren, die Sie eigentlich gar nicht wollen.

Das setzt sich fort. Sie produzieren auch gute Überschriften mithilfe der Ihnen zugeneigten Presse: „Ministerin verspricht Entlastung für Gymnasien“ titelte vorgestern die HAZ. - Das allerdings ist eine großartige Sache. In diesem Artikel sagt Frau Heister-Neumann dann, sie bitte um Nachsicht dafür, dass es eine Fülle von Problemen bei der G8-Umsetzung gibt. Das allerdings erinnert ein bisschen an den Angeklagten, der vor Gericht steht, weil er Vater und Mutter umgebracht haben soll, und dem Richter mit treuem Augenaufschlag sagt: Ich bitte um Milde, ich bin gerade Vollwaise geworden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Ansätze sind aber trotzdem richtig; denn sie sind Anknüpfungspunkte für Bewegungen aufseiten der Beschäftigten bei Karmann, der Lehrer und der Studenten, denen Ihre 4711-Versprüherei nicht reicht und die Ihnen hier mit uns gemeinsam ordentlich Dampf machen werden. Auf diesen Weg können Sie in Ansätzen vielleicht sogar noch eine gute Regierung werden, bis wir eine richtig gute Regierung nach den nächsten Landtagswahlen kriegen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Setzen!)

Ich erteile nun Herrn Wolfgang Jüttner von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Sohn, Herr Wenzel und ich sind uns einig: Da war sogar der Witz von Herrn Möllring aus der BildZeitung noch besser. - Das muss ich schon sagen. Das war eben irgendwie nichts.

Wir sprechen heute über ein Thema, zu dem die Landesregierung gestern sieben Seiten ins Internet gestellt hat. Wenn man sich das ansieht, muss man sich die Frage stellen: Bei wem alles liegt Amnesie vor? - Wer die letzten 100 Tage in Niedersachsen miterlebt hat, den Jargon der Erfolgsmeldungen aneinanderreiht und liest, der fragt sich: Was für ein Selbstverständnis haben diese Mehrheit und diese Landesregierung?

(Beifall bei der SPD)

Meiner Meinung nach verblassen natürlich alle hinter Frau Heister-Neumann, was die Bilanz dieser 100 Tage angeht. Das ist wirklich klar. Wer es schafft, alle Verbände in Niedersachsen gegen sich aufzubringen, der hat wirklich zu Recht Platz eins verdient, meine Damen und Herren. Deshalb ist die Laufbahnprognose, die wir Ihnen, Frau Heister-Neumann, geben, die, dass Sie wahrscheinlich als Pannen-Lisbeth in die niedersächsische Bildungsgeschichte eingehen werden.

(Beifall bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, ich rate dazu, auch auf die anderen zu schauen. Es ist nicht nur das Kultusministerium, was uns hier in den letzten Wochen tief beeindruckt hat.

Natürlich hat Herr Sohn recht: So eine Landesregierung kann nicht nur Fehler machen. Wer jedes Jahr von Europa und vom Bund Hunderte von Millionen oder auch Milliarden angedient bekommt und mit der Durchleitung dieser Gelder befasst ist, der macht auch einiges richtig, der erfreut auch so manche im Lande. Aber, meine Damen und Herren, selbst bei diesem Thema bleiben Sie bei unter dem, was möglich wäre. Herr Wulff, ich will nur daran erinnern, dass vor zig Monaten die 40 Millionen Euro des Bundes angekündigt worden sind, die zur Verfügung stehen, um endlich eine zugespitzte Wohnraumförderpolitik in Niedersachsen zu machen, und Sie nicht einmal in der Lage sind, die Gestaltungskompetenz bei den Mitteln aufzubringen, die Ihnen von anderen zur Verfügung gestellt werden. „Gestaltungskompetenz“ ist ein Fremdwort für Sie.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wenn das so ist, dann ergibt sich als Folge, dass man sich weitestgehend mit Symbolpolitik befasst. Nehmen wir das Thema Pflege. Sie haben die niedrigsten Pflegesätze bundesweit, zerschießen gerade die Altenpflegerausbildung, und das zuständige Ressort vertröstet ein um das andere Mal, meine Damen und Herren. Das ist nicht die zupackende Landespolitik, die wir in Niedersachsen brauchen!