Protokoll der Sitzung vom 05.10.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen kommerzielle lokale Rundfunksender ermöglicht werden. Wem nützt das? - Das nützt natürlich in erster Linie denjenigen, die sich dieses Gesetz gewünscht haben, nämlich einer Reihe von Zeitungsverlagen sowie Telekommunikationsfirmen, die gerne solche Sender betreiben möchten. Das ist ein legitimes Ansinnen von Unternehmen, das nicht zu verurteilen ist. Aber eines wollen wir festhalten: Herr Rickert, Sie haben gerade gesagt, Bürgermeisterfunk lehnen Sie ab. Offensichtlich lehnen Sie Wirtschaftsfunk nicht ab. Das ist typisch für die FDP.

(Beifall bei der LINKEN)

Solche Sender werden sich vor allem in großen Städten lohnen, weil nur dort eine so hohe Anzahl von Hörerinnen und Hörern erreicht wird, dass durch die Werbeeinnahmen das Angebot finanziert werden kann und der Sender noch Gewinn abwirft.

Was wird die Gesellschaft, was wird Niedersachsen von solchen neuen kommerziellen Sendern haben? - Seitens der Landesregierung heißt es, solche Sender würden neue Arbeitsplätze bringen. Das werden sie sicherlich. Es fragt sich nur, wie

viele. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält die Erwartungen dazu für deutlich zu hoch angesetzt.

Meine Damen und Herren, die Bürgermedien, oft unter dem Namen „Offener Kanal“ bekannt, sind ein wichtiger Teil der niedersächsischen Medienlandschaft, sowohl im Sinne einer Gegenöffentlichkeit als auch bei der Vermittlung von Medienkompetenz. Sie sollen, so hören wir, durch die kommerziellen lokalen Sender nicht gefährdet werden. Das ist, was die Vergabe von Sendefrequenzen angeht, mit dem Gesetzentwurf auch sichergestellt. Aber im Betrieb, in der Praxis wird es da, wo Bürgersender und kommerzielle Lokalsender nebeneinander stehen, natürlich einen Wettbewerb um die Hörerinnen und Hörer geben. Da sehen wir sehr wohl eine hohe Gefahr der Verdrängung von Bürgermedien.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir hätten nichts gegen diesen Wettbewerb, wenn beide Beteiligte vergleichbare Chancen hätten. Diese haben sie aber nicht. In der Realität werden die kommerziellen Sender die Mittel und Möglichkeiten haben, intensiv für das Hören ihrer Programme zu werben und sich bekanntzumachen: durch Zeitungsanzeigen, Werbung im Internet, Verteilung von Flyern an die Haushalte, wenn die Zeitungsausträgerinnen und Zeitungsausträger sowieso unterwegs sind. All das sind Möglichkeiten, die die Bürgersender personell und finanziell nicht haben. So werden unter allen potenziellen Hörerinnen und Hörern viele vom jeweiligen kommerziellen Sender erfahren, während Bürgermedien ihren Bekanntheitsgrad kaum steigern können und ihnen über die Jahre das Publikum wegfließen wird.

Völlig unzureichend sind auch die Verpflichtungen im Gesetzentwurf zur Sicherung der Meinungsvielfalt. Das haben in der öffentlichen Anhörung u. a. der DGB und die Vertreter der Kirchen kritisiert. Hier haben auch wir Linke große Sorge. In Niedersachsen gibt es in 35 von 46 Kreisen bzw. kreisfreien Städten - also in mehr als drei Vierteln - nur eine Tageszeitung. Das ist ohnehin schon keine wirkliche Meinungsvielfalt. Dieses Problem wird durch zusätzliche kommerzielle lokale Rundfunksender verschärft, weil auch in solchen Einzeitungskreisen der jeweilige Zeitungsherausgeber nach diesem Gesetz durchaus maßgeblich an solchen Sendern beteiligt sein darf. Da reichen auch die vorgesehenen Beschränkungen nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir Linke lehnen das Ansinnen der Landesregierung ab, weil wir die wichtigen Bürgersender nicht gefährden wollen und weil wir in diesem Gesetz keine Bereicherung, sondern eine Gefahr für die Meinungsvielfalt in unserem Land sehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Kollege Wittich Schobert hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Flauger, Sie verkennen in Ihrer Argumentation zum einen, dass Niedersachsen das letzte Bundesland in Deutschland ist, in dem es keinen lokalen kommerziellen Rundfunk gibt.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Sie tun geradezu so, als würden wir den lokalen kommerziellen Rundfunk hier in Niedersachsen erfinden. Leider ist das nicht der Fall.

Zum anderen - das ist mir sehr wichtig - schätzen wir die Arbeit der Bürgermedien über alle Gebühr. Das ist nicht das Thema. Aber Sie müssen der Fairness halber dann auch sagen, wie der Hauptteil der Arbeit der Bürgermedien finanziert wird, nämlich durch einen Anteil an den Rundfunkgebühren, die wir alle zahlen. Das heißt, ein Teil der 17,98 Euro, die wir morgen Abend hier wieder diskutieren werden, ist für die Arbeit der Bürgermedien reserviert. Sie stehen nicht in einer unmittelbaren Konkurrenzsituation. Die Bürgermedien werden durch einen Anteil an den Rundfunkgebühren und durch das, was private Gönner dazugeben - was sehr positiv ist -, getragen. Diejenigen, die im Bereich der lokalen kommerziellen Wirtschaft tätig werden wollen, müssen das, was sie zum Sendebetrieb brauchen, hingegen frei erwirtschaften.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE antwortet die Kollegin Flauger. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schobert, generell bin ich der Auffassung, dass etwas noch lange nicht deshalb gut sein

muss, weil alle anderen es machen. Sie müssen uns schon zugestehen, dass wir uns selber eine Meinung bilden und sie an dieser Stelle auch äußern.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Das glaube ich!)

Sie haben ausgeführt, dass Sie die Arbeit der Bürgermedien über alle Maßen schätzen. Dann sollten Sie sie nicht gefährden. Sie sagen, sie werden aus den Rundfunkgebühren finanziert. Das ist zwar richtig, aber was werden Sie denn tun? - Sie werden, wenn niemand mehr den Bürgermedien zuhört, doch die Ersten sein, die sagen: Dann brauchen wir sie auch nicht mehr. - Das ist das Risiko, das wir sehen und verhindert wissen möchten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob Ihre Entsprechung gegenüber Wünschen der Wirtschaft Wirtschaftsfreiheit ist oder nicht auch - was gegeneinander abgewogen werden muss - eine Gefährdung der Meinungsvielfalt. Ich denke, an dieser Stelle ist eine Rechtsgüterabwägung gefragt. Sie scheinen mir diese nicht verantwortlich genug vorgenommen zu haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Änderung des Niedersächsischen Mediengesetzes soll in erster Linie eine rechtliche Grundlage für die Veranstaltung von lokalem kommerziellem Rundfunk geschaffen werden. Das heißt, hier geht es nicht um mehr Information der Bevölkerung, sondern um mehr Werbung - lokal, gezielt und ohne Streuverluste. Ob die Welt das wirklich braucht, wage ich persönlich zu bezweifeln.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Daneben soll Presseunternehmen in Niedersachsen künftig ermöglicht werden, sich zu Medienhäusern mit crossmedialen Verbreitungs- und Vertriebswegen weiterzuentwickeln.

Wir wollen uns den Veränderungen des Medienmarktes in Form von lokalem kommerziellem Rundfunk nicht verschließen. Ob daran allerdings

wirklich ein reges Interesse besteht, wie Sie in der Gesetzesbegründung schreiben, wage ich zu bezweifeln. Die Situation ist doch so: Ein von der CDU-Fraktion Anfang des vergangenen Jahres vorgestelltes Gutachten sagt eindeutig, dass gar keine reichweitenstarken UKW-Frequenzen für Regionalradios mit einer technischer Reichweite von mehr als 1 Million Personen zur Verfügung stehen. Bei kommerziellem Regional-TV spricht das Gutachten von einer schwierigen Vermarktungssituation und unklarem wirtschaftlichem Erfolg. Vor diesem Hintergrund geht es um höchstens zwei regionale TVs in Ballungsräumen. Es ist sehr zu bezweifeln, ob kleine und mittlere Unternehmen aus der Medienbranche in der Lage wären, solche Angebote auf Dauer wirtschaftlich zu gestalten.

Sie ändern das Gesetz dennoch und begründen das u. a. damit, dass Sie einen belebteren, noch vielfältigeren Medienmarkt mit gesunden Strukturen schaffen wollen. Ich glaube, Sie werden das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht erreichen, und zwar vor allem aufgrund der Ausweitung der Verlegerbeteiligung. Hier besteht die Gefahr, dass Monopole ausgebaut werden. Das ist nicht im Sinne der Meinungsvielfalt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Denn wir haben in Niedersachsen über 75 % sogenannte Einzeitungskreise. Das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Durch die hohe Verlegerbeteiligung steigt die Gefahr publizistischer Doppelmonopole und damit einer marktbeherrschenden Meinungsmacht in einem Verbreitungsgebiet erheblich an. Das wollen wir nicht.

Sie sehen zwar Vielfalt sichernde Maßnahmen vor - Herr Rickert hat sie eben aufgezählt -, wir halten sie jedoch für qualitativ und quantitativ zu kurz gegriffen. Zwei Maßnahmen aus diesem Katalog halten Sie für ausreichend. Dort, wo ein Bürgersender existiert, soll sogar nur eine Maßnahme ausreichend sein. Sie verwenden die Bürgersender sehr gern als externe Vielfaltsgaranten. Im Kleinen stellen Sie sie jedoch gegenüber den kommerziellen Anbietern schlechter. Wir sind in unserem Änderungsantrag darauf eingegangen. Deswegen können Sie uns an der Stelle nicht für Ihren Vorschlag gewinnen.

In dem Änderungsantrag, den wir Ihnen gemeinsam mit der SPD vorlegen, versuchen wir, die aus unserer Sicht größten Fehler Ihres Entwurfs zu heilen. Wir wollen, dass die Verlegerbeteiligung

unterhalb von 25 % bleibt. Wir wollen den Anteil regional gestalteter lokaler Beiträge von 5 auf 10 % erhöhen, und wir wollen den Bürgerrundfunk gleichstellen.

Wir betrachten es nicht als Aufgabe von Hochschulen, Rundfunkveranstalter zu sein. Deswegen wollen wir, dass die entsprechenden Passagen gestrichen werden.

Außerdem wollen wir im Pressegesetz die Verleger verpflichten, im Impressum regelmäßig ihre Besitz- und Beteiligungsverhältnisse zu veröffentlichen.

Wir wollen Transparenz, Meinungsvielfalt und vor allen Dingen starke Bürgermedien. Das sind die Leitmotive unserer Medienpolitik. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag, damit wir das Gesetz gemeinsam verabschieden können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat mit der Neufassung des Mediengesetzes im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: erstens die Einführung kommerziellen lokalen und regionalen Rundfunks und zweitens die Anpassung des Gesetzes an aktuelle Änderungen im Rundfunkstaatsvertrag. Ich möchte aus Sicht der Landesregierung einige wenige Anmerkungen machen.

Es ist bereits mehrfach betont worden: Erstmals können nun auch lokale und regionale Rundfunkveranstalter bei uns in Niedersachsen lizenziert werden. Eine derartige Regelung existiert in vielen Bundesländern schon lange. Dennoch wurde sie bisher in Niedersachsen aus respektablen Gründen nicht getroffen. Es ist nunmehr an der Zeit, dies zu ändern.

Über viele Jahre war die Regelung, dass es nur landesweite Rundfunkprogramme und landesweite Verbreitung von Werbung geben durfte, sinnvoll, nämlich als Schutzzaun zugunsten der Werbemärkte der Tageszeitungen in Niedersachsen. Inzwischen aber ist aus diesem Schutzzaun eine begrenzende Mauer geworden, die Wachstum und Vielfalt der niedersächsischen Medienlandschaft hindert.

Meine Damen und Herren, unser Land Niedersachsen zeichnet sich mit Dutzenden von Tageszeitungen durch eine hohe publizistische Vielfalt aus, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Gleichwohl befinden sich die Zeitungsverlage in einer nicht einfachen Situation. Wir alle wissen um die Schwierigkeiten. Deshalb ist es unabweisbar, dass klassische Zeitungshäuser nun in die elektronischen Medien streben. Als Medienhäuser können sie ihre journalistischen Inhalte auf unterschiedlichen Wegen an ihre bisherigen, aber vor allem auch an neue Kunden heranbringen.

Gleichzeitig muss die Landespolitik aber im Blick haben, dass dieselben Zeitungen gerade in Niedersachsen oftmals eine starke Stellung, eine Monopolstellung auf dem jeweiligen lokalen Zeitungsmarkt haben. Es gilt daher zu verhindern, dass sie zugleich eine Monopolstellung beim lokalen Rundfunk erlangen. In der Tat gilt es - Frau Helmhold hat es gerade angesprochen - Doppelmonopole zu vermeiden, mit denen ein besonders starker Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung ausgeübt werden könnte.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sehr sicher: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vollziehen die Landesregierung und die Mehrheit in diesem Hause genau diese Gratwanderung, und das mit sehr überzeugenden Argumenten.