Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass es in Nordrhein-Westfalen einen Erlass des Innenministeriums gibt, der mit Blick auf die problematische Menschenrechtssituation für Roma im Kosovo vorsieht, dass in jedem Einzelfall die persönlichen Umstände umfassend ermittelt werden müssen, um unzumutbare Härten im Falle einer Abschiebung zu vermeiden, frage

ich die Landesregierung, ob ein ähnlicher Erlass auch für Niedersachsen geplant ist und, falls das nicht der Fall ist, inwiefern die Situation der betroffenen Flüchtlinge in Niedersachsen anders eingeschätzt wird als in Nordrhein-Westfalen.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, dass die neue nordrheinwestfälische Landesregierung einen ganz großen Erlass herausgegeben hat. In diesem Erlass sind schlichtweg Selbstverständlichkeiten aufgeführt, z. B. dass man - wie Sie dargestellt haben - in jedem Einzelfall überprüfen muss, ob es Härten gibt, ob sie abgeschoben werden sollen oder nicht. Es muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass man auch einen Asylfolgeantrag stellen kann. - Das gilt in Niedersachsen natürlich genauso.

Das, was hier der Öffentlichkeit suggeriert wird - was ja auch in der Öffentlichkeit immer wichtig ist -, dass man einen humaneren Umgang pflegt, ist schlichtweg nicht der Fall. All das, was dort zusammengeschrieben worden ist, ist geltende Rechtslage. Es wäre allerdings auch schlimm, wenn man in diesem Erlass etwas anderes als die geltende Rechtslage abbilden würde. Insofern muss ich feststellen, dass die neue Landesregierung gerade in diesem Fall etwas suggeriert, was schlichtweg nicht haltbar ist. Insofern gibt es bei der Rückführung von Roma aus Nordrhein-Westfalen in das Kosovo auch gar keine Veränderung. Ich kann es auch boshaft sagen: Das ist etwas für die Medien, ändert aber in der Sache nichts.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Kollegin Polat stellt die nächste Zusatzfrage.

Ich würde mir wünschen, dass wir einen ähnlichen Erlass auch hier verabschieden würden. Sie sollten sich den einmal durchlesen. Er geht viel weiter als das, was wir in Niedersachsen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN - Reinhold Coenen [CDU]: Sie dürfen hier keine Kommentierungen abgeben!)

Meine Damen und Herren, ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund der aktuellen UNICEF-Studie, vor dem Hintergrund der aktuellen Pressemitteilungen der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur Situation insbesondere von Kindern und Jugendlichen in den Romalagern, in den Enklaven, wo die Roma untergebracht werden. Ich möchte vor diesem Hintergrund einige Zahlen zitieren:

(Reinhold Coenen [CDU]: Frage!)

25 % der Menschen in der Republik Kosovo leiden unter Kriegstraumata/PTBS, die gesundheitliche Versorgung ist nicht sichergestellt. Vor dem Hintergrund, Herr Schünemann, dass ich selber mit meiner Kollegin im Kosovo war - der Leiter der psychiatrischen Abteilung der Uniklinik Priština, Herr Ulaj, hat erklärt, dass die psychiatrische Grundversorgung sehr schwach ist, es gibt keinerlei - - -

Frau Kollegin, das kann ich als einleitende Bemerkung fast nicht mehr zulassen. Ich möchte Sie bitten, jetzt die Frage zu stellen.

Ich möchte eben noch die Zahlen ausführen.

Aber ich kann es nicht zulassen.

25 % sind psychisch erkrankt.

Bitte jetzt die Frage!

Es gibt nur drei Psychologen in der gesamten Republik Kosovo. Ich frage die Landesregierung: Ist sie nicht gewillt, insbesondere für schutzbedürftige Personen, insbesondere für Kinder, Alte und Kranke, eine besondere Regelung wie in NRW und in Rheinland-Pfalz zu erlassen, nach der Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen erteilt werden können?

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht bereit, irgendwelche Erlasse herauszugeben, die nichts anderes abbilden als das, was bereits Recht ist. Es gibt nicht einen einzigen Punkt in dem Erlass Nordrhein-Westfalens, der nicht auch in Niedersachsen gilt. Dies ist Show. Ich weiß, dass in dieser Frage oftmals Show gemacht wird. Das ist aber nicht angemessen im Hinblick auf die Bürgerinnen und Bürger, die dann tatsächlich wieder in das Kosovo zurückkommen. Hier wird etwas suggeriert, was sich letztlich nicht bewahrheitet. Das ist meiner Ansicht nach nicht richtig.

(Silva Seeler [SPD]: Das stimmt nicht!)

- Es ist wahr! Nennen Sie nur einen Punkt aus diesem Erlass, der in Niedersachsen nicht gilt! - Den gibt es nicht! Lesen Sie mir das vor, dann kann ich Ihnen darlegen, ob das Ausländerrecht in diesem Punkt bei uns nicht so angewandt wird wie in Nordrhein-Westfalen oder in Rheinland-Pfalz. Wenn das anders ist, werde ich das in der Innenministerkonferenz vortragen. Dann werden wir sehen, ob es hier Unterschiede gibt. Dies kann nicht sein.

Ich habe auch ein Interview mit dem Innenminister von Sachsen-Anhalt, dem sehr geschätzten Herrn Hövelmann, gehört. Er hat auch hervorragend in die Kameras gesagt: Ich werde mir jeden einzelnen Fall persönlich angucken. - In Sachsen-Anhalt gibt es erheblich weniger Fälle. Insofern ist das machbar. Aber dadurch, dass er sich die Fälle anguckt, ändert sich die Rechtslage in keiner Weise. Deshalb ist das schlichtweg nicht machbar.

Aus Bremen wird suggeriert, dass nicht mehr abgeschoben werde. Aber es gibt in Bremen keinen Abschiebestopp. Da ist nichts veranlasst worden. Vielmehr wird in der Öffentlichkeit, weil Druck aufgebaut wird, in irgendeiner Weise dargelegt, dass man etwas am Recht ändere. Dies ist aber nicht geschehen.

Sie wissen, dass ich in diesem Hause immer dargestellt habe, dass wir versuchen müssen, das Aufenthaltsrecht so zu ändern, dass Jugendliche, die hier integriert sind, auch unabhängig von den Eltern ein Aufenthaltsrecht bekommen sollten. Das ist meiner Ansicht nach ein richtiger Weg. Ich bin ganz optimistisch, dass wir bei der nächsten Innenministerkonferenz zu entsprechenden Be

schlüssen kommen. Auch in meiner ersten Antwort habe ich dargelegt, dass das gerade auch für die Jugendlichen eine besondere Härte ist. Ich habe Ihnen aber auch dargelegt, welche Unterstützungsprogramme Niedersachsen u. a. zusammen mit Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt direkt vor Ort anbietet. URA hilft genau in den Punkten, die Sie dargestellt haben.

Sie sagen, dass die Verhältnisse nicht entsprechend seien. - Es ist nicht Aufgabe einer Landesregierung, sondern des Auswärtigen Amtes von Herrn Westerwelle, über die Lage zu berichten. Wir schauen uns die Berichte - der letzte ist im Juni dieses Jahres veröffentlicht worden - im Detail an: Gibt es irgendwelche Dinge, die zu Änderungen des Verfahrens führen sollten? - Das Auswärtige Amt hat eindeutig erklärt, dass es hier keine Änderungen geben muss. Es hat sich die Fälle angeschaut, über die immer wieder berichtet worden ist.

Es kann nicht sein - dann würden wir unser System falsch verstehen -, dass jedes Bundesland selber schaut, ob es andere Erkenntnisse gibt. Das ist nun einmal Aufgabe des Bundes, und diese Regelung ist richtig. Daran habe ich keine Zweifel. Aber wenn es hier immer wieder Diskussionen gibt, ist es schon richtig, dass man sich das vor Ort einmal anguckt. Aber wir haben die Berichte, die vom Auswärtigen Amt kommen, genau so bestätigt.

Bindend sind jedoch nicht all die Berichte von Delegationen, Flüchtlingsverbänden, Kirchen und anderen, sondern das, was vom Auswärtigen Amt abschließend in seinem offiziellen Bericht veröffentlicht wird. Darin werden alle Hinweise, die z. B. von Ihnen und von den Kirchen kommen, mit aufgenommen. Dann gibt es ein abschließendes Votum des Auswärtigen Amtes. Daran ist jede Landesregierung gebunden, auch die von NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bremen.

(Zustimmung von Editha Lorberg [CDU])

Frau Kollegin Twesten stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Herr Schünemann, auch wenn Sie es anders sehen, sind Abschiebungen in das Kosovo angesichts der patriarchalischen Situation insbesondere für Frauen unzumutbar und gefähr

lich und laufen absehbar auf menschliche Katastrophen hinaus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Warum werden im aktuellen Fall des im Landkreis Rotenburg bereits seit April bestehenden Kirchenasyls im Hinblick auf die offensichtlich schwierige und bedrohliche gesundheitliche Situation der beiden Frauen Selvije Ernst und Dulja Saiti die Verantwortlichkeiten für ein Bleiberecht permanent zwischen der Ausländerbehörde, der Härtefallkommission und dem MI hin und her geschoben?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verantwortlichkeiten werden nicht hin und her geschoben, sondern sind eindeutig geklärt.

Gerade vor dem Hintergrund der Presseberichte der letzten Tage haben wir uns angeschaut, ob von der Ausländerbehörde in Rotenburg irgendetwas unterlassen worden ist oder ob dort nicht richtig gehandelt worden ist. Dabei geht es ja auch um ärztliche Gutachten. Wir konnten feststellen, dass der Landkreis völlig richtig gehandelt hat. Nachdem Erkenntnisse vorgetragen wurden, hat er den Amtsarzt noch einmal befragt, ob es in diesem Fall Probleme gibt, gerade was die persönliche gesundheitliche Situation angeht. Denn das wäre tatsächlich ein Abschiebungshindernis, das in die Verantwortung des Landes fiele. Der Amtsarzt ist noch einmal befragt worden. Das ist so rechtlich völlig korrekt geordnet. Der Amtsarzt muss bescheinigen, ob es irgendwelche Hindernisse gibt. Dies ist nicht geschehen. Die Verantwortlichkeiten sind somit völlig klar, und es gibt nichts zu beanstanden.

(Elke Twesten [GRÜNE]: Eine Zusatz- frage!)

Frau König stellt die nächste Zusatzfrage.

(Elke Twesten [GRÜNE]: Eine Zusatz- frage!)

- Frau Kollegin Twesten, Sie haben hier noch die Möglichkeit. Ihre Fraktion kann noch Fragen stellen.

Frau König stellt die nächste Zusatzfrage.

(Marianne König [LINKE]: Soll ich jetzt meine Frage stellen oder Frau König von der FDP?)

- Sie sind jetzt dran, wie eben aufgerufen.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Es gibt auch eine Frau König in der FDP- Fraktion! Dann wird man wohl noch nachfragen dürfen!)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich frage die Landesregierung: In wie vielen Fällen wurden seit Abschluss des Rückführungsabkommens mit dem Kosovo aus dem Kosovo stammende Roma nach Serbien abgeschoben, und nach welchen Kriterien richtet sich die Entscheidung für eine Rückführung nach Serbien oder in das Kosovo?