Protokoll der Sitzung vom 21.01.2011

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Lassen Sie mich mit einer von einer breiten Gesellschaft getragenen Aussage beginnen: Ohne Mindestlöhne droht Lohndumping. - Das ist die Situation, vor der wir hier in Deutschland stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn man bedenkt, dass nur noch 14 Wochen, weniger als 100 Tage, vor uns liegen, bis auf dem Arbeitsmarkt ein Desaster droht, bis Arbeit in Deutschland zur Ramschware wird, dann muss man sich wirklich fragen: Alle Seiten in Deutschland fordern eine Lösung, aber CDU und FDP weigern sich an jeder Stelle - auch aktuell im Vermittlungsausschuss -, eine solche Lösung herbeizuführen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich möchte für die sozialdemokratische Fraktion Folgendes sagen: Wir begrüßen die konsequente Umsetzung der Freizügigkeit; das ist notwendig. Aber es war sieben Jahre lang Zeit, in der es galt, Regeln zu finden. Diese Regeln sollte man finden, um die größtmöglichen sozialen Verwerfungen, die entstehen könnten, zu verhindern. Dies war die Begründung, warum zwei Jahre, nämlich von 2009 bis 2011, als zusätzliche Verlängerung möglich waren.

Wir haben die Zahlen gerade gehört: Bis 2020 - so die Schätzung der Bundesagentur - werden ca. 1,4 Millionen Menschen aus dem europäischen Ausland auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen und für weniger Geld arbeiten, wenn sich nichts ändert, als es jetzt der Fall ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden über Branchen, in denen die Arbeitsbedingungen schon jetzt zum Teil sehr schlecht sind. Dass es noch schlimmer geht, werden wir sehen; denn jetzt haben wir noch Rahmenbedingungen, die zumindest bei der Frage der Nichtbeschränkung der Freizügigkeit die Bezahlung über das Werkvertragsabkommen vorsieht. Wir erkennen schon an dieser Stelle, was passiert.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Ministerpräsidenten eine Frage zu stellen. Wir haben im Zusammenhang mit der Fleisch verarbeitenden Industrie in den letzten Wochen eine breite Diskussion gehabt, wie Löhne in Deutschland eigentlich aussehen müssen. Ich erinnere mich an die Diskussion hier im Landtag, die wir geführt haben, ob eine Bezahlung von 5 Euro menschenwürdig ist. Ich warte noch immer auf die Stellungnahme des Ministerpräsidenten, der sagt: 5 Euro sind

unwürdig. - Das ist die Aussage, die ich von dem Regierungschef dieses Landes erwarte.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Kollege Lies, bevor Sie fortsetzen, haben Sie jetzt die Chance, eine Frage von Herrn Hoppenbrock zu beantworten, wenn er eine stellen darf.

Gerne.

Bitte, Herr Hoppenbrock!

Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Lies, Sie sagten gerade, es sei sieben Jahre lang Zeit gewesen, um sich auf die EU-Freizügigkeit vorzubereiten. Wenn ich mich richtig erinnere, war in Berlin ein Arbeitsminister tätig, der auch SPD-Vorsitzender war, nämlich Herr Müntefering. Können Sie mir eine Begründung sagen, warum die Erleuchtung erst jetzt kommt, nachdem Sie keine Verantwortung mehr haben, und warum Sie vorher untätig waren?

Herr Kollege Lies, bitte!

(Detlef Tanke [SPD]: Das ist eine ein- fache Frage!)

Herr Kollege Hoppenbrock, können Sie mir eine Begründung dafür nennen, warum bei Ihnen die Erleuchtung noch immer nicht gekommen ist?

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Hoppenbrock, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erleuchtung ist wohl auch deswegen gekommen - dies haben wir gerade schon gehört -, weil diese Forderung in den unterschiedlichen Gewerbezweigen und Gewerken von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden mit großer Deutlichkeit aufgestellt wird.

Können Sie mir erklären, warum der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen zusammen mit den Gewerkschaften unsere mecklenburgische Sozialministerin Manuela

Schwesig anruft bzw. anschreibt und sie bittet, im Vermittlungsausschuss nur einer Paketlösung zuzustimmen und sicherzustellen, dass der Mindestlohn eingeführt wird? Warum schreiben Sie denn eine Ministerin der SPD an? Warum ist von der Bundesregierung keine Rückmeldung zu erwarten?

Können Sie mir erklären, warum Ihnen die große Sorge, die genau dieses Gewerbe hat, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zukünftig auf den deutschen Markt drängen, die für 2 Euro arbeiten, nicht Grund genug ist, dafür zu sorgen, zumindest den Mindestlohn, den man dort vereinbart hat - wir reden über Mindeststandards -, für allgemein verbindlich zu erklären? Wir reden da - ich darf das hier einmal sagen - im Mai 2011 von 6,53 Euro und im März 2013 von 7,50 Euro. Das ist zwar für die Arbeit noch immer zu wenig, aber es ist immerhin der einzige Schutz, den wir einführen können, damit es nicht noch schlimmer kommt. Wenn die Erleuchtung noch immer nicht gekommen ist, Herr Hoppenbrock, dann hätte ich noch einige weitere Beispiele für Sie.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Kollege Lies, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie auch diese zu?

Bitte, Herr Kollege Riese!

(Detlef Tanke [SPD]: Jetzt wird es ge- fährlich!)

Herzlichen Dank, Herr Lies. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mein Bedauern darüber teilen, dass sich die traditionsreichen deutschen Gewerkschaften offenbar nicht mehr in der Lage sehen, ihrer grundgesetzlichen Aufgabe nachzukommen und Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, und dass die Gewerkschaften in dieser Frage nach dem Staat rufen.

(Beifall bei der FDP - Zurufe - Unruhe)

Herr Lies, bitte!

Es ist interessant, dass Sie auf den Tisch klopfen. Diejenigen, die jetzt geklopft haben, möchte ich gerne bitten, mir zu erklären, warum sie das getan haben. Wo wird denn gerade verhindert, dass allgemein verbindliche Tarifverträge abgeschlossen werden? Es ist doch die FDP, die dies gerade verhindert. Und ausgerechnet Sie stellen sich hier an das Mikrofon und wollen mir erklären, was nicht funktioniert. Hören Sie doch auf! Es ist ja unmöglich, wie Sie sich hier aufführen!

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - La- chen bei der CDU und bei der FDP)

- An Ihrer Stelle würde auch ich ganz bestimmt darüber lachen. Die FDP verhindert nämlich gerade allgemein verbindliche Tarifverträge.

Da Sie sich gerade gemeldet haben, kommen wir doch einmal zur FDP. Es geht auch um die Zeitarbeitsbranche. Darauf zielt der Antrag in erster Linie ab. Ich möchte auf den hervorragenden Vorschlag der FDP zur Regelung für die Zeitarbeit eingehen. Der hervorragende Vorschlag der FDP ist: Wer länger als zwölf Monate arbeitet, der soll das gleiche Geld für die gleiche Arbeit bekommen.

(Christian Grascha [FDP]: Das ist schon mal falsch!)

- Das ist so von der FDP gesagt worden. Dann müssen Sie sich in Berlin melden.

Jetzt mal allen Ernstes: Ist das wirklich Ihre Vorstellung? Glaubt einer von Ihnen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, von denen wir reden, die aus dem europäischen Ausland hierher kommen, länger als zwölf Monate hier arbeiten werden? - Ich will offen sagen: Da sind drei Monate schon zu viel, weil sie sonst alle drei Monate ausgetauscht werden. Das ist doch die Realität Ihres unsäglichen und unqualifizierten Vorschlags!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich glaube, dass wir da auf einer ganz breiten Linie sind. Der DGB-Chef Michael Sommer hat gesagt, der Mindestlohn in der Zeitarbeit wäre ein wichtiger Meilenstein im Kampf um den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der eindeutig die Forderung ist.

Auch ver.di-Chef Bsirske sagt, der Lohndruck gerade im Leiharbeitsbereich würde noch mehr zunehmen, wenn es nicht gelingt, den Mindestlohn in der Zeitarbeit ins Arbeitnehmergesetz aufzunehmen.

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist doch der mit dem Stinkefinger!)

- Herr Thiele, auch Ihre - möglicherweise qualifizierteren - Kollegen haben sich dazu geäußert, und zwar Herr Thümler und Herr Toepffer.

(Dirk Toepffer [CDU]: Sie haben es doch gelesen! - Ulf Thiele [CDU]: Richtig so!)

Herr Thümler und Herr Toepffer - das habe ich mit Freude zur Kenntnis genommen - haben gesagt: Zeitarbeit besser bezahlen. - Sie haben sich für einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche und für den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ausgesprochen. Ich glaube, dann sind wir zur Beschlussfassung des Antrags nicht weit voneinander entfernt, auch wenn der kleine Partner an Ihrer Seite dem vielleicht nicht zustimmen wird. Ich hoffe, das ist für Sie kein Grund, dem nicht zuzustimmen.

Zu Ihrem kleinen Partner:

(Johanne Modder [SPD]: Noch-Partner!)

- Noch-Partner, das ist ja nicht mehr lange der Fall.

(Jens Nacke [CDU]: Haben Sie ei- gentlich noch ein zweites Thema?)

- Hören Sie doch zu, damit Sie auch was zu meckern haben!

Auch der Kieler Arbeits- und Sozialminister, Heiner Garg von der FDP, hat sich geäußert. Abweichend von seiner Bundespartei unterstützt Herr Garg einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche: „Das ist kein Teufelszeug, sondern das kann ein vernünftiger Vorschlag sein.“

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)