Protokoll der Sitzung vom 14.09.2018

Das gibt mir Gelegenheit, darzulegen - wenn Sie wollen: zu wiederholen -, was wir gestern hier in aller Ausführlichkeit und Gründlichkeit dargelegt haben.

Die rechte Szene ist sehr breit. Sie beginnt rechts außen bei echten Neonazis, Neonazis aus der Hooliganszene und geht über Nationaldemokraten und andere Republikaner, über die Identitäre Bewegung bis - das muss man leider sagen - in Ihre Reihen hinein. Auch die AfD muss man zur rechten Szene zählen, sicherlich nicht durchgehend zur rechtsextremen. Die Definition „Rechte Szene“ ist damit weitgehend beschrieben.

Der Kern der rechten Szene, wie wir ihn beschreiben, wenn wir über Anreisende zu solchen Veranstaltungen und andere reden, ist der, den ich anfangs beschrieben habe: Diejenigen, die sich zu bestimmten Gruppierungen zählen, ihnen angehören und sich immer wieder öffentlich äußern, Straftaten begehen und in anderen Kontexten in Erscheinung treten.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Ich danke Ihnen. - Es liegen keine weiteren Zusatzfragen aus den Fraktionen vor.

Wir eröffnen hiermit die Aussprache. Ich bitte um Wortmeldungen. Wie schon zuvor: Jede Fraktion hat 4 Minuten und die Landesregierung insgesamt - einschließlich der Beantwortung der Anfrage und der Zusatzfragen - 15 Minuten.

Zu Wort gemeldet hat sich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Anja Piel. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen jetzt, dass auch Nazis aus Niedersachsen - aus Braunschweig und aus Hildesheim - nicht nur in den vergangenen Jahren zu Nazikonzerten, sondern auch in den letzten Wochen nach Chemnitz gereist sind. Und wir wissen - trotz noch nicht abgeschlossener Ermittlungen, die sicherlich noch andere Erkenntnisse bringen -, dass auch von Niedersachsen aus zu Demonstrationen mobilisiert worden ist, mit denen Gewalt und Propaganda einhergingen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was führt uns das vor Augen, liebe Kolleginnen und Kollegen? - Es gibt zunächst einmal keinen Grund, dass wir von Niedersachsen aus mit dem Finger auf Sachsen zeigen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Die Nazis in Sachsen finden zahlreiche Unterstützung aus Niedersachsen. Die Nazis sind bundesweit so gut organisiert und so kampagnenfähig, dass sie für Konzerte oder Veranstaltungen mobilisieren, egal in welchem Bundesland sie stattfinden, ob im Osten oder bei uns. Sie bauen Strukturen auf, sie vernetzen sich, und sie mobilisieren sich und verabreden sich, Menschen zu verfolgen und sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Dagegen müssen wir auch und gerade in Niedersachsen etwas tun.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der CDU)

Auch hier bei uns gründen sich Bürgerwehren so wie in Salzgitter. Es finden sich Schweineköpfe und Blutschmierereien an und vor Moscheen. Es werden Synagogen mit Angriffen überzogen, und es finden sich Waffen bei Nazis. Immer wieder.

Wir sehen da nicht weg. Wir sind sehr gut beraten, zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch niedersächsische Nazis waren, die auf den Titelseiten in Chemnitz zu sehen waren. Wir sind uns in den letzten Tagen mit den Demokratinnen und Demokraten in diesem Haus sehr einig gewesen, wie wichtig politische Bildung und eine starke Zivilgesellschaft sind, um diesen Entwicklungen offensiv zu begegnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Es braucht also starke Strukturen und engagierte Menschen, um eine Demokratie zu verteidigen. Wir haben - das ist gestern auch angesprochen worden - anders als in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Chance und die Möglichkeit, mit diesen Strukturen dafür zu sorgen, dass Demokratie erlernt und umgesetzt werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was ist für unsere Haushaltsberatungen in diesem Zusammenhang wichtig? - Das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus muss gestärkt, ausgebaut und profiliert werden. Die mobilen Beratungen müssen ausgebaut und die Mittel dafür verstetigt werden. Das ist eine unglaublich wichtige Arbeit für die Städte und Kommunen, damit dort Menschen sitzen, die sie in ihrer Arbeit unterstützen, wenn solche Konzerte und solche Ereignisse bei ihnen stattfinden.

Wir reden oft darüber, dass das Ehrenamt auch ein Hauptamt braucht. Das ist gerade in diesem Bereich, wie wir jetzt auch an den Berichten vom Innenminister sehen konnten, wichtiger denn je.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen an dieser Stelle Verlässlichkeit. Gleiches gilt für die mobile Opferberatung, die in den letzten Jahren eingerichtet wurde. Hier arbeitet eine Handvoll Mitarbeiter für das ganze Land. Wir wissen, dass diese mobile Opferberatung ausgebaut werden muss.

Ich will in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass es ein Problem bei der Mordserie des NSU war, dass die Angehörigen der Menschen, die Opfer dieser Morde waren, niemanden hatten, an den sie sich mit ihren Verdachtsmomenten wenden konnten. Auch dafür brauchen wir mobile Opferberatung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Piel, es liegt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bothe vor. Würden Sie diese zulassen?

Ja, gerne.

Vielen Dank, Frau Kollegin, für das Zulassen dieser Zwischenfrage.

Meine Frage ist: Sie haben ganz oft das Wort „Nazi“ gesagt. Ab wann ist jemand in Ihrem Modell von Welt ein Nazi?

Vielen Dank.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: „In Ihrem Modell von Welt“!)

Herr Bothe, es ist sehr bezeichnend, dass Sie mir diese Frage stellen. Wir haben eben schon von Herrn Pistorius gehört, wo wir Menschen rechts verorten müssen. Ich glaube, diese Definition ist im übrigen Haus - außerhalb Ihrer Sitzreihe - sehr klar: Menschen, die sich an die Seite rechter Gewalttäter schlagen, Menschen, die Demonstrationen begleiten, an deren Rand Menschen gejagt werden, Menschen verfolgt werden, Menschen einfach nur wegen ihrer angenommenen Nationalität in Angst und Schrecken versetzt werden. Da

reichen ja schon das Aussehen oder die falsche Haarfarbe. Das sind Nazis. Ich glaube, das kann ich für das ganze Haus hier sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Im Rückblick auf die unguten Debatten des vergangenen Sommers sehe ich uns alle in der Verantwortung, dass wir nicht Stichwortgeber für solche Entwicklungen sein dürfen. Wenn Nazis Übergriffe durch die Diskursverschiebung in der Politik gerechtfertigt sehen, dann läuft etwas aus dem Ruder. Das konnte man an dem Anstieg der rechten Straftaten der letzten Jahre sehr gut beobachten.

Ich finde es unerträglich, wenn ein Bundesinnenminister Seehofer ohne Konsequenzen Menschenrechte infrage stellt und der Präsident des Verfassungsschutzes sich den Staat und seine Behörden zur Beute macht und hochsensible Informationen verteilt und weitergibt, wie er gerade lustig ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Glo- cke der Präsidentin)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir ein letztes Wort: Es war nicht eine Schar besorgter, abgehängter und an Leib und Leben bedrohter Bürger auf den Straßen in Chemnitz, die andere Menschen gejagt haben. Nein, das waren Menschen, die bewusst und bösartig auf andere Menschen losgegangen sind. Politikerinnen und Politiker, die sich mit solchen Menschen gemein machen, sind Nazis. Dagegen müssen wir etwas tun. Dieses Haus vertritt Demokratie, lebendig und aktiv.

Und um es mit den Worten von Stephan Weil zu sagen:

Frau Piel, der letzte Satz!

Wir geben Nazis keinen Fußbreit.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Für die AfD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Wichmann zur Aussprache gemeldet.

(Zuruf: Vielleicht entschuldigt er sich erst einmal! - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Sich für den Ordnungsruf entschuldigen, das kann er am An- fang machen!)

- Ich bitte im Rahmen der Aussprache um Ruhe.

Herr Wichmann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD-Fraktion verurteilt Gewalt in jeder Form. Nachdem, was wir hier gestern alles hören durften, wird dies vermutlich auch angezweifelt, daher noch einmal für Sie: Die AfD-Fraktion verurteilt jede Form von Gewalt, egal von wem, egal gegen wen, egal warum.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das haben Sie in Ihren Facebook-Posts nicht ein einziges Mal geschrieben!)

- Hören Sie doch einfach mal zu, anstatt sofort dazwischenzuschreien!

Das Gewaltmonopol liegt beim Staat, und das ist gut so.

(Beifall bei der AfD)