Protokoll der Sitzung vom 15.05.2019

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon beeindruckend, wie Frau Janssen-Kucz versucht, die Welt in der Pflege darzustellen.

(Zuruf von Meta Janssen-Kucz [GRÜNE])

Ich finde es schon ein bisschen beeindruckend, dass man hier vom „zahnlosen Tiger“ und vom

„Bettvorleger“ spricht. Es geht um Pflegebedürftige, um Menschen!

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Ja!)

Daran sollten wir uns in erster Linie orientieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir beraten hier heute zwei Anträge, die sich mit der Sicherung der ambulanten Pflege in Niedersachsen beschäftigen. Während der eine Antrag, nämlich der Antrag von Grünen und FDP, eigentlich ausschließlich eine aufsichtsrechtliche Keule schwingt, beschäftigt sich der Antrag von CDU und SPD mit konkreten Verbesserungen in der Pflege, nämlich mit der auskömmlichen Refinanzierung von Pflegeleistungen, die dann zwangsläufig zu besseren Arbeitsbedingungen und einer höheren Attraktivität des Pflegeberufes führt.

Der von Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgelegte Antrag hat nicht einen Ansatz, der zu einer auskömmlichen Refinanzierung von Pflegeleistungen und damit zu mehr Attraktivität der Pflege beiträgt. Die Drohung mit aufsichtsrechtlichen Konsequenzen sorgt nur für eines: für Frustration bei den Pflegekräften und für Frustration bei den Pflegeanbietern. Wenn Sie dies einmal mit Pflegeanbietern diskutiert hätten, wäre dies als Antwort gekommen.

Werfen wir einen Blick in die Details des Antrages! Ich weiß nicht, wie Sie hier behaupten können, dass die Pflegesituation gefährdet sei. Hierfür haben Sie keinen Beweis, gerade nachdem AWO, Caritas und Diakonie in den letzten Monaten eine entsprechende Pflegesatzvereinbarung mit den Kassen abgeschlossen haben.

Außerdem, finde ich, sollten Sie sich vor Augen führen: Wenn Sie aufsichtsrechtliche Maßnahmen verfolgen, kann dies nur für die AOK oder für landesunmittelbare Pflegekassen gelten und nicht für die anderen Pflegekassen, sodass Sie hier auch nur einen Teil der Pflegekassen treffen, die von den Verhandlungen betroffen sind. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, hilft wirklich niemandem in der Pflege weiter.

Wenn Sie sich einmal mit den Konsequenzen auseinandersetzen, die sich nach § 89 SGB IV aus einer aufsichtsrechtlichen Maßnahme ergeben, werden Sie feststellen, dass zunächst einmal eine Verletzung der Rechte durch Handeln oder Unterlassen festgestellt sein muss. Folglich müsste die Aufsichtsbehörde - sprich: das Sozialministerium -

mit den Kassen Gespräche führen, um zu erreichen, dass diese Rechtsverletzung abgestellt wird. Gelingt dies nicht, kann die Aufsichtsbehörde die Kassen verpflichten, diese Rechtsverletzung abzustellen. Wenn man sich das einmal anguckt, muss man doch, glaube ich, sagen: Dies alles ist sehr theoretisch und führt nicht einmal ansatzweise zur einer Verbesserung der Situation in der Pflege.

Ich bin der Sozialministerin sehr dankbar dafür, dass sie in den vergangenen Wochen viele Gespräche geführt und damit auch dazu beigetragen hat, dass es zu entsprechenden Vergütungsvereinbarungen zwischen den Pflegekasse sowie Caritas, Diakonie und AWO gekommen ist. Das ist konkrete Politik, und das hilft den Pflegeanbietern.

(Beifall bei der CDU)

Ihre „Zahlenakrobatik“, die Sie sowohl in Ihrer Pressekonferenz als auch heute an den Tag gelegt haben, finde ich ziemlich beeindruckend, aber in keiner Weise valide. Indem Sie behaupten, dass täglich 230 Menschen bei der ambulanten Pflege abgelehnt werden, diese Zahl mit den 5 Tagen einer Arbeitswoche multiplizieren und das Ergebnis auf die 50 Wochen eines Jahres hochrechnen, kommen Sie auf 57 500 abgelehnte Pflegebedürftige. Dies halte ich angesichts der Gesamtzahl der in Niedersachsen ambulant Gepflegten von 168 000 doch für sehr übertrieben und in keiner Weise nachvollziehbar.

(Jörg Hillmer [CDU]: Die Grünen kön- nen halt nicht rechnen!)

- Das lasse ich mal dahingestellt.

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Wenn man keine Argumente hat, muss man so argumentieren!)

Wichtig für die Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes wäre aus unserer Sicht ein Tarifvertrag Soziales, der aus unserer Sicht nur aus einer Gehaltstabelle zu bestehen braucht und dann für allgemeinverbindlich erklärt werden muss.

Wir alle wissen, dass bei den Verhandlungen in den letzten Monaten und Jahren trotz gesetzlicher Vorgaben immer wieder über die Refinanzierung der Tariflöhne und der Wegepauschalen gestritten wurde. Dass die Kalkulation der Pflegedienste immer wieder strittig gestellt wird, ist auch aus unserer Sicht nicht hinnehmbar, gerade wenn man weiß, dass ein Pflegeanbieter mit über 200 Pflegediensten Durchschnittswerte aus 100 Pflegediensten ermittelt hat und diese Kosten auch von den

entsprechenden Pflegekassen als nachvollziehbar eingestuft wurden.

Herr Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfragen von Frau Janssen-Kucz?

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer.

Sie haben in Ihrem Beitrag darauf hingewiesen, dass es jetzt eine Einigung gibt, auch was Diakonie und AWO angeht. Aber wie erklären Sie sich dann eigentlich, dass die Caritas in Hildesheim gerade 31 Mitarbeiterinnen entlassen und 18 Pflegeverträge aufgekündigt hat? Die Welt scheint doch nicht so in Ordnung zu sein, wie Sie es hier zu suggerieren versuchen.

Frau Janssen-Kucz, die Frage ist gestellt. Vielen Dank.

Frau Janssen-Kucz, wenn Sie dies mit der Caritas besprochen hätten, hätten Sie erfahren, dass dies kein generelles Problem ist, sondern vielleicht ein spezifisches Problem, das in diesem Einzelfall nicht zwischen Pflegekassen und Pflegeanbietern gelöst werden kann.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich setze noch einmal da an, wo ich eben aufgehört habe, nämlich bei dem einheitlichen Kalkulationsschema.

Ich glaube, es ist wichtig, dass sich Pflegekassen und Pflegeanbieter endlich auf ein einheitliches Kalkulationsschema für die Pflegesatzverhandlungen verständigen, in dem neben der Refinanzierung der Tariflöhne und der Wegepauschalen vor allen Dingen auch Gewinn- und Wagniszuschläge anerkannt werden. Dann haben wir endlich ein Ende der Diskussion, dass jeder Einzelne entsprechende Belege beibringen muss.

Uns erscheint es außerdem sehr wichtig, dazu zu kommen, dass in Zukunft auch Dachverbände die Verhandlungen führen können und dass die Entscheidungen aus Schiedsstellenverfahren anonymisiert veröffentlicht werden. Dann können sich viele Pflegeanbieter daran orientieren, dann ist das

Verfahren nachvollziehbar, und dann können sie die entsprechenden Entscheidungen übernehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube - da bin ich mit Frau Janssen-Kucz einer Meinung -, die Pflegebedürftigen haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen in Zukunft - wie auch bisher - eine hochwertige Pflege in Niedersachsen sichern, damit sie ihr Leben im Alter so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden führen können. Wir sollten die Ausschussberatungen nutzen, um hier zu zielgerichteten Lösungen im Sinne unseres Antrages zu kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Ich danke auch Ihnen, Herr Kollege Meyer. - Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Björn Försterling.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Meyer, das, was Sie eben geschildert haben, entspricht nicht der Wahrnehmung von Angehörigen, die Plätze in der Kurzzeitpflege oder einen ambulanten Pflegedienst suchen. Die Realität für diese Angehörigen sieht so aus, dass sie kaum einen Platz in der Kurzzeitpflege finden, dass sie tagelang telefonieren, um einen ambulanten Pflegedienst zu finden. Ambulante Pflegedienste sagen immer wieder: Unsere Warteliste ist so lang. Wir können keinen mehr aufnehmen.

Wie das Beispiel der Caritas in Hildesheim zeigt, ist es Realität in Niedersachsen, dass Pflege nicht mehr so betrieben werden kann, wie sie notwendig erscheint, und dass auch laufende Pflegeverträge gekündigt werden müssen, weil die Anbieter in der ambulanten Pflege eben nicht mehr auskömmlich finanziert sind und natürlich auch Personalprobleme haben.

Und Sie sagen hier: Die Personalprobleme lösen wir einfach mit einem Tarifvertrag Soziales! - Den können die aushandeln. Damit hat keiner ein Problem.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Aber jeder Anbieter wird Ihnen sagen: Wenn wir einen Tarifvertrag aushandeln, dann muss auch die Refinanzierung stimmen.

Ihr Vorschlag ist lediglich, die Gewährung von Investitionszuschüssen in der ambulanten Pflege an die Zahlung von Tariflöhnen zu koppeln. Aber welchen Anteil machen die Investitionsmittel des Landes in den Kalkulationen von ambulanten Pflegediensten denn aus? - Das ist kein großer Brocken, mit dem Sie dafür sorgen können, dass Tariflöhne gezahlt werden. Sie müssen anfangen, dafür Sorge zu tragen, dass die Pflege insgesamt refinanziert wird.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Gerade von der CDU hätte ich da deutlich mehr erwartet. Sie suggerieren doch immer, Sie seien die Partei des ländlichen Raums.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Dann machen Sie sich doch mal daran, die Wegepauschale wirklich nachhaltig zu verändern!

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Es ist doch ein Problem für die Pflegedienste, wenn sie nur 3,90 Euro pro Fahrt bekommen, aber die Fahrt allein schon eine halbe Stunde dauert. Das ist doch das Problem. Deswegen wird doch insbesondere der ländliche Raum in der ambulanten Pflege abgehängt.

Genau deswegen sagen wir: Wir müssen die Versorgungssituation in der ambulanten Pflege auch regional in Niedersachsen feststellen. Warum verweigern Sie sich denn dagegen, zu sagen: „Wir wollen nicht mehr mit den Zahlen von 2015 weiterarbeiten, sondern wir wollen die aktuellen Zahlen erheben, und wir wollen ein objektives Bild über die Pflegesituation in Niedersachsen.“? Ich sage Ihnen eines: Dann wird nämlich herauskommen, dass es regional einen Pflegenotstand in Niedersachsen gibt.