Protokoll der Sitzung vom 12.09.2019

Ein weiteres Thema ist die seit Langem im Bundesministerium liegende Reform des Sexualstrafrechts. Auch die gilt es erst einmal abzuwarten. Seit geraumer Zeit bitten die Justizminister der Länder den Bund, eine entsprechende Reform zu erwägen. Der Kommissionsbericht umfasst mehr als 1 500 Seiten, sodass auch da alles gründlich auf dem Prüfstand steht. Dazu gehören auch die angesprochenen Verjährungsfristen.

Sie sehen also: Wir tun eine Menge, um die aktuelle Situation aufzuarbeiten und den Kinderschutz weiterzuentwickeln. Dies wird aber nur funktionieren, meine Damen und Herren, wenn wir uns jetzt gemeinsam auf das konzentrieren, was Kindern und Jugendlichen wirklich nützt, um uns dann mit Kraft und Nachdruck gemeinsam dafür einzusetzen, und zwar über jeden Einzelfall und die aktuellen Aufregungen hinaus, gleichmäßig über die gesamte Zeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Noch einmal zu Wort gemeldet hat sich Herr Kollege Försterling für die FDP-Fraktion. Sie hatten noch eine Restredezeit. Die Ministerin hat ihre Redezeit etwas überschritten, sodass Sie jetzt vier Minuten erhalten. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an die Frau Justizministerin anschließen, die zu Recht gesagt hat: Das, was jetzt erforderlich ist, sind Maßnahmen, die die Kinder effektiv schützen - und am besten vor dem Missbrauch und nicht erst in der rechtlichen Beurteilung nach einem Missbrauchsfall.

Deswegen erwarten wir - auch aus den Erfahrungen von Lügde -, dass sich die Jugendämter im Land Niedersachsen noch stärker als bisher auf die Seite der Kinder stellen.

Wir hatten in Lügde ja die Situation, dass die Mutter selbst beantragt hat, ihre Tochter in die Pflegschaft des Täters auf dem Campingplatz zu geben. Dort hatte das Jugendamt tatsächlich die Möglichkeit einzugreifen. Aber das Jugendamt hat eben - auch unter besonderer Berücksichtigung der Elternrechte - nicht eingegriffen.

Aus unserer Sicht müssen die Jugendämter die Kinderrechte stärker wahrnehmen. Ich glaube, immer noch kann niemand in diesem Haus nachvollziehen, wie ein Jugendamt überhaupt dem Antrag zustimmen konnte, ein Kind auf diesem Campingplatz in Pflegschaft zu geben. Von daher fordern wir dazu auf, dass die Jugendämter in Niedersachsen sich mehr noch als in der Vergangenheit auf die Seite der Kinder stellen und das am Ende auch vor den Gerichten ausfechten.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Dass solche Standards gesetzt werden, dass eine solche Beratung stattfindet, erwarten wir nicht nur im Bereich des Jugendamts des Landkreises Hameln-Pyrmont. Vielmehr erwarten wir von der Landesregierung, dass mit allen Jugendämtern in Niedersachsen über die Handhabung von Missbrauchsfällen gesprochen wird, aber auch darüber, wie Kinder wirklich untergebracht werden können. Denn tatsächlich ist es nicht hinnehmbar, dass wir - Jahre nachdem wir über Fälle aus dem Bereich des Jugendamts Rotenburg gesprochen haben - hier erneut über solche Fälle sprechen müssen.

Herr Kollege Försterling, lassen Sie eine Frage der Kollegin Dr. Wernstedt zu?

Ich möchte den dritten Punkt gerne noch abschließend zum Ausdruck bringen.

Dann fahren Sie bitte fort!

Der dritte Punkt ist, dass wir erwarten, dass es relativ kurzfristig im Landesjugendamt Personal geben wird, das die Fälle von Missbrauchsverdacht und deren Abarbeitung im Jugendamt gegenprüft.

Ich glaube, das ist genau der Punkt, der in Hameln-Pyrmont gefehlt hat. Es gab drei sehr konkrete Hinweise auf den Missbrauch, die im Jugendamt Hameln-Pyrmont nicht so abgearbeitet worden sind, dass die Kinder am Ende geschützt worden wären.

Von daher braucht es eine Institution im Land Niedersachsen, die den Umgang der Jugendämter mit gemeldeten Missbrauchsfällen gegenprüft. Wir brauchen da ein Vieraugenprinzip, weil vier Augen weniger weggucken als zwei.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Försterling. - Ebenfalls nach § 71 Abs. 3 um das Wort gebeten hat Frau Kollegin Janssen-Kucz. Für Sie drei Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An dem Beitrag der Justizministerin ist doch sehr deutlich geworden, wie langsam die Mühlen mahlen. Sie erzählt: Das bringen wir da auf den Weg, das ist in der Diskussion, es gibt über 1 000 Seiten Empfehlungen. - Das ist eine Debatte, die wir nicht erst seit 10, sondern seit 20 Jahren führen. Wir haben aber nicht an den entscheidenden Stellschrauben gedreht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Am Ende bleibt, dass das Kindeswohl einfach nicht im Mittelpunkt unseres politischen Handelns steht.

Keiner hat hier heute, liebe Frau Ministerin - vielleicht nimmt die Sozialministerin noch das Wort -, über die Strukturfragen gesprochen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Ich habe versucht, das noch einmal deutlich zu machen: Wir müssen die Strukturen auf den Prüfstand stellen. Das heißt, es braucht eine etwas längerfristige Auseinandersetzung mit den strukturellen Defiziten im Kinderschutz, auch mit allen Formen der Kindeswohlgefährdung.

Kollege Försterling, noch ein Satz zu Ihnen: Wir müssen uns auch mit der schwierigen, prekären Situation in den Jugendämtern und damit auseinandersetzen, dass oftmals Jugendhilfe nach Kassenlage stattfindet.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Wir müssen uns auch mit den Fragen beschäftigen, ob nicht das Land in die Finanzierung einsteigen sollte und wie wir das Landesjugendamt stärken können. Wir brauchen eine systematische Qualitätsentwicklung. Die müssen wir vorantreiben. Die ist nicht ohne einen Cent zu machen.

Das heißt, dass wir wirklich über Strukturen nachdenken müssen und dass es nicht reicht, nur über Gesetzesvorgaben zu reden, die vielleicht in zehn Jahren beschlossen werden. Das ist mir ein wirkliches Anliegen.

Deshalb plädiere ich so stark für einen Sonderausschuss „Kinderschutz“. Denn wenn man Strukturen aufarbeiten will, dann gehören alle Akteure an einen Tisch. Dann reicht am Ende auch nicht eine Kinderschutzbeauftragte des Landes. Wenn wir dem wirklich auf den Grund gehen wollen, dann müssen wir es so systematisch machen wie bei den Krankenhausmorden von Niels H. in Oldenburg und Delmenhorst - mit externen Fachleuten und, und, und.

Es geht um Prävention. Es geht um die Ausgestaltung der Familienhilfe, die Ausgestaltung der Jugendämter und die zukünftige Zusammenarbeit. Es geht darum, wer den Hut aufhat. Wir müssen wirklich wissen, wo welche Kinder wie untergebracht sind. Das bedeutet auch Kontrollen, im Interesse des Kindeswohles. Kinderschutz ist sehr umfangreich. Wir müssen uns massiv damit beschäftigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun erhält für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Dr. Wernstedt das Wort. Da die SPD-Fraktion noch Restredezeit hat, erhalten auch Sie vier Minuten.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sind sehr ernsthafte Vorschläge. Es ist auch eine sehr ernsthafte Debatte aller Fraktionen,

die wir heute Morgen führen, zu einem Thema, das uns alle zutiefst erschreckt und verstört. Wir haben schon vieles dazu gehört.

Es sind sehr viele bedenkenswerte Vorschläge gemacht worden. Wir haben in der vorletzten Woche im Sozialausschuss eine ganztägige Anhörung zum Thema Kindesmissbrauch und Kinderschutz durchgeführt. Wir haben sehr viele Experten angehört, wir haben auch die Elterninitiative aus Lügde angehört. Sie alle haben Vorschläge gemacht, die wir jetzt in Ruhe miteinander abwägen werden.

Wir haben natürlich auch festgestellt, dass es sich um ein ressortübergreifendes Thema handelt. Juristische Fragen spielen eine große Rolle, Jugendamtsfragen spielen eine Rolle, ermittlungstaktische Fragen spielen eine Rolle. Man muss in der Tat sehr genau in die Strukturen des behördlichen Handelns hineingucken. Wir im Sozialbereich werden das tun, wir werden das auch in der Diskussion mit unseren Kollegen aus dem Rechtsbereich tun, damit wir tragfähige Lösungen finden.

Ob das am Ende ein Beauftragter mit Unterbau ist, ob das eine zusätzliche Kommission ist, das werden wir sehen. Das werden wir in der heutigen Landtagsdebatte nicht entscheiden können. Aber wichtig ist, dass wir - das sehe ich - alle mit großer Ernsthaftigkeit an diesem Thema arbeiten. Ich bedanke mich dafür.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Wernstedt. - Für die AfD-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Wichmann nach § 71 Abs. 3 das Wort. Drei Minuten. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vieles, was heute hier gesagt wurde, ist völlig recht. Ich bitte nur, noch einen Aspekt wirklich in den Fokus zu nehmen: Was hält die Menschen davon ab, Straftaten zu begehen? - Denn das ist die entscheidende Frage, wenn es darum geht, Kinder vor Tätern zu schützen, die Straftaten in diesem Bereich vorhaben.

Die Kriminalwissenschaften sind da ganz eindeutig. Sie sagen uns: Nicht hohe Strafen schrecken ab, sondern eine hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit ist das

zentrale Kriterium für einen Täter, keine Straftaten zu begehen.

Beziehen Sie das einfach einmal auf sich selber! Wenn Sie auf der Autobahn das Gefühl haben, dass Sie ganz alleine sind und gerade keiner guckt, dann fahren Sie vielleicht auch mal schneller als erlaubt. Wenn aber überall Radarfallen sind, hält man sich schön an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Das ist das menschliche Prinzip dahinter.

Deswegen bitte ich Sie dringend: Legen Sie Wert darauf, dass die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass solche Taten entdeckt werden! Es kann nicht sein, dass in den beteiligten Behörden jemand nicht weiß: Ich habe hier einen Verdacht, aber darf ich den überhaupt weitergeben? Es gibt doch den Datenschutz. Ich weiß gar nicht, in welchen Fällen ich einen Verdacht weitergeben darf. - Bitte klären Sie das prioritär!

Legen Sie eine Reihenfolge der Punkte fest, die wirklich zuerst zu behandeln sind, die wichtig sind! Wir brauchen hier eine deutliche Verbesserung. Jede dieser Maßnahmen schützt potenziell ein Kind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Es folgt für die CDU-Fraktion Herr Kollege Volker Meyer. Nach § 71 Abs. 3 auch für Sie drei Minuten. Herr Meyer!