Protokoll der Sitzung vom 12.09.2019

(Dirk Toepffer [CDU]: Nehmen Sie sich mal nicht so ernst!)

Sie unterlaufen das Parlament, bringen diese Kommission in ein selbstbestimmtes Gremium und lassen diese wichtigen Maßnahmen aufgrund von strukturellen Mängeln, die nun einmal da sind, an die Wand fahren - und das auf Kosten der Kinder.

(Dirk Toepffer [CDU]: Das ist doch Quatsch!)

Die jüngsten Fälle in Rumänien haben gezeigt, dass seit Jahrzehnten die gleichen Fehler begangen und keine Lehren daraus gezogen werden. Ich erinnere daran, dass es im Jahr 2009 schon einmal eine Anhörung zu einem Missbrauchsfall in Rumänien gab, wo ein Kind anscheinend unter sklavenähnlichen Bedingungen „gehalten“ wurde. Lehren aus dieser Situation? - Fehlanzeige! Handlungen dieser Landesregierung, damals wie heute? - Fehlanzeige!

(Glocke der Präsidentin)

Daher kann ich in meinen letzten Sätzen nur sagen: Lassen Sie uns jetzt gemeinsam für den Kin

derschutz in Niedersachsen kämpfen! Lassen Sie uns gemeinsam eine Kinderschutzkommission einrichten, die aus Experten zusammengestellt und vom Landtag legitimiert ist!

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Bothe!

Ja, Frau Präsidentin. Erlauben Sie mir noch einen letzten Satz.

Lassen Sie uns die Lehren aus der Anhörung übernehmen, um den Kinderschutz voranzubringen, um unseren Kindern nachhaltig Schutz zu bieten und eine Zukunft zu verschaffen!

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Es folgt nun für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Genthe. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Landtag im Februar dieses Jahres über den sexuellen Missbrauch von Kindern diskutiert hat, habe ich gesagt, dass ein solcher Missbrauch zu den schlimmsten Verbrechen gehört, die ein Mensch einem anderen Menschen antun kann.

Nach den aktuellen Zahlen des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung werden in Deutschland in jedem Jahr 10 000 Mädchen und Jungen Opfer sexueller Gewalt. Das kann nur noch Entsetzen auslösen.

(Zustimmung bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜ- NEN)

Es liegt auf der Hand, dass der Staat mehr für den Schutz seiner Kinder tun muss. Insbesondere Kitas, Schulen und Sportvereine brauchen dringend mehr Unterstützung bei der Verhinderung und übrigens auch bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen. Nur entsprechend sensibilisierte pädagogische Fachkräfte sind in der Lage, Kinder ausreichend zu schützen. Daher fordert der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung zu Recht, dass die Bundesländer insoweit mehr Personal und mehr Geld zur Verfügung stellen.

Ein effektiver Kinderschutz ist nur dann möglich, wenn er als eine gemeinsame, übergreifende Aufgabe aller mit Kindern befassten Institutionen ver

standen wird. Und das sind nicht wenige. Neben den Kitas, den Schulen und den Jugendämtern gehören auch die freien Träger der Erziehungshilfe, Erziehungsberatungsstellen, Jugendhäuser, die Polizei, Familienrichter und Strafrichter, Staatsanwälte, Gesundheitsämter, Krankenhäuser, Ärzte, Hebammen, Frauenhäuser, Schwangerschaftsberatungsstellen, Sportvereine, der Kinderschutzbund und viele andere mehr dazu. Allein diese Aufzählung macht deutlich, dass eine Koordinierung absolut notwendig ist.

Der von der CDU jetzt in die Diskussion gebrachte Landesbeauftragte für Kinderschutz könnte eine solche Koordinierung auch leisten. Mit den §§ 8 a, 8 b und 79 a des SGB VIII wurde diese Funktion auch konkretisiert. Dort ist festgehalten, dass es sich bei dem Beauftragten um eine erfahrene Fachkraft handeln soll. Diese bundesgesetzlichen Vorgaben unterstützen wir sehr. Die konkrete Ausgestaltung muss dann in den Ländern erfolgen. Deshalb wäre es auch denkbar, eine Kommission zur Prävention sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige einzurichten. Aber man muss an dieser Stelle langsam auch mal zu einer Entscheidung kommen, meine Damen und Herren!

Wenn die CDU jedoch der Meinung ist, dass ein Landesbeauftragter die geeignete Lösung wäre, frage ich mich allerdings, warum sie zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde eingereicht hat. Dann wäre es doch wesentlich sinnvoller gewesen, gleich einen Antrag zur Einrichtung dieser Stelle ins Plenum einzubringen.

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung bei den GRÜNEN und von Klaus Wichmann [AfD])

Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hat bereits einen Antrag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs im parlamentarischen Verfahren. Dieser Antrag umfasst drei Schwerpunkte: Es geht um eine Verschärfung des Strafrechts, um eine Stärkung der Netzwerke zwischen den Institutionen und um eine Ausweitung und Stärkung der Präventionsarbeit. Ich empfehle, diesen Antrag nun intensiv mitzuberaten.

Übrigens würde ich mir auch wünschen, dass im Rahmen der präventiven Öffentlichkeitsarbeit auch die Medien miteinbezogen werden. Ein sensibler Umgang mit diesem Thema in der medialen Welt hilft nämlich ebenfalls, einer Tabuisierung entgegenzuwirken. Auf diese Weise könnten Opfer, aber auch Menschen, die einen begründeten Verdacht

haben, eher veranlasst werden, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass Politik aktiv wird!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Es folgt die SPDFraktion: Frau Kollegin Osigus, bitte!

Danke schön. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eines vorab: Das Thema Kinderschutz taugt überhaupt nicht für politische Muskelspielchen oder für pauschale Schnellschüsse. Kinderschutz benötigt vor allem Sensibilität, professionelle Sachlichkeit und eine stabile Haltung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Verfassungsrang des Kinderschutzes: Meine Damen und Herren, unsere Niedersächsische Verfassung sieht genau diesen in Artikel 4 a vor: Das Recht auf Achtung der Würde, gewaltfreie Erziehung, Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind uns dieses Schutzauftrages bewusst und stehen zu dieser Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Und wir handeln - oder um es mit den Worten der Überschrift der Aktuellen Stunde zu sagen -: Wir füllen genau diese Kinderschutzregelung mit Leben.

So begrüßen wir u. a. die Einrichtung einer Kinderschutzkommission beim Landespräventionsrat, die im Oktober ihre Arbeit aufnehmen wird, bestehend aus externen Experten und den fachlich betroffenen Ministerien, die kontinuierlichen Fortbildungsangebote für Fachkräfte und ehrenamtliche Ansprechpartner und den fachlichen Austausch mit den Jugendämtern. Ebenso gut und richtig ist die angestrebte Reform des SGB VIII, insbesondere im Hinblick auf den Datenaustausch zwischen Jugendamt und Polizei.

Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle bei allen, die sich im Bereich der Bekämpfung von Gewalt und sexuellem Missbrauch täglich einbrin

gen, sei es in Beratungsstellen, in Projekten, in Ehrenämtern und in Jugendhilfeeinrichtungen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dirk Toepffer [CDU])

Nur, meine Damen und Herren, um das ganz klar zu sagen: Der Schutz von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft geht uns alle etwas an. Kinderschutz erreicht man vor allem durch Gespräche, durch Zuhören, durch Hinsehen und indem wir unsere Minderjährigen stärken, damit sie zu mutigen, selbstbewussten, kritischen Kindern werden, die ein Bewusstsein dafür haben, was richtig und falsch ist, und die sicher wissen: „Das darf niemand mit mir machen!“

Meine Damen und Herren, neben den Hilfs- und Beratungsangeboten und dem Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge müssen wir auch auf die Konsequenzen der Taten schauen. Genau dort stellen wir uns als SPD-Fraktion die Abschaffung der Verjährung bei Delikten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen betreffen, vor.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Warum? - Wenn eine Tat verjährt, darf sie nicht mehr verfolgt werden. Dann nutzt auch ein maximal verschärftes Strafrecht nichts. Derzeit ist die Verjährung bei sexuellem Missbrauch gestaffelt: Sie beginnt erst ab Vollendung des 30. Lebensjahrs und beträgt 20 Jahre. Das bedeutet, frühestens mit dem 50. Lebensjahr des Opfers kann die Tat verjähren. Wer dies allerdings als beruhigend empfindet, möge genauer hinsehen; denn das bedeutet: Danach - und wenn es auch nur einen Tag zu spät ist -, auch wenn man gegebenenfalls Tat und Täter kennt, muss man dem Opfer sagen, dass eine strafrechtliche Konsequenz leider nicht mehr möglich ist, auch für den Fall, dass sich alles rekonstruieren lässt. - Das, meine Damen und Herren, empfinden wir als schwer erträglich.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Wir wissen aus Erfahrung, dass viele Opfer aus Angst und Scham erst Jahre später das Geschehene jemandem anvertrauen. Viele realisieren es auch erst in der zweiten Lebenshälfte oder fassen erst dann den Entschluss, dem Geschehenen nachzugehen. Dem müssen wir Rechnung tragen. Sollte die Erinnerung dann wirklich zu gering sein, würde der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten!“ gelten; mithin besteht die Gefahr von Fehlurteilen nicht. Vielmehr besteht die Gefahr, einen

Prozess verneinen zu müssen, weil das Opfer zu spät kommt - möglicherweise nur ein paar Tage. Das ist aus unserer Sicht doppeltes Leid, was es zu vermeiden gilt.

Ein letzter Aspekt dazu: Bisher ist nur Mord unverjährbar. Aber auch das war ursprünglich ein politischer Prozess. Zuvor verjährten alle Straftaten, bis die Vordenker Handlungsbedarf gesehen hatten.

Unsere Grundgedanken sind: Jedes Opfer ist eines zu viel und uns wichtig. Kein Täter darf sich in der Sicherheit wiegen, nicht mehr verfolgt zu werden.

Unser Antrieb sind der Schutz der Opfer, die abschreckende präventive Wirkung und ein gut verzahntes Netzwerk, um unseren Kindern ein unbeschwertes Aufwachsen zu ermöglichen. Dafür stehen wir an ihrer Seite.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Janssen-Kucz. Bitte, Frau Kollegin!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor fast 30 Jahren haben die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention verabschiedet, um die Situation von Kindern weltweit zu verbessern. Sie enthält fundamentale Rechte, die wirklich jedem Kind zustehen, damit seine Menschenrechte gewahrt werden können. Auch die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet. Aber in Deutschland besteht noch immer ein Defizit in der Umsetzung. Das sehen wir in der Verwaltung und in der Gesetzgebung; die Kollegen haben das angesprochen.