Protokoll der Sitzung vom 28.02.2013

(Beifall von der SPD)

Zweitens. Wir brauchen für diese zunehmende Anzahl an Solo-Selbstständigen eine Altersvorsorge, und wir möchten, dass sich die Plattformbetreiber, die offiziell eine Bezeichnung als Arbeitgeber haben – bei vielen ist das nämlich gar nicht so –, paritätisch daran beteiligen. Wir können es uns nicht leisten, dass so viele aus diesen neuen Beschäftigungsformen in Zukunft in der Altersarmut landen. Deshalb müssen wir

hier nachbessern und in Form von Altersvorsorge etwas tun.

(Beifall von der SPD)

Drittens. Gewerkschaften fordern zu Recht ein Zugangsrecht zu virtuellen Plattformen. In unserer Verfassung ist verankert, dass Gewerkschaften dieses Zugangsrecht haben müssen, und deshalb müssen wir es auch für diese neue Form von Plattformökonomie schaffen.

Viertens. Beim Thema „Betriebsratswahlen“ können wir sehen, dass bei Deliveroo die Verträge der Beschäftigten, die versucht haben, einen Betriebsrat zu gründen, einfach ausgelaufen sind. Gleiches hat sich bei Foodora ereignet. Die Beschäftigten des Lieferdienstes „Flaschenpost“ mussten erleben, dass ihr Arbeitgeber, die Plattform, gegen die Betriebsratsgründung geklagt hat. Das kann nicht sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitbestimmung darf auch im digitalen Zeitalter nicht verhandelbar sein. Deshalb müssen wir Betriebsratswahlen an dieser Stelle unterstützen und dort entsprechend nachbessern.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Was hat Minister Laumann bei diesem speziellen Thema eigentlich getan? – Ich habe mir die Website des Arbeitsministeriums angesehen und lange gesucht, aber ich habe, ehrlich gesagt, nichts gefunden. Was ich jedoch gefunden habe, ist, dass Sie das Thema „Digitalisierung“ noch immer als Zukunftsaufgabe begreifen. Lieber Herr Laumann, ich möchte Ihnen auch gar nicht absprechen, dass Sie in Zukunft vielleicht sogar tätig würden. Es ist nur so, dass wir davon ausgehen, dass diese Landesregierung über den 15. Mai 2022 hinaus keine politische Zukunft mehr hat.

(Beifall von der SPD)

Deshalb müssen wir mehr tun, und wir stellen diesen Antrag, damit sichergestellt ist, dass diese Beschäftigten, die in der Gegenwart prekäre Beschäftigungsbedingungen haben und die nicht auf irgendeine Zukunft warten können, mehr bekommen als einen Arbeitsminister, der vor allem eines tut, nämlich wegzuschauen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Kampmann. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Schmitz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie jemals eine App benutzt haben und darüber Essen

bestellt oder einen Handwerker beauftragt haben, können Sie davon ausgehen, dass sie höchstwahrscheinlich eine Plattformökonomie genutzt haben – eine der wichtigsten neuen Transformationen in der Arbeitswelt. Es kann sich dabei um einen standortbasierte App handeln, die Jobs wie Essenslieferungen, Taxen oder Handwerksdienste vergibt. Es kann aber auch eine webbasierte Anwendung sein, wenn Sie zum Beispiel Aufträge im Bereich des Grafikdesigns, Webdesigns oder Ähnlichem erteilt haben.

Diese Plattformen schaffen neue Arbeitsmöglichkeiten. Allerdings gibt es auch Herausforderungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und auf das algorithmische Management dieser Plattformarbeit. In dem Antrag der SPD werden vor allem die durchaus vorhandenen Risiken richtig beschrieben. Es gibt aber auch Chancen, die die Menschen nutzen können, um aus der Arbeitslosigkeit zu entfliehen.

Ich möchte einmal auf die Grundsätze der Plattformökonomie eingehen. Wenn wir darüber diskutieren wollen, ist es wichtig zu wissen, wer dort arbeitet und wie diejenigen rechtlich einzustufen sind. Zum einen gibt es natürlich normal sozialversicherungspflichtige Angestellte. Wir kennen einen großen Versandhändler, der auch in Deutschland viele Logistikzentren unterhält, in denen Menschen arbeiten, die angestellt sind. Dieser Versandhändler verhindert auch Betriebsratsgründungen. Das ist nicht gut, und das müssen wir verhindern. Diejenigen sind aber angestellt, und damit brauchen wir uns, glaube ich, zumindest was den Antrag der SPD betrifft, nicht weiter zu beschäftigen.

Dann haben wir Crowdworker. Damit sind allgemein diejenigen Menschen gemeint, die in der Plattformökonomie arbeiten. Da haben wir den Direct-Crowdworker und den Indirect-Crowdworker. Das sind diejenigen, die einmal direkt mit dem Endkunden verhandeln, und dann diejenigen, die mit der Plattform verhandeln. Da müssen wir schauen: Wie schaffen wir es zukünftig, vernünftige Lösungen zu finden, damit diejenigen, die dort beschäftigt sind, auch ihre Rechte gewährleistet bekommen und das Geld bekommen, das ihnen zusteht?

Ein klassischer Fall von Cloudwork – also jemand, der in der Wolke arbeitet; ich habe das eben schon erwähnt – sind webbasierte Dienste. Ein klassischer Gigworker wäre der Foodora-Fahrer oder Ähnliches, der zu mir nach Haus kommt und das Essen bringt, oder der Uber-Fahrer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, kommen wir nun konkret zu Ihrem Antrag. Sie zitieren in Ihrem Antrag hauptsächlich die Sondervoten aus dem Bericht der Enquetekommission I „DigitaleTransformation der Arbeitswelt“. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn Sie diese zitieren und sagen, das seien die Ergebnisse der Enquetekommission gewesen, dann ist das nicht ganz richtig. Denn das, was Sie da auf

schreiben, sind die Sondervoten, weil diese Ergebnisse schon in der Enquetekommission nicht mehrheitsfähig gewesen sind wie ein Großteil der Voten, die in dem Bericht der Enquetekommission abgegeben worden sind.

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU] und Sven Werner Tritschler [AfD])

Wenn Sie des Weiteren Zahlen in Ihrem Antrag präsentieren, die suggerieren, dass die Plattformarbeit bereits einen unglaublich großen Bereich der momentanen Arbeitswelt einnimmt, dann ist auch das nicht richtig. Sie schreiben, 11 % der Arbeitskräfte gäben an, schon einmal in der Plattformökonomie gearbeitet zu haben. Wenn man sich den Bericht der Europäischen Kommission richtig anschaut, liest man – ich darf zitieren –:

„Nach Umfragen der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission haben schätzungsweise 24 Millionen Menschen (d. h. 11 % der Arbeits- kräfte in der EU) mindestens einmal Dienstleistungen über Plattformen vor Ort oder über OnlineArbeitsplattformen erbracht. Davon leisten 3 Millionen (1,4 %) Plattformarbeit als Haupttätigkeit, 9 Millionen (4,1 %) nutzen sie als sekundäre Einkommensquelle“

also als Nebenerwerb –,

„fast 7 Millionen (3,1 %) als marginale und mehr als 5 Millionen Menschen (2,4 %) als sporadische Einkommensquelle.“

Also gibt es wesentlich weniger Menschen, die davon betroffen sind. Ich glaube auch, dass das in Zukunft mehr wird und dass wir das nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Aber was Sie gerade aufgezeigt haben, dass wir heute schon Unmengen an Menschen dort arbeiten hätten, die von der Plattformökonomie quasi bedroht seien, ist meines Erachtens nicht zutreffend.

Ich gestehe Ihnen natürlich zu, es gibt definitiv auch Probleme. Um diese müssen wir uns kümmern. Gerade im europäischen Ausland ist die Einbeziehung der Sozialpartner schon erfolgt. Im April 2018 ist zum Beispiel von dem deutschen Unternehmen Delivery Hero, einem Onlinedienst für die Lebensmittelzustellung, mit der europäischen Gewerkschaftsvereinigung für Ernährung, Landwirtschaft und Tourismus eine Vereinbarung zur Errichtung eines grenzüberschreitenden Betriebsrats unterzeichnet worden. Sie sehen also, man muss nicht alles vonseiten der Politik regeln; vielmehr gibt es auch Vereinbarungen der Sozialpartner, in denen das geschieht.

Vielleicht hätten Sie auch einmal mit Ihren Kollegen auf der europäischen Ebene sprechen sollen. Denn es gibt bereits eine Initiative und eine erste Phase zur Konsultation der Sozialpartner zum Thema Plattformbeschäftigte. Je nach Ergebnis – Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss – dieser Konsultation

wird es bereits im vierten Quartal dieses Jahres die Vorlage eines Legislativvorschlags zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich werden wir der Überweisung und der weiteren parlamentarischen Behandlung zustimmen. Die CDU-Fraktion steht nicht nur an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern sie wird auch die Digitalisierung und die Transformation der Arbeitswelt weiter positiv begleiten.

Herr Kollege, die Redezeit.

Dabei betonen wir die Chancen, greifen aber dort ein, wo Menschen auf der Strecke bleiben und die Sozialpartnerschaft nicht mehr greift. Die soziale Marktwirtschaft wird daher auch in einer modernen digitalen Arbeitswelt die Richtschnur unseres politischen Handelns sein. – Danke sehr.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Dr. Werner Pfeil [FDP])

Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Nun spricht für die FDP der Abgeordnete Herr Freynick.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bedauerlich, wie ich finde, dass die SPD zentrale Erkenntnisse der von ihr selbst beantragten Enquetekommission missachtet.

Zunächst vermittelt der Antrag einen völlig falschen Eindruck von der Dimension des Problems, das Sie hier ansprechen. Es geht ja hauptsächlich um Crowdwork. Das hat mein Kollege Schmitz gerade schon sehr eingehend erklärt. Erstens ist Crowdwork ein Randphänomen. Zweitens gibt es sowohl gut als auch schlecht bezahltes Crowdwork. Drittens übt die große Mehrheit der Crowdworker diese Tätigkeit nebenberuflich aus.

Aus diesen Gründen ist es unzulässig, aus der Anzahl der Crowdworker automatisch auf zusätzlichen Regulierungsbedarf zu schließen. Es gibt keine Zahlengrundlage, wie viele Menschen überhaupt dauerhaft im Haupterwerb über Plattformen vermittelte Aufträge ausführen und dabei ein Einkommen unterhalb der Mindestsicherung erzielen.

Crowdwork ist gerade wegen des hohen Maßes an Flexibilität attraktiv, etwa weil es sich gut mit dem Hauptjob oder auch mit dem Studium kombinieren lässt. Für Erwerbstätige sind zudem die Zugangshürden, einen Auftrag über eine digitale Plattform zu erhalten, viel niedriger als für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

Es wäre deshalb verantwortungslos, zu versuchen, diese neue Beschäftigungsform mit harten Regulierungsmaßnahmen den Bedingungen der abhängig Beschäftigten anzunähern und damit die spezifischen Vorteile über Plattformen vermittelter Arbeit für Erwerbstätige und Auftraggeber zu gefährden.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Die Regulierungsvorschläge der SPD bedeuten Zusatzbelastungen für alle Solo-Selbstständigen, auch solche, bei denen überhaupt kein Handlungsbedarf besteht. Beim Mindestlohn haben die Nachweispflichten eine erhebliche Bürokratiebelastung ausgelöst. Dies nun allen Selbstständigen zumuten zu wollen, ist absurd. Bei Auftraggebern auf Plattformen ist zudem häufig gar nicht ersichtlich, wie viel Zeit ein Crowdworker für die Erledigung eines Auftrags gebraucht hat, was dazu führt, dass ein Mindestlohn für Selbstständige häufig gar nicht umzusetzen ist.

Die Forderung, bei über Plattformen vermittelter Arbeit Sozialversicherungsbeiträge an der Quelle, also beim Auftraggeber oder bei der Plattform zu erheben, ist meistens gar nicht umsetzbar. Wenn ein Crowdworker in Deutschland beispielsweise über eine amerikanische Plattform den Auftrag eines schwedischen Auftraggebers ausführt, wie soll Deutschland dann Beiträge an der Quelle erheben? In Fällen, in denen dies umsetzbar ist, haben deutsche Plattformen bzw. deutsche Auftragnehmer oder Auftraggeber dann einen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zur Konkurrenz.

Die Forderungen dieses Antrags sehen wir daher als nicht zielführend an. Dennoch stimmen wir gern einer Überweisung zu und diskutieren darüber in den Fachausschüssen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Freynick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte-Richter.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe mich schon ein Stück weit über Teile dieser Debatte gewundert. In der Enquetekommission „Digitale Transformation der Arbeitswelt“ haben wir viele der Fragen, die auch diesem Antrag zugrunde liegen, miteinander besprochen und sind an vielen Stellen, glaube ich, vorangekommen.

Nichtsdestotrotz muss man natürlich sagen, dass ein überwältigender Anteil der in dem Antrag adressierten Themen nahezu vollständig das Bundesrecht betrifft. Insofern ist es schon interessant, mit welcher Verve das hier entweder vorgetragen oder aber zurückgewiesen wird.

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Ich finde, wir sollten eher das betonen und miteinander besprechen, was uns in der Enquetekommission geeint hat, nämlich dass wir festgestellt haben, dass sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung grundlegend verändert. Dieser Wandel passiert sehr schnell.

Viele der Themen, die heute vielleicht noch nicht als großes Problem und als Frage für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Tagesordnung stehen, werden sich aber irgendwann stellen. Ich würde das, was die SPD hier an Fragen gestellt hat, nicht, wie es CDU und FDP tun, einfach ausblenden wollen. An einigen Stellen kann man schauen, was konkret an Forderungen in diesem Antrag enthalten ist.