Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das mehrfache Lob der Kollegin Birk für Frau Lütkes könnte man auch als eine schallende Ohrfeige für Wirtschaftsminister Rohwer bezeichnen. Und das ist eine zutreffende Beschreibung. Was Sie, Herr Minister, hier vorgetragen haben, ist fade und enttäuschend gewesen, eine Rede der Ratlosigkeit.
1975 hatten wir in Schleswig-Holstein 38.000 arbeitslose Menschen, heute sind es 140.000. Wir haben in 30 Jahren einen Anstieg von rund 38.000 auf 140.000 gehabt. Die Frau Ministerpräsidentin hat uns im Jahr 2000 vorgetragen, kein Arbeitsloser solle in Schleswig-Holstein länger als ein halbes Jahr arbeitslos sein. Keiner länger als ein halbes Jahr! Wenn wir uns heute die bittere Realität anschauen, stellen wir fest, dass sie ganz anders aussieht.
Wir haben ein hohes Defizit an Arbeitsangeboten. Wir benötigen im Grunde genommen das Vierfache der jetzigen Arbeitsangebote, um Hartz IV vollständig umsetzen zu können. Daran gemessen brauchen wir Vorschläge.
Herr Minister, man hätte sich schon gewünscht, Sie würden sagen, wie Sie sich die Umsetzung in Schleswig-Holstein etwa bis Juni dieses Jahres denken. Denn bis zum 31. August 2004 müssen die Kreise und die Städte entscheiden, ob sie das Optionsmodell wahrnehmen wollen. Die Zeit läuft mit großer Geschwindigkeit. Bei der Bundesagentur besteht viel guter Wille, aber auch viel Enttäuschung. Man weiß eigentlich nicht, wie es weitergeht und wie das umgesetzt werden soll.
Was benötigen wir? Wir benötigen das Zusammenwirken von Wirtschaft, Agentur und Kommunen. Wir brauchen für die Menschen neue Arbeitsfelder. Es ist ein Unding, dass in Alten- und Pflegeheimen, in Bereichen, in denen wir wirklich Arbeitsplätze benötigen, ein hohes Defizit vorhanden ist und die Zahl der Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein nicht höher wird, sondern geringer. Wir brauchen praktische Tätigkeiten für Wasser- und Bodenverbände. Wir brauchen nicht nur die Mobilität, sondern wir brauchen auch vor Ort Arbeitsangebote. Wenn es uns gelänge, jedes arbeitsintensive Unternehmen in Schleswig-Holstein zu motivieren, einen einzigen Arbeitsplatz mehr zu schaffen, dann wäre dies das beste Arbeitsförderungsprogramm, das man sich im Lande vorstellen könnte.
Torsten Geerdts hat es dargelegt: Wir brauchen gerade für die Ausbildungsreife neue Maßnahmen. Hier brauchen wir eine Vernetzung mit den sozialen Angeboten. Beides kann nur miteinander einhergehen. Der Kurs kann nur in Richtung ersten Arbeitsmarkt gehen. Natürlich muss es auch abfedernde Maßnahmen aus anderen Bereichen geben. Herr Minister Dr. Rohwer, das ist für mich hoch enttäuschend: Sie haben keinerlei konkrete Vorschläge darüber gemacht, was wir in den Kreisen, den Städten und den Kommunen in den nächsten Monaten gemeinsam mit Ihnen und der Agentur machen sollten. Hier hätte ich einfach mehr erwartet.
Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Baasch, ich habe während meiner Rede gesagt, dass Sie - beziehungsweise die regierungstragenden Fraktionen - erzählen werden, die Arbeitsmarktpolitik sei erfolgreich. Das überrascht mich nicht weiter. Frau Birk, Sie können auch gern 140.000 Männern und Frauen im Land erzählen, dass diese Arbeitsmarktpolitik erfolgreich war. Ich bleibe dabei: Sie war bislang alles, nur nicht erfolgreich, weil sie es nicht geschafft hat, Menschen wirklich dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um ihnen dauerhaft Beschäftigung zu geben. Offen gestanden sind mir dabei Kommazahlen relativ egal. Es geht um jeden Einzelnen, der eine faire Chance bekommen soll und muss.
Liebe Frau Kollegin Birk, zu Ihnen sage ich nur zwei Sätze: Ich plausche gern mit Ihnen unter vier Augen. Da Sie hier öffentlich mit mir geplauscht haben, will ich das auch öffentlich machen: Ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn ich jemals an irgendeiner Stelle erzählt hätte, ASH hätte auch nur einen einzigen Arbeitsplatz geschaffen oder nicht geschaffen und ich sei deshalb böse, dass es nicht gelänge. ASH kann überhaupt keinen Arbeitsplatz schaffen. ASH ist möglicherweise in der Lage, Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Hier sollte man sich sehr sauber an eine bestimmte Definition halten, denn sonst kommt man durcheinander mit dem, was man will und nicht will.
- Frau Kollegin Kähler, das Ziel von ASH ist, Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und nicht, Arbeitsplätze zu schaffen! Frau Birk, eine zweite Bemerkung: Ich verstehe Ihren Dünkel überhaupt nicht. Sie wollen offensichtlich Menschen lieber in der Arbeitslosigkeit halten und sie dort bezahlen, anstatt zu erreichen, dass sie einen Job annehmen. Ich sage Ihnen: Von mir aus sollen die Menschen lieber einen Job annehmen und dafür im Zweifel Lohnergänzungsleistungen - also Kombilohn - bekommen. Bevor Sie Arbeitslosigkeit finanzieren, ist es mir allemal lieber, dass Arbeit finanziert wird. Es gilt also: Lohnersatzleistungen vor Lohnergänzungsleistungen.
Liebe Kollegin Hinrichsen, wir sind uns sofort einig, wenn wir uns das dänische Modell angucken. Sie wissen, Erfolgsgarant des dänischen Modells sind einige Punkte, die wir hier eben nicht haben. Dazu zählt erstens eine Vermittlerquote von eins zu durch
schnittlich siebzig. Das heißt, ein Arbeitsvermittler kommt in Dänemark auf durchschnittlich 70 Arbeitssuchende.
- Ja, höheres Arbeitslosengeld, das erzählen Sie gern! Was Sie aber nicht gern erzählen, sind die drastischen Streichungen und Sanktionen, die denjenigen drohen, die sich dieser Tortur nicht unterziehen. Das verschweigen Sie immer wohlweislich, das wollen Sie hier nicht haben!
Gehen wir nachher zum Arbeitsamt und schlagen das allen Vermittlern vor! In Dänemark werden nämlich vermittlungsabhängige - also erfolgsabhängige - Gehaltsbestandteile gezahlt. Das heißt, das Gehalt des Vermittlers setzt sich unter anderem daraus zusammen, ob er erfolgreich vermittelt hat oder nicht. Was schütteln Sie da den Kopf? Erkundigen Sie sich doch einmal bei einem dänischen Arbeitsamt! Das ist natürlich so! Insofern habe ich mir das Beispiel Dänemark gern zum Vorbild gemacht. Dann muss man aber so fair sein, hier alles darzulegen. Dann können wir das gern so machen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist anerkanntermaßen das wichtigste Thema, das alle Deutschen bewegt, nämlich die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Wenn ich mir den Bericht des Wirtschaftsministers - er ist noch da - heute Morgen angehört habe, dann hat mir die Emotion darüber, dass dies wirklich das wichtigste Thema ist, gefehlt. Das war ein technokratischer Bericht, allerdings mit durchaus interessanten Nuancierungen. Die Emotion ist eigentlich erst gekommen, als der Kollege Baasch geredet hat. Da wurde auch verständlich, worum es geht. Er hat mich an den Spruch erinnert: Als er das Ziel aus den Augen verlor, verdoppelte er seine Anstrengungen.
Das Scheitern der Arbeitsmarktpolitik, nicht nur der Landesregierung, sondern auch der Bundesregierungen, die es in letzten Jahren und Jahrzehnten gegeben hat, ist in aller Deutlichkeit dokumentiert. Es ist in der Antwort auf die Große Anfrage für die letzten neun Jahre in einer nicht zu überbietenden Deutlich
keit dokumentiert. Wir haben höhere Arbeitslosenzahlen als vorher. Wir haben mehr Mitteleinsatz als vorher und trotzdem haben wir die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen nicht ansatzweise erreicht.
Das muss eigentlich beunruhigend sein. Wir sind ordnungspolitisch auf einem völlig falschen Weg. Ordnungspolitisch müssen wir einen völlig anderen Weg gehen. Der Weg der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der so genannten aktiven Arbeitsmarktpolitik ist falsch. Er muss Stück für Stück reduziert werden. In einem Wohlfahrtsstaat können wir natürlich nicht von heute auf morgen handeln. Sie müssen zu Dingen springen, zu denen Sie bisher nicht springen wollten, nämlich zu einer Tarifrechtsreform bei den Themen, die bisher im Vermittlungsausschuss noch nicht möglich gewesen sind. Wir müssen zum Beispiel auch weiterhin im Bereich des Kündigungsschutzes springen. Da sind wir auch noch nicht weit genug gesprungen. Die gesamte „Hartz-Reform“ mit Umbenennung der Bundesanstalt für Arbeit und einigen organisatorischen Änderungen wird an diesem bürokratischen Moloch ernsthaft zu wenig ändern. Es muss dort sehr viel mehr nicht nur geändert, sondern auch reduziert werden.
Der Kollege Geerdts hat es eben mit einem sehr schönen Einzelbeispiel belegt: Diese Beschäftigungsgesellschaften, von denen es auch in Schleswig-Holstein viel zu viele gibt, sind überflüssig. Sie müssen alle Stück für Stück liquidiert werden, weil sie in der Tat ordnungspolitisch der völlig falsche Ansatz sind. Es geht doch darum, dass wir den Zwischenschritt von Beschäftigungsgesellschaften, die mittelständischen Handwerksbetrieben Konkurrenz machen, überhaupt nicht brauchen. In der Tat müssen wir - wie Kollege Garg es gefordert hat - gezielt bestimmte Gruppen fördern. Dort kann man etwas bewirken. Dieses Gießkannenprinzip, das mit der bisherigen aktiven Arbeitsmarktpolitik betrieben wird, muss beendet werden.
Die Liste der Wortmeldungen für Kurzbeiträge nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung wächst. Ich erteile Herrn Abgeordneten Plüschau das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Garg und auch Herr Geerdts, Sie führen uns hier eine Schimäre vor, nämlich dass es in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt Arbeit für alle geben wird. Durch Rationalisierungsmaßnahmen in den Firmen und Behörden - wie durch die Programme
der CDU zur Reduzierung der Mitarbeiter - und durch anstehende Fusionen und durch Outsourcing, zum Beispiel Motorola, wird es weniger Arbeitsplätze geben. Das heißt, Sie können gar nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie in herkömmlichen Betrieben und Behörden verloren gehen. Deshalb müssen wir umdenken. Ich bin Graf Kerssenbrock eigentlich dankbar. Er hat aufgezeigt, dass wir ein ganz anderes System brauchen, um den Leuten den Wert der Arbeit als Beschäftigung zu geben und nicht als Erwerbsbeschäftigung.
Da müssen wir ein anderes System schaffen. Beispielsweise könnten wir mit Malus- und Bonussystemen wie in Dänemark operieren, um Menschen in anderen Bereichen eine sinnvolle Beschäftigung zu geben. Gerade in Alten- und Pflegeheimen und in Schulen fehlen viele Mitarbeiter. So könnten sie als Hilfskräfte von Ingenieuren und Lehrern bestimmte Unterrichtsfächer übernehmen. Schließlich stehen auch Gelder zur Verfügung, damit man Ausfälle in Schulen ersetzen kann.
Wir müssen Ingenieure als Coaching für junge Unternehmen einsetzen. Das muss auch belohnt und zusätzlich zu den bisherigen Einkünften vergütet werden.
Das heißt, wir müssen ein ganz anderes System bekommen. Wir dürfen nicht immer nur jammern, dass Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Der erste und zweite Arbeitsmarkt werden es nicht mehr hergeben können, die Menschen sinnvoll zu beschäftigen. Wir müssen es schaffen, dass Menschen, die etwas älter sind, ein Studium aufnehmen können - das wird schon von den Universitäten und Volkshochschulen angeboten - und nicht unzufrieden zu Hause sitzen.
Sie sollen etwas Sinnvolles machen, zum Beispiel als Betreuer in Alten- und Pflegeheimen oder in Sportvereinen als Übungsleiter. Dafür müssen wir sie aber befähigen. Um die Menschen zu befähigen, etwas anderes zu leisten als in ihrem herkömmlichen Beruf, brauchen wir neue Programme.
Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir dieses Thema auch im Bildungsausschuss beraten sollten. Der Bildungsausschuss wäre berufen, dafür Programme zu entwickeln, damit diese Menschen, die nicht mehr im ersten und zweiten Arbeitsmarkt tätig sein können, weiterhin sinnvolle Arbeit für die Gesellschaft leisten können.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Garg, ich möchte Sie auf Ihre Pressemitteilung zur Großen Anfrage hinweisen. Da haben Sie Folgendes kritisiert:
„Die Lage am schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt war zuletzt vor 51 Jahren so schlimm wie heute - und das trotz über einem Jahrzehnt aktiver Arbeitsmarktpolitik im Rahmen der verschiedenen ASHProgramme.“
Dieses „trotz“ macht deutlich, dass Sie offensichtlich davon ausgehen - das musste ich jedenfalls logischerweise daraus schließen -, dass mit ASH neue Arbeitsplätze geschaffen werden.