Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst beim Herrn Innenminister für den Bericht ausdrücklich bedanken. Herr Minister, Sie mussten auf all jene Fragen eingehen, die in dem Berichtsantrag besonders in den Vordergrund gestellt worden waren. Ich weise aber darauf hin, dass der Antrag auch auf Sicherheit, Integration und Zuwanderung abzielte. Die Kollegen haben gerade schon gesagt, wie viele Fragen sich mit den Punkten im Einzelnen beschäftigen. Mit dem Aspekt der Sicherheit beschäftigen sich, wenn ich das richtig verstanden habe, neun.

Wir reden also heute erneut über Rechte und Pflichten der Zuwanderer. Angesichts der Diskussion um die Integration von Einwanderern darf nicht in Vergessenheit geraten, dass es hierbei auch um die Aufnahmebereitschaft der Deutschen geht. Davon habe ich soeben in dem Wortbeitrag der CDU gar nichts gehört. Deshalb wiederhole ich mich auch an dieser Stelle: Wir reden heute davon, dass insbesondere eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt hilfreich ist. Voraussetzungen dafür sind natürlich Kenntnisse der Landessprache und der Landeskultur sowie berufliche Kompetenzen. Es gehört zu den Pflichten der Einwanderer, sich hiermit vertraut zu machen. Es

(Silke Hinrichsen)

kommt aber auch - das will ich hier gerne wiederholen - ganz entscheidend auf die Akzeptanz des Einzelnen im Betrieb und in der Nachbarschaft an. Die Menschen in Deutschland kommen nicht darum herum, sich für mehr anderes Denken, andere Religion, anderes Aussehen zu öffnen und vor allen Dingen gegenseitige Rücksichtnahme zu üben. Davon habe ich vorhin leider überhaupt nichts gehört.

Immer wieder kehren Zuwanderer Deutschland auch den Rücken, weil sie sich hier nicht akzeptiert und aufgenommen fühlen. Dies wird bestimmt nicht besser, wenn man jeden einzelnen Ausländer mit einem Generalverdacht behaftet. Das Zuwanderungsgesetz allein reicht nicht aus, wenn es lediglich einseitig einen Nachholbedarf aufseiten der Zuwanderer ausmacht. Zur erfolgreichen Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes gehört es auch, ein Verständnis für die Kultur und das Leben des anderen zu fördern. Das Zuwanderungsgesetz selbst hängt einfach schon zu lange in den Instanzen.

Nun fordert die CDU- dies ist gerade eben durch den Wortbeitrag eindeutig wiederholt worden -, das Prinzip des Generalverdachts einzuführen. Das wird von der CDU befürwortet, schürt aber den Unmut schon heute hier im Lande lebender Zuwanderer. Somit wird sich dies kontraproduktiv auf den Integrationsprozess auswirken. Das ist kein Wunder, wenn jeder Zuwanderer so lange als latent gefährlicher Terroranhänger oder Ähnliches gilt, bis er das Gegenteil beweisen kann. Dies wird auch dazu führen, dass niemand Lust haben wird, überhaupt einzuwandern.

Der vorliegende Antrag geht - so empfinde ich das - davon aus, dass Zuwanderer grundsätzlich nicht einfach hier wohnen und arbeiten, sondern als Terroristen oder Straftäter hier sein wollen.

In dem Antrag wird auch von Sanktionen gesprochen. Der Herr Innenminister hat bereits nachgefragt, was damit genau gemeint sei. Denn dies ist überhaupt nicht ausgeführt.

Die Stellungnahme seitens der SSW-Landtagsgruppe zur aktuellen Diskussion lautet, dass die Zuwanderungsdiskussion nicht mit diesen Sicherheitsfragen zu belasten ist. Gerade eben bei dem Wortbeitrag des Kollegen Lehnert hatte ich den Eindruck, wir reden schon über den Verfassungsschutz.

Für uns bleiben Regelungen wie der Kindernachzug, die Härtefallregelung und vieles andere besonders wichtig. Das geplante, aber nicht geltende Zuwanderungsgesetz war nach unserer Ansicht ein Kompromiss. Deshalb sollte jetzt nicht über weitere Einschränkungen nachgedacht werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies scheint jedoch nach Auffassung der Union und auch Herrn Schilys das Wichtigste zu sein. Ein Paradigmenwechsel in der Zuwanderung ist dringend notwendig.

Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich bei den Kollegen Puls und Kubicki für ihre Ausführungen bedanken. Ich fand, sie erfassten sehr gut, worum es eigentlich geht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lehnert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluss der Debatte möchte ich mich beim Innenminister ebenfalls für seinen sehr sachlichen Bericht bedanken. Was mich überrascht hat, sind die Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von Rot-Grün. Deswegen will ich Gelegenheit nehmen, Ihnen noch einmal vorzutragen, was Ihr rot-grüner Bundesinnenminister in seinem „Spiegel“-Interview dazu gesagt hat.

Herr Schily hat dort ausgeführt, wir hätten die Pflicht, die Menschen zu schützen. Er hat gefragt, was denn in diesem Lande passiere, wenn es hier einen Anschlag nach dem Muster von Madrid gäbe, was dann mit einer Gesellschaft geschähe, in der es ohnehin Spannungen gäbe. Hierauf müsse der Staat eine Antwort haben.

Dann führt er weiter aus, trotzdem könnten wir der Frage nicht ausweichen, was wir mit Personen machten, die wir für eine massive Gefahr für unser Land hielten. Wenn wir sie nicht abschieben könnten, sei es im Extremfall möglicherweise notwendig, sie für eine Weile in Haft zu nehmen. Zum Schluss wird er gefragt, was er als ausreichend für eine Ausweisung ansehen würde, ob dies ein Aufenthalt in einem AlKaida-Lager sein könnte. Der Minister antwortet - das ist für mich auch nicht ganz nachvollziehbar, Kollege Kubicki, aber der Innenminister tut dies -, das sei das anschaulichste Beispiel. Darüber hinaus gebe es eine breite Palette anderer Fallgestaltungen.

Dann wird nach einem Kampfeinsatz in Tschetschenien gefragt. Daraus ergebe sich eine Gefahrenprognose. Sie haben vom Anfangsverdacht geredet; der

(Peter Lehnert)

Bundesinnenminister redet ebenfalls von einer positiven Gefahrenprognose. Die entscheidende Frage sei immer, ob die Anwesenheit einer Person eine objektive Gefahr für unser Land sei, die wir nicht akzeptieren könnten. Wenn dies so sei, dann müsse die Möglichkeit bestehen, diese Person außer Landes zu bringen, auch wenn sie behaupte, sie sei ein friedlicher Gemüsehändler. - Das hat der rot-grüne Bundesinnenminister im „Spiegel“ gesagt. Das ist keine Behauptung, die wir in dieser Debatte aufgestellt haben.

Ich darf den Grünen noch sagen: Ich habe mir - bei Ihnen wird das auch so sein - Mühe gegeben, diese Diskussion vorzubereiten. Sie kennen sicherlich den Beschluss Ihres Parteirats vom 26. April 2004. Ich habe einen Teil meiner Redepassagen ganz bewusst wörtlich aus Ihrem Papier übernommen. Ich kann Ihnen das gern noch einmal vortragen: Deutschland sei wie andere Länder auch Teil eines allgemeinen Gefahrenraums. Die Sicherheit und Freiheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, sei eine grundlegende Aufgabe des Staates. Dann wird ausgeführt, heute zeige sich, dass aufgrund einer veränderten Sicherheitslage weitere Verbesserungen notwendig seien. - Dies ist ein einstimmiger Beschluss des Parteirates.

Dann wird ausgeführt, dass der Informationsaustausch weiter verstärkt und besser ausgestaltet werden müsse. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden müsse darüber hinaus auf allen Ebenen intensiviert werden. Die technische Ausstattung der Polizei, der Feuerwehren und des Katastrophenschutzes in Deutschland müsse von den Ländern und vom Bund gemeinsam dringend verbessert werden. - Das alles ist noch Parteiratsbeschluss der Grünen. - Es könne nicht länger hingenommen werden, dass es immer noch kein einheitliches digitales Fernsprechsystem für alle Sicherheitsstellen gebe. - Hört, hört! - Die Ausstattung mit moderner Telekommunikationstechnik sei teilweise beschämend. Verbrecher und Terroristen dürften nicht über bessere technische Mittel verfügen als die Polizei.

Jetzt kommt der letzte Punkt: Zur Verhinderung von Anschlägen müsse eine elektronische Überwachung bestimmter besonders gefährdeter Bereiche im öffentlichen Raum, so auf Bahnhöfen oder in Zügen durchgeführt werden. Geeignete Löschungen von Datenschutzkontrollvorschriften müssten vorgeschrieben werden.

Das sind alles Punkte, die der Innenminister geäußert hat und die der Parteirat der Grünen beschlossen hat. Das habe ich zum Teil in meine Rede übernommen. Das zu kritisieren, finde ich schon ziemlich abenteuerlich.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Klug.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kernstück einer Erfolg versprechenden Integrationspolitik ist die sprachliche Integration der Zuwanderer. Darauf hat dankenswerterweise Minister Klaus Buß in seinem Beitrag vorhin hingewiesen. Ich meine aber, unter diesem Gesichtspunkt sollten wir bei der Debatte über einen Punkt nicht hinweggehen, der in der aktuellen Diskussion auf Bundesebene von ganz entscheidender Bedeutung ist. Ich beziehe mich auf einen Bericht der „taz“ vom 23. April 2004 mit der Überschrift: „Politik spart sich die Integration“ und dem Untertitel: „Kehrtwende in den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz - SPD und Union wollen Anspruch auf Sprachkurse streichen“. In dem Artikel heißt es unter anderem:

„Wie der SPD-Verhandlungsführer Dieter Wiefelspütz inzwischen bestätigt hat, soll der Rechtsanspruch für Migranten auf Integrations- und Sprachkurse gestrichen werden. Damit fällt auch die Verpflichtung des Staates weg, ein entsprechendes Angebot zur Verfügung zu stellen und zu bezahlen.“

Ich denke, in einer Debatte über dieses Thema sollte vonseiten der Landesregierung und speziell von unseren sozialdemokratischen Freunden eine Aussage zu dieser - wie ich finde - sehr bedenklichen und Besorgnis erregenden Tendenz auf Bundesebene gemacht werden. Darüber, Herr Kollege Hay, Herr Minister Buß, sollte man nicht so einfach hinweggehen;

(Beifall bei der FDP)

denn sonst sieht es doch so aus, als würde man hier nur große Deklamationen vortragen und vielleicht auch die eine und andere Krokodilsträne vergießen. Aber wenn hier ein Kernstück einer Erfolg versprechenden Integrationspolitik auf Bundesebene durch Absprachen zwischen SPD und Bundesregierung auf der einen und CDU auf der anderen Seite zur Disposition gestellt wird, dann ist das eine extrem problematische Tendenz, zu der auch die Landespolitiker - die Landesregierung hat ja im Bundesrat ein Wort mitzureden - hier zumindest ein Wort sagen müssen. Da bitte ich um eine klare Positionsbeschreibung.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lehnert, ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil - das ist in der Debatte vorher schon deutlich geworden - ein Bundesminister nicht immer das ausdrückt, was ich ausdrücken möchte. Dass ich mit Otto Schily auf der ganzen Linie eher nicht einverstanden bin, muss ich hier vielleicht nicht besonders betonen. Das ist auch in vorhergehenden Debatten schon sehr deutlich geworden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist kein Ma- kel!)

Ich glaube, dass sich Herr Schily an dieser Stelle einfach frei geäußert hat. Soweit ich von meiner grünen Fraktion gehört habe, haben sie sich sehr deutlich gerade gegen die Sicherheitsverwahrung ausgesprochen. Darüber bin ich froh. Das wird hoffentlich auch das Handeln dieses Ministers bestimmen, der sich dem Parlament gegenüber zu verantworten hat. Insofern bin ich da nicht besonders beunruhigt.

Sie haben den Parteirat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zitiert, der weitere Verbesserungen fordert, die wir gemeinsam in diesem Lande fordern, nämlich einen digitalen Polizeifunk, eine bessere Ausstattung für die Polizei. Das sind normale, wichtige und richtige Maßnahmen

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und ich finde es gut, dass sich die grüne Fraktion da offensiv verhält. Die Polizei muss stark gemacht werden.

Das alles hat mit einem Integrations- und Zuwanderungsgesetz überhaupt nichts zu tun. Das hat auch mit dem, was aus Ihrer Rede hervorging, in der Sie davon gesprochen haben, eine Abschreckung gegenüber dem Terrorismus zu schaffen, überhaupt nichts zu tun; denn dem Terrorismus können Sie als Abschreckung nichts entgegensetzen.

Ich wollte mit meinem Beispiel von dem neuerdings viel verschlosseneren Landeshaus sagen, dass eine solche Sicherheit immer in beide Richtungen geht. Wir wollten unser Land gerade für Migratinnen und Migranten durchlässig machen, die nicht in erster Linie als Terroristinnen und Terroristen wahrzunehmen sind,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

obwohl aus ihren Kreisen durchaus Terroristen kommen können. Terroristen können aber auch - wer weiß das denn so genau? - aus der deutschen Bevölkerung kommen. Gleichwohl würden wir nicht mit dem Hinweis darauf, dass es in Deutschland bereits deutsche Terroristen gegeben hat, alle Deutschen als Terroristen einstufen. Das wäre auch völlig absurd. So aber gehen Sie mit dem Zuwanderungsgesetz um. So geht die CDU in diese Verhandlungen.

Sie wissen selbst vielleicht noch besser als manch andere hier im Parlament, dass im Zuge der Debatten um das Zuwanderungsgesetz unendlich viele Kompromisse verhandelt worden sind, die mit dem, was wir ursprünglich einmal gewollt haben, nichts mehr zu tun haben und durch die hinsichtlich der Akzeptanz, die geschaffen werden sollte, Türen zugeschlagen worden sind. Es gibt bestimmte Zeiten, in denen man bestimmte Gesetze durchbekommt, und es gibt andere Zeiten, in denen man diese Gesetze nicht mehr durchbekommt.

Ein Letztes noch. Sie haben Ihre Rede mit dem für mich - entschuldigen Sie - unsäglichen Satz begonnen: Seit dem 11. März 2004 habe sich die Welt verändert. - Diesen Satz hören wir bei jeder uns erschütternden Katastrophe. Ich kann gar nicht sagen, wie mich dieses Unglück und dieser terroristische Anschlag in Spanien erschüttert haben. Aber ich hüte mich vor solchen Worten; denn wir müssten sie sonst andauernd verwenden, weil sich die Welt andauernd verändert. Die Welt ist voller Brutalität, Übergriffe und Gewalt. Wir sind allesamt nicht unschuldig daran, auch wir in Deutschland nicht. Diesen Zusammenhang sollten wir in unserer noch immer relativ gesicherten Situation zur Sprache bringen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Mir liegen noch vier Wortmeldungen für Kurzbeiträge vor. Als Nächstem erteile ich dem Herrn Abgeordneten Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will kurz auf die Wortbeiträge eingehen, mit denen auf uns Bezug genommen worden ist. Als SPD-Fraktion sind wir für wirksame Antiterrorgesetze. Sicherheitspolitik muss auch in effektive Gesetze gegossen werden. Das ist für uns völlig klar. Das hat aber mit dem Zuwanderungsgesetz nichts zu tun.