Protokoll der Sitzung vom 13.11.2003

„Eine umfassende Aufarbeitung der Tätigkeit der Hauptverwaltung Aufklärung wird erst dann möglich sein, wenn alle o. g. Unterlagen zurückgegeben wurden und diese auch mit anderen bei der BStU schon vorhandenen Karteien, Dokumenten und Unterlagen in Bezug gebracht werden können. Bei nur punktueller Nutzung der Informationen kann es schnell zu Fehlinterpretationen kommen.“

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, das ist nun keine oder zumindest noch keine Basis für eine sichere Überprüfung.

(Thomas Rother)

Des Weiteren ist natürlich ein Stasi-Verdacht in der politischen Auseinandersetzung auch ein beliebtes Vehikel, um Politiker in Misskredit zu bringen. Denken Sie an die Vorwürfe gegen Björn Engholm, beispielsweise aus Richtung „Focus“die sich dann zwar vor Gericht in Luft auflösten; aber hängen bleibt natürlich immer etwas. Daher sollte man diesen Dingen wirklich sehr sensibel umgehen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir gehen ja auch sehr sensibel mit den besonderen Methoden zur Verfolgung von Straftaten in diesem Land um. Denken Sie an die Rasterfahndung und auch andere Dinge im Bereich des Datenschutzes. Hierin sind wir uns oftmals weitgehend einig. Nun sollen wir also selbst ein solches Raster durchlaufen. Was soll das aber alles, wo Sie doch gerade gesagt haben, es gebe nicht den Funken eines Verdachts. Das lässt befürchten, Herr Schlie, dass es zur kommenden Tagung einen CDU-Antrag geben könnte, die Registrierung beim Verfassungsschutz - das ist ja auch sehr interessant - oder die Erfassung bei der Kriminalpolizei offen zu legen. Sollen wir uns das antun? Jeder Politiker ein potenzieller Spion, Straftäter oder Verfassungsfeind? Irgendwo gibt es auch eine Grenze.

(Beifall bei der SPD)

Selbst wenn der Bundesrat in seiner Entschließung vom 26. September - Sie haben es angesprochen - Parlamentarier aus Bund und Ländern dazu aufruft, sich einer Stasi-Überprüfung zu unterziehen, muss das noch lange nicht angebracht sein. Stellen Sie sich einmal vor, wir beschließen den CDU-Antrag heute, einige Abgeordnete machen dabei nicht mit - das ist ihr gutes Recht auf informationelle Selbstbestimmung - und der Präsident veröffentlicht das. Dann sind wir nicht mehr bei einer notwendigen Aufarbeitung des DDR-Unrechts - da unterscheiden wir uns ja gar nicht -, sondern tatsächlich ein Stück weit der Stasi-Hysterie hinterhergelaufen, die niemandem gut tun wird.

(Beifall bei der SPD)

Unabhängig davon wäre es für eine tatsächlich komplette Überprüfung der Landtagsabgeordneten beziehungsweise der Ministerinnen und Minister notwendig, das Abgeordnetengesetz beziehungsweise das Ministergesetz zu ändern; denn diese Überprüfung wäre eben ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Man kann also niemanden dazu zwingen. Dies einfach als Appell zu beschließen, steht also auch der Rechtssystematik entgegen. Selbst Sachsen und Sachsen-Anhalt, die diesen Antrag, soweit ich weiß, im Bundesrat mit eingebracht haben, führen Prüfungen nur verdachts

abhängig durch. In ihren eigenen Gesetzen haben sie das so geregelt. Dies nur als Hinweis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zweifellos sinnvoll und notwendig, die Geschichte der DDR und insbesondere das DDR-Unrecht aufzuarbeiten. Staatliche Straftaten sind zu verfolgen. Das ist ganz klar. Es darf keine Generalabsolution geben. Aber ein Generalverdacht gegen alle und jeden ist unverhältnismäßig und auch historisch unsachlich. Dies gibt nur jenen Kräften Auftrieb, die schon jetzt - es geht auch durch die Medien - die DDR verklären und von „Siegerjustiz“ sprechen.

Es gibt also wirklich viele gute Gründe, den CDUAntrag hier und heute abzulehnen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zunächst gedacht, dies sei ein Anti-KalinkaAntrag. Ich habe mich eines Besseren belehren lassen, weil Werner Kalinka von uns der Einzige ist, der nachweislich Stasi-Kontakte hatte, wenn auch erst nach der Wende. Er hat darüber Bücher geschrieben, wie er Leute der Stasi interviewt hat.

Aber im Ernst: Ich möchte mich bei dem Oppositionsführer und bei dem Kollegen Schlie für diesen Antrag ausdrücklich bedanken, bietet dieser Antrag der Union doch wieder die Möglichkeit, das rechtsstaatliche Verständnis der CDU zu hinterfragen.

Die Union möchte einen Beschluss des Landtages, der die Parlamentarier auffordert, sich nach Freigabe der so genannten Rosenholz-Dateien einer Prüfung über eine etwaige Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR zu unterziehen. Die Ergebnisse sollen dann veröffentlicht werden. Außerdem soll die Landesregierung aufgefordert werden, sich selbst sowie die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre einer solchen Überprüfung zu stellen. Bei den Rosenholz-Dateien handelt es sich um mikroverfilmtes Material der Staatssicherheit der DDR aus dem Jahr 1988, welches auf nicht bekanntem Wege nach der Wende in die Hände des Geheimdienstes der USA gelangte und vor kurzem als Kopie auf CD wieder nach Deutschland zurückkehrte. Dabei gehen wir davon aus, dass sie auch echt ist. Wir haben großes Vertrauen zu den amerikanischen Geheimdiensten,

(Wolfgang Kubicki)

Werner Kalinka. Ich bin richtig begeistert, dass ich es das erste Mal höre.

Seither kommt ein Parlament nach dem anderen zu der Auffassung, dass sich die Abgeordneten doch einer Überprüfung zu unterziehen hätten, um etwaige Tätigkeiten für die Staatssicherheit der DDR aufzudecken. Sogar der Bundesrat hat im Herbst dieses Jahres die Parlamentarier von Bund und Ländern aufgefordert, einer solchen Überprüfung zuzustimmen. Möglicherweise ist dies eine Reminiszenz an unsere ostdeutschen Landesparlamente und -regierungen. Das will nun auch die CDU-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein. Sie will, dass der Landtag auf diese Weise dokumentiert, dass wir alle weiße Westen ohne irgendwelche Stasiflecken haben.

Die CDU übersieht dabei Folgendes: Normalerweise ist die Reihenfolge in einem rechtsstaatlichen Verfahren umgekehrt. Generell gilt die Unschuldsvermutung, erst nach einem konkreten Verdacht folgen dann Ermittlungen. Dieses Prinzip, übrigens eine der tragenden Säulen unseres demokratischen Rechtsstaates, dreht die Union mit ihrem Antrag um. Die Union handelt nach der Maßgabe, ohne konkreten Verdacht vorsorglich zu überprüfen, sozusagen Generalverdacht mit Exkulpationsmöglichkeit. Oder gibt es aus der Sicht der Union konkrete Verdachtsmomente, dass irgendjemand aus diesem Hause oder aus dieser Regierung für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR tätig war? Dann bitte sehr soll es hier auf den Tisch.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind aus grundsätzlichen Erwägungen und tiefster Überzeugung gegen die Aufweichung des Immunitätsrechts, Kollege Schlie, das es Exekutivorganen verwehrt, gleichsam verdachtsunabhängig und ohne Einschaltung des Parlaments Abgeordnete woraufhin auch immer zu überprüfen. Oder können Sie mir sagen, warum wir darauf verzichten sollten, beispielsweise Ihren Registerauszug oder den anderer Abgeordneter oder beispielsweise Ihren Steuerbescheid oder Ihren DNA-Test zu veröffentlichen? Auch dies - ich komme gleich noch einmal dazu - folgt dieser Linie, umzukehren, was in diesem Rechtsstaat eigentlich nicht umgekehrt werden darf.

Wer die Gewaltenteilung ernst nimmt, der sollte auch in einem demokratischen Rechtsstaat sorgsam darauf achten, dass hier keine Grenzverwischung stattfindet. Wir haben immer wieder erlebt, wie schnell öffentliche Berichterstattung, die nicht immer zutreffend sein muss, zu erheblicher persönlicher, politischer und existenzieller Bedrohung werden kann. Wir werden

uns hieran unter keinen Umständen beteiligen, zumal nicht klar ist, wo und wie eine Grenzziehung sinnvoll begründet werden kann, wenn man die Schleuse erst einmal öffnet.

Mit unserer Auffassung befinden wir uns auch in prominenter Gesellschaft. So haben sich sowohl der grüne Bundesaußenminister Fischer als auch der Bundesinnenminister Schily gegen eine Zwangsüberprüfung ausgesprochen. Kollege Schlie, wenn schon Schily rechtsstaatlicher denkt als Sie, dann muss sich die Union in diesem Hause ernsthaft Gedanken machen.

(Beifall bei der FDP)

Selbst wenn es aber in diesem hohen Hause Abgeordnete gibt, die dem Anliegen der CDU folgen wollten, dann will ich sie noch auf Folgendes hinweisen.

Erstens. Es handelt sich bei der so genannten Rosenholz-Datei lediglich um Abschriften aus Originalakten, sie sind damit rechtlich nicht verwertbar und beispielsweise für mögliche Personalentscheidungen ungeeignet. Zweitens. Tatsächlich weisen diese Abschriften auch noch erhebliche Mängel auf. Nach Angaben der Bundesbeauftragten für Stasiunterlagen sind Namen falsch geschrieben, Geburtsnamen mit den Vornamen verwechselt und Diensteinheiten falsch bezeichnet. Zudem fehlen sämtliche Umlaute wie „Ältestenrat“„Ö“ oder „Ü“ beziehungsweise das „ß“was darauf hindeutet, dass diese Dateien irgendwie von Leuten, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, verarbeitet sein müssen.

Der immer wieder in den Raum gestellte Satz: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“verkehrt den Grundsatz, dass niemand seine Unschuld beweisen oder Verdächtigungen entkräften muss. Dies, Kollege Schlie, ist eine der tragenden Säulen des modernen Rechts- und Staatsverständnisses. An dieser Säule werden wir festhalten.

(Beifall bei FDP und SPD)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kapitel DDR ist das zweite dunkle Kapitel der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts gewesen. Wir wissen, dass dort massive Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben. Daran waren zumindest mittelbar auch viele Menschen beteiligt, die in Westdeutschland gelebt haben. Historiker aus der Birthler-Behörde rechnen damit, dass die

(Irene Fröhlich)

Hauptverwaltung Aufklärung am Ende der DDR noch zwischen 3.000 und 3.500 inoffizielle Mitarbeiter aus der Bundesrepublik und Westberlin führte.

Trotzdem frage ich mich, welchen Zweck der Antrag der CDU verfolgt. Es ist sicherlich wünschenswert, dass alle öffentlichen Entscheidungsträger in den alten und neuen Bundesländern fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Nur gilt dies dann nicht nur für Abgeordnete und Kabinettsmitglieder, sondern ebenso für Richter und Bürgermeister. Es ist nicht so, dass Zweifel an der demokratischen Gesinnung nur durch eine frühere Stasi-Mitarbeit aufkommen können. Gerade das aktuelle Debakel in der CDU-Bundestagsfraktion zeigt, dass wenn schon, auch an anderen Stellen gegraben werden müsste.

Ich frage mich, ob es wirklich der Wahrheitsfindung dient, wenn Ergebnisse nicht erst in einem Ausschuss oder in einem ähnlichen Gremium überprüft, sondern sofort veröffentlicht werden sollen. Wir wissen aus vielen Beispielen, dass die Unterlagen eben nicht immer das hergeben, was sie auf den ersten Blick offenbaren. Das gilt umso mehr für die RosenholzDateien, deren Informationen in Amerika von Hand von Karteikarten in eine Suchmaske eingegeben wurden. Hierbei entstanden Tipp- und andere Fehler, die zurzeit gesucht und beseitigt werden. Dies ist aber nur dort möglich, wo bereits Akten in der StasiUnterlagen-Behörde vorhanden sind. Wenn also schon eine Überprüfung stattfinden soll, wäre es seriöser, dies zunächst in einem internen nicht öffentlichen Gremium zu tun, damit Zweifel an der Richtigkeit noch geäußert und gegebenenfalls bereinigt werden können. Ich fürchte, hier soll nur schnell eine populäre Sau durchs Dorf gejagt werden, ohne Rücksicht auf die Rufschädigungen, die durch falsche Informationen entstehen können. Das hat mit wirklicher Aufklärung nichts zu tun.

Bei den Grünen gibt es eine lange Tradition der Aufklärung und Aufarbeitung, sichtbar nicht zuletzt im Prozess der Vereinigung von BÜNDNIS 90 und DIE GRÜNEN. Die Abgeordneten meiner Fraktion und ich haben deswegen beschlossen, die uns betreffenden Unterlagen selber anzufordern. Ich gehe davon aus, dass die CDU-Fraktion ebenso verfährt, da ihr das Thema anscheinend so wichtig ist. Ihren Antrag werden wir ablehnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik leistet sich mit der Bewältigung des Stasi-Unrechts ein weltweit einmaliges Projekt. Durch die Herstellung der Öffentlichkeit und das Recht auf Akteineinsicht soll möglichst der gesamte Geheimdienstapparat einer Diktatur offen gelegt werden. Zu dem Unrecht, das die DDR begangen hat, trug auch die Agententätigkeit der Hauptverwaltung Aufklärung in der Bundesrepublik bei. Es geht um die Agententätigkeit westdeutscher Bürger für die DDR. Bei diesem Kapitel muss auch der SchleswigHolsteinische Landtag seinen Beitrag zur Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit leisten. Insofern können wir dem Ansinnen der CDU folgen.

Die Frage der Aufklärung anhand von Stasi-Akten hat den Schleswig-Holsteinischen Landtag in den vergangenen 14 Jahren immer wieder interessiert. Der Landtag hat sich aber niemals damit befasst, mit welchem Verständnis er eine Aufarbeitung dieses Teils der deutsch-deutschen Vergangenheit angehen will. Die Existenz der Rosewood-Akten ist seit einigen Jahren bekannt. Trotzdem ist bis heute nicht geklärt, wie wir in Schleswig-Holstein mit diesen Informationen eigentlich umgehen wollen.

Es müssen nach unserer Ansicht einige Fragen geklärt werden, bevor der SSW die Hand für eine StasiÜberprüfung hebt. Welche Daten sollen eigentlich abgefragt und weitergegeben werden? Was passiert mit diesem Wissen? Die Staatsanwaltschaften werden nicht mehr wegen Spionagetätigkeit aktiv werden können. Nur wer schweren Landesverrat begangen hat, kann dafür juristisch noch zur Verantwortung gezogen werden. Wenn aber so ein Fall tatsächlich unter uns wäre, wäre dieser sicherlich schon von den Strafverfolgungsbehörden aufgegriffen worden. Was machen wir dann aber mit den nicht strafrechtlich relevanten Informationen? Welche Art von Kontakt ist wie zu bewerten?

Ebenso wenig, wie wir uns wünschen, dass jemand in diesem Haus eine Vergangenheit bei der oder für die Stasi hat, ebenso wenig wollen wir dieser Frage aus dem Weg gehen. Ich glaube, dass wir uns im Innen- und Rechtsausschuss erst einmal überparteilich auf eine Systematik einigen müssten, die wir bei der Aufarbeitung dieser Vergangenheit zugrunde legen.

Wie und welche Personengruppen soll das Land Schleswig-Holstein bezüglich einer Zugehörigkeit zur

(Silke Hinrichsen)

Stasi prüfen? Welche Informationen sind relevant? Welche Konsequenzen soll das haben? Wenn wir in diesen Fragen keinen Konsens finden, ist das Risiko viel zu groß, dass die Spielregeln ad hoc erfunden und gleich wieder gebrochen werden, wenn jemand wirklich im Netz hängen bleibt.

Der SSW unterstützt die Stasi-Anfrage nur, wenn es um eine demokratische Aufklärung geht und nicht zuerst um parteipolitische Schlammschlachten und Schuldzuweisungen. Deshalb sollte der Landtag zügig und überparteiisch noch einmal darüber reden, insbesondere im Innen- und Rechtsausschuss. Die Bedenken, die die Kolleginnen und Kollegen vorhin geäußert haben, sollten dort auch erörtert werden. Ich bitte insofern also um Ausschussüberweisung.

Ich will auch ganz ehrlich sagen: Eine freiwillige Überprüfung geht natürlich. Aber was ist, wenn ich dem Herrn Präsidenten mitteile, ich sei keine Agentin? Ich finde es etwas schwierig, dies so zu behandeln. Es besteht die große Gefahr, dass jemand, der in diesen Akten auftaucht - je nachdem welcher Couleur er angehört -, einmal durchs Dorf gejagt wird.

Wenn wir uns hier nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen können, können wir das Ganze vergessen.