Protokoll der Sitzung vom 22.11.2007

Ob aber der Einkauf von Lebensmitteln primär nach Farben entschieden werden sollte, wage ich zu bezweifeln, da mit der Ampelkennzeichnung indirekt auch eine Bewertung der Lebensmittel vorgenommen wird. Mit rot wird signalisiert: „Stopp; das geht nicht.“ Gelb bedeutet: „bedenklich“, grün: „Alles klar, jede Menge davon“. Das wäre zu simpel, so simpel wie die Begründung Ihres Antrags, Herr Kollege: „Darüber hinaus sei die von Seehofer vorgeschlagene Kennzeichnung nur sehr eingeschränkt eine Einkaufshilfe im Alltag, weil sie auf eine Ampelkennzeichnung nach englischem Vorbild verzichte“. - Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Simpel ist auch Ihre Pressemitteilung. Darin heißt es, wie in Großbritannien müssten die deutschen Verbraucher anhand einer Ampelkennzeichnung mit einem Blick erkennen können, wie gesund oder ungesund ein Produkt ist. Ein Produkt mit drei „Rotlichtern“ kann trotzdem gesund und lebenswichtig sein. Es kommt auf die Dosierung an. Ein wenig mitdenken sollte man trotz Ampelkennzeichnung.

Ich beantrage Ausschussüberweisung und bitte auch um Mitberatung im Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Sassen. - Für die SPD-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss bekennen: Beim ersten Lesen des SSW-Antrags empfand ich große Sympathie für den vorgeschlagenen Weg der Lebensmittelkennzeichnung.

(Beifall beim SSW - Zurufe: Aber? - Und weiter?)

- Abwarten. - Wer wünschte sich nicht, dass Lebensmittel so gekennzeichnet werden, dass die wesentlichen Produktinformationen rasch zu erfassen sind? Denn vielfach sind Angaben zu Nährwert, Brennwert, Inhaltsstoffen, Zusatzstoffen und sogar das Mindesthaltbarkeitsdatum nur schwer zu entdecken und zu entziffern. Die Darstellung ist häufig

(Ursula Sassen)

wenig übersichtlich und natürlich von Produkt zu Produkt verschieden. Das Verpackungsdesign dient vorrangig der Verkaufsförderung, nicht der Verbraucherinformation. Klare, übersichtliche Kennzeichnungen wären nicht nur hilfreich, sie sind überfällig.

Die EU hat mit der schon von Frau Sassen zitierten Health-Claim-Verordnung, die seit dem 1. Juli 2007 in Kraft ist, erstmals einheitliche Aussagen zur nährwert- und gesundheitsbezogenen Kennzeichnung von Lebensmitteln getroffen. Damit wurden folgende Ziele verfolgt:

In allen Mitgliedstaaten sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden. Verbraucher sollen vor Irreführung oder Täuschung geschützt werden. Die Markttransparenz für eine sachkundige Auswahl gesunder Produkte soll verbessert werden. Gesundheitsbewusstsein und Innovation in der Lebensmittelindustrie sollen gefördert werden.

Auf europäischer Ebene wird derzeit eine neue Verordnung zur Lebensmittelkennzeichnung erarbeitet. Grundlage ist dabei auch das britische Ampelmodell, wonach die sogenannten Big Four, also die größten Risikofaktoren für gesunde Ernährung in Lebensmitteln, nämlich Fett, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz, auf einen Blick erkannt werden können. „Rot“ steht dabei für einen hohen Anteil dieser Inhaltsstoffe und soll dem Verbraucher signalisieren: Der Verzehr dieses Lebensmittels kann schädlich sein. Eine solche Ampelkennzeichnung findet - wie entsprechende Verbraucherumfragen aus Großbritannien gezeigt haben - eine hohe Akzeptanz.

Frau Spoorendonk, andererseits ist aber auch das Ergebnis einer niederländischen Studie zu beachten. Danach greifen Jugendliche gezielt nach den als „gesundheitsgefährdend“ gekennzeichneten Lebensmitteln. Frei nach dem Motto: Was ungesund ist, muss einfach gut schmecken.

Das Ampelmodell erleichtert dem Verbraucher aber zweifellos die Auseinandersetzung mit der eigenen Kaufentscheidung und dem damit verbundenen Ernährungsverhalten.

Auch das Bundesgesundheitsministerium hat sich des Themas angenommen und erarbeitet gemeinsam mit einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe einen nationalen Aktionsplan mit dem schönen Titel: „Gesunde Ernährung und Bewegung, ein Schlüssel für mehr Lebensqualität“. Gesundheitsförderung wird also umfassender betrachtet, Lebensmittelkennzeichnung als ein Baustein angesehen.

Diesen Ansatz betrachten wir Sozialdemokraten als zielführend, weil eine präventive Lebensweise eben auch weitere Aspekte im individuellen Komplex Gesundheit einschließt. Eine Lebensmittelkennzeichnung nach dem Ampelmodell kann dabei hilfreich sein. Wir hielten es jedoch auch für erforderlich, die Kennzeichnung von Zusatzstoffen deutlicher zu gestalten, damit es der zunehmenden Anzahl von Allergikern leichter möglich wird, für sie risikobehaftete Produkte rasch zu erkennen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Eigenverantwortliches Ernährungsverhalten gelingt am zielsichersten, wenn das Sachwissen über die Zusammensetzung eines Produkts allen Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen und ohne großen Aufwand zur Verfügung steht. Es ist wichtig zu wissen, woher das Fleisch auf dem Teller stammt und wie das Gemüse behandelt wurde.

Da heute in vielen Haushalten zunehmend Fertigprodukte auf dem Speiseplan stehen, ist es umso bedeutender, dass auch bei stärker verarbeiteten Lebensmitteln noch eine kompetente Auswahl getroffen werden kann. Die offene und leicht verständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln wirkt zudem der Tendenz entgegen, dass einzelne Produkte generell als gesundheitsschädlich verteufelt werden. Lebensmittelkennzeichnungen können somit dazu beitragen, die persönliche Entscheidungskompetenz von Verbrauchern zu stärken und Mogelpackungen auf einen Blick zu erkennen.

Auch wir möchten über den SSW-Antrag gern im Sozialausschuss und mitberatend im Wirtschaftsausschuss weiter beraten. Vielleicht kommen wir dann zu einer wegweisenden Empfehlung des Landtages.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten und erteile für die FDP Herrn Günther Hildebrand das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen: Auch die FPD-Fraktion befürwortet grundsätzlich eine verlässliche Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln. Für alle Menschen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, ist eine vollwertige und schmackhafte Ernährung enorm wichtig. Wenn eine verlässliche Nährwertkennzeichnung einen Beitrag dazu leisten

(Siegrid Tenor-Alschausky)

kann, eine gesunde Ernährung zu ermöglichen, halte ich das für eine gute Maßnahme. Die Frage ist nur: Wie muss eine solche Kennzeichnung aussehen, damit sie diese Wirkung auch entfalten kann?

Der Leitfaden von Bundesverbraucherminister Horst Seehofer sieht bislang freiwillige Nährwertinformationen vor. Die EU will Nährwertangaben auf Lebensmittelverpackungen zur Pflicht machen, um Fehlernährung und Übergewicht Einhalt zu gebieten.

Der SSW schlägt heute eine verbindliche Nährwertkennzeichnung unter Nutzung des Ampelsystems nach englischem Vorbild vor. Das ist ohne Frage ein sehr griffiger Vorschlag. Auch die Verbraucherzentralen befürworten die Nährstoffampel, denn sie ist vor allem einfach zu lesen, weil Rot für einen hohen Nährstoffgehalt steht, Gelb für einen mittleren und Grün für einen geringen Anteil.

Ich persönlich habe allerdings ein Problem damit. Wenn ich auf eine grüne Ampel zufahre, heißt das für mich: „Weiter fahren“, bevor Gelb oder Rot kommt. Das hieße hier, weiter essen, bevor Rot oder Gelb kommt. Ob das in dem Sinne gemeint ist, weiß ich nicht.

Reicht die Nährstoffampel? Das Problem der zunehmenden Übergewichtigkeit der Bevölkerung in Deutschland und Europa ist doch sehr viel vielschichtiger. Natürlich hat es mit Nährwerten zu tun, aber auch mit Bewegung und Esskultur. Mein Kollege Dr. Garg hat das in der September-Debatte zur gesunden Ernährung in Kindertagesstätten und Schulen bereits deutlich gemacht. Es bringt gar nichts, wenn wir uns mit erhobenem Zeigefinger hinstellen, optimale Ernährungspläne vorschreiben und Verbote aufstellen. Solange Chips cool sind und Äpfel uncool sind, solange Fastfood gemeinsame Mahlzeiten ersetzt, so lange haben wir ein viel grundsätzlicheres Problem als das der Nährwertkennzeichnung.

Meine Damen und Herren, ich bin nicht gegen den Vorschlag des SSW, aber wir werden uns im Ausschuss intensiv mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine Ampelkennzeichnung wirklich der richtige Weg ist. Bei dieser Frage denke ich ganz gewiss nicht an die großen internationalen Lebensmittelkonzerne, wie man jetzt vielleicht unterstellen könnte. Dass denen die seehofersche Aufforderung nach einer freiwilligen Nährstoffkennzeichnung weit genehmer ist als eine verbindliche Regelung, liegt auf der Hand.

Mir geht es um die Verbraucher - wobei ich mir durchaus bewusst bin, dass es ,,die“ Verbraucher

eigentlich gar nicht gibt. Denn die einen werden mit oder ohne Nährwertkennzeichnung ihre Lebensmittel auch weiterhin nach ihrem persönlichen Geschmack auswählen. Die anderen werden sich möglicherweise aufgrund der Kennzeichnung bewusst für Produkte mit niedrigen Werten entscheiden oder auch nicht. Denn selbst unter Verbraucherschutzgesichtspunkten ist noch nicht einmal auszuschließen, dass eine Ampelkennzeichnung nicht auch genau die gegenteilige Wirkung entfalten kann.

Dazu folgendes Beispiel, das auch Frau Tenor-Alschausky eben gebracht hat aus dem „aid infodienst“ vom 15. November 2007:

,,Kinder essen mehr von bestimmten Snacks, wenn sie vorher durch eine rote Kennzeichnung erfahren haben, dass sie diese Produkte nicht essen sollen... Möglicherweise steigere eine Negativinformation die Attraktivität von Lebensmitteln.“

Hintergrund dieser Aussage ist eine niederländische Studie.

Hier liegt also ein ganz wesentliches Problem. Ich bin deshalb auch fest davon überzeugt, dass die bereits genannten Chipstüten durch eine rote Kennzeichnung nicht weniger attraktiv werden.

Im Übrigen gibt es auch noch eine Reihe anderer Vorschläge, wie die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln erfolgen kann. Kraft Foods in Amerika hat einen davon gewählt und verteilt Positivauslobungen. Das heißt, dass Lebensmittel, die für die Ernährung besonders empfehlenswert sind, besonders gekennzeichnet werden. Dies soll bereits zu einer Verbesserung der Produktzusammensetzung geführt haben und zu einer stärkten Verbrauchernachfrage nach den ausgelobten Produkten als nach den Standardprodukten.

In Europa verfolgen unter anderem die Schweden eine ähnliche Strategie, indem sie ein grünes Schlüsselloch ausschließlich für besonders empfehlenswerte Lebensmittel verleihen. Vielleicht wäre auch das ein Anknüpfungspunkt für unsere Beratungen im Ausschuss.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich danke Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

(Günther Hildebrand)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den Antrag des SSW begrüßen wir. Wie Radio Eriwan allerdings sagt: Den Antrag begrüßen wir im Prinzip. Wir sind für eine klare und aussagefähige Kennzeichnung von Lebensmitteln. Die vereinfachte Darstellung mit einer Nährwertampel ist gut und machbar. Die beiden anderen Informationspflichten, die in Ihrem Antrag vorgeschlagen werden, halte ich auch für richtig, allerdings mit anderen Parametern. Mir geht es um Wahlfreiheit und Verbraucherschutz.

Bereits heute findet man ja in kleinen Tabellen auf den Packungen Angaben zum Nährwert. Aber können alle Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich etwas mit den Daten anfangen? Ist diese kleine Tabelle wirklich eine verbraucherfreundliche Darstellung? Ich fürchte, viele Menschen vertrauen eher Botschaften wie „gesunde Vitamine naschen“, „wertvoll wie ein kleines Steak“ oder „mit der Extraportion Milch“. Solche Werbung ist aber irreführend, weil sie zum Beispiel den hohen Zuckeranteil der Produkte verschleiert.

Ein Ampelsystem, wie heute vom SSW vorgeschlagen, mag zwar etwas undifferenziert sein, es ist aber durchaus praktikabel, wie Erfahrungen aus England zeigen. Wir unterstützen daher die Initiative des SSW mit Nachdruck. Die grüne Fraktion hat in den Bundestag bereits im Oktober einen entsprechenden Antrag eingebracht.

Angesichts von rund 40 Millionen übergewichtigen Deutschen - darunter 2 Millionen Kinder und Jugendliche, oft aus sozial schwierigem Umfeld - ist eine Reform der Lebensmittelkennzeichnung aus unserer Sicht überfällig. Wenn es nicht gelingt, bei der falschen Ernährung der Bevölkerung schnell umzusteuern, werden die Folgekosten von ernährungsbedingten Erkrankungen für das deutsche Gesundheitssystem in den kommenden Jahren von jetzt etwa 70 Milliarden auf geschätzte 100 Milliarden € ansteigen.

Bundesminister Seehofer hat nun eine freiwillige Vereinbarung mit der Lebensmittelindustrie angekündigt. Darüber kann ich nur lachen. Freiwillige Vereinbarungen waren immer der Erfolg der Industrielobbyisten, auf diese Weise notwendige Änderungen verschleppen zu können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Zusicherung der KfzIndustrie, den CO2-Ausstoß auf 120 g zu beschränken, oder die Zusicherung der Stromindustrie, ihren Ausstoß an CO2 zu begrenzen. Das ist alles nichts

geworden. Im englischen Sprachraum gibt es diesen wunderbaren Ausdruck, mit dem die Lobbyistenarbeit gekennzeichnet wird. Sie sagen dort: hard work for doing nothing. Das Ziel freiwilliger Vereinbarungen ist also tatsächlich, zwingende Verpflichtungen hinauszuschieben. Das scheint die Geschichte der freiwilligen Vereinbarungen in der Politik in Deutschland auch sehr deutlich zu bestätigen.

Der Vorschlag von Seehofer zu einer unverbindlichen und freiwilligen Mehrwertkennzeichnung auf Lebensmitteln ignoriert die Forderung von Ernährungsfachleuten, Kinderärzten und Verbraucherverbänden nach einem einfachen und klaren Konzept komplett. Wenn die Bundesregierung ernsthaft ihrer Verantwortung nachkommen will, zur Reduzierung von Fehlernährung und Übergewicht in der Bevölkerung beizutragen, muss sie anders handeln. Seehofers Label ist eine Mogelpackung, die zu 100 % optisch und inhaltlich den Interessen der Ernährungsindustrie entgegenkommt. Sie würde dazu führen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher mit Lupe, Taschenrechner und einem Lehrbuch ausgestattet die Läden betreten und dort einkaufen müssten, weil sie sich nicht anders orientieren könnten.

Wir wollen - auch wenn die Industrie aus wohlbekannten Gründen dagegen ist - eine absolut einfache und verbindliche Kennzeichnung wie in Großbritannien. Mit einer Ampelkennzeichnung kann jeder leicht selbst frei entscheiden, wie viel Fett oder Zucker in den Einkaufskorb kommen soll oder eben nicht. Neben dieser leicht verständlichen Kennzeichnung sollten die anderen vorgeschlagenen Informationen für Kundige genauere Auskunft geben. Man sollte zum Beispiel Fett, Protein und andere Werte angeben. Das halte ich allerdings für eine Sache, die wir dann im Ausschuss konkret weiter diskutieren sollten. Ich danke für den Antrag, den der SSW eingebracht hat und freue mich auf die Debatte.

Frau Tenor-Alschausky, Sie hatten vorgeschlagen, mitberatend den Wirtschaftsausschuss damit zu befassen. Ich würde mitberatend eher den für die Ernährungsindustrie zuständigen Umwelt- und Agrarausschuss damit beauftragen. Vielleicht können wir uns darüber nachher noch einmal kurz verständigen. Unser Vorschlag wäre, den Antrag federführend an den für Verbraucherschutz zuständigen Ausschuss und mitberatend an den für Agrar- und Ernährungswissenschaften zuständigen Umweltund Agrarausschuss zu überweisen.