Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

(Wolfgang Kubicki)

dieser Stelle schaffen die neuen §§ 53 und 54 Aufenthaltsgesetz Klarheit.

Auch im Strafprozess werden Taten und ihre Umstände genau aufgearbeitet. Das Gericht verschafft sich einen Eindruck vom Geschehen und vom Täter und seinen Lebensumständen und kommt unter Berücksichtigung aller Umstände zu einem Urteil und zur Festlegung des Strafmaßes. Diese Abwägungen sind denen im Rahmen der Ausweisungsentscheidung sehr ähnlich.

Bisher bedarf es dafür allerdings eines gesonderten Verwaltungsverfahrens. Der Vorschlag der FDP bietet eine Chance, hier zu einer deutlichen Effektivierung zu kommen. Eine solche Regelung würde auch dem Interesse des Bundesgesetzgebers entsprechen, der mit den Erleichterungen ja gerade erreichen wollte, dass kriminellen Ausländern in Zukunft noch schneller die Ausweisung droht. Die Ausweisung hat für die Betroffenen ernste Konsequenzen, und das will ich an dieser Stelle überhaupt nicht verhehlen.

Aber anders als eine Abschiebung führt der Entzug eines bestehenden Aufenthaltsrechts eben nicht automatisch dazu, dass die Betroffenen das Land tatsächlich unmittelbar verlassen. Bestehende Ausreisehindernisse müssen im vollzuglichen Verfahren auch zukünftig von der Ausländerbehörde weiter geprüft werden. Der entsprechende Rechtsweg steht den Betroffenen weiterhin zu.

Ich kann von hier aus nicht beurteilen, inwieweit wir durch den Vorschlag der FDP auch zu einer Entlastung der Ausländerbehörden kommen würden. Dies wäre eine Frage, die im Rahmen der Anhörung zu klären wäre. Ebenso gespannt bin ich darauf, wie die Justiz zu diesem Vorschlag steht. Auch dieses ist zu klären. Klar ist für mich: Bei Ausweisung und Abschiebung brauchen wir ein deutlich effektiveres System.

Dort, wo es Sinn macht, die Verfahren zu straffen und zusammenzuführen, sollten wir diese Möglichkeiten nutzen.

(Beifall CDU)

Klare und effiziente Verfahrensabläufe fördern die gegenseitige Akzeptanz, schonen Ressourcen und führen auch zu einer gelingenden Integration. Es schafft Klarheit, dass jemand, der Gewaltkriminalität verübt, nicht bei uns bleiben kann, und es schützt viele unbescholtene Flüchtlinge, ganz, ganz viele, vor einem unverdienten Generalverdacht.

Ich hoffe und bin gespannt, was wir über eine konstruktive Beratung im Innen- und Rechtsausschuss

dazu werden beitragen können. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Thomas Rother.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die meisten Gesetzespakete der letzten Monate in Sachen Asyl im Wesentlichen die Beschleunigung der Verfahren zum Inhalt hatten, wurden mit dem sogenannten Asylpaket III aufenthaltsrechtliche Fragen neu geregelt. Hintergrund war - das ist angesprochen worden -, dass durch die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/ 2016 eine Diskussion entstanden ist, inwieweit Straftaten erheblichen Ausmaßes, die von Asylsuchenden begangen werden, den gesellschaftlichen Frieden gefährden und die Akzeptanz der Aufnahme von Schutzsuchenden und einer legalen Zuwanderung verringern.

Daher wurde mit dem Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern hier eine Verschärfung der Vorschriften vorgenommen. Die Sinnhaftigkeit dieser Regelung kann man aus meiner Sicht infrage stellen, da eine schnellere Strafverfolgung und -verurteilung eher den handlungsfähigen Staat unter Beweis stellen würden als die Drohung: „Kriminelle Ausländer raus, aber schnell!“ Die aktuellen Vergleichszahlen kennen Sie: Ausländer sind nicht krimineller als andere Leute.

Für die Opfer von Straftaten ist zudem die Herkunft der Täter weniger von Belang als die Tat selbst und deren Folgen. Aber es ist nun mal so, wie es ist.

Auf dieser Grundlage schlägt die FDP-Fraktion jetzt vor, eine Ausweisung, die in der Tat etwas anderes ist als eine Abschiebung - das ist ja auch in der Berichterstattung einmal vertauscht worden -, die auf den Vollzug ausgerichtet ist und nicht auf den Aufenthaltstitel an sich, als Nebenstrafe in das Strafverfahren aufzunehmen.

Nebenstrafen können - das ist gesagt worden - nur in Zusammenhang mit einer Hauptstrafe verhängt werden. Der absolute Schwerpunkt des Strafrechts liegt im Rechtsgüterschutz durch die Hauptstrafen. Das Strafgesetzbuch kennt als Nebenstrafe nur das

(Barbara Ostmeier)

Fahrverbot nach § 44, und da muss der Zusammenhang des Führens eines Kfz mit der Straftat bestehen. Das gilt genauso für die Regelung zum Berufsverbot. Herr Kubicki, da kommt man natürlich schon mal auf den Gedanken, einen Zusammenhang zwischen ausländischer Herkunft und der Begehung von Straftaten zu konstruieren. - Da nickt auch Herr Peters; denn das legt natürlich auch finstere Gedanken nahe. Ich gehe aber einmal davon aus, dass Sie diese dabei nicht haben.

Herr Abgeordneter Rother, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Herr Kollege Rother, Ihnen ist doch sicherlich auch bekannt, dass es auch aus den Reihen der Justizminister der Länder und der SPD-Bundestagsfraktion Vorschläge gibt, den Zusammenhang zwischen dem Fahrverbot als Nebenstrafe zu einer Straftat, die mit dem Verkehr zu tun hat, aufzuheben und dies isoliert als Nebenstrafe aussprechen zu können, sozusagen als Sanktion, die notwendig ist. Dies nur als Hinweis darauf, dass diese Konstruktion, es müsse einen unmittelbaren Zusammenhang geben, nicht zwingend notwendig ist.

- Ja, das ist mir bekannt. Wir haben die Diskussionen hierüber ja auch schon in früheren Wahlperioden geführt. Wir haben unsere ablehnende Haltung dazu deutlich gemacht - unabhängig davon, welche Auffassung Kollegen von mir auf der Bundesebene dazu vertreten.

(Beifall SPD)

Aus unserer Sicht ist die Initiative der FDP zudem rechtssystemwidrig, weil die Strafgerichte dann eine Prüfung aller relevanten ausländerrechtlichen Fragen vornehmen müssten, um die Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu wahren. Da reicht die Sozialprognose allein nicht aus.

Daher ist der Vorwurf einer Verschärfung des Ausländer- und Asylrechts durch diesen Vorschlag nicht aus der Luft gegriffen. Denn ohne eine solche Prüfung aller ausländerrechtlich relevanten Fragen gäbe es dann tatsächlich in der Folge so etwas wie eine „Ausweisung light“, da nicht alle Tatbestände

in diese Entscheidung einbezogen werden würden wie beim Verwaltungsverfahren.

Eine Ausweisungsentscheidung beinhaltet eben nicht allein eine positive oder negative Sozialprognose, sondern eine umfassende Interessenabwägung, die ein Strafrichter auf der Grundlage einer Regelung im Aufenthaltsgesetz dann machen müsste. Hinzu käme, dass die Rechtswege dann auseinanderfallen würden. Eine solche Nebenstrafe müsste dann auch durch die Verwaltungsgerichte überprüfbar sein.

Die Ausweisung selbst beseitigt ja etwaige Aufenthaltstitel und wird in einem weiteren Schritt durch die freiwillige Ausreise oder eben durch die Abschiebung vollzogen. Abschiebehindernisse werden durch die Ausländerbehörde erst dann geprüft, wenn die Abschiebung angedroht beziehungsweise vollzogen werden soll. Damit bleibt das Verfahren auch an dieser Stelle in der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Daher sind die von der FDP in der Antragsbegründung genannten Vorteile Ihres Vorschlags nicht überzeugend. Denn die Ausländerbehörden würden nicht entscheidend entlastet, da der Verlust des Aufenthaltstitels ja als Entscheidung über den weiteren Verbleib der betroffenen Person bis hin zur Durchsetzung der Verlassenspflicht in ihrem Zuständigkeitsbereich verbleibt.

Insofern ist für uns auch noch schleierhaft, wirklich rätselhaft, wie damit eine „Stärkung der auch für den Ausländer geltenden rechtsstaatlichen Prinzipien“ - so haben Sie es in Ihrem letzten Satz der Antragsbegründung geschrieben - auf diesem Weg erreicht werden kann.

Im Ergebnis werden wir daher den Antrag der FDP ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich fürchte, liebe FDP, Ihr Antrag vom 14. April - dabei bleibe ich - ist Ausdruck der Stimmung nach den Silvesterereignissen in Köln und im Kieler Sophienhof. Schon die brachiale Änderung der Ausweisungsvorschriften im Aufent

(Thomas Rother)

haltsgesetz unmittelbar im Januar stand unter einem fatalen Druck auf die Große Koalition; Sie haben das selber gesagt. Man wollte unmittelbar nach Köln unter allen Umständen Härte und Entschlossenheit demonstrieren. Den Populisten von rechts sollte der Wind aus den Segeln genommen werden. Herr Innenminister Thomas de Maizière gab die Parole aus: „Kriminelle Ausländer schneller ausweisen!“. Deswegen bedauere ich, dass auch Sie jetzt auf diesen Zug aufspringen.

(Beifall SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Un- glaublich!)

Aber jetzt zu den sachlichen Gründen. Ich komme zunächst zu der Behauptung, direkte Ausweisungen durch die Strafgerichte würden zur Entlastung der Ausländerbehörden führen. Unsere ohnehin stark ausgelasteten Strafgerichte werden sich bedanken.

(Beifall SPD)

Es käme nur zu einer Verlagerung der Aufgaben. Die Ausländerbehörden wären beim Thema Ausweisung ohnehin nicht völlig raus, weil - das können Sie in § 54 Aufenthaltsgesetz nachlesen - eine Menge anderer Ausweisungsgründe immer noch da ist, die nicht mit strafrechtlichen Verurteilungen zu tun haben. Dafür müsste die jeweilige Ausländerbehörde immer noch die Ausweisung prüfen. Herr Kollege Kubicki, es käme bei Ausweisung zu einer völlig unsinnigen Spaltung zwischen Strafgerichten und Ausländerbehörden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist Unsinn!)

- Nein, das ist nicht Unsinn.

Gewagt ist auch die These, Strafgerichte seien für die erforderliche Abwägung besser geeignet als die Behörden. Ausländerbehörden können Ausländerrecht, Strafrichter aber sind darin nicht geschult. Umfangreiche und flächendeckende Fortbildung wäre erst einmal notwendig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Bei der Frage, ob eine Ausweisung in Betracht kommt, spielen neben den strafrechtlichen Gesichtspunkten komplexe, strafrechtsfremde Erwägungskriterien eine Rolle, zum Beispiel familiäre Bindungen, Verhältnisse im Herkunftsland, Fragen des konkreten aufenthaltsrechtlichen Status. Eine Strafverhandlung, die sich dieser Fragestellung zusätzlich widmen müsste, wäre zeitlich und inhaltlich völlig überfrachtet.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Ja, natürlich.

Herr Kollege Peters, können Sie mir freundlicherweise erklären, warum Ausländerbehörden weitere Ausweisungstatbestände prüfen müssen, wenn ein Strafgericht feststellt, dass aufgrund einer negativen Sozialprognose eine Ausweisung zu erfolgen hat?