Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Rathje-Hoffmann, man mag fast sagen: arme Katja Rathje-Hoffmann. Aber eines muss man Ihnen lassen: Sie haben gekämpft, Sie kämpfen jedes Mal bei diesem Thema. Dafür kann Ihnen Ihre Fraktion auch dankbar sein. Allerdings stellt sich die Frage: Wofür eigentlich?

Die Mehrheit der Bevölkerung hat ein ganz klares Votum abgegeben. Die überwiegende Mehrheit des Landtags ist längst positioniert, und die Zeit ist mehr als reif. Mir scheint es fast so, als ob die CDU-Fraktion ein Alleinstellungsmerkmal sucht. Wenn das so ist, dann ist dies in der Tat gelungen. Aber in der Sache hilft es nicht. Das finde ich sehr schade.

Den Worten von Herrn Dr. Garg kann ich mich nur anschließen. Man merkte auch an Ihrer Reaktion hier vorne am Pult, dass die Frage bleibt: War Ihr Beitrag eigentlich authentisch? Welches ist die echte Meinung der CDU-Landtagsfraktion? Weshalb positioniert sie sich zurückgesetzt hinter einer juri

stischen Entscheidung, statt sich der politischen Dimension zu stellen?

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir machen hier Politik. So gesehen war Ihr Beitrag doppelt unehrlich. Die Gesellschaft erwartet von uns politische Positionen. Sie haben zwar viel geredet, aber politisch haben Sie nichts gesagt. Am Ende sind Sie hinter der Äußerung zurückgeblieben: „Wir warten ein Gerichtsurteil ab.“ Wo aber ist Ihre politische Positionierung? Wenn Sie dafür sind, dann sagen Sie das; wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie das auch. Nichts davon haben Sie aber getan. Das finden wir schade. Deshalb appellieren wir nach wie vor an die CDU, sich dem aktuellen Gesellschaftsbild endlich zu stellen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag gebe ich das Wort für die CDU-Fraktion Herrn Rainer Wiegard.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es ein bisschen bemerkenswert, wenn man von diesem Pult aus davon spricht, dass Abgeordnete doch nur ihrem Gewissen verantwortlich sein und davon heute Gebrauch machen sollen, aber dann eine Kollegin, die hier deutlich gemacht hat, dass sie in dieser Frage in der Tat mit ihrem Gewissen ringt, unter einen so starken Druck setzt. Das wollte ich für mich noch einmal zu Protokoll geben.

(Beifall CDU - Zuruf Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ja, doch, das ist ihr Problem, denn Frau RathjeHoffmann hat sehr deutlich gemacht, dass nicht nur sie, sondern auch viele andere in diesem Haus und in unserer Partei um die richtige Entscheidung in dieser Frage ringen und dass es, wenn Sie dies zu einer derartigen Grundsatzfrage erheben, fraglich ist, ob es unbedingt notwendig ist, diese Frage heute, am 21. März, zu entscheiden und möglicherweise nicht vielleicht erst am 30. September 2013. Dazwischen - das ist die Begründung, die die Kollegin Katja Rathje-Hoffmann gegeben hat - liegt ein noch zu erwartendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu genau dieser Frage. Wir erwarten, dass sich das Bundesverfassungsgericht eben nicht nur dezidiert zu dieser Frage äußern wird, sondern sich wegen der Entwicklung in dieser gesellschaftlichen

(Dr. Heiner Garg)

Frage auch grundsätzlich zu der Position und der Bestimmung des Artikels 6 GG einlassen wird.

Das ist die Erwartung, Heiner Garg, die wir beide miteinander - daran darf ich noch einmal erinnern im Kabinett zweimal erörtert haben, weil es dort zweimal dieselbe Frage gab: Sollen wir in diesem Punkt mit Bundesratsinitiativen aktiv werden? Wir haben uns dann darauf verständigt, dies nicht zu tun. Ich habe damals für mich und meine Kollegen deutlich gemacht, dass dies für uns keine Entscheidung in der Sache darstellen würde, also kein Nein, sondern dass dies eine offene Entscheidung ist, die wir erst nach der Klarstellung, was mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen gemeint ist, treffen wollen.

Das ist unsere Position. Deshalb bitten wir schlicht und ergreifend darum, uns diese Zeit zu geben. Wir sollten aber nicht Abgeordnete, die sich in genau diesem Konflikt befinden und deshalb noch Diskussionsbedarf haben, unter Druck setzen, dies unbedingt heute, am 21. März 2013, zu entscheiden.

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Bohn?

Bitte schön, Frau Dr. Bohn.

Herr Kollege Wiegard, ist es grundsätzlich Ihre Einstellung und die Einstellung der CDU, dass Sie zunächst warten wollen, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, um dann wichtige gesellschaftspolitische Fragen zu beantworten, oder handelt es sich in dieser Frage um eine besondere Situation?

Ja, das ist eine ganz besondere Situation, Frau Kollegin Bohn. Es ist ja nicht egal, was das Bundesverfassungsgericht sagt. Vielmehr kommt es darauf an, ob es in dieser Frage möglicherweise eine grundsätzliche Richtungsweisung in Hinblick auf den Artikel 6 GG und seine weiteren Auswirkun

gen und Anwendungen in der übrigen Gesetzgebung geben wird; denn dieses müsste den Gesetzgeber dazu veranlassen, möglicherweise über die jetzt diskutierte Frage des Ehegattensplittings hinaus weitere Entscheidungen zu treffen. Deshalb macht es Sinn, sich diese Zeit noch zu nehmen, wie wir das auch damals im Kabinett miteinander verabredet hatten.

(Beifall Hans Hinrich Neve [CDU])

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat das Wort für die SPD-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wiegard, es ist genau umgekehrt. Ich fand die Darlegungen der Kollegin Katja RathjeHoffmann außerordentlich sympathisch. Es war durchaus herauszuhören, welches ihre Auffassung ist. Aber gerade der Hinweis einer Fraktion, Herr Fraktionsvorsitzender Callsen, zu sagen, da werde kein Fraktionszwang ausgeübt, nimmt Druck und setzt nicht Druck; denn das ist nun wirklich eine Frage, bei der man sich überlegen sollte, die Abstimmung freizugeben, damit nach Gewissen entschieden werden kann. Anderenfalls muss man nämlich etwas vertreten, was man falsch findet.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Damit Sie das nicht überheblich finden, will ich gern sagen - ich habe vorhin ja auf die Geschichte hingewiesen -: Ich schäme mich auch dafür, dass wir bis spät in die 60er-, Anfang der 70er-Jahre gebraucht haben, um uns damals mithilfe der FDP von diesem unsäglichen § 175 StGB zu lösen, den wir in der deutschen Geschichte hatten. Dieser war einfach verkehrt. Und den Menschen zu sagen, wir verweigern euch gewisse Rechte, weil ein Gericht erst noch etwas entscheiden wird oder weil es jetzt noch zu früh ist, das finde ich nicht in Ordnung. Mit welchem Recht tun wir das eigentlich? Die Würde des Menschen ist unantastbar, jeder ist vor dem Gesetz gleich. So heißt es im Grundgesetz in den unveränderlichen Teilen.

Meine Befürchtung ist eine ganz andere. Wir haben hier diese ganz schwierigen Zitate von Bundestagsabgeordneten gehört. Man schämt sich für die ja fast. Deshalb ist mein Eindruck, dass man darauf setzt, auch noch den Teil an Zustimmung aus der

(Rainer Wiegard)

Bevölkerung haben zu wollen, die für solche Vorurteile sind. Das ist nämlich das Problem dabei, wenn man sagt, man warte erst noch auf das Urteil. Man will nämlich dieses auch noch haben.

Ich finde, man muss sich dagegen stellen; denn manchmal sind Sachen auch einfach zu entscheiden, Herr Kollege Wiegard, zwischen richtig und falsch. Und es ist falsch, Menschen Rechte vorzuenthalten, nur weil sie eine andere sexuelle Orientierung haben als man sie selbst hat. Das ist der Punkt, um den es eigentlich geht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es geht nicht um technische Fragen, es geht nicht einmal darum, Herr Kollege Garg, ob man schrill ist oder nicht. Mir ist das völlig egal. Ich finde, auch schrille Menschen sollten den Minderheitenschutz genießen dürfen. Aber darum geht es doch hier gar nicht.

Auch eine Partei wie meine hat sich lange schwer damit getan. Das ist doch so, das können wir hier gar nicht wegreden. Ich finde aber, Herr Kollege Callsen, dass es auch ein Teil von Führungsqualität ist, dass man an einer solchen Stelle nicht sagt, wir bleiben außen vor, sondern wir erlauben es den Abgeordneten, frei nach ihrem Gewissen zu entscheiden. Hier geht es darum, dass wir einem Teil der Menschen nicht weiterhin Rechte verweigern. Mit welchem Recht tun wir das eigentlich? Man kann das durchaus mit anderen Situationen in der Welt vergleichen. Ich finde, es ist Mut und Führung, zu sagen: Wir gewähren es auch anderen, die Rechte in Anspruch zu nehmen, die wir auch selbst in Anspruch nehmen mit den Präferenzen, die man selber hat.

Das ist mein herzlicher Appell. Es geht hier nicht darum, Druck auf die Kollegin Katja Rathje-Hoffmann auszuüben. Ganz im Gegenteil, wir sollten sagen: Lasst doch bitte jeden Abgeordneten hier im Haus so abstimmen, wie er es für richtig findet. Dann sind wir deutlich über den zwei Dritteln, meine sehr verehrten Damen und Herren; da bin ich mir ganz sicher. Dann werden wir fast einstimmig abstimmen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

(Zurufe: Doch!)

- Das habe ich nicht gesehen, Entschuldigung. Das haben wir alle nicht gesehen, jetzt sehen wir Sie.

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Dr. Bernstein das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, nach dem klugen Beitrag von Rainer Wiegard hätte diese Debatte einen guten Schlusspunkt finden können,

(Lars Winter [SPD]: Unterschiedliche Auf- fassungen! - Zuruf Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

wenn der Kollege Stegner nicht noch einmal hätte versuchen müssen, dieses Thema zu instrumentalisieren, und den Versuch zu machen, in die CDUFraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag mit dem beliebten Thema Fraktionszwang einen Keil zu treiben.

(Zuruf Lars Winter [SPD])

Ich glaube, dass schlägt in dieser Debatte aus zwei Gründen fehl. Ich sage das als jemand, der persönlich die Überzeugung von Bundesministerin Kristina Schröder teilt, dass da, wo Verantwortung füreinander übernommen wird, konservative Werte gelebt werden, und an dieser Stelle durchaus Handlungsbedarf besteht.

(Beifall PIRATEN)

Ich glaube aber auch, dass wir insoweit die Kirche im Dorf lassen können, als die Politik in Deutschland sich durchaus die Zeit dafür nehmen kann, ein solches Thema nach vorne zu diskutieren. Meine persönliche Überzeugung ist, dass die Weiterentwicklung zu einem Familiensplitting, also die Orientierung an Kindern, egal in was für einer Familie sie leben, der richtige Schritt wäre.

(Beifall CDU, PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, es ist absolut vernünftig, nachvollziehbar und nicht kritikwürdig, wenn sich eine große Volkspartei wie die CDU in einem solchen Diskussionsprozess Zeit nimmt. Für die CDU in Schleswig-Holstein habe ich das ganz dringende Gefühl, dass es nicht der Landesverband ist, in den Sie in großem Umfang die Eulen nach Athen tragen müssen. Aber vor dem Hintergrund dessen, was ich eben ausgeführt habe, sind wir uns sehr einig - das hat mit Fraktionszwang überhaupt nichts zu tun, sondern mit politischer Vernunft -, dass wir die

(Dr. Ralf Stegner)

Diskussion innerhalb der Union nicht dadurch erschweren werden, dass ein Landesverband oder eine Fraktion diesen Diskussionsprozess verkürzt und mit einer Entscheidung aus dem Diskussionsprozess ausscheidet, sondern wir werden das in aller Ruhe und aller Geschlossenheit zu einem guten Ergebnis auf Bundesebene bringen.