Gerade die liberalen Parteien sind es, die entschieden darauf bestehen, dass Geld nur in die Länder fließen kann, die die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit der EU nicht verletzen.
Es ist für mich dennoch nicht befriedigend, dass das Thema zunächst lediglich auf die Tagesordnung eines EU-Gipfels kommt. Diejenigen, denen Rechtsstaatlichkeit nicht so wichtig ist, haben nämlich nach wie vor beste Karten. Nach den geltenden Verträgen muss der EU-Haushalt einstimmig, das heißt
von allen Mitgliedstaaten, beschlossen werden. Das ist das Recht, das sind die Verträge, und so einfach geht das auch nicht weg - so sehr wir es uns wünschen und unabhängig davon, was wir heute hier im Landtag an guten Ideen, die wir in unseren gemeinsamen Antrag aufgenommen haben, beschließen mögen.
Immerhin: Es ist nun gelungen, Polen und Ungarn von ihrem Veto gegen den so wichtigen und so zukunftsorientierten EU-Haushalt und damit auch gegen die Coronahilfen abzubringen. Stattdessen ist es gelungen, das Thema Rechtsstaatlichkeit erneut auf die Agenda zu setzen. Grundlage der EU, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sind die gemeinsamen Werte. Ohne gemeinsame Werte gibt es kein gemeinsames Europa, keine gemeinsame EU.
Bisher ist es immer so gewesen, dass die gemeinsamen Werte im Rahmen des Aufnahmeverfahrens eines Beitrittskandidaten genau betrachtet wurden. Die Verhandlungen mit der Türkei stocken ja genau an dieser Stelle, und zwar völlig zu Recht!
Wenn aber ein Staat erst einmal Mitglied ist, dann geben die heutigen Verträge kaum wirksame Möglichkeiten zur weiteren Einwirkung. Die Maßnahmen nach Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes über die Arbeitsweise der EU sind an die Einstimmigkeit des Europäischen Rates geknüpft. An die Einstimmigkeit - und da liegt der Fehler!
Die Menschen in Ungarn und in Polen haben sich leider entschieden, Regierungen zu wählen, für die Rechtsstaatlichkeit und die gemeinsamen europäischen Werte eben nicht ganz oben stehen. Wir beschreiben in unserem Antrag gemeinsam konkrete Maßnahmen, mit denen sichergestellt werden soll, dass grundlegende europäische Werte eingehalten werden und Gelder der EU nur an die Mitglieder der Wertegemeinschaft fließen.
Dies erfordert aber eine grundlegende Reform der Europäischen Union und ihrer Verträge. Wir müssen erreichen, dass sich die EU auf demokratischem Weg weiterentwickeln kann. Es kann nicht sein, dass der EU-Haushalt immer wieder dafür verwendet wird, Partikularinteressen durchzusetzen und gegen die gemeinsamen Werte zu verstoßen.
Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche ist Giscard d’Estaing, der frühere französische Präsident, verstorben. Vor 20 Jahren hatte Giscard den letzten Europäischen Verfassungskonvent geleitet. Eine Europäische Verfassung, verbriefte Rechte und Werte - dann hätten wir heute auch eine andere Situation.
Sie alle kennen das Schicksal des Europäischen Verfassungsvertrages von 2004. In Frankreich und den Niederlanden scheiterten die Volksabstimmungen hierüber. Auch heute gibt es Vorschläge für eine Neufassung der europäischen Verträge und der europäischen Institutionen. Es ist aus meiner Sicht ein Trauerspiel, dass die Große Koalition in Berlin auf die Vorschläge von Emmanuel Macron - über die man durchaus im Einzelnen diskutieren kann noch nicht einmal qualifiziert geantwortet hat. Damit wird eine große Chance vertan.
Die Haushaltsverhandlungen als Hebel zu nutzen, kann jetzt die Tür zu Reformen zumindest einen kleinen Spalt öffnen. Was immer wir hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag - hoffentlich mit großer Mehrheit der demokratischen Fraktionen jetzt beschließen werden, so müssen wir am Ende auch konstatieren: Es wird auch in Zukunft am politischen Willen der Mehrheit der Menschen, gerade in Polen und Ungarn, liegen, in demokratischen Wahlen Regierungen zu wählen, die für die Rechtsstaatlichkeit, für die gemeinsamen Werte des freiheitlichen Europas einstehen und diese auch gemeinsam mit der gesamten europäischen Familie durchsetzen wollen. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Union ist eine Werte- und Rechtsgemeinschaft. Ihre Grundwerte sind in Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union verankert und lauten: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte. Indem wir diese Werte achten und fördern, fördern und erhalten wir den
Im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 hatte sich die Bundesregierung vorgenommen, insbesondere das Thema Rechtsstaatlichkeit voranzubringen - eine offenkundig wichtige und richtige Entscheidung. Wir beobachten schließlich seit Längerem, dass die rechtsstaatlichen Grundsätze in einigen Mitgliedstaaten leider zunehmend unter Druck geraten. In unserem interfraktionellen Antrag nehmen wir Bezug auf diese Problematik. Die Wahrung der Grundwerte in der EU ist eben kein Selbstgänger, sondern muss gepflegt und noch weiter gestärkt werden. Und: Bei Missachtung müssen notfalls auch harte finanzielle Sanktionen möglich sein. Denn es kann doch nicht sein, dass die EU nur dann gut genug ist, wenn man als Mitgliedstaat auf der einen Seite auf seine Rechte pocht und viel Geld erhält, man auf der anderen Seite aber die gemeinsamen Pflichten und Werte missachten kann, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Hier muss die Staatengemeinschaft handeln; denn die Grundwerte der EU sind nicht verhandelbar.
Gestern Abend erreichte uns dann ja die Nachricht, dass der zwischenzeitlich auf dem aktuellen EUGipfel vorgelegte Kompromissvorschlag zum EUHaushalt, zu den Coronahilfen sowie der Rechtsstaatsklausel angenommen worden ist. Die Fronten waren lange Zeit verhärtet gewesen. Konkret ging und geht es um einen neuen Mechanismus, der es der EU erlauben soll, Zahlungen an Mitgliedstaaten auszusetzen, wenn diese gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Eine solche Verletzung wird im Zweifelsfall übrigens nach einem rechtsstaatlichen Verfahren vom EuGH festgestellt - oder eben auch nicht. Und der EuGH wird nun auch zunächst einmal über die Rechtmäßigkeit dieses neuen Verfahrens entscheiden, was wohl nicht vor 2022 der Fall sein wird. Das sollte einmal festgehalten werden.
Es ist nun wahrlich alarmierend, dass einige Mitgliedstaaten die EU-Grundwerte immer offener angreifen und bei sich vor Ort aushöhlen. Eben jene Mitgliedstaaten konnten gleichzeitig diesen geplanten Rechtsstaatsmechanismus mit ihrem Veto lange blockieren. Möglich ist dies, da in dieser sensiblen Angelegenheit Einstimmigkeit im Rat erforderlich ist.
Dieses Einstimmigkeitsprinzip steht ja nun schon seit Jahren in der Diskussion: Für die einen macht es die EU unflexibel und lähmt sie auf der weltpolitischen Bühne. Für die anderen geht es dabei um
die grundlegende Souveränität der Staaten und die Notwendigkeit, einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen zu finden, statt Entscheidungen per qualifizierter Mehrheit gegen einzelne Länder zu erzwingen.
Der berühmte Kompromiss ist jedes Mal wieder ein hartes Stück Arbeit, das die Mühen aber wert ist. Er bringt Lösungen, die von wirklich allen mitgetragen werden können. Gleichzeitig sollten wir aber selbstbewusst auftreten, wenn es um die eingangs genannten Grundwerte der EU geht. Und das hat nichts mit Bevormundung zu tun, sondern mit der Einhaltung von Verträgen und demokratischen Grundprinzipien. Schließlich haben sich alle Mitgliedstaaten der EU vertraglich zu rechtsstaatlichen Prinzipien in ihren Ländern verpflichtet. Zudem sind Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Solidarität Werte, die uns Europäerinnen und Europäer auch ganz ohne formales Vertragswerk einen sollten.
Insgesamt kann die EU auf Dauer doch nur funktionieren, wenn sie aus Mitgliedstaaten besteht, die gemeinsame Grundwerte teilen. Diese Grundwerte gehören daher gestärkt und an die Auszahlung von EU-Geldern gekoppelt. Mit unserem gemeinsamen Antrag fordern wir die Landesregierung dazu auf, sich genau dafür einzusetzen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern wurde mit Polen und Ungarn ein Kompromiss ausgehandelt, der wohl auch das EU-Parlament passieren wird.
Es ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten, wie mit der Verknüpfung der Auszahlung von Finanzmitteln an vorgebliche Rechtsstaatlichkeit ein politisches Schwert gegenüber souveränen Mitgliedstaaten geschmiedet werden soll, um diese so zu disziplinieren.
Die schädlichen Folgen dieser Forderung haben nicht auf sich warten lassen. So fordert etwa der österreichische Politiker van Handel bereits öffentlich, dass sich die Visegrád-Staaten mit Österreich, Slowenien und Kroatien zu einem Mitteleuropa erheben, innerhalb der EU formieren, um zu vermeiden - ich zitiere mit Erlaubnis -, „dass Deutschland, Frankreich und ihre Mitläufer gnadenlos die kleinen christlichen Länder überrollen und ihre Identität zerstören“. - Wollen wir eine derartige Spaltung in Europa?
Der richtige Weg hinsichtlich der behaupteten Rechtsverletzung ist doch das Verfahren zum Schutz der Grundwerte nach Artikel 7 EU-Vertrag und nichts anderes.
Die Verbindung von Förderleistungen und angeblicher Rechtsstaatlichkeit hat in meinen Augen etwas von Erpressung souveräner Nationalstaaten und ihrer Völkeransicht. Dies lehne ich als Deutsche besonders im Hinblick auf unsere eigene Geschichte ab. - Vielen Dank.
Wir kommen zu den Kurzbeiträgen. - Das Wort hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch vom Zusammenschluss der AfD.
Verehrtes Präsidium! Verehrte Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal für ein paar Bemerkungen zu dem Thema gemeldet, das sehr wichtig ist. Ich bin für den Antrag auch sehr dankbar.
Ich möchte dem Kollegen Voß nur sagen, dass ich bei der Bezeichnung „Autokratie“ doch ein bisschen vorsichtiger wäre; denn Polen und Ungarn sind immer noch Demokratien, auch wenn wir wissen, dass deren Rechtsstaat in Gefahr ist. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber diese beiden Staaten sind doch noch von anderer Qualität als zum Beispiel Weißrussland oder die Türkei.
Zum anderen sehe ich es auch so, dass es ein politischer Fehler war, diese beiden Dinge zu verknüpfen. Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit - ja, unbedingt. Aber warum verknüpft man das mit den doch dringend benötigten Coronahilfen, die ja schon lange durch diese Verhandlungen, durch diese Konditionalität blockiert worden sind? Das hätte man aus meiner Sicht nicht machen sollen, dann wäre das Geld auch schneller geflossen. Die Rechtsstaatlichkeit hätte man auch anders feststellen können. Dafür gibt es andere Instrumentarien.
Der Bericht der EU-Kommission wurde eben schon erwähnt. Auch das finde ich sehr wichtig, dass das einmal untersucht wird. Denn wir wissen schon sehr lange, dass Gelder, die dringend benötigt werden, in manchen Ländern auch durch Korruption abfließen, dass es die Unabhängigkeit der Medien leider nicht überall gibt, in der Slowakei zum Beispiel nicht. Aber lustigerweise ist die Unabhängigkeit der Medien laut Bericht auch in Österreich oder in Luxemburg gefährdet. Und auch Deutschland kommt in dem Bericht vor; das dürfen wir nicht verschweigen. Denn hier wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaften immer noch weisungsgebunden sind. Dies wird also auch negativ festgestellt. Insofern müssen wir uns breiter aufstellen, was das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und deren Überprüfung bedeutet.
Die EU selber - das darf man auch nicht verhehlen; deshalb habe ich hierzu auch einen aktuellen Artikel mitgebracht - hat nicht nur die eigenen Verträge von Maastricht, Schengen, Dublin - ich habe es hier schon öfter gesagt - verletzt, sondern sie verletzt aus Sicht von Experten - ich bin nun kein Jurist auch jetzt mit diesem neuen Finanzpaket - ich rede von den Coronahilfen - die eigenen Regeln. Denn man bezieht sich bei diesen Coronahilfen auf § 122, der für den Katastrophenfall vorgesehen ist. Danach soll die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Aber wir wissen doch auch alle, dass mit den Coronahilfen eben nicht nur der Katastrophenfall sozusagen geheilt werden soll, sondern dass eben auch der Klimaschutz und die Digitalisierung nach vorne gebracht werden sollen. Insofern ist das eine Zweckentfremdung, die durchaus juristisch anfechtbar ist.
Die andere Seite ist die Rückzahlung; diese ist nicht klar geregelt. Die Rückzahlung der Hilfen, die zum Teil aus Zuschüssen und nicht aus Krediten bestehen, soll ja aus den Mitgliedsbeiträgen der Mitgliedstaaten erfolgen. Auch das ist gefährlich; denn das würde gegen das Haushaltsrecht verstoßen.
Zuletzt zitiere ich noch kurz den Europarechtler von der Humboldt-Universität, Herrn Professor Ruffert. Der hat in einem aktuellen Artikel, den ich mit Erlaubnis des Präsidiums zitiere, gesagt:
„Mit dem Finanzpaket soll ein vorher nicht vorhandener Finanzausgleichsmechanismus etabliert werden. Das entspricht qualitativ einer EU-Vertragsänderung.“
Der Bundestag möchte dem Paket mit einfacher Mehrheit zustimmen, nötig wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit.