Protokoll der Sitzung vom 12.10.2017

(Jörg Nobis)

wir uns hier im Parlament mit den Dingen befassen, die die Menschen beschäftigen, dass wir um die beste Lösung ringen und dass wir miteinander streiten und auch im Kompromisswege die beste Lösung für die Bevölkerung finden.

Wir werden uns also im Ausschuss über dieses Thema noch weiter streiten. Vielleicht finden wir auch da einen guten Kompromiss. Aus meiner Sicht ist der Antrag so nicht notwendig. - Danke.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Thomas Rother das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Initiative „Mehr Demokratie“ - die die Fachleute für diesen Bereich sind - hat uns Abgeordneten zu Beginn dieser Landtagswahlperiode eine Broschüre mit dem Titel „Politik braucht Beteiligung“ zugesandt. In der Broschüre wird darauf hingewiesen, dass es Verfechter der direkten Demokratie gibt, die diese als bessere Form der Demokratie begreifen. Diese behaupten, dass die direkte Demokratie über der parlamentarischen Demokratie stehe, welche von den sogenannten Altparteien geprägt sei. Die parlamentarische Demokratie wird dadurch grundsätzlich infrage gestellt.

Dieses Demokratieverständnis proklamiert vor allen Dingen die AfD-Anhängerschaft. Es entspricht aber nicht der Haltung von mehr Demokratie, die repräsentative Demokratie infrage zu stellen.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Volksentscheide ergänzen und stärken die Demokratie, anstatt sie zu ersetzen. Das ist vollkommen richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, und genau aus diesen Gründen hat sich dieser Landtag für die Aufnahme von plebiszitären Elementen in die damals erstmals erarbeitete Landesverfassung, aber auch für die kommunale Ebene entschieden. Damit wurde ein wichtiger Meilenstein zur Stärkung der Demokratie in unserem Land gesetzt und auch dem Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen infolge der Barschel-Affäre entgegengewirkt.

Das genaue Gegenteil davon beschreibt die AfD in ihrem Grundsatzprogramm. Es geht ihnen - so steht

es dort - um die Mäßigung des Parlaments, das mit unsinnigen Gesetzesvorlagen überflutet würde. Dabei waren Sie zu dem Zeitpunkt der Formulierung noch gar nicht im Parlament dabei.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Für Sie, Herr Nobis, ist das zudem ein Vehikel auch das steht dort -, um der europäischen Integration entgegenzuwirken. Genau das wollen wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unser Volksabstimmungsrecht wurde in der Vergangenheit weiterentwickelt. Die Hürden für Volksbegehren, Volksentscheid, Bürgerbegehren, Bürgerentscheid wurden immer wieder abgesenkt, zuletzt durch die Neufassung der Landesverfassung und die Änderungen im Kommunalrecht in der vergangenen Wahlperiode. „Mehr Demokratie“ setzt uns auf Platz drei ihres Landesrankings, schreibt der Landesregelung einen Vorbildcharakter für andere zögerliche Bundesländer zu und bewertet die kommunale Regelung als eine der Besten in Deutschland.

(Zuruf: So ist das!)

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es eigentlich keinen Anlass, das Thema aufzugreifen, zumal sich die Erfahrungen aus den letzten Gesetzesänderungen auf einer ziemlich dünnen empirischen Basis befinden. Bei diesen letzten Änderungen spielte die Frage der Anzahl der Stimmberechtigten, die innerhalb eines halben Jahres einem Volksbegehren zugestimmt haben müssen, ebenso wie der Zeitraum, in dem dies zu erfolgen hätte, keine Rolle. Letzteres greift die AfD ja auch gar nicht auf. Sie will jedoch die Reduzierung - Herr Nobis hat das hier vorgetragen - von 80.000 auf 50.000 Stimmberechtigte.

Nun gibt es eine Vielfalt bei den Landesregelungen. Wenn man sich diese Vielfalt anschaut, ist es schon offenkundig, dass bei der Bestimmung dieser Zahl eher von der Zahl an sich, für die man eine Begründung gesucht und gefunden hatte, ausgegangen wird als von einer schlüssigen Herleitung.

Des Weiteren soll die Untergrenze für das Zustimmungsquorum von dem von 25 % auf 15 % abgesenkten Anteil der Stimmberechtigten - das haben wir gerade in der vergangenen Wahlperiode gemacht - weiter auf 5 % sinken. Auch hier sind die Landesregelungen ganz unterschiedlich und reichen, je nachdem, worum es geht, von 0 % bis 50 %.

Es bleibt jedoch wichtig, dass qualitative Voraussetzungen für die Volksabstimmung erhalten bleiben, und dazu gehören auch die Quoren - mein

(Claus Christian Claussen)

Vorredner hat es gerade gesagt -, denn: Es muss sichergestellt bleiben, dass nicht eine interessierte und gut organisierte Minderheit über eine eher desinteressierte Mehrheit bestimmt.

(Beifall SPD, CDU, FDP und SSW)

Das wird angesichts der sowieso schon geringen Wahlbeteiligung in Wahlbezirken mit wirtschaftlich schwierigen Lebensbedingungen bei Volksabstimmungen noch offensichtlicher. Nun könnte man tatsächlich sagen: Selbst schuld, geht doch zu Abstimmungen. - Aber zu unseren Verfassungsgrundsätzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört auch die Gemeinwohlorientierung und nicht der Sozialdarwinismus. Das ist gut für die repräsentative wie für die direkte Demokratie gleichermaßen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das rechtfertigt auch die Regelungen in Bezug auf das Verfahren und die Untergrenzen. Sie ist ausgewogen und angemessen. Dennoch sehe ich auch in diesem Politikfeld Handlungsbedarf.

Wenn die AfD wirklich mehr Demokratie will: Wie wäre es mit einer Initiative für das Ausländerwahlrecht? Da könnten ganz viele Menschen, die von der politischen Willensbildung ausgeschlossen sind, die dennoch ihren Beitrag zum guten Leben in diesem Land leisten, endlich ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und die Anerkennung, die sie sich lange verdient haben, endlich erhalten, Herr Nobis.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Aber auch in Richtung der Jamaikaner: Liebe Jamaikaner, wie wäre es denn bei den anstehenden Vereinbarungen, wenn sie denn anstehen, mit Volksabstimmungen auf Bundesebene? Ich meine: Dort, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir wirklich Demokratiedefizite, aber gewiss nicht in unserer Landesverfassung. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 8. Oktober 2014 fand hier in

diesem Plenarsaal eine denkwürdige Landtagssitzung statt.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Abgestimmt wurde nämlich über eine große Änderung der Landesverfassung, die seit August 2013 in einem Sonderausschuss vorbereitet wurde. Unter anderen bedeutsamen Neuerungen war auch eine Änderung der Regeln für Volksbegehren und Volksentscheide Gegenstand der Reform. Darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen. Die Änderungen im Bereich der direkten Demokratie - die sind nämlich sehr neu - betrafen Regelungen, die jetzt auch für die AfD im Mittelpunkt stehen, nämlich eine Reduzierung des Unterstützungsquorums für das Volksbegehren und die Absenkung des Zustimmungsquorums für Volksentscheide, soweit sie sich auf einfache Gesetze, also nicht auf Verfassungsänderungen, beziehen.

Konkret wurde das Unterstützungsquorum von 5 % der Stimmberechtigten - was damals 112.000 entsprach, jetzt sind es inzwischen durch den Bevölkerungszuwachs 116.000 - zum einen auf 80.000 Unterschriften reduziert. Zum anderen wurde das Zustimmungsquorum von 25 % der Stimmberechtigten auf jetzt 15 % deutlich gesenkt.

Diese Änderungen der Landesverfassung fanden eine überwältigende Mehrheit. Nur drei Abgeordnete stimmten mit Nein, und zwei Abgeordnete enthielten sich. Mit dieser Reform stieg das Land im Vergleich mit anderen Bundesländern in eine wirklich hohe Liga auf. Das Unterstützungsquorum ist das geringste Quorum in allen Bundesländern. Hinzu kommen andere deutliche Vereinfachungen, nämlich eine sechsmonatige Frist zur Unterschriftensammlung, und diese Unterschriftensammlung ist auch noch sehr frei gestaltet. Sie kann in freier Form durchgeführt werden.

Auch das Zustimmungsquorum ist im Bundesvergleich sehr niedrig. Die meisten Bundesländer haben Quoren von 25 % oder 20 %. Diejenigen, die keine Quoren haben, haben nur ein zweistufiges Modell ohne Volksinitiative. Das kann man nicht immer alles miteinander vergleichen. Hinzu kommt, dass die erste Stufe der direkten Demokratie, die Volksinitiative, schon mit 20.000 Unterschriften starten kann. Auch dies ist eine vergleichsweise niedrige Zahl.

Kurz und gut: In der Gesamtschau, vor allem bei Einbeziehung der hier vorbildlich geregelten unmittelbaren Demokratie auf kommunaler Ebene, also Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, ist die unmittelbare demokratische Mitwirkungsmöglichkeit in

(Thomas Rother)

unserem Land in guter, ich würde sagen, in bester Verfassung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Eine weitere Verschiebung der Gewichte zwischen repräsentativ-parlamentarischer Demokratie zugunsten plebiszitärer Modelle ist aus unserer Sicht nicht erstrebenswert. Sie würde den Gesamtcharakter unseres bundesrepublikanischen Legislativmodells, das aus vielen guten Gründen ein repräsentatives Demokratiemodell ist, systemfremd verschieben. Wir lehnen es deshalb ab.

Der Gesetzentwurf der AfD ist nach meiner Auffassung nur Ausdruck des gezielt von dieser Partei geschürten Misstrauens gegenüber den gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten in den sogenannten Altparteien. Die Verherrlichung der Demokratie als Instrument der kleinen Leute, es denen da oben mal so richtig zu zeigen, ist Ausdruck eines tief sitzenden Ressentiments. Er ist Bestandteil der DNA rechtspopulistischer Parteien nicht nur in Deutschland. Letztlich beruht diese Grundhaltung nicht auf einer Achtung vor den Grundprinzipien der Demokratie. Diese apostrophiert vielmehr eine Art gesundes Volksempfinden, das durch die Mechanismen des parlamentarischen Systems böswillig verkannt, verfremdet und missachtet wird. Spräche das Volk erst einmal selber, wäre der Verrat an den tatsächlichen Interessen der Menschen in den Parlamenten schnell vorbei.

Meine Damen und Herren, übertreibe ich mit dieser Beschreibung? O-Ton des AfD-Spitzenkandidaten Gauland am Abend der Bundestagswahl:

„Wir werden sie jagen, … Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

Dahinter steckt die Hybris einer Partei, die ernsthaft meint, sie verkörpere das Volk in seiner Gesamtheit, gleichsam als Verkörperung des Volonté générale. Das Plebiszit ist in den Augen dieser Leute nur ein Hebel, sich das Volk und das Land zurückzuholen. Vor solchen Menschen muss sich die Demokratie in Acht nehmen. - Danke schön.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Kay Richert das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir leben hier - das wurde schon öfter gesagt - in einer repräsentativen Demokratie. Die Entscheidungen ergehen in der Regel durch die vom Volk gewählten Parlamente. Wir Freie Demokraten sind schon lange davon überzeugt, dass die demokratische Mitbestimmung auch außerhalb der repräsentativen Demokratie möglich sein muss und gestärkt werden sollte. Wir wissen aber auch, dass dieser Prozess und die damit verbundenen Diskussionen schwierig sind und oftmals nur schwerfällig in Gang kommen.

Es gibt gute Gründe, nicht jede Entscheidung dem Volk zur Entscheidung vorzulegen. Die Gefahr des Missbrauchs und die Gefahr, durch die Vereinfachung komplexer Sachverhalte Politik zu machen, ist durchaus vorhanden. Auch einer anderen Problematik müssen wir uns stellen, wenn wir verantwortungsvoll über mehr direkte Demokratie diskutieren wollen. Oftmals haben nämlich plebiszitäre Entscheidungen - das zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit - leider keinen großen Mobilisierungseffekt. Das führt dann zu der bedauerlichen Folge, dass eine Entscheidung eben keine breite demokratische Legitimierung erfährt, sondern nur von einer absoluten Minderheit entschieden wird. Auf das Problem von gut organisierten Minderheiten und Partikularinteressen wurde schon hingewiesen.

Wir sind aber andererseits der Meinung, dass dem Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, durchaus zuzutrauen ist, wichtige Entscheidungen direkt zu treffen. Der Weg, der beides in Einklang bringen kann, ist der Weg des maßvollen Quorums. Maßvoll heißt in diesem Zusammenhang vor allem, dass ein Quorum keine Hürde darstellen darf, die die Bürger abschreckt, sich der Instrumente der direkten Demokratie zu bedienen, weil sie ohnehin keine Erfolgsaussichten sehen.

Ich bin daher sehr froh, dass sich dieser Landtag in großer Einigkeit im Zuge der letzten Verfassungsreform dazu entschlossen hat, die Quoren deutlich abzusenken. Mussten bis dato für den Erfolg eines Volksbegehrens 5 % der Stimmberechtigten zustimmen, so sind es jetzt nur noch 80.000. Das Quorum für den Erfolg eines Volksentscheids wurde deutlich von 25 % auf 15 % gesenkt. Auch das wurde eben gesagt. Damit bewegt sich SchleswigHolstein von den Ländern, die ein Quorum vorsehen, am absolut untersten Ende. Man kann sicherlich darüber streiten und diskutieren, ob diese Hürden an der einen oder anderen Stelle noch zu hoch sind und ob man nachsteuern kann. Ich muss aller