Protokoll der Sitzung vom 13.10.2017

Dann feuern Sie hier am Freitagnachmittag Ihre platten Parolen heraus. Man hätte aber auch einmal aus Erfahrungen lernen können. Sie haben sich schon beim vergaberechtlichen Mindestlohn blamiert, als Sie sagten, was der Buchholz geäußert habe, sei eine Sauerei. Im Wesentlichen hat er nur das gefordert, was Sie mit Ihren Leuten in Nordrhein-Westfalen, in Hamburg und in Niedersachsen genauso gemacht haben. Es ist wirklich grandios, dass Sie ständig Leuten vermeintliche soziale Kälte bei Dingen vorwerfen, die Ihre eigenen Truppen auch machen. Sie scheinen daraus nicht zu lernen

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wenn Sie das nicht verstehen, müssen Sie das nicht behaupten!)

- Herr Stegner, Sie sollten sich heute ein wenig zurückhalten. Sie haben sich schon genug blamiert.

Rasmus Andresen hat es ganz deutlich gesagt: Sie stellen einen Dringlichkeitsantrag zu einem Thema, das im Koalitionsvertrag und im 100-Tage-Programm der Landesregierung stand. Lesen Sie keine Zeitungen mehr? Haben Sie keinen Internetanschluss? Was ist da los?

Nachdem DGB-Chef Hoffmann der Jamaika-Koalition gestern zu Unrecht unterstellt hat, den Mindestlohn aufweichen zu wollen, kam er nun auf die brillante Idee, diese falsche Unterstellung aufzugreifen und vor einer bevorstehenden Ausbeutung der Arbeitnehmer zu warnen. Das Lied haben Sie heute auch wieder nach dem Motto gesungen „Jamaika macht unter dem Deckmantel der Mittelstandsfreundlichkeit …“ - „Wollen sie jetzt die Arbeitnehmer ausbeuten?“ - „Das ist eine große Sauerei.“ Wenn das Ihre Story ist, warum man die SPD braucht, dann sage ich: „Gute Nacht!“, Herr Dr. Stegner. Das wird nicht funktionieren.

(Beifall FDP und CDU)

Lassen Sie mich eines klarstellen: Es geht tatsächlich darum, unverhältnismäßigen Bürokratieaufwand zu reduzieren, der vor allem kleine und mittelständische Unternehmen belastet. Durch den Abbau vermeidbarer Verwaltungsschritte wird es besonders für diese Betriebe einfacher und attraktiver, neue Arbeitnehmer einzustellen und auf individuelle Wünsche wie Teilzeitarbeit einzugehen.

Wenn wir uns die bestehenden Dokumentationspflichten ohne Schaum vor dem Mund anschauen, stellen wir fest, dass die dort vorhandenen Ausnahmen - das ist der Witz an der Geschichte, dass es die schon im erheblichen Umfang gibt - nicht zu Ende gedacht sind. Dort heißt es, dass Arbeitnehmer, die monatlich mehr als 2.000 € verdienen, von

der Dokumentationspflicht ausgenommen sind, also Arbeitnehmer, die bei einer 40-Stunden-Woche einen Stundenlohn von mehr als 11,50 € haben. Warum dann aber für eine Teilzeitkraft, die 15 € pro Stunde verdient, die Dokumentationspflicht gilt, weil der monatliche Gesamtlohn knapp unter der 2.000-€-Marke liegt, erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Insofern sind diese Regelungen nicht zu Ende gedacht. Das greift diese Bundesratsinitiative auf und will sie ändern. Das reduziert bürokratischen Aufwand. Herr Dr. Stegner, Mittelstandsfreundlichkeit bedeutet auch Arbeitnehmerfreundlichkeit. Dass Sie das nicht verstehen, habe ich mittlerweile verstanden.

(Beifall FDP und CDU)

Die Arbeitswelt wird sich sehr verändern, darüber haben wir in dieser Tagung schon gesprochen. Ich glaube, wir sollten nicht immer gleich mit Schaum vor dem Mund lospöbeln, sondern uns anschauen, um was es tatsächlich geht und was sinnvoll ist.

Insofern freue ich mich auf die Rede von Lars Harms, dem gar nicht mehr so heimlichen Oppositionsführer. Ich wünsche Ihnen und unseren Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmern gute Ferien. Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor Sie sich über die Rede von Lars Harms freuen können, kommt erst einmal der Kollege Volker Schnurrbusch von der AfD-Fraktion dran.

Vielen Dank, Herr Präsident! Das nennt man in der Dramaturgie das retardierende Moment: Dann kommt der Höhepunkt.

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Frage ist nur, von welcher Fallhö- he man spricht!)

- Ja, das ist richtig.

Den vorliegenden Dringlichkeitsantrag der SPDFraktion lehnen wir ab. Sie werden sich darüber nicht wundern. Wir können keine Dringlichkeit erkennen. Wir können auch die im Beschlusstext behauptete Aufweichung der Dokumentationspflich

(Christopher Vogt)

ten beim Mindestlohn durch den Gesetzesantrag der Landesregierung beim besten Willen nirgends erkennen. Diese Gesetzesinitiative der Landesregierung beabsichtigt eine Änderung des Mindestlohngesetzes nur insoweit, als dass bei der Festlegung der für die Dokumentation maßgeblichen Entgeltgrenzen die unterschiedlichen Arbeitszeiten von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten berücksichtigt werden. Auch wir sehen dies als eine notwendige Ergänzung an.

Seit dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes standen die Dokumentationspflichten in der Kritik. Das führte bereits vor zwei Jahren zu einer Lockerung der ursprünglichen Vorgaben des Bundesgesetzgebers. Das Problem einer unverhältnismäßigen bürokratischen Belastung gerade kleiner und mittlerer Betriebe besteht weiterhin fort. Wir haben heute schon darüber gesprochen, wie wichtig die für unser Land sind.

Eine Unterscheidung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten findet in diesem Punkt bisher nicht statt. Dies hat zur Folge, dass Teilzeitbeschäftige aufgrund ihrer geringeren Arbeitszeit selbst dann der Dokumentationspflicht unterliegen, wenn sie einen Stundenlohn beziehen, der deutlich höher als der Mindestlohn ist. Der daraus resultierende Verwaltungsaufwand dient auch nicht den Interessen der Arbeitnehmer. Die im Dringlichkeitsantrag zum Ausdruck kommende Aufregung der SPD-Fraktion können wir daher nicht nachvollziehen. Die Flexibilität von Arbeitszeitregelungen muss auch beim Mindestlohn in einer entsprechend flexiblen Dokumentationspflicht ihre Fortsetzung finden. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde gern damit beginnen, worum es eigentlich geht: Es geht in der Tat um Dokumentationspflichten. Der Anfang, das Ende und die Dauer der Arbeitszeit sollen dokumentiert werden. Das geschieht üblicherweise mit einem Stundenzettel. Manch einer hat das vielleicht schon einmal mitgemacht. Diese Stundenzettel werden üblicherweise in einer Personalabteilung ein halbes Jahr aufbewahrt, um später, falls es Unstimmigkeiten gibt, die Lohnauszahlung noch einmal korrigieren zu kön

nen. Dieses Gesetz schreibt nun vor, dass dies zwei Jahre zu geschehen hat. Das ist der eigentliche Kern der Sache. Das ist erst einmal keine Bürokratie, und ich glaube, dass wir uns darüber einig sind.

Dann gibt es in diesem Gesetz eine Entgeltgrenze von 2.000 € bei dauerhafter Beschäftigung, das ist schon einmal genannt worden. Man rechnet bei 8,84 € pro Stunde und möglichen Überstunden in den Peak-Zeiten sogar mit 2.958 €. Unterhalb dieser Grenze muss entsprechend alles dokumentiert werden: Anfang, Ende und Dauer der Arbeitszeit. Die Unterlagen sollen zwei Jahre lang aufbewahrt werden. Das ist die Bürokratie, über die wir reden: in die Akte heften und einfach einmal liegenlassen, statt es nach einem halben Jahr herauszunehmen. Darum geht es. Die Regierung schlägt nun in ihrem Gesetzesantrag vor:

„Bei der Festlegung von Entgeltgrenzen“

- also diese 2.000 € beziehungsweise 2.958 €

„ist die unterschiedliche Arbeitszeit von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten zu berücksichtigen.“

Man möchte in diesem Bereich also mindestens eine weitere Grenze einfügen. Da sage ich erst einmal: Das wird schon eine Herausforderung werden. Der Gesetzesvorschlag lässt offen, dass man auch mehrere Grenzen einziehen kann, also beispielsweise für 10-Stunden-Beschäftigte, 20-Stunden-Beschäftigte oder 30-Stunden-Beschäftigte. Wenn eine Personalabteilung das bearbeiten soll und gucken soll, wie viel derjenige in diesem Monat gearbeitet hat, wie ich ihn einstufe und das prüfe, dann haben wir am Ende mehr Bürokratie.

Im ersten Moment ist dieser Gesetzesvorschlag durchaus geeignet, mehr Bürokratie zu verursachen. Das ist der eigentliche Clou an der Sache, dass man sagt, man wolle weniger Bürokratie haben, aber erst einmal mehr schafft.

(Zurufe Wolfgang Baasch [SPD] und Chri- stopher Vogt [FDP])

Ich will Ihnen aber zunächst einmal zugutehalten, dass Sie nur eine Grenze einführen wollen. Sie wollen also sagen: Bei 15 Stunden mache ich die Grenze, sehe noch einen Aufschlag für Überstunden vor, und das ist es dann. Da sind wir vielleicht irgendwo bei der Hälfte, bei 1.000 € oder 1.500 € als Grenze.

Dann haben wir aber ein anderes Problem: Für diejenigen, die darüber verdienen, besteht diese Dokumentationspflicht dann nicht mehr, wenn sie in Teilzeit arbeiten. Das führt dazu, dass die Unter

(Volker Schnurrbusch)

nehmen sagen werden: Verdammt, das ist mir alles viel zu kompliziert, ich hefte alles ab, weil es immer noch sicherer ist und die Arbeit am einfachsten macht. - Diejenigen Unternehmen aber, die ein bisschen beschupsen wollen, finden damit aber eine Lücke, die sie nutzen können. Ich will gar nicht sagen, dass das alle Unternehmer sind - in gar keinem Fall, die meisten unserer Unternehmer sind klasse Unternehmer, die alles ordentlich und richtig machen. Das ist gar keine Frage, das ist auch nicht Sinn und Zweck der Geschichte. Diejenigen Unternehmer aber, die die Behörden hinters Licht führen wollen, bekommen dadurch eine kleine Tür geöffnet, durch die sie dann gehen können. Das ist der eigentliche Kritikpunkt. Es wird einerseits mehr Bürokratie geschaffen, und andererseits wird denjenigen, die uns betrügen wollen, eine Möglichkeit dazu geschaffen.

(Beifall SSW und SPD)

Deswegen ist es schon in Ordnung, dass wir hier darüber diskutieren. Ich kann ja verstehen, dass man das machen möchte, weil man etwas versprochen und heiß diskutiert hat. Das ist alles in Ordnung. Trotzdem aber müssen wir uns bei einem solchen Gesetzentwurf wirklich genau Gedanken machen, ob er so zielführend ist. Ich bezweifle das.

Deswegen haben wir gesagt, dann muss dieser Gesetzentwurf zurückgezogen werden. Er erreicht eben nicht das Ziel, dass Sie erreichen wollen, sondern genau das Gegenteil. Er schafft für die schwarzen Schafe noch die Möglichkeit, durch diese Schlupflöcher zu schlüpfen. Ich glaube, es ist nicht Aufgabe der Politik, Schlupflöcher und mehr Bürokratie zu schaffen. Genau das kommt aber bei diesem Gesetzentwurf raus. Deshalb gibt es nur eins, nämlich ihn zurückzuziehen.

(Beifall SSW und SPD)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Dringlichkeit erklärt sich aus der Zuleitung zum Bundesrat. Ich muss natürlich auch sagen: Man liest so einen eingebrachten Gesetzestext und kommt, wie der DGB, zu dem Ergebnis, dass hier die Arbeitnehmerrechte und der Mindestlohn geschleift werden sollen. Sie stellen sich dann hier hin und tun so, als wenn das irgendwie die normalste

Sache der Welt oder ganz alltägliches Arbeiten wäre. Ich finde das nicht. Das ist im politischen Bereich nun alles andere als alltäglich, was die Jamaika-Koalition hier auf den Weg bringt. Es ist schon erstaunlich, mit welchem Ehrgeiz die Jamaika-Koalition als eine ihrer ersten, zentralen Bundesratsinitiativen an den Mindestlohn herangeht, an die Schleifung der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte.

(Beifall SPD)

Ich wundere mich, dass man keine anderen Themen findet. Wir haben fast 50.000 Langzeitarbeitslose in Schleswig-Holstein, 1 Million in der Bundesrepublik. Wo bleibt denn die Initiative für einen sozialen Arbeitsmarkt? Wo bleibt die Initiative, genau die Lebensverhältnisse dieser Menschen zu verändern? - Nein, man geht an den Mindestlohn heran. Anscheinend sieht man keine weiteren Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Das ist verhältnismäßig unverständlich.

(Beifall SPD und SSW)

Warum ist es notwendig? - Natürlich könnte man auch einmal die Meldungen des Zolls lesen. Der Zoll, der die Einhaltung der Mindestlöhne überprüft, hat vor einigen Tagen festgestellt: 40 % mehr Verstöße in Firmen gegen den Mindestlohn. Das macht deutlich, dass man an dieser Stelle nicht noch weiter aufweichen darf - und dann auch noch im Bereich der Teilzeit, wo man besonders viele Frauen beschäftigt findet, die unter Teilzeitverhältnissen arbeiten müssen, die wir nicht wollen. Genau an der Stelle anzusetzen, ist völlig unverständlich.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])