Protokoll der Sitzung vom 13.10.2017

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wenn man den Mindestlohn nicht will, soll man es sagen und ihn dann auch ganz konkret wieder abschaffen. Das wäre ehrlich und klar. Aber das, was hier gemacht wird - hinten herum und wirklich mit einer Aushöhlungsstrategie zu arbeiten -, ist der Sache erstens nicht angemessen, und es ist weiter für eine Landesregierung absolut unwürdig.

(Beifall SPD und SSW)

Ich glaube, man kann an der Stelle, wenn man immer von mittelstandsfreundlicher Politik redet oder davon ausgeht, dass man in diesem Bereich besondere Schwerpunkte setzt, auch einmal festhalten: Selbst das beste Unternehmen, selbst das allerbeste mittelständische Unternehmen braucht eines: gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die haben ein Anrecht auf gute Arbeit, auf faire Bezahlung und auf die Einhaltung von Arbeitnehmerinnen- und

(Lars Harms)

Arbeitnehmerrechte. Deswegen ist es notwendig, genau hier zu stärken und nicht auszuhöhlen.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, Dr. Bernd Buchholz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja schön deutlich geworden, dass aufseiten der Opposition der Gegenstand der Debatte unterschiedlich wahrgenommen wird. Während der wahre Oppositionsführer, Herr Harms, zu Recht darüber redet, dass es um die Dokumentationspflichten geht, versuchen uns die Damen und Herren der SPD weiszumachen, es gehe in Wahrheit um den Mindestlohn an sich.

Ich sage hier für die Jamaika-Koalition ganz deutlich: Es geht uns nicht um den Mindestlohn. Heiner Garg ist als Sozialminister in diesem Land vor vielen, vielen Jahren für Lohnuntergrenzen eingetreten, da gab es in Berlin - nach 2013 - noch keinen Bundesmindestlohn. Ich bin kein Gegner des Mindestlohns. Das wird Sie wundern.

(Zurufe)

- Das mag Sie wundern. Wenn Sie Reden von mir aus dem Bundestagswahlkampf 2013 lesen, werden Sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich ein Befürworter eines Bundesmindestlohns gewesen bin.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt FDP und CDU)

Es wäre schön, wenn Sie sich tatsächlich in der Sache mit den Dingen einmal auseinandersetzen würden, wenn Sie wenigstens die Dinge lesen würden, um die es geht. Dann wäre es schön, wenn wir darüber reden könnten, dass auch Sie doch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer und die Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeister, die gerade eben noch mit ihrem Unternehmen gefördert werden sollen, ächzen und sagen: Hier an dieser Stelle ist zu viel Bürokratie. Das nehmen Sie nicht ernst. „Das ist doch Quatsch“, wird einfach gesagt.

(Zuruf Thomas Hölck [SPD])

- Genau. Und genau diese Haltung, Herr Hölck, hat es ausgemacht, dass Sie als mittelstandsfeindlich

wahrgenommen werden, weil Sie in Wahrheit nicht zuhören, wenn Menschen, die von der Unternehmensseite kommen, Ihnen etwas zurufen.

(Beifall FDP, CDU und Volker Schnurrbusch [AfD])

Herr Minister, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Hölck?

Ich würde gern zunächst einen Gedanken am Stück entwickeln. Danach können wir dann darüber reden. Lieber Herr Harms, es geht in der Tat um eine Frage - da ist bei Ihnen eine Grundhaltung drin -, die heißt: Schaffen wir denen eine Tür, um beschubsen zu können? - Als ob die Grundunterstellung ist, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer vom Grundsatz her beschubsen wollten.

(Lars Harms [SSW]: Nein, nein, das habe ich extra nicht gesagt! - Zuruf: Das hat er nicht gesagt!)

- Gut. Jetzt nehmen wir beide einmal den Zettel, den Herr Stegner gerade eben noch einmal hochgehalten hat und fragen: Wo ist denn bei der Dokumentation zum Mindestlohn die eigentliche Möglichkeit des Beschubsens? - Der Zettel da muss weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber unterschrieben werden. Beide Beteiligte können ihn führen. Der Arbeitgeber kann ihn auch führen.

(Birte Pauls [SPD]: Das ist für alle mehr Ar- beit!)

Zu dem, was Sie gesagt haben, nach dem Motto, die Personalabteilung dürfe ihn bitte wegsortieren, sage ich Ihnen: Diese Personalabteilung gibt es bei vielen Mittelständlern nicht. Die gibt es nicht.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Nun, damit es auch für Sie praktisch und handhabbar ist, wollen wir doch einfach einmal sagen: Es gibt Dokumentationspflichten und Ausnahmen davon. Die Ausnahmen sind schon vom Grundsatz her so geregelt, dass man sie infrage stellen kann; denn in Wahrheit ist diese Grenze - Herr Harms, Sie haben sie genannt - von 2.958 € dadurch entstanden, dass Frau Nahles die nach Arbeitszeitgesetz maximale Arbeitszeit zugrunde gelegt hat - mit allen Überstunden und allen Wochenenden, die überhaupt möglich sind. Die hat man mit 8,50 €

(Wolfgang Baasch)

multipliziert und kommt dann auf diese 2.958 €. Ab da muss nicht mehr dokumentiert werden. Wissen Sie, wie viel das bedeutet? - Wer 2.958 € verdient, hat 11,22 € pro Stunde an 31 Tagen im Monat verdient - jeden Tag. Das ist die Grenze, die die Dokumentationspflicht nach unten ausmacht. Wenn Sie 31 Tage lang einen Stundenlohn von 11,22 € verdienen, dann muss nicht mehr dokumentiert werden. Das zeigt schon einmal, wo das Thema hier ist. Hier wird ein Popanz aufgebaut; denn in Wahrheit geht es in der Regelarbeitszeit von 8 Stunden am Tag um 22 Arbeitstage im Monat. Das sind 176 Stunden im Monat. Wenn Sie das übrigens einmal bei Frau Nahles auf der Website in den Rechner des Mindestlohns eingeben, dann kommen Sie genau auf dieses Ergebnis.

Das Ergebnis ist dann Folgendes: Wenn Sie zum Beispiel bei einer 30-Stunden-Wochenarbeitszeit ein verstetigtes Monatsgehalt von 1.950 € beziehen, dann müssen Sie dokumentieren, dann muss jeder Stundenzettel abgeliefert werden, obwohl der Bruttostundenlohn dabei - auch nach dem Rechner 15 € brutto beträgt und damit der Mindestlohn um 801 € überschritten wird. Da fragen die Unternehmerinnen und Unternehmer zu Recht: Was soll das? Warum sollen wir das tun? Es ist doch logisch, dass wir das einhalten wollen. Aber wir wollen nicht mit etwas belastet werden, was absoluten Unsinn in der Dokumentationspflicht bedeutet, wo nie die Gefahr besteht, dass der Mindestlohn unterschritten wird, weil wir sogar 800 € oberhalb des Mindestlohns als verstetigten Lohn bezahlen. Trotzdem sollen wir hier dokumentieren?

Das zeigt, worum es in der Diskussion wirklich geht: Es geht um die Frage, wie wir auf Missbräuche reagieren; denn Missbräuche gibt es in der Tat. Reagieren wir auf den Missbrauch mit dem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber den Leuten, mit denen wir es zu tun haben? - Das ist Ihre Politik gewesen. Die schlägt sich da nieder. Die hat dazu geführt, dass die Unternehmerinnen und Unternehmen Sie als mittelstandsfeindlich wahrnehmen.

Wir reagieren darauf mit einer pragmatischen Lösung. Die heißt: Leute, wenn solche Teilzeitbeschäftigungen da sind, dann dokumentiert eben auf einem anderen Niveau. Dann müsst ihr bestimmte Sachen nicht mehr machen. - Das schafft weniger Bürokratie für die Unternehmen, es macht uns mittelstandsfreundlicher, es führt uns ein gutes Stück weiter auf dem Weg hin zum mittelstandfreundlichsten Bundesland dieser Republik. Es macht mitnichten etwas, was wir alle hier nicht wollen: am Mindestlohn irgendetwas zu ändern.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und AfD)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie können erstens noch so viele Reden halten, dass Sie angeblich eigentlich für den Mindestlohn gewesen seien, es sind die Taten, die am Ende zählen. Sie erzählen davon, wie man mit Missbrauch umgehen soll. Der nimmt um 40 % zu. Was Sie nicht widerlegt haben, ist, dass am Ende nur übrig bleibt, Anfangszeit, Ende und Pausen aufzuschreiben - nicht mehr. Ich kenne keinen Antrag, ich kenne keine Steuer, keine Genehmigung, die simpler wäre als dieses. Zu behaupten, dass sei mittelstandsfeindlich, ist doch ein schlechter Scherz. Jeder Handwerker muss das aufschreiben.

Wissen Sie, was uns von Ihnen unterscheidet? Wir sind mittelstandsfreundlich, weil wir für Handwerker sind. Wir sind aber auch für die Rechte von Arbeitnehmern. Das unterscheidet uns von Ihnen und von dem, was Sie hier vortragen. Das will ich deutlich sagen.

(Beifall SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wann haben Sie denn schon einmal gearbeitet?)

Zweitens. Die billige Polemik verschiedener Kollegen, wir würden dies erst heute ansprechen, ist falsch. Am 29. Juni 2017, am 18. Juli 2017, am 4. Oktober 2017 - dreimal haben wir öffentlich Ihre Absicht kritisiert, das zu machen und dass Sie das tun wollen. In dieser Tagung haben wir davon erfahren, dass Sie es tatsächlich gemacht haben, dass der Antrag gestellt worden ist und dass sich die erste Großtat dieser Regierung gegen Arbeitnehmerrechte richtet. Das ist das, was Sie im Bundesrat gemacht haben.

Verehrter Herr Kollege Andresen, eins muss ich Ihnen schon sagen, weil Sie hier über Doppelmoral reden: Sie wollen gelobt werden, wenn Sie einmal nicht das Gegenteil dessen tun, was Sie gesagt haben wie beim Vergabemindestlohn. Aber hier ausgerechnet in dieser Frage die erste Initiative, die man in Berlin startet, so zu machen! Das war ja sehr witzig: Oskar Lafontaine hat, als er noch Vorsitzender der Sozialdemokratie war, ab und zu etwas Kluges gesagt, zum Beispiel, dass, wer andere

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

überzeugen will, selbst überzeugt sein muss. Man merkt doch aus Ihren Worten, dass Sie das gar nicht sind. Es trifft Sie von den Grünen nur, wenn wir hier feststellen, dass Sie diese Politik mitmachen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.

(Beifall SPD)

Sie können 100-mal sagen, dass das Bürokratie sei. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer draußen wissen, was sie davon zu halten haben. Die kennen übrigens die FDPReden seit Jahren.

(Christopher Vogt [FDP]: Die kennen Ihre Reden seit Jahren! Das ist Ihr Problem!)

Es ist immer Bürokratie, wenn es bei Ihnen um Arbeitnehmerrechte geht, immer. Das ist in Ihrer Geschichte so gewesen. Ich finde es schwierig, dass die Volkspartei CDU und die Grünen da mitmachen. Das ist das Problem.

Andrea Nahles übrigens, die das mit ganz vielen ausgehandelt hat, zum Beispiel auch mit den Verlegern, als es um die Zeitungsausträger ging, hat alle möglichen Sachen angeboten, und wir haben es so unbürokratisch wie möglich gemacht. Geblieben ist am Ende dieses. Wenn das zu viel Bürokratie ist, dann steht es allerdings schlecht um die deutsche Wirtschaft. Dann sind Sie nicht mittelstandsfreundlich, sondern dann ist das Unterschätzung der Intelligenz der Menschen.

Ich will Ihnen sagen, was passiert - das hat der Kollege Harms in seinem Beitrag angedeutet -: Wenn Sie das wirklich durchsetzen - der Himmel möge verhüten, dass es passiert - würden, ist das Einzige, was passiert, dass der Missbrauch von den jetzt plus 40 % noch weiter nach oben geht. Das können Sie sich dann an die Fahnen heften. Sie können das mittelstandsfreundlich nennen, ich nenne es arbeitnehmerfeindlich.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Werner Kalinka.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kampf um den Mindestlohn hat fast zehn Jahre lang gedauert. Ich glaube, ich stehe nicht im Verdacht, in irgendeiner ungebührlichen sozialen Ecke zu stehen. Der Grundgedanke des Mindestlohns war: Jeder sollte seine Familie und sich ernähren

können. Der Grundgedanke war nicht, eine unnötige und überbordende Bürokratie zu schaffen. Das war damals der Grundgedanke.

Ich habe mich aus folgendem Grund zu Wort gemeldet: Schauen wir uns einmal die Situation an. Ich will zwei Punkte hervorheben. Arbeitgeber und Unternehmen haben durch die Dokumentation sehr wohl erhebliche Aufwendungen. Sie haben hier als Beispiel die Handwerkerrechnung angeführt. Offenbar haben Sie lange keine mehr bekommen. Bei den Handwerkerrechnungen ist es heute längst so, dass sie weder Anlagen noch sonst etwas haben, auch nicht wann, wo, was aufführen, sondern häufig Pauschalen, die Angabe „eine Stunde“ oder „vier Stunden“, enthalten.