Die vielen Petitionen, die dort eingehen, machen deutlich, dass es Gerechtigkeitslücken in unserem Sozialsystem gibt und jede berechtigte Eingabe auch eine Mahnung ist, diese nach Möglichkeit abzustellen und zu verändern. Es genügt nicht, dass wir sie zur Kenntnis nehmen; wir müssen auch danach handeln.
Es geht meist um Menschen mit einem knapp gefüllten Geldbeutel. Für diese ist es besonders schmerzlich, wie aus dem Bericht hervorgeht, wenn sie unnötig warten müssen, wenn Dinge nicht transparent sind, wenn sie es nicht verstehen, wie mit ihnen umgegangen wird, und wenn sie bei Behörden, aus welchen Gründen auch immer, aus ihrer Sicht in einer Sackgasse stehen. Zu wenig Transparenz, zu langes Warten: So gut die Behörden auch arbeiten, wäre es gut, wenn sie sich immer, wenn sie diese Bürger in schwierigen Situationen vor sich haben, bewusst wären, dass die Probleme für diese noch größer als für manch einen von uns sind, wenn er zu einer Behörde geht.
Lassen Sie mich einige kurze Hinweise zu den Schwerpunkten formulieren. Das Thema der zunehmenden Altersarmut zieht sich durch diesen Bericht. Im Land sind inzwischen 40.000 Menschen auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen. Das ist eine Verdoppelung seit der Einführung 2005. Hier gibt es eine besondere Gerechtigkeitslücke, nämlich die, dass eigene Rentenzahlungen keine Berücksichtigung finden. Dieses Thema haben wir in der letzten Tagung des Landtags schon angesprochen. Hier liegt ein Handlungsfeld vor, mit dem wir uns beschäftigen sollten.
(Beifall CDU, Wolfgang Baasch [SPD], Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Dr. Frank Brodehl [AfD])
Ich möchte dem sh:z danken, dass er dieses Thema zu einem Thema gemacht hat, denn dazu gehört auch Öffentlichkeit.
Ein besonders hartes Schicksal ist es, wie aus diesem Bericht deutlich wird, wenn man voll erwerbsgemindert ist, mitten aus dem Arbeitsleben gerissen wird und die durchschnittliche Rente, die dabei herauskommt, 711 € beträgt. Aus einem Leben des vollen Schaffens auf durchschnittlich 711 € gestellt zu werden! Der Bund hat einiges getan, aber unser Appell sollte dahin gehen, dass noch mehr geschieht.
Auch das Thema Pflege ist ein Bestandteil des Berichts: Zeitkontingente und Umbaumaßnahmen verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit. Das Beispiel des Schicksals auf Seite 78/79 hat mich sehr berührt, wo zwei Enkelkinder von den Großeltern aufgenommen wurden, die aber ein Einkommen aus Hartz IV bezogen, also nicht viel machen konnten. Die Eltern waren nicht in der Lage, die Kinder aufzuziehen. Die Behörden haben eineinhalb Jahre gebraucht, die richtige Zahlung freizugeben. Die Bürgerbeauftrage hat sich intensiv darum gekümmert.
„Das Sozialamt übermittelte dann endlich den Bescheid über die Nachberechnung der Leistungen für den Zeitraum Juni 2015 bis Juni 2016 an die Bürgerbeauftragte. Diese konnte dem Großvater mitteilen, dass er in den nächsten Tagen weitere 5.196,00 vom Kreis erhalten werde. Der Großvater war sprachlos vor Glück und berichtete der Bürgerbeauftragten Wochen später, dass er einen Teil des Geldes für die Ausstattung eines neuen Kinderzimmers ausgegeben habe.“
Meine Damen und Herren, 26 % der Anliegen, die die Dienststelle erreichen, beziehen sich auf die Grundsicherung für Arbeitnehmer. Auch dies sagt etwas über die Probleme aus, die hier vorliegen.
Natürlich spielt auch das Thema der Angemessenheit der Kosten für Miete und Heizung immer wieder eine Rolle. Es gab 450 Petitionen zur gesetzlichen Krankenversicherung; das ist keine Überraschung.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir haben Gerechtigkeitslücken, die auch durch diese Petitionen deutlich werden. Es ist schön, dass einer Reihe von Menschen durch die Tätigkeit der Bürgerbeauftragten und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geholfen werden konnte. Es ist unsere politische Aufgabe, die dort entstehenden Fragestellungen, Hinweise und Probleme aufzuarbeiten und möglichst einer weiteren Lösung zuzuführen.
Fehler kommen überall vor, auch in Behörden; aber vermeidbare Fehler sollten vermieden werden. Der Bericht ist ein Signal, weiter in diesem Sinne anzupacken und die soziale Schere im Übrigen nicht größer, sondern möglichst kleiner werden zu lassen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
herzlich bei unserer Bürgerbeauftragen Samiah El Samadoni und ihrem Team für diesen sehr ausführlichen Bericht, die mitgelieferten Ideen, die politischen Lösungsansätze und vor allen Dingen für ihren hochqualifizierten Einsatz zum Wohle der Menschen. Herzlichen Dank dafür!
Beim Lesen des jährlichen Berichts stellt sich die selbstkritische Frage: Sind Gesetzestexte klar und eindeutig formuliert? Werden die Ausführungsbestimmungen landeseinheitlich so interpretiert, dass jede Bürgerin und jeder Bürger unabhängig vom Wohnort im Land gleiche Rechte und gleiche Leistungen bekommt? Spätestens bei der Lektüre des Berichts müssen wir feststellen: nein, leider nicht. Leider ist es so, dass viele Menschen erst dann die Hilfe und die Unterstützung bekommen, die ihnen zusteht, wenn sie kompetente Hilfe an ihrer Seite haben.
Ein Beispiel aus dem Bericht 2016 macht mehr als deutlich, dass Entscheidungen und Verwaltungen auch immer etwas mit der Würde des Menschen zu tun haben. Sie ist nun einmal unabhängig vom Alter und Wohnort zu sichern.
Ein Junge mit einem anerkannten Grad der Behinderung von 80 % mit den Merkmalen B, G und H, einer Pflegestufe I und aufgrund einer Halbseitenlähmung mit entsprechenden Gleichgewichtsstörungen soll eingeschult werden. Er benötigt Hilfe für Schulbegleitung, bei dem Toilettengang, dem Tragen der Schultasche, dem An- und Auskleiden zum Schulsport, dem Öffnen der Türen sowie Schutz im Gedränge wegen erhöhter Sturzgefahr. Die ablehnende Begründung des Kreises machte nicht nur die Bürgerbeauftragte fassungslos, sondern trieb mir beim Lesen des Berichts die Tränen in die Augen. Darin hieß es, auch andere Kinder könnten sich nicht einwandfrei säubern. Eine Verunreinigung des Umfeldes bleibe wohl im Rahmen. Eine Schulbegleitung habe keine „Bodyguardfunktion“. Überhaupt fördere es kaum das Selbstbewusstsein des heranwachsenden Jungen, an der Hand eines Erwachsenen zu gehen. - So viel Kälte muss man erst einmal aufbringen.
Erst nach der Intervention der Bürgerbeauftragten wurde über einen gerichtlichen Vergleich dem Kind doch die nötige Hilfe der Schulbegleitung gewährt.
Die Frage stellt sich: Braucht ein Sozialstaat also eine Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten? - Ja, unbedingt!
3.323 Petentinnen und Petenten haben sich im Jahr 2016 an die Bürgerbeauftragte gewandt, 3.323 Menschen mit ihren Schicksalen, die sich meist durch die Verwaltungsentscheidung nicht gerecht behandelt fühlten. Die Verwaltungen in unserem Land sind oft überlastet. Immer wieder kommt es zu Engpässen, Personalausfall und damit verbundenen Kommunikationsschwierigkeiten sowie langen Wartezeiten. Personal- und Schuldenabbau in Verwaltungen haben eben doch ihre Folgen.
Darunter darf aber natürlich die Menschlichkeit nicht leiden. Es geht um Wohngeld, Pflege- und Arbeitslosengeld, Krankenversicherung, Bundesteilhabegesetz, Kindergeld, Grundsicherung, Arbeitsförderung, Rentenversicherung, Kinder- und Jugendhilfe, also die ganze Bandbreite unserer Sozialgesetzbücher, die in ihrer Komplexität und im Ineinandergreifen der Systeme für ihre Anwender oft zu unterschiedlichen Entscheidungen führen, die im Land eben oft nicht vergleichbar und nicht einheitlich angewendet werden. Es sind aber genau diese Sozialgesetze, die bei allem bestehenden Reformbedarf - da sind wir uns einig - trotzdem eine Sicherung und Unterstützung der Menschen mit Hilfebedarf bedeuten. Mir gruselt es bei der Vorstellung, dass Menschen in solchen Hilfesituationen, wie sie im vorliegenden Bericht beschrieben sind, auf sich selber gestellt sind und finanziell und organisatorisch für die Lösung ihrer täglichen vielschichtigen Herausforderungen allein verantwortlich sein sollen Stichwort: bedingungsloses Grundeinkommen.
Aufgabe unseres Sozialstaates muss es sein, diesen Menschen, die es durch verschiedene Umstände oder Krankheiten im Alltag sowieso schon sehr schwer haben, zu ihrem Recht zu verhelfen und ihnen das Leben nicht zusätzlich zu erschweren. Das ist aber, wie uns der Bericht deutlich zeigt, nicht immer der Fall.
Deshalb bin ich sehr froh, dass wir mit Frau Samiah El Samadoni eine Bürgerbeauftragte haben, die sich sehr aufrichtig, zugewandt, von großem Fachwissen geprägt, vollkommen unabhängig und unerschrocken im besten Sinne für die Menschen einsetzt, die bei ihr Hilfe suchen. Sie und ihr Team leisten eine unverzichtbare Arbeit. Ihre Anregungen und Vorschläge im Bericht werden wir im Sozialausschuss gern diskutieren. Ich kann allen anderen Ausschüssen nur empfehlen, sich mit dem Bericht der Bürgerbeauftragten zu beschäftigen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten hat wieder ihren Bericht vorgelegt. Dieses Mal ist es der Bericht für das Jahr 2016; detailliert und deutlich, klar, konsequent und konstruktiv. So kennen wir Samiah El Samadoni, so kennen wir ihr Team. Vielen Dank dafür, liebe Samiah.
Die Probleme, auf die Samiah El Samadoni aufmerksam macht, sind allerdings, da kann ich mich nur anschließen, sehr ernüchternd. Ja, wir haben ein gutes soziales Netz, aber, ja, wir haben auch deutliche Lücken. Der Bericht ist immer wieder Anlass dazu und muss es auch sein, über diese Lücken nachzudenken, im Sozialausschuss darüber zu diskutieren und konsequent daran zu arbeiten, dass diese Lücken geschlossen werden.
Große Themenschwerpunkte sind immer wieder das Arbeitslosengeld II, die Kosten der Unterkunft, die Grundsicherung im Alter, Pflege, Krankengeld. All das sind Bundesthemen, und ich bin gespannt, wie die Gespräche in Berlin derzeit laufen und ob bei diesen wichtigen Gesetzesverbesserungen, die erforderlich sind, Einigungen möglich sein werden.
Aber auch Landesthemen spielen eine große Rolle, zum Beispiel die Schulbegleitung und die Schulassistenz, die Kinderbetreuung und auch die Schülerbeförderungskosten. Der Kollege Kalinka hat gerade auf die zahlreichen Fälle von Altersarmut hingewiesen. Für uns Grüne steht fest, dass hier großer Handlungsbedarf besteht. Daher ist es aus unserer Sicht auch sinnvoll, dass aus den Ländern heraus Druck auf Berlin ausgeübt wird, damit dort, wo die sozialen Sicherungssysteme verändert werden können, auch konkrete Veränderungen herbeigeführt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt ein anderes Beispiel, das mich sehr betroffen gemacht hat: Ein Patient ist in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme, holt sich für eine Nachuntersuchung bei
seinem Hausarzt einen Termin und bekommt diesen Termin auch. Er ist am Freitag entlassen worden und geht am Montag zu seinem Hausarzt. Er wird dann weiter krankgeschrieben, aber wegen dieser Lücke von zwei Tagen bei der Krankschreibung werden ihm sämtliche sozialen Leistungen gestrichen. Das ist ein Unding und für mich ein klarer Handlungsauftrag an uns in der Politik, dass dies geändert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über das Engagement der Bürgerbeauftragten und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wir uns, so hoffe ich ich bin gespannt, was noch kommt -, alle einig. Der vorliegende Bericht zeigt deutlich: Sie ist unersetzlich. Wir brauchen die Bürgerbeauftragte, wir brauchen eine unabhängige Stelle, die immer wieder darauf aufmerksam macht, was besser werden muss. Für mich sind diese 100 Seiten, die uns vorgelegt worden sind, eine Mahnung und ein klarer Handlungsauftrag. Diesen Handlungsauftrag nehmen wir gern an. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 3.300 Eingaben in einem Jahr, fast zehn pro Kalendertag: Das ist eine ganz schön große Menge. Dies zeigt sehr deutlich, wie etabliert die Rolle der Bürgerbeauftragten in diesem Land ist. Gleichzeitig ist diese Anzahl natürlich auch ein Stück weit ein Gradmesser dafür, dass sich etwas im Argen befindet.
Die Bürgerbeauftragte springt ein, wo der bürokratische Sozialstaat für den Einzelfall keinen Platz hat, wo der bürokratische Sozialstaat ein Problem aus zeitlichen, personellen oder administrativen Gründen übersieht. Über die Beauftragtenfunktion werden Brücken gebaut, Konflikte gelöst.
Die Schilderungen im Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten zeigen: Das, was wir Staat nennen, ist mehr als die Summe aller Gesetze und Vorschriften. Die Regeln müssen von Menschen mit Leben gefüllt werden, und dabei passiert es hin und wie