Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Bericht und Beschlussempfehlungen des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 19/346

Ich erteile der Berichterstatterin des Innen- und Rechtsausschusses, der Abgeordneten Barbara Ostmeier, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit dem Gesetzentwurf in mehreren Sitzungen befasst; er hat eine schriftliche Anhörung dazu durchgeführt, und er hat am 15. November 2017 seine Beratungen dazu abgeschlossen.

Im Rahmen der Ausschussberatungen legten die Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP sowie die Abgeordneten des SSW einen Änderungsantrag vor, der mit Zustimmung der antragstellenden Fraktionen nach der Vorlage eines weiteren Änderungsantrags von ihnen für erledigt erklärt wurde.

Der neue Änderungsantrag wurde einstimmig angenommen. Gegen die Stimmen der SPD mit Zustimmung der Abgeordneten aller anderen Fraktionen und der Abgeordneten des SSW empfiehlt der Innen- und Rechtsausschuss dem Landtag, den Titel des Gesetzes in „Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes“ zu ändern und den Gesetzentwurf in der geänderten Fassung anzunehmen. Die Änderungen sind in der Anlage nachzuvollziehen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, FDP und SSW)

Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion hat der Abgeordnete Claus Christian Claussen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Bei diesem Gesetzentwurf geht es um die sogenannte Leichte Sprache. Die Benachrichtigungen zur Landtagswahl waren in der sogenannten Leichten Sprache abgefasst worden und haben in der Bevölkerung erhebliche Unruhe und auch Unverständnis verursacht. Ich glaube, dass es nach wie vor für weit über 90 % der Bevölkerung in unserem Land die leichteste Sprache ist, wenn wir richtiges Deutsch miteinander reden.

Aber es gilt auch, diejenigen mitzunehmen, die insoweit Schwierigkeiten haben, solche Formulare nachzuvollziehen. Deshalb ist das Ziel der Leichten Sprache, eine bessere Partizipation der Bürger zu erreichen, natürlich zu begrüßen.

Festzustellen ist aber, dass die bisherige Umsetzung eher zu einer Entfremdung weiter Teile der Bevölkerung geführt hat. Deshalb wollen wir jetzt einen neuen, einen besseren Weg ausprobieren. Mit den Wahlbenachrichtigungen wird es gleichzeitig einen Hinweis auf ein entsprechendes Online-Angebot geben. Dieses Online-Angebot kann dann den Betroffenen eine erheblich bessere Hilfestellung geben, als dies bislang in gedruckter Form möglich gewesen ist.

Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen des Innen- und Rechtsausschusses bedanken. Wir hatten eine Diskussion, die zum Teil ein bisschen hitzig, dennoch konstruktiv war. Wir haben deshalb - die Berichterstatterin sagte es schon - bei diesem Gesetzentwurf das Landtagswahlgesetz aus der Dringlichkeit herausgenommen.

Wir sind jetzt der Auffassung, dass eine Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes ausreichend ist. Wenn dann die Kommunalwahl auf dieser Grundlage durchgeführt worden ist, können wir hinterher noch einmal darüber beraten, wie denn die Erfahrungen mit dieser neuen Form geworden sind, und wir können dann für die nächste Landtagswahl das Landeswahlgesetz entsprechend ändern. Insofern bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf so, wie es der Ausschuss empfiehlt. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, FDP und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch das Wort.

(Vizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Artikel 7 unserer Schleswig-Holsteinischen Verfassung haben wir uns als Land dazu verpflichtet, uns für die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung einzusetzen. Dazu gehört auch, dass Wahlbekanntmachungen, Wahlbenachrichtigungen, Wahlscheinanträge, Unterlagen für die Briefwahl in Leichter Sprache erstellt und vorgehalten werden.

Leichte Sprache ist ein Konzept zur Umsetzung von Barrierefreiheit im Schriftsprachebereich. Es ist eine sprachliche Ausdrucksweise, die sehr leicht lesbar und verständlich ist. Komplizierte Inhalte müssen zum Beispiel in kurzen Sätzen und mit gebräuchlichen Wörtern dargestellt werden. Dies gilt auch und im Besonderen für die Teilhabe an politischen Entscheidungen.

In Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention wird die Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben von Menschen mit Behinderung wie folgt formuliert:

„Die Vertragsstaaten“

- also auch die Bundesrepublik Deutschland

„garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und verpflichten sich,

a) sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen öffentlichen Leben teilhaben können...“

In Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es eindeutig:

„… stellen sie sicher, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind.“

Diese Vorgabe der UN-Behindertenrechtskonvention ist eindeutig und, wie ich finde, leicht nachzuvollziehen.

Darum überrascht es mich sehr, dass die JamaikaKoalition mit ihrem Gesetzentwurf genau das Gegenteil des Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Weg bringen will. In einem Schnellverfahren sollten Landtagswahlgesetz und Gemeinde- und Kreiswahlgesetz geändert werden. Es blieb kaum Zeit für eine fachgerechte Anhörung,

in die die betroffenen Menschen einbezogen werden können.

Die vorliegenden Stellungnahmen zum Gesetzgebungsverfahren sprechen für sich, und sie sprechen gleichzeitig gegen das Vorhaben der Jamaika-Koalition.

In der Stellungnahme des Zentrums für Selbstbestimmtes Leben Norddeutschland steht:

„Die Verwendung von Leichter Sprache bei den Wahlmaterialien ist also keine Kür, sondern eine Pflicht, die sich aus den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt. Eine wie im Gesetzentwurf geplante Änderung wäre gemäß Artikel 4 … ein unzulässiger Rückschritt.“

An anderer Stelle derselben Stellungnahme heißt es:

„Eine ausschließliche Online-Bereitstellung der Wahlmaterialien in Leichter Sprache erachten wir als gänzlich ungeeignet, da es eher Barrieren aufbaut als verhindert.“

So das Zentrum für Selbstbestimmtes Leben Norddeutschland in seiner Stellungnahme.

Ein Online-Angebot ist also eher ungeeignet. Für viele Menschen ist die Nutzung des Internets nämlich noch immer mit Barrieren verbunden. Gerade Menschen in Pflegeeinrichtungen und Wohneinrichtungen haben kaum Zugang zum Internet. Menschen mit einer eingeschränkten Lesekompetenz benötigen die Informationen zur Wahl eher direkt.

Das muss auch für die Kommunalwahl möglich gemacht werden. Gerade bei der Kommunalwahl mit ihren unterschiedlichen Wahlvorgängen brauchen Menschen mit Behinderung einfache und angepasste Erläuterungen. Allein, dass bei der Kommunalwahl in einer kreisfreien Stadt eine Stimme abzugeben ist, bei der Gemeindewahl aber bis zu drei Stimmen abgegeben werden können, spricht dafür, keine zentralen Online-Auftritte als Alternative vorzusehen.

Darüber hinaus muss endlich sichergestellt werden, dass auch wirklich alle Wahllokale barrierefrei zugänglich sind. Es wäre toll, wenn die Wahlvorstände in den Wahllokalen in der Vorbereitung auf die Wahlen auf die Möglichkeit der Assistenz und Unterstützung von Menschen mit Behinderung geschult werden.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn hier gibt es noch viel Unkenntnis.

Die Möglichkeit des Einsatzes von mobilen Wahllokalen in Einrichtungen von Menschen mit Behinderung und in Pflegeeinrichtungen sollte ebenfalls geprüft werden. Darüber hinaus sollte sich das Land verpflichten, eine Evaluation der Wahlbeteiligung von Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftigen durchzuführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf nicht sein, dass Teile der Bevölkerung von Wahlen ausgeschlossen sind. Selbstkritisch muss man eingestehen, dass die Umsetzung des Landeswahlgesetzes zur Landtagswahl nicht perfekt gelaufen ist. Aber die Kritik daran darf doch nicht dazu führen, dass wir die Teilhabe von Menschen mit Behinderung und von pflegebedürftigen Menschen wieder einschränken.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter, denken Sie bitte an die Redezeit.

Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir müssen evaluieren, und wir müssen es einfach besser machen. Wählen ist ein Bürgerrecht und darf nicht an Barrieren scheitern. Die geplanten Streichungen im Gesetzentwurf sind folglich ein Rückschritt und stehen im Widerspruch zum Inklusionsgedanken. Darum lehnen wir die Änderungen ab.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit Behinderung haben die gleichen Rechte wie alle anderen auch.

(Beifall Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Sie dürfen wählen, und das ist so natürlich wie nur irgendetwas. Erst in der vergangenen Legislaturperiode haben wir die bis dahin bestehenden Einschränkungen bei Menschen, die dauerhaft unter voller Betreuung stehen, im Landeswahlrecht auf

gehoben. Aber wählen dürfen und das Wahlrecht auch tatsächlich wahrnehmen können, das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Das fängt schon bei den Wahlberechtigungen an. Menschen mit geistiger Behinderung oder kognitiven Einschränkungen sind häufig von unserer Sprache überfordert; vor allem davon, wie wir Politikerinnen oder Politiker reden, oder durch das, was Verwaltung formuliert. „Behördensprech“, das ist für viele Menschen ein zu komplizierter Kauderwelsch, allerdings nicht nur für Menschen mit Behinderung.

Aus diesem Grund haben wir in der letzten Wahlperiode die UN-Behindertenrechtskonvention beim Wort genommen. Die Unterlagen zur Landtagswahl wurden 2017 in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt; für alle Wahlberechtigten gleichermaßen. Das ist, wie ich finde, ein sehr inklusiver Ansatz.