Protokoll der Sitzung vom 17.11.2017

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/315

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Claus Christian Claussen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Umgang mit Strafgefangenen zeigt sich, wie human eine Gesellschaft ist. Für uns als Arbeitgeber zeigt sich in dem Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie gut wir aufgestellt sind. Das bezieht sich insbesondere auf die Justizvollzugsanstalten. Die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter dort und vor allen Dingen die Sicherheit der Mitarbeiter müssen an herausgehobener Stelle beachtet werden.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Bei unseren Gesprächen mit den Mitarbeitern und ihren Vertretungen hat sich herausgestellt, dass eine ohnehin im Strafvollzug vorherrschende angespannte Situation sich durch das neue Strafvollzugsgesetz eher noch verschärft hat. Deshalb wollen wir die Situation überprüfen. Das Ministerium soll mit externer Unterstützung den Personalbedarf konkret für die einzelnen Anstalten unter den jetzigen gesetzlichen Rahmenbedingungen ermitteln.

(Beifall Barbara Ostmeier [CDU])

Das ist insofern nicht einfach, als dass sich die normalen Beratungsleistungen, die man am Markt einkaufen kann, nicht unbedingt auf Justizvollzugsanstalten beziehen. Gleichwohl ist Personalbedarfsberechnung und Personalbemessung natürlich eine Leistung, die auch von Beratern angeboten wird. Deshalb wollen wir eine externe Begleitung dieser Analyse haben.

Wenn wir diese Analyse haben, dann gilt es in der Tat, daraus Konsequenzen zu ziehen. Dann kann sich ein zusätzlicher Personalbedarf ergeben. Es kann aber auch sein, dass wir die Notwendigkeit sehen, an gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen oder Erlassen etwas zu ändern.

Wir haben diesen Antrag jetzt gestellt, weil wir meinen, dass die Zeit drängt. Die Situation ist angespannt, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen ein Signal, um diese Situation weiterhin bewältigen zu können. Nur wenn sie eine Perspekti

ve haben, wenn ihre Bedürfnisse und die Bedarfe in der Personalentwicklung erkannt werden, können sie weiterhin ihre Arbeit leisten, wofür wir ihnen natürlich dankbar sind.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Im Koalitionsvertrag haben wir ja festgestellt, dass wir im Bereich Justiz auch personell etwas machen müssen. Ich finde es gut, wenn wir im Bereich Justizvollzug damit anfangen. Insofern bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Antrag. - Danke.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Volker Schnurrbusch [AfD])

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Stefan Weber.

Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Beschäftigten im Justizvollzug leisten jeden Tag hervorragende Arbeit. Dem Personal der Justizvollzugsanstalten in Schleswig-Holstein gebührt unsere Anerkennung.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die körperlichen und psychischen Belastungen ihrer Tätigkeit sind keine Selbstverständlichkeit. Schleswig-Holstein hat die geringste Gefangenenrate. In Relation zur Bevölkerung sitzen in Bayern dreimal so viele Menschen ein. Wir können aber nicht leugnen, dass die Situation im Justizvollzug in den letzten Jahren nicht einfacher geworden ist. Die Gefangenenklientel wurde für die Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamten zunehmend schwieriger.

Ja, es gibt Krankenstände in Justizvollzugsanstalten, die uns nicht zufriedenstellen. Aber es wurde auch einiges getan. In den letzten Jahren wurden vielfältige Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsförderung für Bedienstete des Justizvollzugs angeboten. In Zusammenarbeit mit den Betriebsärzten der Anstalten wurden Angebote aus dem Bereich der Gesundheitsförderung weiter ausgebaut, zum Beispiel Ergonomic Checks. Es gibt Maßnahmen im Bereich betriebssportlicher Aktivitäten, wie zum Beispiel Bereitstellung von Sportstätten und Sportgeräten, vergünstigter Eintritt in öffentliche Schwimmbäder und die Durchführung von Gesundheitstagen. Damit das Vollzugsziel, die Befähigung

(Vizepräsident Rasmus Andresen)

der Gefangenen, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen, erfüllt werden kann, brauchen wir gesundes und motiviertes Personal, damit sich möglichst viele Chancen der Resozialisierung bieten.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Aufgrund einer erlebten Diskrepanz zwischen dem Anspruch an die Berufsrolle, dem Ziel der Resozialisierung und der Tagesrealität in den Anstalten ist es für viele Bedienstete schwierig, eine intakte Rollenidentität aufzubauen. Auch mangelnde Erfolgserlebnisse und eingefahrene Routine können bei einigen Bediensteten zu Ernüchterung beim Ableisten des Dienstes führen. Dem Personal in den Justizvollzugsanstalten muss das Gefühl gegeben werden, dass sie mit ihrer Arbeit etwas Sinnvolles bewirken. Dazu sollten ihnen angemessene Unterstützung und Wertschätzung entgegengebracht werden.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Mit Ihrem Antrag für eine Personalbedarfsanalyse im Justizvollzug wollen Sie den Personalbedarf ermitteln, der der Ziel- und Zwecksetzung der jeweiligen Anstalt entspricht. Sie wollen Anstaltsleitungen und Personalvertretungen mit einbeziehen. Wir werden genau verfolgen, was das bedeutet und wie dies erfolgt.

Die FDP hatte bereits in der letzten Wahlperiode im Schleswig-Holsteinischen Landtag den Antrag gestellt, Drucksache 18/4098, dass eine Analyse des Personalbedarfs im Justizvollzug durch eine externe Kommission durchgeführt werden sollte. In der Debatte des Landtages über diesen Antrag wurde jedoch deutlich, dass dies in der praktischen Umsetzung auf verschiedene Probleme, die in der Spezialität der Materie Justizvollzug begründet sind, stoßen wird.

So ist es nur folgerichtig, dass Prüfungen des Bundesrechnungshofes gezeigt haben, dass bei der Beschreibung der für eine Personalbedarfsermittlung zu erbringenden Leistungen oft unscharfe oder zu pauschale Aufgabenbeschreibungen verwendet werden. Begriffe wie „angemessene Methoden“ oder „neuester Stand der Wissenschaft“ sind zu unbestimmt, um die zu erbringende Leistung des externen Beraters zu definieren.

Letztlich überlassen solche Worthülsen dem Beratungsunternehmen selbst die Entscheidung, mit welchen Methoden und mit welchem Aufwand es den Personalbedarf ermitteln will. Hier werden wir genau aufpassen. Bitte bedenken Sie, dass sich ex

terne Berater nur schwer in die Arbeitsrealität in Justizvollzugsanstalten hineindenken können.

Angesichts der erheblichen Eigenleistung, welche Behörden auch bei der Personalbedarfsermittlung durch externe Berater erbringen müssen, empfiehlt es sich, den Umfang des Beratungsauftrages zu beschränken.

Ich möchte betonen, dass eine Erhebung nur dann verlässliche Grundlage für eine politische Diskussion über die Personalbemessung im Justizvollzug sein kann, wenn sie transparent, valide und nachvollziehbar erfolgt und nicht bereits mit bestimmten Bewertungen, Lücken oder Fehlern verbunden ist.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, seien Sie versichert: Wir werden genau beobachten, wer wie die Personalbedarfsanalyse erstellt und was dies für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzugsdienst und überhaupt für die Justizvollzugsanstalten als Ganzes bedeutet. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schleswig-Holstein hat sich 2016 ein neues Landestrafvollzugsgesetz gegeben. Das ist im Ländervergleich ein sehr gutes Gesetz. Stichworte: Behandlungsvollzug, Familienorientierung, neue Medien in der Haft, weg vom Zwang zur Anstaltskleidung für Männer, längere Aufschlusszeiten.

Ein gutes Gesetz benötigt aber auch bei der Umsetzung die notwendigen persönlichen Ressourcen. Das wollen wir in dieser Wahlperiode in der Jamaika-Koalition auf den Weg bringen. Dabei muss natürlich am Anfang stehen, den tatsächlichen Personalbedarf unter den neuen gesetzlichen Vorgaben konkret unter Mithilfe externen Sachverstandes zu ermitteln, nicht durch externen Sachstand. Dem dient dieser Antrag, der Ihnen heute vorliegt.

Dass dies ein durchaus nicht einfaches Unterfangen ist, kein banales Unterfangen, das ergibt sich - das haben auch andere Redner schon gesagt - aus der sehr diversen Struktur unserer Gefängnislandschaft, baulich und persönlich, aber auch von dem Gefangenenklientel her. Das ist also schwierig.

(Stefan Weber)

Ich will meine heutige Rede aber dazu nutzen, darauf hinzuweisen, wie komplex und teilweise auch widersprüchlich die Anforderungen an die Menschen sind, die als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer JVA einen modernen Strafvollzug umsetzen sollen. Das betrifft sowohl die große Zahl der unmittelbar mit den Inhaftierten arbeitenden Bediensteten des Allgemeinen Vollzugsdienstes als auch die Fach- und Führungskräfte. Denn es geht nicht nur um den „sicheren Einschluss“, sondern es geht zu allererst darum, die inhaftierten Menschen auf ein Leben ohne Straftaten nach der Haft vorzubereiten.

Der Grundwiderspruch liegt auf der Hand: Strafhaft ist für die Inhaftierten ein vom Staat bewusst zugefügtes, zeitlich dosiertes, gleichzeitig streng reglementiertes Übel. Es ist ein Übel! Das Personal einer JVA ist also dienstlich beauftragt, den Inhaftierten eine schmerzhaft empfundene Beschneidung ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit angedeihen zu lassen. Sie müssen tagtäglich gesetzlich legitimierten Zwang ausüben.

Gleichzeitig sollen diese Bediensteten den Behandlungsvollzug umsetzen, also eine Rolle einnehmen, bei der Zuwendung, Freundlichkeit und Achtsamkeit gefragt sind, um die bei den einzelnen Gefangenen gegebenen Ressourcen für ein straffreies Leben zu erkennen, abzurufen und zu fördern. Schon dieser Spagat ist alles andere als einfach.

Hinzu kommt, dass die Menschen, mit denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA tagtäglich konfrontiert sind, sehr häufig meist kompliziert und oft gewalterfahren sind. Es gibt hochproblematische Subkulturen und Hierarchien innerhalb der Gefangenenschaft. Der Anteil von psychisch auffälligen, ja kranken Menschen ist zunehmend hoch. Alle Bediensteten einer JVA brauchen daher auf der einen Seite ein hohes Maß an Toleranz und gleichzeitig ein großes Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen.

Dann kommt noch ein Drittes hinzu: Die JVA ist ein hinter hohen Mauern versteckter, geradezu verdrängter Ort. Wenn es überhaupt Nachrichten aus Gefängnissen gibt, sind es in der Regel schlechte: über Ausbrüche, Gewalt oder Suizide. Eine positive Konnotation gibt es nicht. Gleichzeitig ist der „Knast“ Objekt von vielen Fehlvorstellungen und von Projektionen in der Gesellschaft. Dieses Stigma färbt ab auf die Menschen, die beruflich in diesem Feld unterwegs sind. Das böse Wort vom „Schließer“ bringt das Problem auf den Punkt.

Für mich steckt hinter dem Wort „Personalbedarfsanalyse“ unter Berücksichtigung dieser Umstände also nicht nur ein quantitatives Problem, sondern fast noch mehr ein qualitatives. Wie müssen Menschen unterwegs sein, sich in diesem denkbar problembehafteten und komplizierten Berufsfeld zu behaupten? Wie müssen sie ausgebildet sein? Was müssen wir ihnen vonseiten der Politik mitgeben, damit sie die ihnen aufgebürdeten Anforderungen auch wirklich erfüllen können, ohne selber Schaden zu nehmen? Dass es in diesem Bereich Defizite gibt, belegen nicht zuletzt die hohen Krankenstände bei den Bediensteten des Justizvollzuges. Die teilweise erschreckend hohen Überstundenzahlen tun ihr Übriges. Vielen Dank, Herr Kollege Weber, für die Anfrage, die Sie neulich gestellt haben, durch die das noch einmal ganz deutlich wurde.

Die Gewährleistung zahlenmäßig ausreichenden Personals in unseren Haftanstalten ist daher unabdingbar. Eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die anspruchsvolle Arbeit in einem modernen Gefängnis, eine Imagekampagne für den humanen Strafvollzug und für die in diesem Berufsfeld tätigen Menschen sollte nach unserer Vorstellung hinzukommen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Oliver Kumbartzky [FDP])

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Kay Richert.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Eine unabhängige Personalbedarfsanalyse für den Justizvollzug wurde von den Freien Demokraten bereits in der letzten Wahlperiode beantragt. Herr Weber, Sie hatten das bereits erwähnt. Ich freue mich, dass diese nunmehr auf den Weg gebracht wird; denn besser spät als nie. Ich freue mich auch ausdrücklich darüber, dass auch die SPD ihre konstruktive Unterstützung zugesagt hat.

Hintergrund für die Notwendigkeit der Personalbedarfsanalyse ist auch das neue Strafvollzugsgesetz, das Herr Peters gerade ausführlich beschrieben hat und das in der letzten Wahlperiode verabschiedet wurde. Der Justizvollzug, der vorher bundesrechtlich geregelt war, wurde durch dieses Gesetz erstmals landesrechtlich normiert. Geregelt wurde in diesem Gesetz eine Vielzahl von Maßnahmen, die im Grundsatz auch von meiner Fraktion begrüßt

(Burkhard Peters)

worden sind. Ich denke hier zum Beispiel an den familienorientierten Vollzug.