Protokoll der Sitzung vom 22.03.2018

Wir schaffen hier in Schleswig-Holstein ein modernes Teilhaberecht auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir bringen heute ein Gesetz auf den Weg, das in sehr enger und konstruktiver Abstimmung mit den Interessenvertretungen erarbeitet worden ist. Diese zeitintensive Abstimmung hat sich gelohnt. Die Wochen nach der Anhörung waren wichtig für alle Beteiligten.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies zeigt eines: Den regierenden Fraktionen ist es ernst mit der Teilhabe und den Anliegen der Menschen mit Behinderung. Die Anhörung im Februar hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass wir beim Gesetzentwurf noch nachbessern müssen und dass wir den Grundgedanken des Gesetzes im Sinne der Menschen mit Behinderung verbessern müssen. Wir haben alle Anregungen, Wünsche und Forderungen noch einmal umfassend beraten und standen bis kurz vor Schluss im Austausch mit den Interessenverbänden und dem Landesbeauftragten Dr. Ulrich Hase.

Zentrale Punkte möchte ich herausstellen.

Erstens. Mit dem 1. Teilhabestärkungsgesetz wird bereits in diesem Jahr eine Arbeitsgemeinschaft errichtet, in der Vertreter des Sozialministeriums, der kommunalen Landesverbände, der Wohlfahrtsverbände sowie der Verbände für Menschen mit Behinderung vertreten sein werden. Sie wird die Ausarbeitung der Landesrahmenverträge begleiten. Die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft haben wir nochmals gestärkt, indem erstens diese bereits bei den Beratungen und Beschlüssen des Steuerungskreises frühzeitig zu beteiligen ist und zweitens die Arbeitsgemeinschaft Initiativen an den Steuerungskreis richten kann.

Wir werden zudem als eine weitere Änderung deren Rolle dadurch verdeutlichen, dass die Arbeitsgemeinschaft dem Steuerungskreis vorangestellt wird. Warum? Der Steuerungskreis und die Arbeitsgemeinschaft müssen ineinander wirken können. Denn die Verzahnung der beiden Gremien halten wir für sehr wichtig. Das ist eine deutliche Aussage und ein Zeichen der Gewichtung.

Unser Ziel ist, die Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderung in der Eingliederungshilfe zu stärken und ihren Belangen auch bei der Ausführung des SGB IX durch die Träger der Eingliederungshilfe Gehör zu geben.

(Beifall CDU, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Drittens. Zwei weitere zentrale Forderungen waren zum einen, Menschen mit Behinderung eine stärkere Stimme zu geben, und zum anderen, deren Interessenvertretungen ein stärkeres Mitspracherecht zu verleihen. Auch das haben wir umgesetzt. Es wird einen Landesbeirat für Menschen mit Behinderung geben. Dieser wird bei der Erarbeitung der Rahmenverträge mit den Interessenvertretungen mitwirken.

(Werner Kalinka)

Diese gesetzliche Neuregelung wird in § 14 des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes Berücksichtigung finden. Auch hier ist uns wichtig, dass bei der Entsendung der Vertreterinnen und Vertreter die Verbändevielfalt berücksichtigt wird.

Die vollständige Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes wird insgesamt betrachtet in mehreren Schritten erfolgen, die spätestens bis zum Jahr 2020 erarbeitet werden müssen. Erste Rahmenbedingungen haben wir heute hier geschaffen.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Mit der heutigen Verabschiedung bringen wir ein Gesetz auf den Weg, das einen weiteren wichtigen Schritt für die Stärkung von Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein bedeutet. Für uns ist es dabei selbstverständlich, dass die Menschen mit Behinderung auch weiterhin in die Gestaltung einbezogen werden. Wir setzen auch zukünftig auf den vertrauensvollen Austausch mit dem Landesbeauftragten Dr. Uli Hase und den Interessenvertretungen.

Um dem Mehraufwand beim Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung infolge des Bundesteilhabegesetzes und der Umsetzung im Land Rechnung zu tragen, wird im Haushaltsvollzug eine entsprechende Stelle umgesetzt werden.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede.

Ich komme zum Schluss. - Herzlichen Dank all denen, die bei der Gestaltung dieses Gesetzes mitgewirkt haben; allen vorangestellt möchte ich unseren Sozialminister Dr. Heiner Garg nennen sowie auch den Staatssekretär Dr. Matthias Badenhop sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Frau Abgeordnete, ich denke, das war jetzt der letzte Satz.

Ein letzter Satz: Mit der Verabschiedung des 1. Teilhabestärkungsgesetzes kann nun die eigentliche Arbeit beginnen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesteilhabegesetz ist eine der größten sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre. Mit dem Bundesteilhabegesetz wird die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt. Die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung soll dadurch umfassend gestärkt werden. Menschen mit Behinderung sollen in ihrem Leben mehr selbst bestimmen und besser am Arbeitsleben teilhaben können. Dies muss jetzt in Ausführungsgesetzen auch in Schleswig-Holstein umgesetzt werden.

In einem eiligen Verfahren, das nicht den Anforderungen auf umfassende Teilhabe gerecht geworden ist, liegt uns heute ein 1. Teilhabestärkungsgesetz vor. Der Kollege Kalinka hat die Anhörung im Sozialausschuss geschildert. Jeder von den Verbänden mit Ausnahme der kommunalen Spitzenverbände hat deutlich gemacht, wie unzureichend die Erarbeitung des Gesetzentwurfs durch die Landesregierung in der Zusammenarbeit mit den Verbänden gewesen ist.

(Beifall SPD)

Die Jamaika-Koalition hat gegenüber dem Entwurf der Landesregierung nach einer sehr beeindruckenden Anhörung im Sozialausschuss noch einige Punkte überarbeitet. Unsere Kritikpunkte an dem Entwurf der Landesregierung und auch an dem überarbeiteten Entwurf der Jamaika-Fraktionen bleiben jedoch bestehen. Sie haben den historischen Moment zur Verbesserung der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein nicht genutzt.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Darum bleiben wir auch bei unseren Änderungsvorschlägen zum Gesetzentwurf der Landesregierung, die wir heute noch einmal im Schleswig-Holsteinischen Landtag zur Abstimmung stellen. Dabei sind uns drei Punkte besonders wichtig:

(Andrea Tschacher)

Erstens: Wir wollen die Verantwortung des Landes, sich für einheitliche Lebensbedingungen in ganz Schleswig-Holstein einzusetzen, stärken. Es muss für die Zukunft sichergestellt werden, dass Eingliederungshilfeleistungen nicht davon abhängen, in welcher Region oder Kommune der Mensch mit Behinderung in Schleswig-Holstein lebt.

(Beifall SPD)

Zukünftig dürfen Eingliederungshilfeleistungen nicht von der Postleitzahl des Antragstellers abhängig sein.

Zweitens: Wir wollen in allen Bereichen der Umsetzung des Teilhabestärkungsgesetzes Menschen mit Behinderung aktiv beteiligen. Das gilt sowohl für den Steuerungskreis wie auch für die Arbeitsgemeinschaft. Die Arbeitsgemeinschaft sollte aktiv in die Entwicklung des Instruments der Bedarfsermittlung und in die landeseinheitliche Aufgabenwahrnehmung in der Eingliederungshilfe einbezogen werden. Konnten Betroffene schon nicht an der Erarbeitung des vorliegenden 1. Teilhabestärkungsgesetzes deutlich und kritisch mitwirken, so müssen sie doch jetzt, wenn es um die konkrete Ausgestaltung geht, deutlich ihre Anforderungen, Ideen und Anregungen einbringen können.

(Beifall SPD)

Hier gilt für uns nach wie vor die Leitlinie: Nicht über uns ohne uns.

Drittens: Das 1. Teilhabestärkungsgesetz wäre eine hervorragende Gelegenheit gewesen, die bislang nicht existierende rechtliche Verpflichtung für Kreise und Kommunen, kommunale Beauftragte und kommunale Beiräte für Menschen mit Behinderung einzurichten, einzuführen. Wenn die Verantwortung für die Trägerschaft der Eingliederungshilfe insgesamt kommunalisiert wird, dann muss auch zwingend auf kommunaler Ebene Teilhabe von Menschen mit Behinderung sichergestellt werden.

(Beifall SPD)

Dies ist auch eine alte Forderung des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, der die Bestellung von kommunalen Beauftragten beziehungsweise Beiräten in der Kreis- und Gemeindeordnung fordert.

Diese Punkte haben wir versucht, in unserem Antrag zum Gesetzentwurf der Landesregierung aufzugreifen. Wir sind nach wie vor überzeugt, dass es wichtig und richtig ist, Menschen mit Behinderung

umfassend bei der Regelung ihrer Angelegenheiten zu beteiligen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es reicht nicht aus, dass mit dem Teilhabestärkungsgesetz die Grundlagen für die Trägerschaft der Eingliederungshilfe gelegt werden, sondern es müssen auch die Verantwortlichkeit, die Rechte und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung geregelt werden. Es ist bedauerlich, dass aus der umfassenden und beeindruckenden Anhörung kaum etwas gelernt wurde. Andere Bundesländer haben uns einiges voraus und schaffen es viel besser, die Partizipation von Menschen mit Behinderung zu verwirklichen.

Wir müssen nun abwarten und darauf vertrauen, dass die Erarbeitung der Landesrahmenverträge und die Sicherstellung bedarfsgerechter Angebotsstrukturen in Schleswig-Holstein im Sinne der Teilhabestärkung, und zwar landeseinheitlich, geschieht. Das bedeutet, dass wir die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung aktiv verringern müssen. Dazu gehört eine Umsetzung des Budgets für Arbeit, sodass es in allen Teilen Schleswig-Holsteins wirksam umgesetzt werden kann. Es bedeutet aber auch, dass Menschen mit Behinderung leichter eine Ausbildungssituation vorfinden, die ihren persönlichen Qualifikationen entspricht. Denn Menschen mit Behinderung wollen Teilhabe und Partizipation; Menschen mit Behinderung wollen gleiche Rechte. Auch für Schleswig-Holstein gilt daher: „Schaut in die Sterne, nicht auf eure Füße!“ Das ist ein Ausspruch von einem großen Menschen mit Behinderung, der vor Kurzem gestorben ist.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teilhabe ist ein Menschenrecht - und das nicht erst seit der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Konvention markiert einen Meilenstein, einen völligen Wechsel von der Politik, in der über Menschen mit Behinderung gesprochen worden ist, hin zu einer neuen Art von Politik für und mit Menschen mit Behinderung. Da sind wir alle beieinander, das eint uns in der Jamaika-Koalition; ich habe den Eindruck, das eint uns insgesamt in diesem Parlament.

(Wolfgang Baasch)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesteilhabegesetz - das ist kein Geheimnis - bildet die Grundlage für das, was wir jetzt in den Ländern in den Ausführungsgesetzen auf die Landesebene herunterziehen. Ich sage ganz deutlich: Ich hätte mir ein anderes Bundesteilhabegesetz gewünscht. Das ist bekannt. Wir Grüne haben bei Nachbesserungen mitgewirkt, manchmal an der Seite von Kolleginnen und Kollegen, manchmal sehr allein. Wir haben deswegen im Bundesrat nicht zugestimmt. Trotzdem sind wir Grüne auf Landesebene in der Verantwortung und versuchen, gemeinsam mit den Jamaika-Partnern das Beste daraus zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einem Gesetz, wo Teilhabe draufsteht, muss auch Teilhabe drin sein. Das haben uns Menschen mit Behinderung und ihre Interessenvertretungen in der Anhörung ganz deutlich gesagt. Ich habe schon in einigen Anhörungen gesessen, aber diese Anhörung war eindrucksvoll, auch wenn die Kritik sehr freundlich und höflich formuliert war.

Es muss mehr Teilhabe drin sein. Das haben wir von den regierungstragenden Fraktionen sehr ernst genommen. Wir haben uns alles noch einmal Satz für Satz angeguckt, wir haben die ganzen Unterlagen noch einmal durchgearbeitet. Ich finde, wir haben heute mit dem Änderungsantrag, den wir im Sozialausschuss besprochen haben, einen guten Weg gefunden, unser Ziel für mehr Teilhabe für und mit Menschen mit Behinderung zu erreichen.