Protokoll der Sitzung vom 05.07.2018

Ich bin sehr erschreckt, wenn ich Nachrichtensendungen sehe, in denen inzwischen lakonisch über die ertrunkenen Menschen im Mittelmeer gespro

chen wird, als seien das Börsenkurse, und bei denen man anfängt, sich daran zu gewöhnen, dass das so ist. Wir haben ernsthafte Debatten darüber, ob es sich jetzt um private Boote handelt oder um andere.

Das Sprichwort passt nicht; und es wäre unangemessen, davon zu reden, dass das Kind insoweit schon in den Brunnen gefallen ist. Deswegen will ich dieses Sprichwort nun auch nicht verwenden. Aber wenn die Menschen schon auf dem Meer sind, dann ist die Seenotrettung erste Bürgerpflicht, ja Menschenpflicht, und zwar unabhängig davon, ob wir mit den Schleppern das richtig finden oder nicht.

(Beifall SPD)

Das überhaupt zu diskutieren, ist wirklich daneben. Ich habe absolut nichts dafür übrig, dass Schlepper ihre Profite und ihr Geld damit machen, dass sie Leute in Lebensgefahr bringen. Mir gefällt auch nicht, dass sich manchmal Menschen auf die Flucht machen, die das Geld haben, um das zu finanzieren, und andere nicht. Das sind alles Dinge, die einem nicht gefallen können. Deswegen sind ja solche Resettlement-Programme und solche Aufnahmeprogramme genau der richtige Weg, damit das gefahrlos passiert.

Aber egal wie man über die Frage denkt, dass wir es zulassen, dass das Mittelmeer ein riesiger Friedhof ist - das wird es zunehmend an bestimmten Stellen -, ist etwas, was uns empören muss. Das ist etwas, wo man, egal, wie die Dinge sind, immer sagen muss: Das müssen wir in jedem Fall verhindern. Da darf man nicht zur Tagesordnung übergehen.

Übrigens: Wie schlecht muss es den Menschen, die sich dem aussetzen, eigentlich gehen, dass sie das für sich und ihre Kinder machen? Ich meine, man versetze sich einmal gedanklich in die Situation, dass man als Vater oder als Mutter oder als Großvater oder Großmutter in Kauf nimmt, sich in eine solche Gefahr zu begeben, und führe sich den Zynismus vor Augen, der gerade von solchen Leuten mit solchen Bildern betrieben wird, oder denke an die schrecklichen Sprüche, die wir vom italienischen Innenminister gehört haben, der in dem Zusammenhang von „Menschenfleisch“ gesprochen hat. Dass ein Regierungsmitglied in einem europäischen Land so etwas sagt, ist doch eine Schande sondergleichen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

(Lars Harms)

Deswegen muss ich sagen, dieser Punkt muss uns weiterhin aufregen. Übrigens ist es völlig schnurz, um welche Zahl es geht. Jeder Mensch, dem wir dadurch auf einem sicheren Weg Fluchtmöglichkeiten eröffnen, ist es wert, dass wir das tun, und es ist ein Mittel gegen das, was wir hier zu Recht zu beklagen haben.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Es gibt einen weiteren Dreiminutenbeitrag. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Nobis.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um ein bisschen zur Versachlichung der Debatte beizutragen, möchte ich Sie doch einmal fragen: Wie viele Resettlement-Programme wollen Sie denn auflegen, um Afrika zu helfen? Sagen Sie mir das doch einmal. Wir haben jetzt etwas über 1,2 Milliarden Afrikaner. Nach mittlerer UNPrognose werden wir im Jahre 2100, in 82 Jahren, mehr als 4,4 Milliarden Afrikaner haben. Das entspricht einem Zuwachs von über 104.000 Menschen pro Tag. Und da wollen Sie 500 Menschen aufnehmen? Afrika wird dadurch nicht geholfen, meine Damen und Herren.

(Barbara Ostmeier [CDU]: Von den 500 ist es jeder Einzelne wert!)

- Ja, aber wir haben Hunderte von Millionen Menschen. Sie können es selbst in der Schweizer Presse nachlesen. Hunderte von Millionen Menschen südlich der Subsahara sitzen auf gepackten Koffern und würden lieber heute als morgen ausreisen, wenn sie die Möglichkeit hätten. Und in Asien gibt es diese Menschen auch. Ziehen Sie den Kopf aus dem Sand. Wir werden Afrika so nicht helfen. Wir müssen vor Ort helfen, aber nicht, indem wir alle Menschen aufnehmen und den deutschen Sozialstaat bis nach Kapstadt ausweiten. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Nobis, es fällt mir unheimlich schwer,

jetzt darauf noch zu antworten. Eigentlich war ich kurz davor zu sagen, ich lasse es sein. Aber wenn hier jemand sagt, der Sozialstaat Deutschland wird bis nach Kapstadt ausgeweitet, dann weiß man, wes Geistes Kind Sie sind. Wenn Sie gestern behauptet haben, dass diese Schlauchboote Wassertaxis seien,

(Jörg Nobis [AfD]: Nicht die Schlauchboote, die Schlepperboote!)

die irgendwelche Menschen hierherbringen, wissen Sie was, dann stimmt es, dass von Ihnen behauptet wird, dass Sie ein Menschenfeind sind; dann stimmt genau das.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Es geht hier um Menschen, um Menschen, die in Not sind, denen muss man helfen. Es ist christliche Menschenpflicht, es ist islamische Menschenpflicht, es ist die Pflicht eines jeden Menschen, dass man jemandem beisteht, der im Leben bedroht ist. Es ist gerade auch unsere Aufgabe als Menschen, die es gut haben, die in einem wunderbaren Staat leben, die in einem sicheren Staat und reichen Staat leben, hier mit gutem Beispiel voranzugehen und den Menschen zu helfen. Wir als Schleswig-Holsteiner tun das. Ich finde es klasse, dass die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt hat, 500 Leute extra aufzunehmen. Das ist unser kleiner Beitrag. Aber es ist ein kleiner Beitrag, der 500 Menschen das Leben rettet, und das ist für mich wichtig.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Herr Präsident, vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nobis, eigentlich war alles gesagt. Wenn Sie uns zugehört hätten, dann hätten Sie sich zu solchen merkwürdigen, ich möchte sagen, dümmlichen Thesen nicht verleiten lassen.

(Jörg Nobis [AfD]: Das sind Fakten, Herr Rossa!)

- Das sind keine Fakten. Sie müssen uns zuhören, wenn wir sagen, was wir hier planen, was Gegenstand unseres Antrags ist.

(Jörg Nobis [AfD]: Das haben wir gehört!)

(Dr. Ralf Stegner)

- Herr Nobis, wenn Sie mir eine Frage stellen wollen, dann tun Sie das. Gegenstand unseres Antrags ist eben nicht, dass wir die Flüchtlingsursachen in Afrika bekämpfen wollen. Darum geht es hier nicht. Hier geht es darum, dass Menschen, die in humanitärer Notlage sind, gerettet werden müssen und zwar völlig unabhängig davon, wo das passiert und warum das passiert, darum geht es bei diesem Landesprogramm nicht. Das müssen Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen.

Vor dem Hintergrund erweisen sich Ihre Ausführungen wirklich als bloßer Populismus, der der Sache nicht dient. Sie haben auch gar keine Lösung; denn was hätte denn Ihr Vorschlag zur Folge: Dass wir hier nichts tun? Diese Menschen würden dann sterben. Sie spielen mit Menschenleben, und das werfen Ihnen Herr Harms und der Rest dieses Plenums zu Recht vor. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, Hans-Joachim Grote.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Nobis, Afrika soll mit Resettlement nicht geholfen werden. Es soll Menschen damit geholfen werden. Es geht um Menschen, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wissen Sie, mich hat in den letzten Tagen und Wochen sehr gestört, dass Flüchtlinge abstrakt als Menge dargestellt werden, und ich habe fast das Gefühl - entschuldigen Sie, wenn ich das sage -, für manche werden Flüchtlinge zur Sache. Flüchtlinge sind Menschen. Sie haben einen Namen, und sie haben Freunde. Wir in Schleswig-Holstein sprechen bewusst nicht von einer anonymen Menge Flüchtlinge. Ich finde das richtig, denn diese haben Namen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Diese Diskussionen der letzten Wochen haben doch eines bewirkt - das zeigen uns auch die Berichte jeden Tag in den Nachrichten -: Sie haben für Ver

wirrung und für Irritationen gesorgt, aber mit Sicherheit nicht für Aufklärung.

Wenn wir von einer Grenze sprechen, dann denken alle, die einzige deutsche Grenze, die es gibt, ist an drei Standorten in Bayern. Aber auch wir in Schleswig-Holstein haben eine Bundesgrenze. Das ist hier schon wiederholt gesagt worden; auch Herr Harms hat das gesagt. Auch da gibt es Situationen, die bei uns gelöst werden, indem wir uns dieser Sachen annehmen.

Ich finde, der vorliegende Antrag ist ein riesiges, ein wirklich starkes Signal. Dieses Haus - ich glaube einfach, dass eine große Mehrheit dieses Hauses dies auch tragen wird - setzt ein großes, starkes Zeichen. Wir in Schleswig-Holstein können wirklich sehr stolz darauf sein, wie unser System auch in Zeiten eines großen Drucks und großer Anspannung funktioniert - unaufgeregt, sachlich, menschlich. Wir haben in diesem Land Haltung bewahrt und standen zu unseren Grundsätzen und Verpflichtungen. Das ist eine Entwicklung, die wir über Jahre aufgebaut haben. Ich finde es toll, dass wir dieses jetzt machen und auch weiterhin machen werden.

Was das Landesaufnahmeprogramm für 500 besonders betroffene Menschen angeht, so ist es - wir haben es vorhin gehört - verdammt nicht leicht, diese 500 Menschen auszuwählen, die Entscheidung zu treffen, diese Frau und dieses Kind können wir mitnehmen, und andere dürfen wir nicht mitnehmen. Ich halte das für die schwierigste und anerkennenswerteste Aufgabe, die das UNHCR zu übernehmen bereit ist.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Baden-Württemberg hat einmal versucht, selber ein solches Programm aufzulegen und Menschen auszuwählen. Sie sind wirklich fast daran zerbrochen. Sie haben gesagt, wir fahren dahin und müssen vor Ort eine Entscheidung treffen. Das ist aus der Ferne sehr leicht zu beurteilen.

Meine Damen und Herren, die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, beträgt 68,5 Millionen. Daraus eine so kleine Zahl auszuwählen, ist im Grunde sehr schwierig. Von daher sollten wir uns damit nicht schmücken, sondern es ist ein bescheidener Beitrag, den ein so reiches, wohlsituiertes Land wie die Bundesrepublik Deutschland leistet. In Vorgesprächen hat uns das UNHCR vorrangig den afrikanischen Kontinent als Aufnahmeregion für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge empfohlen. Es gibt darüber hinaus noch viele Orte auf dieser Welt, wo die Zustände ähnlich sind. Wir

(Jan Marcus Rossa)

wollen aber dieser Empfehlung folgen, weil bei dem UNHCR bekannt ist, wo man ein solches Programm als Erstes auf den Wege bringen sollte. Wir hatten zuletzt 20.000 syrischen Staatsangehörigen auf diesem Weg die Möglichkeit geboten.

Meine Damen und Herren, zu den humanitären Aufenthaltsprogrammen gehört in Deutschland seit 2012 nun auch dieses offizielle Format Resettlement, also die Neuansiedlung von Flüchtlingen in einem strukturierten Verfahren unter der Ägide des UNHCR. Resettlement soll die dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten ermöglichen. Es werden in der Regel solche Personen ausgewählt, denen ein dauerhafter Verbleib in ihrem jetzigen Zufluchtsland nicht mehr zumutbar ist. Da spielen unterschiedliche Aspekte eine Rolle. Diese Menschen können vor allem auch nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren.

Im Rahmen unserer humanitären Aufnahmeverfahren hingegen - so ist die Abgrenzung - sollen Betroffene grundsätzlich für die Dauer eines akuten Konflikts aufgenommen werden. Endet dieser Konflikt, soll in der Regel eine Rückkehr stattfinden. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Nach fünf Jahren besteht sogar ein Rechtsanspruch, dass die Menschen hierbleiben dürfen. Insofern sollte man nicht mit temporären Bleiberechten, die sowieso verlängert werden, die Menschen fünf Jahre lang in Unsicherheit lassen. Diese Menschen haben genug hinter sich. Wir sollten wirklich bereit sein, unseren kleinen Beitrag zu leisten. Wir sprechen nicht über ganz Afrika, sondern über 500 Menschen. Diesen sollten wir ein Maß an Sicherheit geben, denn je sicherer sie sind, umso eher werden sie sich in unsere Gesellschaft integrieren, Freunde finden und hier arbeiten.

Meine Damen und Herren, auf Bundesebene sind bereits bestimmte Steuerungsmaßnahmen ergriffen worden. Wir haben damals nach der Beschlussfassung in der Koalition diese 500 Menschen bereits dem Bund mitgeteilt. Wir haben gute Chancen, dass wir für diese im Gesamtpaket der 10.200 Menschen, die nach Deutschland kommen, eine EUFörderung bekommen, so dass wir dann pro Person 10.000 € bekämen. Es ist also nicht nur eine humanitäre Leistung, sondern wir bekommen möglicherweise im Gesamtpaket eine Förderung. Insofern sollten wir wirklich beim gesamten Verfahren eng an das Verfahren der Bundesregierung beziehungsweise der Bundesrepublik, an die Gesamtkonzeption Deutschlands und der EU, die Empfehlungen des UNHCR sowie die Kooperationserfordernisse mit dem Bund anknüpfen.