Protokoll der Sitzung vom 07.11.2018

b) Bericht über barrierefreie Informationen zur Kommunalwahl

Bericht der Landesregierung Drucksache 19/1002

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Ich eröffne somit die Aussprache. Der Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, HansJoachim Grote, hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ludwig Wittgenstein wird das Zitat zugeschrieben:

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

Wofür man keine Worte hat, das lässt sich nicht beschreiben und nicht denken, und umgekehrt ist einem nur das zugänglich, was in solche Worte gefasst ist, die man persönlich auch begreifen kann.

Wir befassen uns heute mit zwei Anträgen, die im Kern um genau dieses Phänomen kreisen: Verständlichkeit von Amtssprache. Was für die einen die alltägliche Arbeitskommunikation ist, lässt andere höchst irritiert zurück. Im Unterschied zur alltäglichen Kommunikation geht es beispielsweise bei Behördenschreiben häufig darum, bestimmte rechtliche Handlungen zu vollziehen, etwas zu genehmigen, zu verbieten oder mit Hilfe des Rechts eine bestimmte Handlung zu verlangen - und zwar rechtssicher. Der Begriff „rechtssicher“ ist eigentlich der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Amtssprache.

Natürlich müssen Landesbedienstete mit Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren. Es ist sogar durch den Landesgesetzgeber geregelt, wie sie das tun sollen - nämlich eigentlich verständlich. Ver

waltungsakte sind demnach mit einer Erläuterung zu versehen. Darin muss die Behörde die Gründe für ihre Entscheidung darlegen und den Empfänger des Bescheides über seine Rechte informieren. Offenkundig gelingt dies nicht immer - da sind wir uns, glaube ich, alle einig -, denn Menschen beschweren sich immer wieder, dass sie Bescheide, die sie erhalten, nicht verstehen. Manche lassen diese einfach liegen. Das müssen wir ernst nehmen.

Bürgernähe und Kundenorientierung sind zwar in der Verwaltungsausbildung in Schleswig-Holstein seit Jahren feste Bestandteile der Lehrpläne; aber möglicherweise könnten auch Checklisten und interne Leitfäden helfen, Schreiben verständlicher zu formulieren. Ein gutes Praxisbeispiel hat Wiesbaden herausgegeben: die „Leitsätze für eine bürgerfreundliche Verwaltungssprache“. Ich bin gern bereit, mit den kommunalen Landesverbänden zu besprechen, ob so etwas auch bei uns sinnvoll wäre.

Bürgerinnen und Bürger müssen Amtshandeln und Amtssprache verstehen. Das ist ihr Recht. Bei der Informationsvermittlung rund um Wahlen ist es sogar gesetzlich zwingend vorgeschrieben, barrierefreie Informationen zu verwenden, genauso wie barrierefreie Zugänge zu einem öffentlichen Gebäude heute baurechtlich Standard sind. Allerdings haben die insgesamt sehr negativen Erfahrungen zur Landtagswahl 2017 gezeigt, dass barrierefreie Informationen als ausschließliches Angebot eher irritieren. Deshalb hat der Landtag - zunächst nur für die Kommunalwahl - die neuen Möglichkeiten dazu vorgegeben: Statt alle amtlichen Dokumente barrierefrei anzubieten, hat man sich auf ein umfassendes Internetangebot verständigt. Die konzeptionelle Entwicklung und die praktische Umsetzung wurden vom Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung intensiv begleitet. Voraussetzung dafür war die Änderung der Gemeinde- und Kreiswahlordnung. Nun enthält die neue Wahlbenachrichtigung, wie vom Gesetz vorgesehen, einen deutlichen Hinweis in Leichter Sprache auf das barrierefreie Angebot und auf die Möglichkeit, eine Broschüre in Leichter Sprache anzufordern.

Der Internetauftritt des Landeswahlleiters wurde erneuert und überarbeitet. Nun ist der Bereich über die Kommunalwahl fast vollständig barrierefrei. Außerdem gibt es Hintergrundinformationen über Zusammenhänge und Abläufe der Kommunalwahl in Deutsch und elf weiteren Sprachen, unter anderem auf Friesisch und in Platt. Für Hörgeschädigte wurde diese Information in zwei Videoclips in deutscher Gebärdensprache verpackt. Dieses gute Internetangebot rund um das Thema Wahlen ver

(Vizepräsidentin Annabell Krämer)

bunden mit der offensiven Aussendung von Informationsheften hat eine positive Resonanz erzeugt und sicherlich auch zum besseren Verständnis der Kommunalwahl beigetragen. Damit sind ein Mehrwert und eine Brücke für viele Menschen geschaffen worden.

Meine Damen und Herren, dieses Verfahren soll um das Landtagswahlrecht wieder mit dem Kommunalwahlrecht in Einklang zu bringen - künftig auf die Landtagswahl übertragen werden. Wir wollen darüber hinaus zur Europawahl am 26. Mai 2019 ein entsprechendes Angebot als freiwillige Leistung des Landes anbieten. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Birte Pauls das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einiger Zeit bekam ich eine Nachricht, einen Anruf einer älteren Dame. Sie hatte einen Brief einer Behörde bekommen, und sie verstand die Aussage des Bescheids nicht. Sie war der deutschen Sprache mächtig. Die Dame hatte mit steigendem Alter zunehmend Schwierigkeiten, lange, verschachtelte, mit Paragrafen gespickte Sätze zu verstehen und fühlte sich dadurch verunsichert. Sie ist mit diesem Problem nicht allein.

Der Sozialverband Deutschland und unsere Bürgerbeauftragte Frau Samiah El Samadoni berichten über einen Anstieg an Beratung in reinen Verständnisfragen. An dieser Stelle nochmals herzlichen Glückwünsch zu 30 Jahre Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten. Es war gestern Abend eine beeindruckende Feier. Es war eine weise Entscheidung des damaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm, diese Funktion als Mittlerin zwischen Staat und Bürger einzurichten.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Es kann zu einer Entfremdung zwischen Staat und Bürgern kommen, wenn die eine Seite nicht versteht, was die andere Seite von ihr will. Sinn und Zweck eines Schreibens einer Verwaltung ist es meist, Menschen auf Veränderungen und Entwicklungen hinzuweisen, die sie ganz konkret und persönlich betreffen. In den Bescheiden wird über

Rechte und Pflichten informiert. Aber warum steht das dann nicht so in diesem Anschreiben drin? Statt für alle verständlich auf ihre Rechte hinzuweisen, benutzt man eher das einschüchternde Wort „Rechtsbehelfsbelehrung“. Oft erfordert ein Schreiben ein direktes Handeln des Adressaten.

Es kann weitreichende finanzielle oder organisatorische Konsequenzen für die Person haben, wenn behördliche Schreiben vom Adressaten nicht verstanden werden. Sprache hat eine große Wirkung. Sie wirkt direkt, aber auch indirekt. Sie kann Macht ausüben, sie kann einschüchtern, Ratlosigkeit und Unsicherheit auslösen - wie bei der alten Dame -, sie kann diskriminieren. Das ist aber nicht Sinn und Zweck einer Kommunikation zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern.

Aufklärung und Information in verständlicher Sprache nimmt Rücksicht auf die Unterschiedlichkeiten der Menschen: jung, alt, Menschen mit und ohne Schulabschluss, Menschen, die studieren, Menschen, die gar keine Ausbildung absolvieren, Menschen mit und ohne Einschränkung, Menschen, die schon immer hier gelebt haben, und Menschen, die neu zu uns gekommen sind, und Menschen mit ganz vielen Eigenschaften dazwischen. Letzten Endes sind diese Eigenschaften egal, denn jeder Mensch sollte das gleiche Recht haben, Dinge zu verstehen, die ihn unmittelbar betreffen. Warum also orientieren wir uns im Behördendeutsch meistens an denen, die mit Sätzen in ausgefeilter Sprache, lang verschachtelt, mit Paragrafen gespickt, keine Probleme haben?

Warum benutzen wir nicht einen kleinen gemeinsamen Nenner, eine klare verständliche und natürlich rechtssichere Sprache? Sie hat für alle Vorteile. Sie reduziert Nachfragen und damit Arbeitsbelastung. Sie ermöglicht ein bürgerfreundliches Kommunizieren. An dieser Stelle möchte ich den schönen Kreis Schleswig-Flensburg loben. Er hat sich im Juli 2017 das Ziel gesetzt, behördliche Schreiben zu vereinfachen. Als erste Behörde hat der Kreis eine Qualitätspartnerschaft mit capito Schleswig-Holstein geschlossen und Verwaltungsmitarbeitende schulen lassen. Eine Teilnehmerin dieser Schulung berichtete anschließend von überdurchschnittlichen Erfolgen der Schulung. Zitat: Plötzlich wussten die Leute offenbar, was wir von ihnen wollten. - Es kann also gehen. Ich ermuntere andere Kreise und Verwaltungen, es dem schönen Kreis SchleswigFlensburg gleichzutun.

Unsere Verwaltungen sind gut. Sie sind sehr gut. Christine Fuchsloch, die Präsidentin des Landessozialgerichts, hat das auf der gestrigen Veranstaltung

(Minister Hans-Joachim Grote)

unterstrichen. Wir wollen mit unserem Antrag die Verwaltung unterstützen und einer zunehmenden Entfremdung zwischen Staat und Bürgern entgegenwirken. Ich würde mich freuen, wenn diese Sensibilisierung schon in der Ausbildung anfangen kann. - Nun sind die Schüler eben leider rausgegangen.

Unser Vorschlag richtet sich also nicht nur an die Behörden, sondern auch an die Politik selbst. So kommt eine Studie der IDEMA Gesellschaft für verständliche Sprache Anfang 2017 zu dem Ergebnis, dass die Wahlprogramme aller Parteien für die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler nicht verständlich sein dürften. Auch da haben wir einen erheblichen Nachholbedarf.

Ich war eben ein bisschen verwirrt darüber, dass der Herr Minister schon gleich am Anfang auf beide Themenbereiche eingegangen ist. Ich habe jetzt keine Redezeit mehr. Es kann sein, dass ich mich noch einmal zu einem Dreiminutenbeitrag melde. - Danke schön.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor wir auf unserer Rednerliste fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags zum einen Mitglieder des Kulturkreises des Seniorenbeirates Bad Schwartau und zum anderen Besucher auf Einladung der FDP Pinneberg. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Claus Christian Claussen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst vielen Dank für den vorgelegten Bericht über die barrierefreie Information vor Kommunalwahlen.

Wir erinnern uns: Anlässlich der Landtagswahl 2017 war es bei der Übersendung der Wahlunterlagen in Leichter Sprache zu durchaus heftigen negativen Äußerungen in der Presse und in der Öffentlichkeit gekommen. Ich glaube, jeder von uns hat auch entsprechende Diskussionen in den Wahlkreisen geführt. Daher hatten wir nach der Wahl beschlossen, für die Kommunalwahl andere Wege zu gehen, um einerseits barrierefreie Informationen

zur Verfügung zu stellen, andererseits aber Unverständnis und Verärgerung über diese Information zu vermindern beziehungsweise auszuschließen. Es musste also ein Weg gefunden werden, um Menschen entsprechend ihrer Fähigkeiten Informationen zu Wahlen zugängig zu machen.

Diese Maßnahmen waren durchaus erfolgreich. Es wurden beispielsweise in Leichter Sprache Informationen zum reinen Wahlvorgang, zum Aufbau der kommunalen Vertretungen, Videos in Gebärdensprache oder Audiobeiträge geschaffen, und auch das Fremdsprachenangebot wurde erweitert. Mit all diesen Maßnahmen haben wir das Ziel einer barrierefreien Information erreichen können. Die Rückmeldungen waren positiv. Kritik gab es keine, und den Mitarbeitern vor Ort wurde die Arbeit erleichtert.

Es gibt sie also immer noch, positive Nachrichten aus Politik und Verwaltung, und ich erlaube mir den Hinweis: Seitdem Jamaika regiert, werden diese Hinweise zahlreicher.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Die Landesregierung hat in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Beauftragten für Menschen mit Behinderung einen guten Weg geschaffen, der uns auch für die Zukunft hilft. Folgerichtig empfiehlt das Ministerium, die entsprechenden Änderungen in das Landeswahlgesetz zu übernehmen. Ich denke, das wird einvernehmlich erfolgen können.

Den Antrag „Bürgerfreundliche und verständliche Sprache in der Verwaltung fördern“ - das ist ein langer Titel, aber es ist ja klar, was gemeint ist sollten wir zur weiteren Beratung an den Ausschuss überweisen. Ich glaube, dass niemand etwas gegen das formulierte Ziel hat, aber wir sollten genauer überlegen, wie wir dieses Ziel auch erreichen können, denn der Ausgangspunkt des Problems liegt ja nicht unbedingt bei dem einzelnen Mitarbeiter, der von dem Wunsch getrieben wird, sich möglichst unverständlich und bürgerfern auszudrücken. Vielmehr wird die Lebenswirklichkeit immer vielschichtiger, die Rechtslage wird immer komplexer und der Begründungsaufwand umfangreicher. Die Verwendung von Textbausteinen, Zitaten und deren Nachweis in einem Berg von Fußnoten, Musterbegründungen und kurz allem, was dem Benutzer das Leben erleichtern soll, scheint die Schwierigkeit aber gerade nicht zu beheben, sondern einfach auf den Adressaten abzuwälzen. Der Adressat sollte im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, wenn wir uns fragen, was verständliche Sprache eigentlich ist.

(Birte Pauls)

Ich habe versucht, ein paar Beispiele zu finden: „Spontanvegetation hinter nicht lebender Einfriedung“. Das ist Unkraut hinter dem Zaun. Schön fand ich auch: „Dreiseitenkipper“ für eine Schubkarre. „Raumübergreifendes Großgrün“ könnte ein Baum sein, und eine „forstwirtschaftliche Nutzfläche mit Wildtierbestand“ ist schlicht ein Wald mit Tieren. Aber im Ernst: Wenn wir uns mit diesem Thema befassen, sollten wir durchaus auch auf unsere Arbeit schauen und uns selbstkritisch fragen, ob wir uns verständlich ausdrücken. Daran habe ich gewissen Zweifel, wenn wir beispielsweise davon sprechen, dass wir einen Wolf der Natur entnehmen oder einen Wildschweinbestand auf null setzen wollen.

Sprache ist das entscheidende Mittel, ob und wie Menschen nicht nur Verwaltungen, sondern auch Politik wahrnehmen. Vielleicht bekommen wir noch weitere gute Ideen, wie wir die Verständigung in unserer Gesellschaft insgesamt verbessern können. Derzeit ist der Trend leider dahin gehend, dass mehr geschrien und weniger zugehört wird, und das verschärft die Probleme und löst sie nicht.

(Vereinzelter Beifall CDU und AfD)

Also kurz und verständlich: Es lohnt sich, dass wir uns mit der Sprache in Politik und Verwaltung mehr und intensiver im Ausschuss befassen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zum Antrag der SPD: Ich begrüße ihn ausdrücklich und halte es für dringend notwendig, dass wir uns mit der Frage einer verständlicheren Verwaltungssprache befassen. Das sage ich ausdrücklich auch in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt. Ich verstehe das Kauderwelsch, das manchmal auf meinen Schreibtisch kommt, auch nicht.