Protokoll der Sitzung vom 24.01.2019

Diese sogenannte Beschäftigungsduldung soll jetzt in ein separates Gesetz überführt werden. - Die CDU im Bundestag hat auch dagegen polemisiert. Schauen Sie sich einmal an, was die Kollegen dort sagen. Der Teil Beschäftigungsduldung wurde extra aus dem Gesetz herausgenommen. Es war nicht mehrheitsfähig. Das war nämlich genau der heikle Punkt, Kollege Kilian. Wir halten diese Politik der Bundesregierung für einen Irrweg, denn sie fördert Anreize für weitere illegale Zuwanderung. Das brauchen wir nicht.

(Beifall AfD)

Was wir brauchen, hat der Minister deutlich ausgeführt. Da sind wir ganz klar auf seiner Seite. Ich sage das gern noch einmal ganz klar in Ihre Richtung, weil Sie das auch angesprochen haben. Auch die AfD befürwortet die Anwerbung von qualifizierten

(Volker Schnurrbusch)

Arbeitskräften aus anderen Ländern. Das ist völlig unstrittig. Das stand schon in unserem allerersten Wahlprogramm von 2013. Dazu stehen wir immer noch. Da haben Sie uns an Ihrer Seite, auch wenn Sie das vielleicht nicht wollen. Fachlich, inhaltlich sind wir da ganz bei Ihnen. Von daher vielen Dank für Ihre Initiative.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Fachkräftemangel äußerst sich nicht erst in freien Stellen, sondern schon in den Betrieben selbst in Form von Überstunden und durch Qualitätseinbußen. So hatte ich bei meinem letzten Besuch der Flensburger Werft ein Werkstück mit einer völlig verkorksten Schweißnaht in der Hand. So etwas muss man wirklich einmal gesehen haben. Das war keine Naht, das war eine dicke Wulst, nur aufgebackenes Schweißmaterial, ohne dass jemals ein Schweißband darunter gewesen ist, wo das Metall zusammenfließt. Die Qualitätskontrolle hat das schlecht gemachte Stück moniert. Es musste komplett herausgetrennt und ein neues Teil verschweißt werden.

Das Stück war von einem Beschäftigten einer Werksvertragsfirma geschweißt worden. Die Firma ist für bestimmte Fertigungsabschnitte angeheuert und soll die Stammbelegschaft unterstützen. Wenn aber die entsprechende Ausbildung und Erfahrung der Leiharbeiter fehlt, muss nachgearbeitet werden, und Termine geraten ins Rutschen. So mussten allein beim letzten Neubau sehr viele Meter Schweißnaht noch einmal geschweißt werden. Hier zeigt sich: Fachkräftemangel lässt sich nicht allein mit Geld oder Beratung beheben.

Der Wirtschaftsminister formuliert auf seiner Homepage das Handlungsfeld 4, Fachkräftebindung stärken. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich:

„Zukünftig wird es für die Unternehmen in einem noch stärkeren Maße darum gehen, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und an einen Betrieb zu binden.“

Wenn es aber Werksfirmen gibt, die zu Mindestlohn hochqualifizierte Arbeit versprechen, und gleichzeitig die Stammbelegschaft in der gesamten deutschen Werftindustrie schrumpft, kann von Bindung

keine Rede sein. Im Gegenteil, die gut Qualifizierten sehen sich bei steigenden Arbeitsbelastungen nach besseren Arbeitsbedingungen in anderen Betrieben um. Wen soll man da beraten? Die Betriebe, die ihre Beschäftigten offensichtlich gar nicht binden wollen? Oder die Beschäftigten, die die Konkurrenz durch Billigheimer jeden Tag ausbaden müssen? - So viel Ehrlichkeit muss sein.

Die Politik kann die Wirtschaft ermutigen, ermahnen oder auch einmal belohnen. Die Aus- und Weiterbildung und die Wertschätzung der Fachkräfte müssen aber aus den Betrieben selbst kommen.

(Beifall SSW)

Viele Handwerksbetriebe bilden aus, bemühen sich um Unterstützung von Auszubildenden, wenn es zum Beispiel in der Berufsschule hapert, und stärken die Facharbeiterquote. Viele große Industriebetriebe machen sich diese Mühe nicht. Es muss sich etwas an den Strukturen verändern. Das mussten auch Restaurants und Hotels erst lernen. Eine fachlich gute Ausbildung reicht heutzutage nicht aus. Die zukünftigen Köche oder Restaurantfachkräfte wollen auch gute Arbeitszeiten, ausreichende Entlohnung und interessante Karrierechancen. Sonst müssen Küchen eben ab und zu schließen, oder Hotels können viele Zimmer nicht belegen. Einige Betriebe haben die Zeichen der Zeit inzwischen erkannt. Das ist wichtig für den gesamten Standort. Ansonsten wandern die gut Qualifizierten ab. Schließlich ist Hamburg sehr nahe.

Was also kann die Politik tun? Sie muss handfeste Maßnahmen ergreifen. Die Fachkräfteinitiative darf sich nicht auf Bestandsaufnahme, Appelle oder auf Standortmarketing beschränken, wie das in den Handlungsfeldern 1, 2 und 5 der Fachkräfteinitiative geschieht. Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung, durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend, eine schnelle und unbürokratische Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte von Werkvertragsfirmen zur Qualifikation. Arbeitsmodelle müssen flexibler werden, um auch Beschäftigten mit familiären Verpflichtungen Karrieren zu eröffnen. Doch hier hapert es noch. Ich würde mir mehr Experimentierfreude und weniger Appelle wünschen.

Aber auch ich möchte mich für den Bericht bedanken. Ich sage auch, dass wir sicherlich alle Maßnahmen unterstützen werden, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken. - Jo tak.

(Beifall SSW und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

(Volker Schnurrbusch)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag, Drucksache 19/1075, durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Da kein Antrag gestellt worden ist, erkläre ich den Tagesordnungspunkt für erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Einrichtung einer Professur für soziale Folgen der künstlichen Intelligenz

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/1094

Handlungsrahmen künstliche Intelligenz entwickeln

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1198

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Heiner Dunckel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einigen von Ihnen ist vielleicht das 1978 von Joseph Weizenbaum veröffentlichte Buch „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ bekannt, in dem er sich kritisch mit der artificial Intelligence, also der künstlichen Intelligenz, auseinandersetzt. Die Diskussion um künstliche Intelligenz, die Simulation menschlichen Verhaltens und Entscheidens mittels Algorithmen, ist nicht neu. Genau genommen ist der Begriff schon fast 100 Jahre alt. Neu sind allerdings die Breite und Tiefe der Diskussion und der Anwendungen. Schon längst geht es nicht mehr um Schachcomputer oder um Programme zur Textanalyse, sondern um Diagnosen in der Medizin, um das autonome Fahren oder um Algorithmen zur Wahrnehmung und Veränderung von Bildern und Situationen und allgemein zur Beeinflussung menschlichen Verhaltens.

Neu ist auch, dass die künstliche Intelligenz als eine Schlüsseltechnologie angesehen werden kann. Anders sind die enormen Summen, die zum Beispiel China in den nächsten Jahren aufbringt, nicht zu erklären. Erlauben Sie mir hier nur den Hinweis, dass wir in Deutschland und Europa deutlich mehr Geld

aufwenden müssen, um im Bereich der KI anschlussfähig zu bleiben. Als Schlüsseltechnologie wird künstliche Intelligenz viele Lebensbereiche beeinflussen. Wenn wir diese Technik gestalten wollen, dann müssen wir uns dieser Einflussnahme, den sozialen und gesellschaftlichen Folgen dieser Technik bewusst sein. Hier ist zuvorderst die Wissenschaft gefragt.

Lassen Sie mich das an wenigen Beispielen verdeutlichen. Ein Berliner Start-up hat gerade ein Programm entwickelt, das in einem Artikel mit „Sprechstunde bei einer künstlichen Intelligenz“ überschrieben wurde. Hier geht es darum, dass in ein System Schritt für Schritt Symptome eingegeben werden und das System dann Empfehlungen gibt, welche Ursachen es gibt und ob Sie gegebenenfalls einen Arzt aufsuchen sollten. Auf den ersten Blick klingt das ganz attraktiv, kann Ängste vermindern, Wartezeiten reduzieren und so weiter. Auf den zweiten Blick gibt es jedoch eine Reihe von Fragen: Wem gebe ich da eigentlich Auskunft? Wie werden meine Daten geschützt? Was passiert bei Fehldiagnosen? Was macht die Krankenkasse, wenn ich entgegen der Empfehlung nicht zum Arzt gehe? Wie verändert sich das Arzt-Patient-Verhältnis?

Autonomes Fahren hat zumindest bei mir erst einmal eine positive Assoziation. Ich gebe den Zielort ein, und mein Fahrzeug bringt mich autonom, selbstständig dorthin, ohne dass ich eingreifen muss. Es optimiert den Fahrweg, den Energieverbrauch und Ähnliches. Während der Fahrt kann ich lesen, gegebenenfalls schlafen, mit den Kindern spielen, was auch immer.

Bekanntlich wird die Kehrseite schon heiß diskutiert: Wer ist bei einem Unfall verantwortlich? Was ist bei einem Verkehrsdilemma: Soll ich die junge Frau mit Kinderwagen oder den alten Mann gefährden? Soll ich eher mich oder andere gefährden? Und auch bei dieser Technik müssen wir fragen, ob sie nur wenigen zugutekommt, nämlich denen, die sich das leisten können, oder allen. Damit ist natürlich auch die Frage, was wir in Zukunft mit dem öffentlichen Nahverkehr machen.

Ein weiteres Beispiel: Mittlerweile liegt eine Reihe von Programmen vor, die zum Beispiel Videos so manipulieren können, dass Personen in dem Video dargestellt werden, die gar nicht an dem Ort oder in der Situation waren. Das Entscheidende ist, dass diese Manipulation technisch fast nicht mehr feststellbar ist. In Zukunft können wir, können Sie mit Reden in Videos dargestellt werden, die Sie gar nicht gehalten haben. Was das für die Wahrneh

mung von Wahrheit, die Erkennung von Fake News bedeutet und welche Regulierungen hier erforderlich sind, ist noch gar nicht zu ermessen.

Und schließlich ein weiteres Problem: Wir reden hier über Techniken, die in der Regel transnationale Unternehmen oder auch Länder verfügbar machen, bei denen wir uns nicht ganz sicher sein können, was die mit unseren Daten machen, geschweige denn, was das langfristig die Datensicherheit und der Datenschutz bedeutet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen also, es gibt eine Vielzahl von Fragen, die meiner Meinung nach zwingend zu klären sind, bevor wir die Technik entwickeln und einführen. Das lässt sich nicht von einer Wissenschaftsdisziplin beantworten, sondern nur interdisziplinär. Wir sollten aber von hieraus das Signal geben, dass wir die Erforschung der sozialen Folgen dieser Schlüsseltechnologie für notwendig erachten, und Mittel für eine derartige Professur, ein derartiges Forschungsfeld bereitstellen. Wir glauben, dass die CAU ein geeigneter Ort für dieses Forschungsfeld ist. An welcher Hochschule dieses Forschungsfeld schlussendlich betrieben werden kann, kann gern im Rahmen von Zielund Leistungsvereinbarungen geklärt werden. Wichtig ist nur, dass der interdisziplinäre Ansatz möglich ist. Ich hoffe, dass ich Sie von der Notwendigkeit der Schaffung eines derartigen Forschungsfeldes überzeugen konnte, und freue mich auf die Diskussion im Bildungsausschuss. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Tim Brockmann.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wissenschaftsjahr 2019 ist der künstlichen Intelligenz gewidmet worden. Daher ist es gut, dass dieses Thema nun auch den Schleswig-Holsteinischen Landtag erreicht hat; denn auch wir spüren, dass die künstliche Intelligenz in immer mehr Bereiche unseres Alltags Einzug hält. Gleichzeitig nehmen wir aber auch eine besorgte Stimmung wahr, ob denn die künstliche Intelligenz wirklich dem Menschen dient und mit ihr neue Wertschöpfungspotenziale erschlossen werden können. Insofern ist es gut, dass wir das Thema heute diskutieren; denn eine steht doch fest: Die stetige Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz wird unser Leben und unsere Gesellschaft nachhaltig

verändern. Als Politik dürfen wir aber diese Veränderung nicht der künstlichen Intelligenz allein überlassen, sondern wir müssen als Politik sicherstellen, dass die Technik den Menschen hilft, dass der Mensch auch zukünftig im Mittelpunkt der Technik steht.

Dabei stellen sich viele Fragen: Was kann die Sicherheit von KI-basierten Systemen gewährleisten? Wie können wir sicherstellen, dass die Menschen die Kontrolle haben? Welche Arbeitsplätze sind gefährdet? Welche neuen Arbeitsplätze können geschaffen werden? Wie werden diejenigen, die trotz aller Anstrengungen keinen neuen Arbeitsplatz finden, künftig abgesichert? Ganz ehrlich, das sind alles berechtigte Fragen, die eine umfassende Antwort benötigen. Auch wir in Schleswig-Holstein müssen uns mit den Chancen, Herausforderungen und Risiken der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen. Insofern, Herr Dunckel, vielen herzlichen Dank. Natürlich ist es sinnvoll, über eine wissenschaftliche Verortung nachzudenken. Sich aber schon jetzt auf eine einzelne Professur festzulegen, welche sich nur mit den sozialen Folgen beschäftigt, ist aus unserer Sicht doch ein bisschen zu kurz gesprungen.

Wir müssen erst einmal wissen, wo wir stehen und wo wir in Schleswig-Holstein eigentlich hinwollen. Als Fazit kann das Ergebnis natürlich sein, dass wir eine solche Stelle in einem solchen Forschungsbereich benötigen.

Ich möchte aber betonen, dass wir uns der sozialen Veränderungen bewusst sind. Das bestreitet gar keiner. Der einzige Weg aber, Arbeit und Wohlfahrt unter den neuen Herausforderungen zu erhalten, ist, dass wir die technologische Forschung in diesem Bereich vorantreiben, Unternehmen mit innovativen KI-basierten Ideen unterstützen und den Menschen die Furcht vor der künstlichen Intelligenz nehmen, indem wir aktiv den Rahmen gestalten.

Sie haben in Ihrer Rede schon darauf hingewiesen: Der Einsatz der künstlichen Intelligenz gerade im Straßenverkehr kann helfen, Unfälle zu vermeiden. Künstliche Intelligenz trinkt keinen Alkohol.

(Lukas Kilian [CDU]: Noch nicht!)

- Noch nicht. - Sie hat auch keinen Sekundenschlaf. Insofern haben wir hier erhebliche Potenziale, die die Gefahren im Straßenverkehr auf ein Minimum reduzieren können. Im Bereich der Medizin lassen sich sicher Behandlungsfehler vermeiden.

Beides sind positive Beispiele, die zeigen, welch enormes Potenzial in der künstlichen Intelligenz

(Dr. Heiner Dunckel)

steckt. Andererseits darf auch nicht ausgeblendet werden, welche konkreten Missbrauchsgefahren etwa von autonomen Waffensystemen oder dem Hacken von Computern von der künstlichen Intelligenz ausgehen können. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich die Mehrheit der Bundesbürger für eine starke Regulierung ausspricht.

Deshalb begrüßen wir es, dass sich auch die Landesregierung dieses Themas bereits angenommen hat und einen eigenen Handlungsrahmen künstliche Intelligenz entwickeln will, wobei auch ethische, rechtliche und organisatorische Fragestellungen unter Hinzuziehung der Wissenschaft diskutiert und in die Ergebnisse einfließen werden. Dabei ist es wichtig, dass auch die Entwicklungen auf Bundesund EU-Ebene nicht außer Acht gelassen werden. An den so entstehenden Strategien muss SchleswigHolstein partizipieren. Insofern kann ich es nicht wirklich nachvollziehen, warum nach der Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung nur in Ostdeutschland regionale Zukunftszentren modellhaft entstehen sollen. Ich glaube, auch SchleswigHolstein bietet sich hervorragend als Modellregion an, um Maßnahmen und Projekte für künstliche Intelligenz im peripheren Raum zu entwickeln.