Protokoll der Sitzung vom 16.05.2019

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 26. Mai 2019 finden in Deutschland die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Dieser Termin ist besonders wichtig, weil er nicht einheitlich ist. In anderen Ländern in Europa wird auch an anderen Tagen innerhalb eines Zeitraums gewählt.

Wer glaubt, dass uns das nicht so sehr oder nur am Rande betrifft, der irrt. Wer glaubt, dass unser Frieden, unsere Freiheit und unser Wohlstand in Europa von Gott gegeben und selbstverständlich sind, auch der irrt.

(Beifall SSW und Werner Kalinka [CDU])

Dass das so ist, haben wir klugen Politikern in Europa zu verdanken, die aus dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs Konsequenzen gezogen haben. Die EU ist aus einem Kleinstaatenbund und Verträgen entstanden. Sie ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie in dieser Form nicht noch einmal zu finden ist.

Aber wiegen wir uns nicht in Sicherheit. Schon hier im Parlament sitzen gewählte Abgeordnete einer Partei, die nur zur Wahl antritt, um das EU-Parlament zu zerstören oder abzuschaffen und die dieses Friedensprojekt Europa auflösen will, die glaubt, Nationalstaaten könnten heute noch Probleme unserer Zeit lösen. Das zeigt auch der Antrag der AfD: Zurück zu einem „Europa der Vaterländer“ - das mag damals richtig gewesen sein, heute ist das obsolet. Das ist alles erledigt.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt wartet nicht auf uns. Ein kleines schwaches Europa der Nationalstaaten wird bei einem Putin, bei einem Erdogan, bei einem Trump, bei einem wirtschaftshungrigen mächtigen China und bei einem Indien mit einer Milliarde Menschen hoffnungslos untergehen. Nur ein vereintes Europa mit einem großen Markt kann Handelsverträge schließen, die auch im Umwelt- und Sozialbereich Maßstäbe setzen können. Umwelt- und Klimaprobleme, Terror, Verteidi

gung, Flüchtlingskatastrophe, Minderheitenschutz und soziale Herausforderungen können nur gemeinsam gelöst werden.

Unser kleines Schleswig-Holstein ist schon in den letzten Jahren ein großer Gewinner der Europäischen Union gewesen. Ich bin dem „sh:z“-Verlag außerordentlich dankbar, dass er gestern als Aufmacher seiner Zeitung deutlich gemacht hat, was die EU-Förderungen allein für den Strukturwandel im ländlichen Raum bewirken. Er beschreibt, wie seit 2015 in über 600 Projekten und für 160 Millionen € Investitionen überwiegend in den strukturschwachen Räumen ausgelöst wurden. Vom Markttreff über Fahrradstationen bis hin zu Museen, Gesundheitstreffs, Sportentwicklung und barrierefreie Einrichtungen und ländliche Wege gab es Förderungen. Dazu kommen die großen EU-Programme für die Landwirtschaft - allen als ELER bekannt -, aus dem Sozialfonds ESF und den länderübergreifenden Förderungen - INTERREG - vor allem mit Dänemark und dem Ostseeraum. Annähernd eine knappe Milliarde Euro wird in dieser Förderperiode in Schleswig-Holstein ankommen. Mir ist auch bewusst, dass wir erst über Zahlen reden können, wenn der MFR, also der mittelfristige Finanzrahmen, ab 2021 beschlossen ist. Aber darauf wollen wir hinarbeiten, und der frühe Vogel fängt den Wurm.

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Wo bleibt die Jugend? Auch für junge Menschen bietet Europa viel. Reisefreiheit ohne große Grenzkontrollen, in vielen Ländern die gleiche Währung und neuerdings auch die gleichen und günstigen RoamingGebühren sind schon fast selbstverständlich für uns.

Ein ganz besonderer Erfolg der EU ist das Programm Erasmus+. Damit wären wir beim Antrag des SSW zu diesem Thema. Seit 1987 gibt es das ERASMUS-Programm zur Förderung von Studienauslandsaufenthalten in der EU; 2014 wurde das Programm unter dem Titel „Comenius“ für Schulen und für die Ausbildung als „Erasmus+“ weiterentwickelt.

Dieses Programm ist eines der erfolgreichsten und beliebtesten der EU. Über 4 Millionen junge Europäer haben es in den letzten sechs Jahren genossen und daran teilgenommen. Leider konnten nur 20 % aller Anträge bewilligt werden, weil das Programm überzeichnet ist. Alle Kräfte setzen sich mindestens für eine Verdoppelung, unsere EVP-Fraktion sogar für eine Verdreifachung der Mittel in der kommenden Förderperiode ein. Alle jungen Europäer, die

(Hartmut Hamerich)

im Ausland Ausbildung, Schule oder Studium erleben wollen, sollen möglichst davon profitieren.

Wir wollen unser Europa weiterentwickeln und stärken. Wir rufen alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf: Gehen Sie zur Europawahl! Stärken Sie die demokratischen Kräfte, die unser Europa des Friedens erhalten und zukunftsfest machen wollen. Nur ein geeintes, starkes Europa wird in Zukunft im internationalen Spiel der Kräfte eine bedeutende und angemessene Rolle spielen.

Ich bitte den Bildungs- und den Europaausschuss, sich mit dem Antrag zu Erasmus+ zu befassen und beantrage die Überweisung. Für unsere gemeinsame Resolution bitte ich um Zustimmung in der Sache. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Bevor wir fortfahren, begrüßen Sie mit mir bitte gemeinsam auf der Besuchertribüne Gewinnerinnen des Landesschülerwettbewerbs des Vereins „Zukunftsfähiges Schleswig-Holstein“ zum Thema nachhaltige Zukunft. Es sind anwesend Schülerinnen mit ihrer Lehrerin vom Eric-Kandel-Gymnasium, Ahrensburg. - Seien Sie uns herzlich willkommen.

(Beifall)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Bernd Heinemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Kommission hat vor einem Jahr einen Entwurf für die Fortschreibung des ERASMUS-Programms für den Zeitraum von 2021 bis 2027 vorgelegt. Die Anzahl der jungen Menschen, die von diesem Programm profitieren sollen, soll auf 12 Millionen verdreifacht werden. Der finanzielle Gesamtrahmen soll 30 Milliarden € betragen. Richtig so, der internationale Austausch wird immer wichtiger, es muss der Philosophie „Nation first“ etwas entgegengesetzt werden. Wir Sozialdemokraten setzen auf das Miteinander.

(Beifall SPD)

Der SSW beantragt richtigerweise, das Programm zu präzisieren und dabei den Schulbereich stärker in den Mittelpunkt zu stellen, als es beim bisherigen ERASMUS-Programm der Fall war. Das ist die

richtige Richtung. Die Studierenden werden dann sozusagen von den Schülern begleitet.

Europäisierung unseres Bildungswesens heißt, dass Auslandsaufenthalte nicht nur für Studierende, sondern auch für Schülerinnen und Schüler zur Selbstverständlichkeit werden sollten. Ganz abgesehen davon, was das für ihre persönliche Bildungsbiografie und die sich daraus ergebenden besseren Chancen am Arbeitsmarkt bedeuten wird: Was könnte es für ein wirksameres Mittel gegen Europaverdrossenheit geben, als die Erfahrung gemacht zu haben, dass das europäische Ausland in der eigenen Biografie eine so wichtige Rolle gespielt hat? Wir unterstützen deshalb den Antrag des SSW sehr stark.

Wir gestalten Europa, das müssen wir den Menschen immer wieder deutlich machen, und da haben wir hier in Schleswig-Holstein eine Menge Möglichkeiten, uns konkret in die europäische Politik einzubringen, zum Beispiel über den Ausschuss der Regionen, in dem meine Kollegin Regina Poersch für Schleswig-Holstein vertreten sein darf, über unsere Vertretung in Brüssel selbst und über das Subsidiaritätsfrühwarnsystem.

Wir gestalten Europa aber zum Beispiel auch über die Ostseekooperation. Die Ostseeregion ist Modellregion für Kooperation, Innovation Wissenschafts- und Wissenstransfer und ohnehin für nachhaltige Entwicklung. Ich sitze mit dem Kollegen Hansen als Vertreter des Landtags im „eHealth for Regions Network“, in dem Partner aus fünf Staaten rund um die Ostsee daran arbeiten, die Verfügbarkeit und den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen so zu verbessern, dass es für die Ostseeanrainer leichter möglich ist, einen Marktzugang für EHealth-Produkte zu erreichen und die Kompetenzen zu stärken.

(Vereinzelter Beifall FDP und SSW)

- Das ist die Europafraktion innerhalb der FDP.

(Beifall Dennys Bornhöft [FDP] - Heiterkeit)

So kann die Ostseeregion zu einer Modellregion für Lösungen auf dem Feld gesundheitlicher Fürsorge in den ländlichen Regionen und für die Überwindung des ungleichen Zugangs zu Gesundheitsdienstleistungen sein und werden.

Es geht mit dem zweiten, dem gemeinsamen Antrag, auch um ein einiges, solidarisches und starkes Europa. Der Kernsatz lautet:

„Europa braucht auch Mut zur Veränderung, damit nicht Stillstand und Populismus die Er

(Hartmut Hamerich)

rungenschaften der europäischen Einigung schleifen.“

Für uns Sozialdemokraten liegen die Schwerpunkte darin, Steuerdumping zu beenden, Mindestlöhne und solidarische Grundsicherung sicherzustellen, Mitbestimmung zu stärken, die öffentliche Daseinsvorsorge zu sichern und zu fördern sowie die Ziele zu erreichen, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und ein soziales Europa zu stärken.

In immer mehr Köpfen macht sich aber das vorrangige Interesse für den eigenen Vorteil breit. Der AfD-Antrag ist dafür ein Beispiel. Vordrängeln, Wegschubsen und Egoismus stehen für manche Menschen im Vordergrund. „Meins zuerst“ heißt es nicht nur bei Elternabenden oder in Nachbarschaften, sondern vor allem in den sozialen Netzwerken. Alle elf Minuten verliebt sich ein Ego in sich selbst. Aus Egoismus wird dann oft Unfrieden, ja sogar Wut und zum Schluss Hass. In der Kommunalpolitik gönnt die eine Gemeinde der anderen nicht den Bahnanschluss, weil sie ihren Vorteil nicht sieht, nimmt aber gern den neuen Fähranleger auf Kosten von anderen. Das ist keine solidarische Kommunalpolitik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD, SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Auf der Bundesebene schauen Länder oft auf den eigenen Vorteil, indem sie eifersüchtig die Autobahnkilometer zählen oder die Fördermittel nach dem Motto „Mia sun mia“ betrachten. In Europa gibt es Länder wie Polen, Dänemark, Österreich, Ungarn, Rumänien oder eben Großbritannien,

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

die den Trend zur Entsolidarisierung zelebrieren. Vor allem auf der Weltbühne kommt der Egoismus als Nationalismus daher, aber Nationalismus bedeutet Krieg, am Anfang Handelskrieg.

„Nation first“ darf sich in Europa nicht weiter breit machen. Mit unserer demokratischen Resolution wollen wir das ganz deutlich hervorheben. Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, für Ihre Solidarität und dafür, dass Sie sich gegen Egoismus und gegen Nationalismus wenden. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Rasmus Andresen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie lebt von Beteiligung. Es ist Aufgabe von uns demokratischen Parteien, Menschen für unsere Demokratie zu begeistern. Dazu gehört auch die Beteiligung an Wahlen. In zehn Tagen finden die Europawahlen statt, und unser gemeinsames Ziel hier im Haus muss - bei allen Unterschieden in der Sache - sein, dass die Wahlbeteiligung im Vergleich zur letzten Europawahl deutlich steigt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt CDU und SPD)

Sie darf nicht wieder bei unter 50 % liegen. Die gute Nachricht ist, dass das Interesse an den Europawahlen gerade massiv steigt. Volle Veranstaltungen bei fast allen Parteien, Rekordplakatbestellungen in vielen Parteien und auch Umfragen bescheinigen, dass immer mehr Menschen sich für die Wahl am 26. Mai interessieren, und dafür gibt es viele gute Gründe.

Der Brexit hat uns allen gezeigt, wie schmerzlich es sein kann, wenn man nicht wählen geht und andere für sich entscheiden lässt. Rechtspopulistische Hetzer und Demagogen haben Fake News verbreitet. Nationalistinnen und Nationalisten sowie die extreme Rechte haben die Zukunft von vielen Menschen gerade der jungen Generation zerstört, und das Chaos regiert seitdem in Großbritannien, denn keine wichtige Zukunftsfrage kann mehr ausschließlich national entschieden werden. Mein Kollege Hamerich ist schon darauf eingegangen.

Gerade wir Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner im Land zwischen den Meeren, der Minderheiten und als Tor zu Nordeuropa wissen, dass Zusammenarbeit für alle besser ist als Abschottung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt SPD und FDP)